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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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über die G.'Sand stellen zu wollen, wie es die deutsche Pietät zuweilen gewollt
hat, ist eine unverzeihliche Thorheit; denn was den Schriftsteller eigentlich macht,
die Gabe der Form, der Vollendung, scheint ihr vollständig gefehlt zu haben.
Sie sagt einmal in ihrem gewöhnlichen Lapidarstyl: "Ich bin kein Dichter, weil
ich nie seicht bin." Es liegt in dieser anscheinenden Paradoxie etwas Richtiges,
denn der Dichter wie der Künstler überhaupt muß Vieles ganz technisch arbeiten,
wie der Handwerker. Der Aristokratie des Geistes dagegen, wie sie uns in dem
Kreise der Rahel entgegentritt, ist diese triviale Beschäftigung nicht vornehm
genug. Rahel giebt uus eigentlich anch nicht einmal vollständige Gedanken,
sondern nur den feinsten Parfum des Denkens. Das imponirt, aber es ist ein
Mangel.

Allein wir dürfen nicht vergessen, daß sie in klaren oder instinctiven Bewußt¬
sein dieses Mangels auch niemals darau gedacht hat, etwas für die Oeffentlichkeit
zu arbeiten. Was uus von ihr aufbehalten ist, sind Briefe, zerstreute Tagebuch¬
blätter und Aehnliches, und um uns daraus ein vollständiges Bild von ihren
Gaben zusammenzusetzen, fehlt uns die Kenntniß der einzelnen Beziehungen. Bei
ihrer nervösen Natur ist sie jeder Stimmung leicht zugänglich. Sie bezeichnet in
der Regel zu Anfang jedes Briefes die Witterung, um seine Färbung zu motiviren,
und gewöhnt auch ihre Freunde, dasselbe zu thun! So müssen wir ihre Ideen immer
nicht als einen klaren, bewußten Ausdruck ihres Geistes, sondern nur als einen
modificirten, gebrochenen betrachten. Wir dürfe" es nicht einmal mit ihren Ge¬
fühlen, namentlich wo die Trauer einen witzigen Ausdruck annimmt, -zu ernst
nehmen. Trotz dem stößt uus darin so Vieles auf, was das Wesen der Sache
trifft, und die Grundlage des Gemüths und der Vernunft bleibt in allem schein¬
baren Wechsel so'beständig, daß wir es Herrn v. Varnhagen, ihrem Gemahl,
uur Dank wissen können, uns diese merkwürdigen Blätter mitgetheilt zu haben.
Was die reich begabte Frau in anderer Beziehung war, ihr inneres Gemütsleben,
ihre Schicksale, wenn mau eine Reihe von Empfindungen und Stimmungen so
nennen will, geht uns hier weniger an. Wir sehen in ihr nur den bedeutenden
und charakteristischen Ausdruck einer Literaturperiode, die auf die Entwickelung
Deutschlands von dem größten Einfluß gewesen ist. Die deutsche Nation ist in
unsrem Jahrhundert vorzugsweise durch Goethe gebildet worden. Der Cultus
dieses Dichters ist hauptsächlich dnrch die Frauen vermittelt, und uuter diesen
dürfte sich keine Nadel an die Seite stellen.

' Daß dieser in Abgötterei ausartende Cultus seiue sehr bedenklichen, ja seine
offenbar verderblichen Seiten gehabt hat, wird man mehr und mehr einsehen.
Darüber darf man aber nicht vergessen, daß selbst in dem Uebermaß jener Pietät
etwas Schönes lag; deun wir mögen Goethe so leidenschaftlich angreifen, als wir
wollen, -- und wir müssen es thun, denn das Ganze der Nation steht uns
hoher, als eine einzelne, wenn auch noch so schöne Blüthe derselben, und diese


über die G.'Sand stellen zu wollen, wie es die deutsche Pietät zuweilen gewollt
hat, ist eine unverzeihliche Thorheit; denn was den Schriftsteller eigentlich macht,
die Gabe der Form, der Vollendung, scheint ihr vollständig gefehlt zu haben.
Sie sagt einmal in ihrem gewöhnlichen Lapidarstyl: „Ich bin kein Dichter, weil
ich nie seicht bin." Es liegt in dieser anscheinenden Paradoxie etwas Richtiges,
denn der Dichter wie der Künstler überhaupt muß Vieles ganz technisch arbeiten,
wie der Handwerker. Der Aristokratie des Geistes dagegen, wie sie uns in dem
Kreise der Rahel entgegentritt, ist diese triviale Beschäftigung nicht vornehm
genug. Rahel giebt uus eigentlich anch nicht einmal vollständige Gedanken,
sondern nur den feinsten Parfum des Denkens. Das imponirt, aber es ist ein
Mangel.

Allein wir dürfen nicht vergessen, daß sie in klaren oder instinctiven Bewußt¬
sein dieses Mangels auch niemals darau gedacht hat, etwas für die Oeffentlichkeit
zu arbeiten. Was uus von ihr aufbehalten ist, sind Briefe, zerstreute Tagebuch¬
blätter und Aehnliches, und um uns daraus ein vollständiges Bild von ihren
Gaben zusammenzusetzen, fehlt uns die Kenntniß der einzelnen Beziehungen. Bei
ihrer nervösen Natur ist sie jeder Stimmung leicht zugänglich. Sie bezeichnet in
der Regel zu Anfang jedes Briefes die Witterung, um seine Färbung zu motiviren,
und gewöhnt auch ihre Freunde, dasselbe zu thun! So müssen wir ihre Ideen immer
nicht als einen klaren, bewußten Ausdruck ihres Geistes, sondern nur als einen
modificirten, gebrochenen betrachten. Wir dürfe» es nicht einmal mit ihren Ge¬
fühlen, namentlich wo die Trauer einen witzigen Ausdruck annimmt, -zu ernst
nehmen. Trotz dem stößt uus darin so Vieles auf, was das Wesen der Sache
trifft, und die Grundlage des Gemüths und der Vernunft bleibt in allem schein¬
baren Wechsel so'beständig, daß wir es Herrn v. Varnhagen, ihrem Gemahl,
uur Dank wissen können, uns diese merkwürdigen Blätter mitgetheilt zu haben.
Was die reich begabte Frau in anderer Beziehung war, ihr inneres Gemütsleben,
ihre Schicksale, wenn mau eine Reihe von Empfindungen und Stimmungen so
nennen will, geht uns hier weniger an. Wir sehen in ihr nur den bedeutenden
und charakteristischen Ausdruck einer Literaturperiode, die auf die Entwickelung
Deutschlands von dem größten Einfluß gewesen ist. Die deutsche Nation ist in
unsrem Jahrhundert vorzugsweise durch Goethe gebildet worden. Der Cultus
dieses Dichters ist hauptsächlich dnrch die Frauen vermittelt, und uuter diesen
dürfte sich keine Nadel an die Seite stellen.

' Daß dieser in Abgötterei ausartende Cultus seiue sehr bedenklichen, ja seine
offenbar verderblichen Seiten gehabt hat, wird man mehr und mehr einsehen.
Darüber darf man aber nicht vergessen, daß selbst in dem Uebermaß jener Pietät
etwas Schönes lag; deun wir mögen Goethe so leidenschaftlich angreifen, als wir
wollen, — und wir müssen es thun, denn das Ganze der Nation steht uns
hoher, als eine einzelne, wenn auch noch so schöne Blüthe derselben, und diese


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/52>, abgerufen am 27.09.2024.