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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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zu führen. Das Volk mußte zu selbstständiger Betheiligung berufen werden nud
der Mechanismus des Staates und seiner gegenwärtigen Zusammensetzung dieser
Nothwendigkeit weichen. Der Adel trug die Kosten dieser umfassenden Reform.
Die entstehende Monarchie hatte ihm seine politische Standschaft genommen, die
sich regenerirende beraubte ihn des größten und besten Theils seiner Privilegien,
brachte ihm durch die Aufhebung der Leibeigenschaft schwere, materielle Ver¬
luste, sprengte die Corporation des ritterschaftlichen Grundbesitzes durch Zulassung
der Bürgerlichen, und öffnete den letzteren den Zugang zu allen Militair- und
Civilämtern. DieOpposition derNitterschaft beschränkte sich ausKlagen und vereinzelte,
erfolglose Demonstrationen, worunter die märkische uuter Marwitz die kühnste >
und bemerkcnswertheste; ihre Stimmung war indeß so gereizt, daß sie sich zu
Intrigue" gegen Stein (noch im Jahr 18-13 bei Gelegenheit seiner Ankunft in
Breslau) hinreißen ließ, die den schlimmsten Vorgängen früherer Machinationen
nach der östreichischen Seite wenig nachgaben.

Auf den Schlachtfeldern des Jahres 1813 zwar kämpfte sie mit muthvollstcr
Hingebung, nach dem Befreiungskriege warf sie jedoch wiederum alles Gewicht
und alleu Einfluß in die Wagschale der damals sich erhebenden Reaction. Sie
begriff ihre Stellung und ihr Interesse so wenig, als früher. Hatte sie durch die
Stein'sche Gesetzgebung viel verloren, so suchte sie um so mehr die noch geretteten
Vorrechte zu erhalten und durch höfische Einflüsse dem Adel wenigstens zum
Theil die Bevorzugung zu sichern, die ihm früher das Gesetz gegeben hatte. Ohne
jeden Sinn für politisches Recht, nicht einmal für ihren eigenen Stand, viel
weniger noch für die Nation, strebte sie nur uach einer möglichst begünstigten
Sonderstellung im absoluten Staat. Sie erkannte nicht, daß es weiser sei, mit
dem Volke zu gehen, und durch die Erlangung eiues gemeinsamen Rechts sich
einen angemessenen Platz in freien Staatseinrichtungen, einen legalen und von der
öffentlichen Meinung anerkannten Einfluß zu erringen, der werthvoller war, als
ein Rest veralteter Vorrechte und eine durch Hofgunst erwirkte Bevorzugung
in Staats- und Militairdieust, die sie dem öffentlichen Hasse aussetzten. Ihr
blinder Egoismus und ihre blinde Ehrfurcht vor dem Königthum gingen Hand
in Hand. Das Mißtrauen der Regierung und des Hofes gegen die Tendenzen
des in Westeuropa sich erhebenden Liberalismus, der eine oft übertriebene Beschrän¬
kung der königlichen Prärogative anstrebte, benutzte die "märkische" Partei, die
wie immer der Kern der ritterschaftlichen Verbindung war, zum Hebel ihres Er¬
folgs. Sie stürzte die freisinnigen Minister, ststirte die Vollendung der von
1808 -- 15 begonnenen Reformen, kettete Preußen eng an die heilige Allianz
und an das Schlepptau der östreichischen Diplomatie -- die alte Neigung der
Junker nach dieser Seite erwachte wieder --verdarb die blutig erkämpfte Stellung
in Deutschland, und brachte die Nation um die verheißene Repräsentation. Statt


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zu führen. Das Volk mußte zu selbstständiger Betheiligung berufen werden nud
der Mechanismus des Staates und seiner gegenwärtigen Zusammensetzung dieser
Nothwendigkeit weichen. Der Adel trug die Kosten dieser umfassenden Reform.
Die entstehende Monarchie hatte ihm seine politische Standschaft genommen, die
sich regenerirende beraubte ihn des größten und besten Theils seiner Privilegien,
brachte ihm durch die Aufhebung der Leibeigenschaft schwere, materielle Ver¬
luste, sprengte die Corporation des ritterschaftlichen Grundbesitzes durch Zulassung
der Bürgerlichen, und öffnete den letzteren den Zugang zu allen Militair- und
Civilämtern. DieOpposition derNitterschaft beschränkte sich ausKlagen und vereinzelte,
erfolglose Demonstrationen, worunter die märkische uuter Marwitz die kühnste >
und bemerkcnswertheste; ihre Stimmung war indeß so gereizt, daß sie sich zu
Intrigue» gegen Stein (noch im Jahr 18-13 bei Gelegenheit seiner Ankunft in
Breslau) hinreißen ließ, die den schlimmsten Vorgängen früherer Machinationen
nach der östreichischen Seite wenig nachgaben.

Auf den Schlachtfeldern des Jahres 1813 zwar kämpfte sie mit muthvollstcr
Hingebung, nach dem Befreiungskriege warf sie jedoch wiederum alles Gewicht
und alleu Einfluß in die Wagschale der damals sich erhebenden Reaction. Sie
begriff ihre Stellung und ihr Interesse so wenig, als früher. Hatte sie durch die
Stein'sche Gesetzgebung viel verloren, so suchte sie um so mehr die noch geretteten
Vorrechte zu erhalten und durch höfische Einflüsse dem Adel wenigstens zum
Theil die Bevorzugung zu sichern, die ihm früher das Gesetz gegeben hatte. Ohne
jeden Sinn für politisches Recht, nicht einmal für ihren eigenen Stand, viel
weniger noch für die Nation, strebte sie nur uach einer möglichst begünstigten
Sonderstellung im absoluten Staat. Sie erkannte nicht, daß es weiser sei, mit
dem Volke zu gehen, und durch die Erlangung eiues gemeinsamen Rechts sich
einen angemessenen Platz in freien Staatseinrichtungen, einen legalen und von der
öffentlichen Meinung anerkannten Einfluß zu erringen, der werthvoller war, als
ein Rest veralteter Vorrechte und eine durch Hofgunst erwirkte Bevorzugung
in Staats- und Militairdieust, die sie dem öffentlichen Hasse aussetzten. Ihr
blinder Egoismus und ihre blinde Ehrfurcht vor dem Königthum gingen Hand
in Hand. Das Mißtrauen der Regierung und des Hofes gegen die Tendenzen
des in Westeuropa sich erhebenden Liberalismus, der eine oft übertriebene Beschrän¬
kung der königlichen Prärogative anstrebte, benutzte die „märkische" Partei, die
wie immer der Kern der ritterschaftlichen Verbindung war, zum Hebel ihres Er¬
folgs. Sie stürzte die freisinnigen Minister, ststirte die Vollendung der von
1808 — 15 begonnenen Reformen, kettete Preußen eng an die heilige Allianz
und an das Schlepptau der östreichischen Diplomatie — die alte Neigung der
Junker nach dieser Seite erwachte wieder —verdarb die blutig erkämpfte Stellung
in Deutschland, und brachte die Nation um die verheißene Repräsentation. Statt


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[0493] zu führen. Das Volk mußte zu selbstständiger Betheiligung berufen werden nud der Mechanismus des Staates und seiner gegenwärtigen Zusammensetzung dieser Nothwendigkeit weichen. Der Adel trug die Kosten dieser umfassenden Reform. Die entstehende Monarchie hatte ihm seine politische Standschaft genommen, die sich regenerirende beraubte ihn des größten und besten Theils seiner Privilegien, brachte ihm durch die Aufhebung der Leibeigenschaft schwere, materielle Ver¬ luste, sprengte die Corporation des ritterschaftlichen Grundbesitzes durch Zulassung der Bürgerlichen, und öffnete den letzteren den Zugang zu allen Militair- und Civilämtern. DieOpposition derNitterschaft beschränkte sich ausKlagen und vereinzelte, erfolglose Demonstrationen, worunter die märkische uuter Marwitz die kühnste > und bemerkcnswertheste; ihre Stimmung war indeß so gereizt, daß sie sich zu Intrigue» gegen Stein (noch im Jahr 18-13 bei Gelegenheit seiner Ankunft in Breslau) hinreißen ließ, die den schlimmsten Vorgängen früherer Machinationen nach der östreichischen Seite wenig nachgaben. Auf den Schlachtfeldern des Jahres 1813 zwar kämpfte sie mit muthvollstcr Hingebung, nach dem Befreiungskriege warf sie jedoch wiederum alles Gewicht und alleu Einfluß in die Wagschale der damals sich erhebenden Reaction. Sie begriff ihre Stellung und ihr Interesse so wenig, als früher. Hatte sie durch die Stein'sche Gesetzgebung viel verloren, so suchte sie um so mehr die noch geretteten Vorrechte zu erhalten und durch höfische Einflüsse dem Adel wenigstens zum Theil die Bevorzugung zu sichern, die ihm früher das Gesetz gegeben hatte. Ohne jeden Sinn für politisches Recht, nicht einmal für ihren eigenen Stand, viel weniger noch für die Nation, strebte sie nur uach einer möglichst begünstigten Sonderstellung im absoluten Staat. Sie erkannte nicht, daß es weiser sei, mit dem Volke zu gehen, und durch die Erlangung eiues gemeinsamen Rechts sich einen angemessenen Platz in freien Staatseinrichtungen, einen legalen und von der öffentlichen Meinung anerkannten Einfluß zu erringen, der werthvoller war, als ein Rest veralteter Vorrechte und eine durch Hofgunst erwirkte Bevorzugung in Staats- und Militairdieust, die sie dem öffentlichen Hasse aussetzten. Ihr blinder Egoismus und ihre blinde Ehrfurcht vor dem Königthum gingen Hand in Hand. Das Mißtrauen der Regierung und des Hofes gegen die Tendenzen des in Westeuropa sich erhebenden Liberalismus, der eine oft übertriebene Beschrän¬ kung der königlichen Prärogative anstrebte, benutzte die „märkische" Partei, die wie immer der Kern der ritterschaftlichen Verbindung war, zum Hebel ihres Er¬ folgs. Sie stürzte die freisinnigen Minister, ststirte die Vollendung der von 1808 — 15 begonnenen Reformen, kettete Preußen eng an die heilige Allianz und an das Schlepptau der östreichischen Diplomatie — die alte Neigung der Junker nach dieser Seite erwachte wieder —verdarb die blutig erkämpfte Stellung in Deutschland, und brachte die Nation um die verheißene Repräsentation. Statt 61 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/493>, abgerufen am 27.09.2024.