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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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den ihrigen mit gesenktem Arme gleichgiltig in den Flügeln hält, während er mit
der reizendsten Armensündermiene von der Welt die Aermchen über der Brust
kreuzt. Endlich der bärtige Mann, der auf einem Steine sitzt und schlummert,
während der Amor, dessen Last ihn zu Boden drückt, bequem auf seinen Schul¬
tern ruhend sich nach einem Gefährten umsieht; dieser fliegt spottend dem Greise
davon, der ihn vergebens zu fangen strebt. Der Verkauf der Liebesgötter ist
ein antikes Motiv, aber Thorvaldsen hat es durch die Art der Benutzung wahrlich
zu seinem Eigenthum gemacht, noch einmal hat er es in der "Hirtin mit einem
Nest von Liebesgöttern" benutzt, und was kann reizender sein, als das kleine
Geschöpf, das sich mit halbem Leibe aus dem Neste herausbiegt, um mit beiden
Händchen in die Schnauze eines großen Hundes zu greifen. Von allen Göttern
hat Thorvaldsen den Liebesgott, der ihm im Leben nicht hold war, mit der grö߬
ten Vorliebe dargestellt, in Erfindung immer neuer Situationen und Motive ist
er wahrhaft unerschöpflich gewesen. Als Jüngling betrachtet er triumphirend die
Schärfe seines Pfeils, oder beugt sich über die entschlummerte Psyche, als er¬
wachsener Knabe schlürft er die Schale, die Bacchus ihm hinhält, als muthwilliges
Kind reitet er auf dem Löwen, auf dem Schwane, und spielt mit den gebändigten
Elementen. In aller holden und freundliche" Gestalten Gesellschaft erscheint er,
mit Hygiea, Hymen, Ganymed verbunden, aber am liebsten hat ihn der Künstler
den Huldgöttiunen gesellt. Sie haben ihn mit Blumen gefesselt, oder prüfen die
Schärfe seines Pfeils, oder lauschen seinem Gesänge. Den letzten Gegenstand
hat er zwei Mal behandelt, in einer Gruppe und in einem Relief, das zum
Grabdenkmal des Malers Appiani bestimmt war, und diesem letztern giebt die
wehmüthige Rührung des kleinen Sängers und der Hörerinnen einen ganz be¬
sondern Reiz.*)

Ueberhaupt wurde Thorvaldsen von seinem Genius zum Anmuthiger, Zarten,
Liebreizenden mehr hingezogen, als zum Ernster, Erhabenen, Gewaltigen; er hatte
mit Praxiteles mehr Verwandtschaft als mit Phidias, auch seine, Schöpfungen
gehören vorzugsweise dem blühenden Jugendalter an, die männliche Reife und
Kraft hat er aus eigenem Antriebe selten dargestellt. Unter seinen Statuen
dürsten der Jason, der zuerst seineu Ruhm begründete, der Vulkan, den er
gleichsam als Schutzgott der Sculptur nicht übergehn durste, und der schon
erwähnte Mars mit dem Amor die einzigen erheblichen Ausnahmen sein. Dagegen
zeugen von seiner Vorliebe sür Figuren wie Ganymed, Hebe, die Musen und
ähnliche zahlreiche Arbeiten, und seine Kindergestalten -- mögen sie als Engel
oder Genien erscheinen -- nehmen wahrlich keinen untergeordneten Rang unter
seinen Werken ein. In dem Kreise dieser jugendlich blühenden Wesen sind
vielleicht die schönsten der Ganymed, der Jupiter's Adler knieend aus einer



Thorvaldsen hat auch die ganze Psychesabel in -16 kleinen Medaillons behandelt.

den ihrigen mit gesenktem Arme gleichgiltig in den Flügeln hält, während er mit
der reizendsten Armensündermiene von der Welt die Aermchen über der Brust
kreuzt. Endlich der bärtige Mann, der auf einem Steine sitzt und schlummert,
während der Amor, dessen Last ihn zu Boden drückt, bequem auf seinen Schul¬
tern ruhend sich nach einem Gefährten umsieht; dieser fliegt spottend dem Greise
davon, der ihn vergebens zu fangen strebt. Der Verkauf der Liebesgötter ist
ein antikes Motiv, aber Thorvaldsen hat es durch die Art der Benutzung wahrlich
zu seinem Eigenthum gemacht, noch einmal hat er es in der „Hirtin mit einem
Nest von Liebesgöttern" benutzt, und was kann reizender sein, als das kleine
Geschöpf, das sich mit halbem Leibe aus dem Neste herausbiegt, um mit beiden
Händchen in die Schnauze eines großen Hundes zu greifen. Von allen Göttern
hat Thorvaldsen den Liebesgott, der ihm im Leben nicht hold war, mit der grö߬
ten Vorliebe dargestellt, in Erfindung immer neuer Situationen und Motive ist
er wahrhaft unerschöpflich gewesen. Als Jüngling betrachtet er triumphirend die
Schärfe seines Pfeils, oder beugt sich über die entschlummerte Psyche, als er¬
wachsener Knabe schlürft er die Schale, die Bacchus ihm hinhält, als muthwilliges
Kind reitet er auf dem Löwen, auf dem Schwane, und spielt mit den gebändigten
Elementen. In aller holden und freundliche« Gestalten Gesellschaft erscheint er,
mit Hygiea, Hymen, Ganymed verbunden, aber am liebsten hat ihn der Künstler
den Huldgöttiunen gesellt. Sie haben ihn mit Blumen gefesselt, oder prüfen die
Schärfe seines Pfeils, oder lauschen seinem Gesänge. Den letzten Gegenstand
hat er zwei Mal behandelt, in einer Gruppe und in einem Relief, das zum
Grabdenkmal des Malers Appiani bestimmt war, und diesem letztern giebt die
wehmüthige Rührung des kleinen Sängers und der Hörerinnen einen ganz be¬
sondern Reiz.*)

Ueberhaupt wurde Thorvaldsen von seinem Genius zum Anmuthiger, Zarten,
Liebreizenden mehr hingezogen, als zum Ernster, Erhabenen, Gewaltigen; er hatte
mit Praxiteles mehr Verwandtschaft als mit Phidias, auch seine, Schöpfungen
gehören vorzugsweise dem blühenden Jugendalter an, die männliche Reife und
Kraft hat er aus eigenem Antriebe selten dargestellt. Unter seinen Statuen
dürsten der Jason, der zuerst seineu Ruhm begründete, der Vulkan, den er
gleichsam als Schutzgott der Sculptur nicht übergehn durste, und der schon
erwähnte Mars mit dem Amor die einzigen erheblichen Ausnahmen sein. Dagegen
zeugen von seiner Vorliebe sür Figuren wie Ganymed, Hebe, die Musen und
ähnliche zahlreiche Arbeiten, und seine Kindergestalten — mögen sie als Engel
oder Genien erscheinen — nehmen wahrlich keinen untergeordneten Rang unter
seinen Werken ein. In dem Kreise dieser jugendlich blühenden Wesen sind
vielleicht die schönsten der Ganymed, der Jupiter's Adler knieend aus einer



Thorvaldsen hat auch die ganze Psychesabel in -16 kleinen Medaillons behandelt.
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[0508] den ihrigen mit gesenktem Arme gleichgiltig in den Flügeln hält, während er mit der reizendsten Armensündermiene von der Welt die Aermchen über der Brust kreuzt. Endlich der bärtige Mann, der auf einem Steine sitzt und schlummert, während der Amor, dessen Last ihn zu Boden drückt, bequem auf seinen Schul¬ tern ruhend sich nach einem Gefährten umsieht; dieser fliegt spottend dem Greise davon, der ihn vergebens zu fangen strebt. Der Verkauf der Liebesgötter ist ein antikes Motiv, aber Thorvaldsen hat es durch die Art der Benutzung wahrlich zu seinem Eigenthum gemacht, noch einmal hat er es in der „Hirtin mit einem Nest von Liebesgöttern" benutzt, und was kann reizender sein, als das kleine Geschöpf, das sich mit halbem Leibe aus dem Neste herausbiegt, um mit beiden Händchen in die Schnauze eines großen Hundes zu greifen. Von allen Göttern hat Thorvaldsen den Liebesgott, der ihm im Leben nicht hold war, mit der grö߬ ten Vorliebe dargestellt, in Erfindung immer neuer Situationen und Motive ist er wahrhaft unerschöpflich gewesen. Als Jüngling betrachtet er triumphirend die Schärfe seines Pfeils, oder beugt sich über die entschlummerte Psyche, als er¬ wachsener Knabe schlürft er die Schale, die Bacchus ihm hinhält, als muthwilliges Kind reitet er auf dem Löwen, auf dem Schwane, und spielt mit den gebändigten Elementen. In aller holden und freundliche« Gestalten Gesellschaft erscheint er, mit Hygiea, Hymen, Ganymed verbunden, aber am liebsten hat ihn der Künstler den Huldgöttiunen gesellt. Sie haben ihn mit Blumen gefesselt, oder prüfen die Schärfe seines Pfeils, oder lauschen seinem Gesänge. Den letzten Gegenstand hat er zwei Mal behandelt, in einer Gruppe und in einem Relief, das zum Grabdenkmal des Malers Appiani bestimmt war, und diesem letztern giebt die wehmüthige Rührung des kleinen Sängers und der Hörerinnen einen ganz be¬ sondern Reiz.*) Ueberhaupt wurde Thorvaldsen von seinem Genius zum Anmuthiger, Zarten, Liebreizenden mehr hingezogen, als zum Ernster, Erhabenen, Gewaltigen; er hatte mit Praxiteles mehr Verwandtschaft als mit Phidias, auch seine, Schöpfungen gehören vorzugsweise dem blühenden Jugendalter an, die männliche Reife und Kraft hat er aus eigenem Antriebe selten dargestellt. Unter seinen Statuen dürsten der Jason, der zuerst seineu Ruhm begründete, der Vulkan, den er gleichsam als Schutzgott der Sculptur nicht übergehn durste, und der schon erwähnte Mars mit dem Amor die einzigen erheblichen Ausnahmen sein. Dagegen zeugen von seiner Vorliebe sür Figuren wie Ganymed, Hebe, die Musen und ähnliche zahlreiche Arbeiten, und seine Kindergestalten — mögen sie als Engel oder Genien erscheinen — nehmen wahrlich keinen untergeordneten Rang unter seinen Werken ein. In dem Kreise dieser jugendlich blühenden Wesen sind vielleicht die schönsten der Ganymed, der Jupiter's Adler knieend aus einer Thorvaldsen hat auch die ganze Psychesabel in -16 kleinen Medaillons behandelt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/508>, abgerufen am 27.09.2024.