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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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steigert sich die Stimmung oft in höherem Grade, als durch genaue Betrachtung
des Einzelnen. Keine Sammlung aber, selbst die wahrhaft künstlerisch geordnete
Münchens nicht, kann einen so wohlthuenden Gesammteindruck machen als Thor-
valdsen's Museum. Nicht allein, daß Architektur und Sculptur hier so harmonisch
zusammenwirken: sein unschätzbarer Vorzug ist der, daß alle Werke, die es enthält,
den Stempel eines Geistes tragen, daß also der Betrachtende in derselben Stim¬
mung erhalten wird, während sonst auch bei der besten Anordnung es oft nicht
vermieden werden kann, daß ein zu schnelles Aufeinanderfolgen verschiedener Gat¬
tungen ihn gewaltsam aus einer Stimmung in die andere reißt; es hat ferner
den Vortheil, daß wenn auch der Blick an manchem Unbedeutenden und einzelnen
Verfehlten vorüberstreist, er doch nie von etwas Unschönen abgestoßen wird: wäh¬
rend bei dem Gedanken, daß diese unübersehbare Fülle von Gestalten aus einem
schöpferischen Geiste entsprungen ist, das Interesse sich zu staunender Bewunderung
steigert. Hier bewegt sich das Volk des eroberten Asiens dem griechischen Sieger
entgegen, und in demselben Saale späht Kopernikus, Zirkel und Astrolabium in
der Hand, nach den Bahnen der Gestirne. Dort singt Homer die Kämpfe der
Helden vor dem entzückten Volke, wir gehen an spielenden Liebesgöttern, singen¬
den Grazien, scherzenden Frauen vorüber, alle Götter scheinen vom Olymp in
diese Hallen niedergestiegen zu sein: und nnn stehen wir vor der ernsten Ver¬
sammlung der predigend reisenden, Wonne verheißenden Jünger, die ihren Meister
umgeben, -- oder bei der andächtigen Menge, die sich um den Prediger, in der
Wüste geschaart hat. Hier schwingt sich die lieblichste Mädchengestalt im Tanz,
und das geschürzte Gewand schmiegt sich als tausendfaches Echo ihren anmuthigen
Bewegungen nach: dort streckt sich der gewaltige Löwe kampfesmüde über den
Schild mit den drei Lilien nieder, bei dessen Vertheidigung ihn der tödtliche Pfeil
getroffen hat. Hier sinnt Byron auf eine seiner schwermuthsvollen Stanzen, um¬
gestürzte Trümmer und einen Todtenschädel zu seinen Füßen, während aus dem
Postament des Denkmals ein Liebesgott die Saiten seiner Leier stimmt: dort
steht Thorvaldsen selbst, den Meißel in der Hand, ans die alterthümliche Statue
der Hoffnung gelehnt, und heiter in die Ferne blickend. Wer von dem Anblick
der vielen Sculpturen ermüdet ist, kann in der Gemäldegalerie ausruhen: es ist
zwar viel Mittelmäßiges und Schlechtes, doch auch manches Interessante und
einiges Vorzügliche darin: z. B. die Kirche 8t. ?g,vio tuori 1e mari am Morgen
nach dem Brande von 1823 von Leopold Robert, italienische Genrebilder von
Ernst Mayer und drei Portraits von Thorvaldsen, die ich in aufsteigender Reihe
nenne, von Begas, Magnus, Vernet. Auf der andern Seite des zweiten Stockes
ist die Bibliothek, eine reiche Sammlung von kunstwissenschaftlicher Werken, außer¬
dem besonders historische und alte Klassiker, die lateinischen im Original, die
griechischen in Uebersetzungen. Die Antikensammlung ist sür eine Privatsammlung
bedeutend, und wie natürlich, mehr an Gemmen, Münzen (besonders griechischen)


steigert sich die Stimmung oft in höherem Grade, als durch genaue Betrachtung
des Einzelnen. Keine Sammlung aber, selbst die wahrhaft künstlerisch geordnete
Münchens nicht, kann einen so wohlthuenden Gesammteindruck machen als Thor-
valdsen's Museum. Nicht allein, daß Architektur und Sculptur hier so harmonisch
zusammenwirken: sein unschätzbarer Vorzug ist der, daß alle Werke, die es enthält,
den Stempel eines Geistes tragen, daß also der Betrachtende in derselben Stim¬
mung erhalten wird, während sonst auch bei der besten Anordnung es oft nicht
vermieden werden kann, daß ein zu schnelles Aufeinanderfolgen verschiedener Gat¬
tungen ihn gewaltsam aus einer Stimmung in die andere reißt; es hat ferner
den Vortheil, daß wenn auch der Blick an manchem Unbedeutenden und einzelnen
Verfehlten vorüberstreist, er doch nie von etwas Unschönen abgestoßen wird: wäh¬
rend bei dem Gedanken, daß diese unübersehbare Fülle von Gestalten aus einem
schöpferischen Geiste entsprungen ist, das Interesse sich zu staunender Bewunderung
steigert. Hier bewegt sich das Volk des eroberten Asiens dem griechischen Sieger
entgegen, und in demselben Saale späht Kopernikus, Zirkel und Astrolabium in
der Hand, nach den Bahnen der Gestirne. Dort singt Homer die Kämpfe der
Helden vor dem entzückten Volke, wir gehen an spielenden Liebesgöttern, singen¬
den Grazien, scherzenden Frauen vorüber, alle Götter scheinen vom Olymp in
diese Hallen niedergestiegen zu sein: und nnn stehen wir vor der ernsten Ver¬
sammlung der predigend reisenden, Wonne verheißenden Jünger, die ihren Meister
umgeben, — oder bei der andächtigen Menge, die sich um den Prediger, in der
Wüste geschaart hat. Hier schwingt sich die lieblichste Mädchengestalt im Tanz,
und das geschürzte Gewand schmiegt sich als tausendfaches Echo ihren anmuthigen
Bewegungen nach: dort streckt sich der gewaltige Löwe kampfesmüde über den
Schild mit den drei Lilien nieder, bei dessen Vertheidigung ihn der tödtliche Pfeil
getroffen hat. Hier sinnt Byron auf eine seiner schwermuthsvollen Stanzen, um¬
gestürzte Trümmer und einen Todtenschädel zu seinen Füßen, während aus dem
Postament des Denkmals ein Liebesgott die Saiten seiner Leier stimmt: dort
steht Thorvaldsen selbst, den Meißel in der Hand, ans die alterthümliche Statue
der Hoffnung gelehnt, und heiter in die Ferne blickend. Wer von dem Anblick
der vielen Sculpturen ermüdet ist, kann in der Gemäldegalerie ausruhen: es ist
zwar viel Mittelmäßiges und Schlechtes, doch auch manches Interessante und
einiges Vorzügliche darin: z. B. die Kirche 8t. ?g,vio tuori 1e mari am Morgen
nach dem Brande von 1823 von Leopold Robert, italienische Genrebilder von
Ernst Mayer und drei Portraits von Thorvaldsen, die ich in aufsteigender Reihe
nenne, von Begas, Magnus, Vernet. Auf der andern Seite des zweiten Stockes
ist die Bibliothek, eine reiche Sammlung von kunstwissenschaftlicher Werken, außer¬
dem besonders historische und alte Klassiker, die lateinischen im Original, die
griechischen in Uebersetzungen. Die Antikensammlung ist sür eine Privatsammlung
bedeutend, und wie natürlich, mehr an Gemmen, Münzen (besonders griechischen)


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/504>, abgerufen am 27.09.2024.