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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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die Verletzung dieser angeblichen Charte wurde blos durch die Furchtsamkeit
der Regierung beschränkt, die Ausdehnung des Mißbrauchs der Autorität
wurde nnr durch deren Schwäche begrenzt."" "Wer hat das gesagt? Der Kaiser
selbst in einer im Moniteur vom 13. April 1815 eingerückten Erklärung an seinen
Ministerrath, drei Woche" nach seiner Rückkehr von der Insel Elba."

Und wer hat diese merkwürdigen Worte wiederholt? Louis Bonaparte, .zehn
Mouate nach dem Staatsstreiche vom zweiten December und wahrscheinlich zwei
Monate vor der Proclamiruug des Kaiserreiches. Der erlauchte Verfasser scheut
überhaupt gefährliche Anspielungen nicht, und so finden wir zu unsrem Erstannen
auch folgende Stelle in dem Pamphlet gegenwärtiger Besprechung.
'

"Man kennt die Geschichte der beiden Regierungen der alten Linie der
Bourbonen und die rasche Aufeinanderfolge ihrer Acte, welche sie unter dem un¬
mittelbaren Einfluß des Adels und der Geistlichkeit in's Verderben gestürzt haben,
so wie es der Kaiser vorausgesagt: Verbannung der Erinnerungen des National¬
ruhmes, politische Verfolgungen und Hinrichtungen, Prevotalgerichts-
höfe, Ministerien Richelieu, Decaze, de Villele, Verletzung der Tribune in der
Person des Ubbo Gregoire und Manuel's, Gesetz gegen die Presse, gegen
die Schriftsteller, gegen die Journale, spanischen Krieg, Entlassung Cha¬
teaubriand's, Wiederherstellung der Censur, Gesetz gegen die kirchliche Entweihung,
Uebermacht des Klerus und des Adels, die Milliarde für die Emigrirten, Pro¬
cesse der Journale, Majoratsrechte, neuerliche Wiederherstellung der Censur,
Ministerium Polignac, Vorlegung der Charte, Julirevolution."

Nach dem Verfasser waren es die verläugnetcn bonapartistischen Ideen,
welche der Opposition zu Mitteln dienten, eine Bresche in das Reich der Bourbonen
zu stoßen. Es war natürlich, daß nach der Julirevolution, meint er weiter, der
Herzog von Reichsstadt auf den Thron gelangen werde, er war weit von Paris,
und Louis Philipp bemächtigte sich seines Opfers, unterstützt von Lafayette, La-
fitte und Dupont de l'Eure. Louis Philipp hätte sein Reich stützen können, wenn
er es gewagt hätte, das allgemeine Stimmrecht zu befragen, aber es fehlte ihm
hierzu an der nöthigen Kühnheit des Geistes, und trotz seiner vom Verfasser
anerkannten Geschicklichkeit beging er dieselben politischen Fehler, die seine Vor¬
gänger auch begangen. Er erhielt die Krone von einigen Deputirten, und sah
sich genöthigt, das parlamentarische System auszubilden, das ihn später stürzen
sollte. Sohn eines Jacobiners und selbst Jacobiner, kann er es nicht wagen, offen
mit der Revolution zu brechen, und er versucht durch 1i Jahre vergebens, die
Autorität mit der Licenz, den Fortschritt mit der Ordnung, die revolutionäre
Heißblütigkeit mit der Stabilität einer ernsthaften Regierung zu vereinigen. Sich
blos auf die Nationalgarde von Paris stützend, regiert er im Interesse der
Bourgeoisie. Er schafft eine regierende Kaste mit Ausschluß des Talentes, des
Verdienstes, ja selbst des Genies. Er bemüht sich, die Sympathien für den Kaiser


die Verletzung dieser angeblichen Charte wurde blos durch die Furchtsamkeit
der Regierung beschränkt, die Ausdehnung des Mißbrauchs der Autorität
wurde nnr durch deren Schwäche begrenzt."" „Wer hat das gesagt? Der Kaiser
selbst in einer im Moniteur vom 13. April 1815 eingerückten Erklärung an seinen
Ministerrath, drei Woche» nach seiner Rückkehr von der Insel Elba."

Und wer hat diese merkwürdigen Worte wiederholt? Louis Bonaparte, .zehn
Mouate nach dem Staatsstreiche vom zweiten December und wahrscheinlich zwei
Monate vor der Proclamiruug des Kaiserreiches. Der erlauchte Verfasser scheut
überhaupt gefährliche Anspielungen nicht, und so finden wir zu unsrem Erstannen
auch folgende Stelle in dem Pamphlet gegenwärtiger Besprechung.
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„Man kennt die Geschichte der beiden Regierungen der alten Linie der
Bourbonen und die rasche Aufeinanderfolge ihrer Acte, welche sie unter dem un¬
mittelbaren Einfluß des Adels und der Geistlichkeit in's Verderben gestürzt haben,
so wie es der Kaiser vorausgesagt: Verbannung der Erinnerungen des National¬
ruhmes, politische Verfolgungen und Hinrichtungen, Prevotalgerichts-
höfe, Ministerien Richelieu, Decaze, de Villele, Verletzung der Tribune in der
Person des Ubbo Gregoire und Manuel's, Gesetz gegen die Presse, gegen
die Schriftsteller, gegen die Journale, spanischen Krieg, Entlassung Cha¬
teaubriand's, Wiederherstellung der Censur, Gesetz gegen die kirchliche Entweihung,
Uebermacht des Klerus und des Adels, die Milliarde für die Emigrirten, Pro¬
cesse der Journale, Majoratsrechte, neuerliche Wiederherstellung der Censur,
Ministerium Polignac, Vorlegung der Charte, Julirevolution."

Nach dem Verfasser waren es die verläugnetcn bonapartistischen Ideen,
welche der Opposition zu Mitteln dienten, eine Bresche in das Reich der Bourbonen
zu stoßen. Es war natürlich, daß nach der Julirevolution, meint er weiter, der
Herzog von Reichsstadt auf den Thron gelangen werde, er war weit von Paris,
und Louis Philipp bemächtigte sich seines Opfers, unterstützt von Lafayette, La-
fitte und Dupont de l'Eure. Louis Philipp hätte sein Reich stützen können, wenn
er es gewagt hätte, das allgemeine Stimmrecht zu befragen, aber es fehlte ihm
hierzu an der nöthigen Kühnheit des Geistes, und trotz seiner vom Verfasser
anerkannten Geschicklichkeit beging er dieselben politischen Fehler, die seine Vor¬
gänger auch begangen. Er erhielt die Krone von einigen Deputirten, und sah
sich genöthigt, das parlamentarische System auszubilden, das ihn später stürzen
sollte. Sohn eines Jacobiners und selbst Jacobiner, kann er es nicht wagen, offen
mit der Revolution zu brechen, und er versucht durch 1i Jahre vergebens, die
Autorität mit der Licenz, den Fortschritt mit der Ordnung, die revolutionäre
Heißblütigkeit mit der Stabilität einer ernsthaften Regierung zu vereinigen. Sich
blos auf die Nationalgarde von Paris stützend, regiert er im Interesse der
Bourgeoisie. Er schafft eine regierende Kaste mit Ausschluß des Talentes, des
Verdienstes, ja selbst des Genies. Er bemüht sich, die Sympathien für den Kaiser


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[0097] die Verletzung dieser angeblichen Charte wurde blos durch die Furchtsamkeit der Regierung beschränkt, die Ausdehnung des Mißbrauchs der Autorität wurde nnr durch deren Schwäche begrenzt."" „Wer hat das gesagt? Der Kaiser selbst in einer im Moniteur vom 13. April 1815 eingerückten Erklärung an seinen Ministerrath, drei Woche» nach seiner Rückkehr von der Insel Elba." Und wer hat diese merkwürdigen Worte wiederholt? Louis Bonaparte, .zehn Mouate nach dem Staatsstreiche vom zweiten December und wahrscheinlich zwei Monate vor der Proclamiruug des Kaiserreiches. Der erlauchte Verfasser scheut überhaupt gefährliche Anspielungen nicht, und so finden wir zu unsrem Erstannen auch folgende Stelle in dem Pamphlet gegenwärtiger Besprechung. ' „Man kennt die Geschichte der beiden Regierungen der alten Linie der Bourbonen und die rasche Aufeinanderfolge ihrer Acte, welche sie unter dem un¬ mittelbaren Einfluß des Adels und der Geistlichkeit in's Verderben gestürzt haben, so wie es der Kaiser vorausgesagt: Verbannung der Erinnerungen des National¬ ruhmes, politische Verfolgungen und Hinrichtungen, Prevotalgerichts- höfe, Ministerien Richelieu, Decaze, de Villele, Verletzung der Tribune in der Person des Ubbo Gregoire und Manuel's, Gesetz gegen die Presse, gegen die Schriftsteller, gegen die Journale, spanischen Krieg, Entlassung Cha¬ teaubriand's, Wiederherstellung der Censur, Gesetz gegen die kirchliche Entweihung, Uebermacht des Klerus und des Adels, die Milliarde für die Emigrirten, Pro¬ cesse der Journale, Majoratsrechte, neuerliche Wiederherstellung der Censur, Ministerium Polignac, Vorlegung der Charte, Julirevolution." Nach dem Verfasser waren es die verläugnetcn bonapartistischen Ideen, welche der Opposition zu Mitteln dienten, eine Bresche in das Reich der Bourbonen zu stoßen. Es war natürlich, daß nach der Julirevolution, meint er weiter, der Herzog von Reichsstadt auf den Thron gelangen werde, er war weit von Paris, und Louis Philipp bemächtigte sich seines Opfers, unterstützt von Lafayette, La- fitte und Dupont de l'Eure. Louis Philipp hätte sein Reich stützen können, wenn er es gewagt hätte, das allgemeine Stimmrecht zu befragen, aber es fehlte ihm hierzu an der nöthigen Kühnheit des Geistes, und trotz seiner vom Verfasser anerkannten Geschicklichkeit beging er dieselben politischen Fehler, die seine Vor¬ gänger auch begangen. Er erhielt die Krone von einigen Deputirten, und sah sich genöthigt, das parlamentarische System auszubilden, das ihn später stürzen sollte. Sohn eines Jacobiners und selbst Jacobiner, kann er es nicht wagen, offen mit der Revolution zu brechen, und er versucht durch 1i Jahre vergebens, die Autorität mit der Licenz, den Fortschritt mit der Ordnung, die revolutionäre Heißblütigkeit mit der Stabilität einer ernsthaften Regierung zu vereinigen. Sich blos auf die Nationalgarde von Paris stützend, regiert er im Interesse der Bourgeoisie. Er schafft eine regierende Kaste mit Ausschluß des Talentes, des Verdienstes, ja selbst des Genies. Er bemüht sich, die Sympathien für den Kaiser

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/97>, abgerufen am 27.09.2024.