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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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nus der Levante heimkehrenden venetianischen Kausfcchrer häufig gekommen sind,
und erst in neuester Zeit hat die Durchforschung des griechischen Bodens die
schönsten Exemplare dieser Gattung geliefert. Goethe war schon von dem Anblick
der mittelmäßigen Grabreliefs in Museen von Verona entzückt gewesen. Der
Wind, sagt er, der von deu Gräbern der Alten herkommt, weht mit Wohlgerüchen
über einen Nosenhügel. Nichts konnte der Auffassungsweise Thvrvaldsen's homo¬
gener sein, als die Art, wie hierdurch einfache Darstellungen ans dem Leben der
Verstorbenen, ohne alle Einmischung von Tod und Jenseits, ihre Existenz fort¬
gesetzt und bleibend gemacht wurde. Schwerlich würde er, wenn er diese Vor¬
bilder gekannt hatte, auf Grabdenkmälern ein Sterbebette dargestellt haben, oder
eine überlebende Familie in Trauer bei der Todtennrne, oder eine an einem
Grabhügel betende, oder eine mit dem Krenz in den gefalteten Händen gen
Himmel schwebende Frau -- wenigstens nicht, wo die Besteller ihm freie Hand
gelassen hätten.

Von Thorvaldsen's christlichen Werken soll hier nur die Predigt Johannes
des Täufers und Christus mit den Aposteln erwähnt werden. Die erstere Sta-
tuengruppe füllt das Giebelfeld über dem Haupteingange der Frauenkirche zu
Kopenhagen. Die Schönheit jeder einzelnen Figur und die weise Anordnung
vereinigen sich, um dieses Werk zu einem seiner bedeutendsten zu machen. Andäch¬
tige Aufmerksamkeit, prüfender Zweifel, stilles Entzücken, pharisäischer Hochmuth,
feurige Begeisterung malen sich in Zügen, Geberden und Haltung der Zuhörer
aus jedem Alter, Geschlecht und Staude. Etwas specifisch Christliches hat die
Scene nicht, und konnte sie nicht haben; wenn man sich start des Täufers,
dessen abgemagerte Büßergestalt das geringste Interesse erregt, einen andern
guten Redner hinderte, würde die Gruppe nicht verlieren. Am schönsten sind
ohne Zweifel die Kinder, die von der Predigt gar nichts hören. Unter den
Zuhörern befindet sich eine junge Mutter mit drei Kindern, deren Kopf Thor-
valdsen nach der schönen Albanerin Vittoria modellirte; die ganze Aufmerksamkeit
der Kleinen ist von dem Hunde eines Jägers in Anspruch genommen. Den
einen Knaben hält die Mutter in ihrem Schooß; ein anderer Knabe und ein
Mädchen einander umfaßt haltend, nähern sich auf den Zehen behutsam dem
Hunde, zwischen Angst und Lust schwankend. Dergleichen Figuren bei solchen Ge¬
genständen anzubringen, haben sich freilich auch die allerchristlichsten Künstler nicht
übelgenommen, -- für Thorvaldsen ist es charakteristisch, daß er sie mit so viel
Vorliebe ausgeführt und ihnen einen so unwiderstehlichen Reiz verliehen hat,
daß man zu ihnen immer wieder zurückkehrt.

Der Anblick des Innern der Frauenkirche gehört zu denen, die die Seele
im ersten Moment mit jener unbeschreiblichen Rührung erfüllen, für welche der
Verstand keinen Begriff und die Sprache keinen Namen hat. Ich betrat sie an
einem Sonntage während des Gottesdienstes, und selbst der quälende Gesang


nus der Levante heimkehrenden venetianischen Kausfcchrer häufig gekommen sind,
und erst in neuester Zeit hat die Durchforschung des griechischen Bodens die
schönsten Exemplare dieser Gattung geliefert. Goethe war schon von dem Anblick
der mittelmäßigen Grabreliefs in Museen von Verona entzückt gewesen. Der
Wind, sagt er, der von deu Gräbern der Alten herkommt, weht mit Wohlgerüchen
über einen Nosenhügel. Nichts konnte der Auffassungsweise Thvrvaldsen's homo¬
gener sein, als die Art, wie hierdurch einfache Darstellungen ans dem Leben der
Verstorbenen, ohne alle Einmischung von Tod und Jenseits, ihre Existenz fort¬
gesetzt und bleibend gemacht wurde. Schwerlich würde er, wenn er diese Vor¬
bilder gekannt hatte, auf Grabdenkmälern ein Sterbebette dargestellt haben, oder
eine überlebende Familie in Trauer bei der Todtennrne, oder eine an einem
Grabhügel betende, oder eine mit dem Krenz in den gefalteten Händen gen
Himmel schwebende Frau — wenigstens nicht, wo die Besteller ihm freie Hand
gelassen hätten.

Von Thorvaldsen's christlichen Werken soll hier nur die Predigt Johannes
des Täufers und Christus mit den Aposteln erwähnt werden. Die erstere Sta-
tuengruppe füllt das Giebelfeld über dem Haupteingange der Frauenkirche zu
Kopenhagen. Die Schönheit jeder einzelnen Figur und die weise Anordnung
vereinigen sich, um dieses Werk zu einem seiner bedeutendsten zu machen. Andäch¬
tige Aufmerksamkeit, prüfender Zweifel, stilles Entzücken, pharisäischer Hochmuth,
feurige Begeisterung malen sich in Zügen, Geberden und Haltung der Zuhörer
aus jedem Alter, Geschlecht und Staude. Etwas specifisch Christliches hat die
Scene nicht, und konnte sie nicht haben; wenn man sich start des Täufers,
dessen abgemagerte Büßergestalt das geringste Interesse erregt, einen andern
guten Redner hinderte, würde die Gruppe nicht verlieren. Am schönsten sind
ohne Zweifel die Kinder, die von der Predigt gar nichts hören. Unter den
Zuhörern befindet sich eine junge Mutter mit drei Kindern, deren Kopf Thor-
valdsen nach der schönen Albanerin Vittoria modellirte; die ganze Aufmerksamkeit
der Kleinen ist von dem Hunde eines Jägers in Anspruch genommen. Den
einen Knaben hält die Mutter in ihrem Schooß; ein anderer Knabe und ein
Mädchen einander umfaßt haltend, nähern sich auf den Zehen behutsam dem
Hunde, zwischen Angst und Lust schwankend. Dergleichen Figuren bei solchen Ge¬
genständen anzubringen, haben sich freilich auch die allerchristlichsten Künstler nicht
übelgenommen, — für Thorvaldsen ist es charakteristisch, daß er sie mit so viel
Vorliebe ausgeführt und ihnen einen so unwiderstehlichen Reiz verliehen hat,
daß man zu ihnen immer wieder zurückkehrt.

Der Anblick des Innern der Frauenkirche gehört zu denen, die die Seele
im ersten Moment mit jener unbeschreiblichen Rührung erfüllen, für welche der
Verstand keinen Begriff und die Sprache keinen Namen hat. Ich betrat sie an
einem Sonntage während des Gottesdienstes, und selbst der quälende Gesang


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[0511] nus der Levante heimkehrenden venetianischen Kausfcchrer häufig gekommen sind, und erst in neuester Zeit hat die Durchforschung des griechischen Bodens die schönsten Exemplare dieser Gattung geliefert. Goethe war schon von dem Anblick der mittelmäßigen Grabreliefs in Museen von Verona entzückt gewesen. Der Wind, sagt er, der von deu Gräbern der Alten herkommt, weht mit Wohlgerüchen über einen Nosenhügel. Nichts konnte der Auffassungsweise Thvrvaldsen's homo¬ gener sein, als die Art, wie hierdurch einfache Darstellungen ans dem Leben der Verstorbenen, ohne alle Einmischung von Tod und Jenseits, ihre Existenz fort¬ gesetzt und bleibend gemacht wurde. Schwerlich würde er, wenn er diese Vor¬ bilder gekannt hatte, auf Grabdenkmälern ein Sterbebette dargestellt haben, oder eine überlebende Familie in Trauer bei der Todtennrne, oder eine an einem Grabhügel betende, oder eine mit dem Krenz in den gefalteten Händen gen Himmel schwebende Frau — wenigstens nicht, wo die Besteller ihm freie Hand gelassen hätten. Von Thorvaldsen's christlichen Werken soll hier nur die Predigt Johannes des Täufers und Christus mit den Aposteln erwähnt werden. Die erstere Sta- tuengruppe füllt das Giebelfeld über dem Haupteingange der Frauenkirche zu Kopenhagen. Die Schönheit jeder einzelnen Figur und die weise Anordnung vereinigen sich, um dieses Werk zu einem seiner bedeutendsten zu machen. Andäch¬ tige Aufmerksamkeit, prüfender Zweifel, stilles Entzücken, pharisäischer Hochmuth, feurige Begeisterung malen sich in Zügen, Geberden und Haltung der Zuhörer aus jedem Alter, Geschlecht und Staude. Etwas specifisch Christliches hat die Scene nicht, und konnte sie nicht haben; wenn man sich start des Täufers, dessen abgemagerte Büßergestalt das geringste Interesse erregt, einen andern guten Redner hinderte, würde die Gruppe nicht verlieren. Am schönsten sind ohne Zweifel die Kinder, die von der Predigt gar nichts hören. Unter den Zuhörern befindet sich eine junge Mutter mit drei Kindern, deren Kopf Thor- valdsen nach der schönen Albanerin Vittoria modellirte; die ganze Aufmerksamkeit der Kleinen ist von dem Hunde eines Jägers in Anspruch genommen. Den einen Knaben hält die Mutter in ihrem Schooß; ein anderer Knabe und ein Mädchen einander umfaßt haltend, nähern sich auf den Zehen behutsam dem Hunde, zwischen Angst und Lust schwankend. Dergleichen Figuren bei solchen Ge¬ genständen anzubringen, haben sich freilich auch die allerchristlichsten Künstler nicht übelgenommen, — für Thorvaldsen ist es charakteristisch, daß er sie mit so viel Vorliebe ausgeführt und ihnen einen so unwiderstehlichen Reiz verliehen hat, daß man zu ihnen immer wieder zurückkehrt. Der Anblick des Innern der Frauenkirche gehört zu denen, die die Seele im ersten Moment mit jener unbeschreiblichen Rührung erfüllen, für welche der Verstand keinen Begriff und die Sprache keinen Namen hat. Ich betrat sie an einem Sonntage während des Gottesdienstes, und selbst der quälende Gesang

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/511>, abgerufen am 27.09.2024.