Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Winckelmann's. Der Vorwurf des Mangels an Originalität wird Thorvaldsen
freilich nur vor dem blödesten Unverstande gemacht werden; eine andere Anklage
konnte scheinbar mit mehr Grund erhoben werden, daß seine Productionen nicht
ans dem Bewußtsein seiner Zeit hervorgegangen sind, daß er Wesen einer längst
in's Schattenreich versunkenen Welt zu einem neuen künstlichen Leben erweckt hat;
daß seine Werke daher nicht Gemeingut der Gegenwart werden können, sondern
daß sich nur die Wenigen an ihnen entzücken werden, die ihre exceptionelle Bil¬
dung zum Verständniß der fremdartigen Erscheinungen befähigt. Aber auch dieser
Vorwurf würde Thorvaldsen eben nur treffen, wenn er zu jenen äußerlichen
Nachahmern der Antike gehörte: die Verbreitung, die seine Werke schon jetzt
gefunden haben, spricht am lautesten dafür, daß sie der Gegenwart nicht fern
stehen, daß er aus der Antike nur das allgemein Menschliche und ewig Giltige
genommen hat. Wenn die Richtung der Kunst, die auch äußerlich sich den For¬
derungen und Wünschen der Gegenwart anbequemt, für den Augenblick populairer
ist, so ist das ein bedenklicher Vorzug, der an die Dauer ephemerer Zeitrichtungen
geknüpft ist. Das Leben ist kurz, aber die Kunst ist ewig, und nicht die Mitwelt,
sondern die Nachwelt fällt über Künstler und Kunstwerke das endgiltige Urtheil.

Seine größte Meisterschaft hat Thorvaldsen bekanntlich nicht in runden, son¬
dern in halb erhabenen Arbeiten bewiesen. Den Alexauderzug, diese Perle.der
modernen Reliefscnlptur, enthält das Museum in drei Exemplaren, von denen
eines, in halber Dimension in Marmor ausgeführt, in einer für die Betrachtung
geeigneten Höhe angebracht ist, überdies die einzelnen Theile, wodurch sich die
verschiedenen Exemplare unterscheiden, besonders. Zu einigen seiner herrlichsten
Kompositionen ist Thorvaldsen von dem Dichter begeistert worden, den er nicht
weniger liebte und verehrte, als Alexander, von Homer. Er pflegte, wenn er
seine Stimmung zu künstlerischem Schaffen steigern wollte, einige Seiten in ihm
zu lesen. Noch als Schüler der Akademie zu Kopenhagen hat er Priamus, der
Achill um Hel'lor'ö Leiche ansieht, dargestellt. Dieses Relief (es ist auf der Akademie
zu sehen) ist trotz des unverkennbaren Talents ganz schülerhaft, Achilles ist ganz
gepanzert und mit einem langen Mantel behängen. Später hat er den Gegen¬
stand noch einmal behandelt, und ganz im Geiste der Antike. Zu seinen schönsten
Gestalten gehört die Briseis, die, von dem Herolde weggeführt, widerwillig geht,
und um ihr eigenes Schicksal unbekümmert mit der Geberde echt weiblichen Mit¬
leids sich nach Achill umsieht; der Hektor, der ans der Schlacht kommend mit
Zorn und Verachtung blitzenden Augen in straffer Haltung dem zarten, weichlich
in den Sessel gelehnten Paris gegenübersteht; aber alle diese Scenen aus der
Jliade übertrifft die Darstellung Homer's selbst, der vor dem Volle singt, Männer
und Frauen, Greise und Knaben stehen um ihn her, in Begeisterung entflammt,
in Entzücken versunken; die beiden Knaben, die vor dem Säuger stehen, einer


Winckelmann's. Der Vorwurf des Mangels an Originalität wird Thorvaldsen
freilich nur vor dem blödesten Unverstande gemacht werden; eine andere Anklage
konnte scheinbar mit mehr Grund erhoben werden, daß seine Productionen nicht
ans dem Bewußtsein seiner Zeit hervorgegangen sind, daß er Wesen einer längst
in's Schattenreich versunkenen Welt zu einem neuen künstlichen Leben erweckt hat;
daß seine Werke daher nicht Gemeingut der Gegenwart werden können, sondern
daß sich nur die Wenigen an ihnen entzücken werden, die ihre exceptionelle Bil¬
dung zum Verständniß der fremdartigen Erscheinungen befähigt. Aber auch dieser
Vorwurf würde Thorvaldsen eben nur treffen, wenn er zu jenen äußerlichen
Nachahmern der Antike gehörte: die Verbreitung, die seine Werke schon jetzt
gefunden haben, spricht am lautesten dafür, daß sie der Gegenwart nicht fern
stehen, daß er aus der Antike nur das allgemein Menschliche und ewig Giltige
genommen hat. Wenn die Richtung der Kunst, die auch äußerlich sich den For¬
derungen und Wünschen der Gegenwart anbequemt, für den Augenblick populairer
ist, so ist das ein bedenklicher Vorzug, der an die Dauer ephemerer Zeitrichtungen
geknüpft ist. Das Leben ist kurz, aber die Kunst ist ewig, und nicht die Mitwelt,
sondern die Nachwelt fällt über Künstler und Kunstwerke das endgiltige Urtheil.

Seine größte Meisterschaft hat Thorvaldsen bekanntlich nicht in runden, son¬
dern in halb erhabenen Arbeiten bewiesen. Den Alexauderzug, diese Perle.der
modernen Reliefscnlptur, enthält das Museum in drei Exemplaren, von denen
eines, in halber Dimension in Marmor ausgeführt, in einer für die Betrachtung
geeigneten Höhe angebracht ist, überdies die einzelnen Theile, wodurch sich die
verschiedenen Exemplare unterscheiden, besonders. Zu einigen seiner herrlichsten
Kompositionen ist Thorvaldsen von dem Dichter begeistert worden, den er nicht
weniger liebte und verehrte, als Alexander, von Homer. Er pflegte, wenn er
seine Stimmung zu künstlerischem Schaffen steigern wollte, einige Seiten in ihm
zu lesen. Noch als Schüler der Akademie zu Kopenhagen hat er Priamus, der
Achill um Hel'lor'ö Leiche ansieht, dargestellt. Dieses Relief (es ist auf der Akademie
zu sehen) ist trotz des unverkennbaren Talents ganz schülerhaft, Achilles ist ganz
gepanzert und mit einem langen Mantel behängen. Später hat er den Gegen¬
stand noch einmal behandelt, und ganz im Geiste der Antike. Zu seinen schönsten
Gestalten gehört die Briseis, die, von dem Herolde weggeführt, widerwillig geht,
und um ihr eigenes Schicksal unbekümmert mit der Geberde echt weiblichen Mit¬
leids sich nach Achill umsieht; der Hektor, der ans der Schlacht kommend mit
Zorn und Verachtung blitzenden Augen in straffer Haltung dem zarten, weichlich
in den Sessel gelehnten Paris gegenübersteht; aber alle diese Scenen aus der
Jliade übertrifft die Darstellung Homer's selbst, der vor dem Volle singt, Männer
und Frauen, Greise und Knaben stehen um ihn her, in Begeisterung entflammt,
in Entzücken versunken; die beiden Knaben, die vor dem Säuger stehen, einer


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0506" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/95487"/>
            <p xml:id="ID_1477" prev="#ID_1476"> Winckelmann's. Der Vorwurf des Mangels an Originalität wird Thorvaldsen<lb/>
freilich nur vor dem blödesten Unverstande gemacht werden; eine andere Anklage<lb/>
konnte scheinbar mit mehr Grund erhoben werden, daß seine Productionen nicht<lb/>
ans dem Bewußtsein seiner Zeit hervorgegangen sind, daß er Wesen einer längst<lb/>
in's Schattenreich versunkenen Welt zu einem neuen künstlichen Leben erweckt hat;<lb/>
daß seine Werke daher nicht Gemeingut der Gegenwart werden können, sondern<lb/>
daß sich nur die Wenigen an ihnen entzücken werden, die ihre exceptionelle Bil¬<lb/>
dung zum Verständniß der fremdartigen Erscheinungen befähigt. Aber auch dieser<lb/>
Vorwurf würde Thorvaldsen eben nur treffen, wenn er zu jenen äußerlichen<lb/>
Nachahmern der Antike gehörte: die Verbreitung, die seine Werke schon jetzt<lb/>
gefunden haben, spricht am lautesten dafür, daß sie der Gegenwart nicht fern<lb/>
stehen, daß er aus der Antike nur das allgemein Menschliche und ewig Giltige<lb/>
genommen hat. Wenn die Richtung der Kunst, die auch äußerlich sich den For¬<lb/>
derungen und Wünschen der Gegenwart anbequemt, für den Augenblick populairer<lb/>
ist, so ist das ein bedenklicher Vorzug, der an die Dauer ephemerer Zeitrichtungen<lb/>
geknüpft ist. Das Leben ist kurz, aber die Kunst ist ewig, und nicht die Mitwelt,<lb/>
sondern die Nachwelt fällt über Künstler und Kunstwerke das endgiltige Urtheil.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1478" next="#ID_1479"> Seine größte Meisterschaft hat Thorvaldsen bekanntlich nicht in runden, son¬<lb/>
dern in halb erhabenen Arbeiten bewiesen. Den Alexauderzug, diese Perle.der<lb/>
modernen Reliefscnlptur, enthält das Museum in drei Exemplaren, von denen<lb/>
eines, in halber Dimension in Marmor ausgeführt, in einer für die Betrachtung<lb/>
geeigneten Höhe angebracht ist, überdies die einzelnen Theile, wodurch sich die<lb/>
verschiedenen Exemplare unterscheiden, besonders. Zu einigen seiner herrlichsten<lb/>
Kompositionen ist Thorvaldsen von dem Dichter begeistert worden, den er nicht<lb/>
weniger liebte und verehrte, als Alexander, von Homer. Er pflegte, wenn er<lb/>
seine Stimmung zu künstlerischem Schaffen steigern wollte, einige Seiten in ihm<lb/>
zu lesen. Noch als Schüler der Akademie zu Kopenhagen hat er Priamus, der<lb/>
Achill um Hel'lor'ö Leiche ansieht, dargestellt. Dieses Relief (es ist auf der Akademie<lb/>
zu sehen) ist trotz des unverkennbaren Talents ganz schülerhaft, Achilles ist ganz<lb/>
gepanzert und mit einem langen Mantel behängen. Später hat er den Gegen¬<lb/>
stand noch einmal behandelt, und ganz im Geiste der Antike. Zu seinen schönsten<lb/>
Gestalten gehört die Briseis, die, von dem Herolde weggeführt, widerwillig geht,<lb/>
und um ihr eigenes Schicksal unbekümmert mit der Geberde echt weiblichen Mit¬<lb/>
leids sich nach Achill umsieht; der Hektor, der ans der Schlacht kommend mit<lb/>
Zorn und Verachtung blitzenden Augen in straffer Haltung dem zarten, weichlich<lb/>
in den Sessel gelehnten Paris gegenübersteht; aber alle diese Scenen aus der<lb/>
Jliade übertrifft die Darstellung Homer's selbst, der vor dem Volle singt, Männer<lb/>
und Frauen, Greise und Knaben stehen um ihn her, in Begeisterung entflammt,<lb/>
in Entzücken versunken; die beiden Knaben, die vor dem Säuger stehen, einer</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0506] Winckelmann's. Der Vorwurf des Mangels an Originalität wird Thorvaldsen freilich nur vor dem blödesten Unverstande gemacht werden; eine andere Anklage konnte scheinbar mit mehr Grund erhoben werden, daß seine Productionen nicht ans dem Bewußtsein seiner Zeit hervorgegangen sind, daß er Wesen einer längst in's Schattenreich versunkenen Welt zu einem neuen künstlichen Leben erweckt hat; daß seine Werke daher nicht Gemeingut der Gegenwart werden können, sondern daß sich nur die Wenigen an ihnen entzücken werden, die ihre exceptionelle Bil¬ dung zum Verständniß der fremdartigen Erscheinungen befähigt. Aber auch dieser Vorwurf würde Thorvaldsen eben nur treffen, wenn er zu jenen äußerlichen Nachahmern der Antike gehörte: die Verbreitung, die seine Werke schon jetzt gefunden haben, spricht am lautesten dafür, daß sie der Gegenwart nicht fern stehen, daß er aus der Antike nur das allgemein Menschliche und ewig Giltige genommen hat. Wenn die Richtung der Kunst, die auch äußerlich sich den For¬ derungen und Wünschen der Gegenwart anbequemt, für den Augenblick populairer ist, so ist das ein bedenklicher Vorzug, der an die Dauer ephemerer Zeitrichtungen geknüpft ist. Das Leben ist kurz, aber die Kunst ist ewig, und nicht die Mitwelt, sondern die Nachwelt fällt über Künstler und Kunstwerke das endgiltige Urtheil. Seine größte Meisterschaft hat Thorvaldsen bekanntlich nicht in runden, son¬ dern in halb erhabenen Arbeiten bewiesen. Den Alexauderzug, diese Perle.der modernen Reliefscnlptur, enthält das Museum in drei Exemplaren, von denen eines, in halber Dimension in Marmor ausgeführt, in einer für die Betrachtung geeigneten Höhe angebracht ist, überdies die einzelnen Theile, wodurch sich die verschiedenen Exemplare unterscheiden, besonders. Zu einigen seiner herrlichsten Kompositionen ist Thorvaldsen von dem Dichter begeistert worden, den er nicht weniger liebte und verehrte, als Alexander, von Homer. Er pflegte, wenn er seine Stimmung zu künstlerischem Schaffen steigern wollte, einige Seiten in ihm zu lesen. Noch als Schüler der Akademie zu Kopenhagen hat er Priamus, der Achill um Hel'lor'ö Leiche ansieht, dargestellt. Dieses Relief (es ist auf der Akademie zu sehen) ist trotz des unverkennbaren Talents ganz schülerhaft, Achilles ist ganz gepanzert und mit einem langen Mantel behängen. Später hat er den Gegen¬ stand noch einmal behandelt, und ganz im Geiste der Antike. Zu seinen schönsten Gestalten gehört die Briseis, die, von dem Herolde weggeführt, widerwillig geht, und um ihr eigenes Schicksal unbekümmert mit der Geberde echt weiblichen Mit¬ leids sich nach Achill umsieht; der Hektor, der ans der Schlacht kommend mit Zorn und Verachtung blitzenden Augen in straffer Haltung dem zarten, weichlich in den Sessel gelehnten Paris gegenübersteht; aber alle diese Scenen aus der Jliade übertrifft die Darstellung Homer's selbst, der vor dem Volle singt, Männer und Frauen, Greise und Knaben stehen um ihn her, in Begeisterung entflammt, in Entzücken versunken; die beiden Knaben, die vor dem Säuger stehen, einer

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/506
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/506>, abgerufen am 27.09.2024.