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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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und freilich wird die Sache mich so nicht viel klarer. Es ist beachtenswert!), daß
auch in der Schwesterknnst der Sculptur die größten Meister, wie Cornelius und
Kaulbach, von der Gewalt ihres Genius ans Abwege geführt worden find, an
denen gewöhnliche Talente, von der Theorie geleitet, sicher vorübergehen. --
Allegorien finden sich auch uuter den zahlreichen Grabmonumenten Thorvaldsen's.
Auf dem Denkmal der Gräfin Berkowsky führt der Genius des Todes die ver¬
hüllte Verstorbene davon, während der hinterlassene Sohn ihr folgend sie leiden¬
schaftlich zurückzuhalten sucht. Vortrefflich -- wenn uur nicht ans der Seite,
wohin die Gestorbene geführt wird, das Zeichen stände, das in der römischen
Rennbahn das Ziel der Laufbahn bezeichnete, und das hier noch gar für Die¬
jenigen, die es nicht kennen sollten, mit der Inschrift meta versehen ist. Dieses
Symbol gehört einer ganz andern Reihe von Vorstellungen an und steht mit
der einfach rührenden Trennungsscene in gar keinem Zusammenhang. Ans dem
Denkmal von Angusta Böhmer (die in Folge übergroßer Anstrengungen bei der
Krankenpflege ihrer Mutter selbst erkrankte und starb) sieht man die Jungfrau
vor der sitzenden Mutter stehen und ihr mit beiden Händen eine Schale reichen,
aus der sie schlürft; aber zugleich sticht eine Schlange die Tochter in die Ferse.
Hier ist die Krankenpflege von der Ursache des Todes für die sinnliche Betrach¬
tung etwas völlig Getrenntes, während doch der Absicht nach Beides zusammen¬
fallen sollte. Dieser Uebelstand ist auf dem Grabmal Philipp Bethmann-Hollweg's
glücklich vermieden; er starb in Florenz an einer Krankheit, die er sich durch
Hilscleisten und Nelken bei einem Brande in Wien zugezogen hatte. Die an¬
deutende Darstellung der edelmüthigen That ist' auf ein Seitenrclief verwiesen, so
wie die Klagen der Mutter und Schwestern auf ein anderes, und so stört Nichts
die Einheit der herrlichen Hauptcvmpositiou. Der Verstorbene sitzt einem Ent¬
schlummernden ähnlich mit niedersinkendem Hanpte aus einem Sessel, während
zur linken der Genius der ewigen Ruhe wehmüthig abgewandt sich an ihn lehnt
und seine Mohnstengel über seine Schulter herabneigt, eilt von. der rechten der
überlebende Bruder mit einem Eichenkränze herbei und stützt die.Hand des Ent¬
schlafenden, die sich noch ausstreckt, um nach dem Kranze zu fassen. Wenn irgendwo,
ist Thorvaldsen bei diesem Werke von dem Geiste der alten Kunst inspirirt ge¬
wesen, die die Gegenstände der Darstellung so schön ,,eins der beengenden Nähe
der Verhältnisse, aus der unruhigen Erregtheit des Augenblicks" zu entrücken
verstand, ohne doch der Wirklichkeit ihr Recht zu schmälern. Wäre es ihm ver¬
gönnt gewesen, bei seinen Grabmonumenten griechische Vorbilder zu benutzen!
Er hat sie vermuthlich wenig gekannt und nicht beachtet,*) denn während der
Zeit seines Aufenthalts in Italien fanden sie sich hauptsächlich uur in den Museen
Oberitaliens, wohin sie in früheren Jahrhunderten als Ballast der ohne Rückfracht



*) In seiner eigenen Scumulnng findet sich ein freilich unbedeutendes griechisches GrMelief.

und freilich wird die Sache mich so nicht viel klarer. Es ist beachtenswert!), daß
auch in der Schwesterknnst der Sculptur die größten Meister, wie Cornelius und
Kaulbach, von der Gewalt ihres Genius ans Abwege geführt worden find, an
denen gewöhnliche Talente, von der Theorie geleitet, sicher vorübergehen. —
Allegorien finden sich auch uuter den zahlreichen Grabmonumenten Thorvaldsen's.
Auf dem Denkmal der Gräfin Berkowsky führt der Genius des Todes die ver¬
hüllte Verstorbene davon, während der hinterlassene Sohn ihr folgend sie leiden¬
schaftlich zurückzuhalten sucht. Vortrefflich — wenn uur nicht ans der Seite,
wohin die Gestorbene geführt wird, das Zeichen stände, das in der römischen
Rennbahn das Ziel der Laufbahn bezeichnete, und das hier noch gar für Die¬
jenigen, die es nicht kennen sollten, mit der Inschrift meta versehen ist. Dieses
Symbol gehört einer ganz andern Reihe von Vorstellungen an und steht mit
der einfach rührenden Trennungsscene in gar keinem Zusammenhang. Ans dem
Denkmal von Angusta Böhmer (die in Folge übergroßer Anstrengungen bei der
Krankenpflege ihrer Mutter selbst erkrankte und starb) sieht man die Jungfrau
vor der sitzenden Mutter stehen und ihr mit beiden Händen eine Schale reichen,
aus der sie schlürft; aber zugleich sticht eine Schlange die Tochter in die Ferse.
Hier ist die Krankenpflege von der Ursache des Todes für die sinnliche Betrach¬
tung etwas völlig Getrenntes, während doch der Absicht nach Beides zusammen¬
fallen sollte. Dieser Uebelstand ist auf dem Grabmal Philipp Bethmann-Hollweg's
glücklich vermieden; er starb in Florenz an einer Krankheit, die er sich durch
Hilscleisten und Nelken bei einem Brande in Wien zugezogen hatte. Die an¬
deutende Darstellung der edelmüthigen That ist' auf ein Seitenrclief verwiesen, so
wie die Klagen der Mutter und Schwestern auf ein anderes, und so stört Nichts
die Einheit der herrlichen Hauptcvmpositiou. Der Verstorbene sitzt einem Ent¬
schlummernden ähnlich mit niedersinkendem Hanpte aus einem Sessel, während
zur linken der Genius der ewigen Ruhe wehmüthig abgewandt sich an ihn lehnt
und seine Mohnstengel über seine Schulter herabneigt, eilt von. der rechten der
überlebende Bruder mit einem Eichenkränze herbei und stützt die.Hand des Ent¬
schlafenden, die sich noch ausstreckt, um nach dem Kranze zu fassen. Wenn irgendwo,
ist Thorvaldsen bei diesem Werke von dem Geiste der alten Kunst inspirirt ge¬
wesen, die die Gegenstände der Darstellung so schön ,,eins der beengenden Nähe
der Verhältnisse, aus der unruhigen Erregtheit des Augenblicks" zu entrücken
verstand, ohne doch der Wirklichkeit ihr Recht zu schmälern. Wäre es ihm ver¬
gönnt gewesen, bei seinen Grabmonumenten griechische Vorbilder zu benutzen!
Er hat sie vermuthlich wenig gekannt und nicht beachtet,*) denn während der
Zeit seines Aufenthalts in Italien fanden sie sich hauptsächlich uur in den Museen
Oberitaliens, wohin sie in früheren Jahrhunderten als Ballast der ohne Rückfracht



*) In seiner eigenen Scumulnng findet sich ein freilich unbedeutendes griechisches GrMelief.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/510>, abgerufen am 27.09.2024.