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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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mehr oder weniger im Geiste derselben, weil die Interessen ihrer Macht damit
zusammenfielen und weil sie die Energie des Willens und der That besaßen, diese
zu fördern. Die nächstliegendsten Interessen der Ritterschaft dagegen, die Erhal¬
tung ihrer Privilegien und Vorrechte, waren hiermit gerade im Widerspruch,
und für die Erkenntniß, oder auch nur Ahnung einer höhern Rolle in dem neuen
Staatsorganismus fehlte diesem Stande die Befähigung, mußte sie ihm fehlen
nach allen vorhergegangenen nud obwaltenden Verhältnissen. So lange der
frische Groll der ihm entrissenen politischen Rechte, die er früher in den einzelnen
Provinzen des Staates besessen hatte, noch lebendig in ihm war, zeigte er von
Zeit zu Zeit Bestrebungen, die dem Sraat und dem Fürstenhause feindlich waren.
Den östreichischen Machinationen im 17. und in dem ersten Drittel des 18. Jahr¬
hunderts blieben diese Stimmungen im Schooß der Ritterschaft nicht fremd. Ihre
Anhänglichkeit an die Hohenzollern wuchs indeß mit der Macht und dem Ruhme
dieser Dynastie zu sehr, um späterhin ein bewußtes Streben gegen dieselbe auf¬
kommen zu lassen. Es blieb aber immer in der grundbesitzenden Ritterschaft ein
gewisses Uebelwollen gegen die Reformpvlitik der preußischen Herrscher zurück,
das sich in kleinlichen und vereinzelten Erscheinungen äußerte. Die Antipathie
Friedrich Wilhelm's l. und Friedrich's des Großen gegen die "Junker" hatte ihren
guten Grund. .

So lange kraftvolle Fürsten die Geschicke Preußens leiteten, bewährte sich
der Adel als ein sehr brauchbares Material zum Dienste des Staates. Einmal
eingetreten in die Reihen des Beamtenthums war der Wille des Königs sein
Gesetz, und er diente ihm auch gegen die Interessen seines Standes. Als aber
nach dem Tode Friedrich's des Großen die Zügel des Regiments in schwache
Hände kamen, geriet!) die Staatümaschine in's Stocken, und dieser viel bewunderte
Mechanismus verfiel mit erschreckender Schnelligkeit. Sobald der Impuls von
oben aufhörte, trat die Natur der ihn bildenden Elemente wieder hervor. Der
Rückschlag der französischen Revolution kam dazu, und trieb in Preußen, wie
anderwärts, das Königthum aus den Bahnen einer freisinnigen und vorschreitendem
Politik. Die Bureaukratie und das Heer, aus dem Adel hervorgegangen, hatten
unter der festen Leitung willenskräftiger Fürsten den,großen Zwecken und Interessen
der preußischen Macht gedient. Dieser Leitung beraubt, gewann der engherzige
Trieb der Kaste, ans der diese Institute beruhten, die Oberhand; das officielle
Staatswesen entfernte sich mehr und mehr von dem Geiste des Volks, und dies
System, stationair im Innern, nach Außer principlos, ohne Muth und Würde,
aber habgierig und vcrgrößcrungssüchtig, stürzte zwanzig Jahre nach dem Tode
Friedrich's des Großen in der Katastrophe von Jena kläglich zusammen.

Preußen stand an der Schwelle einer neuen Epoche. Die Dynastie hatte
diesen Staat geschaffen, hatte seine zerstreuten Bestandtheile zu einem Volk ver¬
einigt, sie war fernerhin nicht mehr im Stande, das begonnene Werk allein weiter


mehr oder weniger im Geiste derselben, weil die Interessen ihrer Macht damit
zusammenfielen und weil sie die Energie des Willens und der That besaßen, diese
zu fördern. Die nächstliegendsten Interessen der Ritterschaft dagegen, die Erhal¬
tung ihrer Privilegien und Vorrechte, waren hiermit gerade im Widerspruch,
und für die Erkenntniß, oder auch nur Ahnung einer höhern Rolle in dem neuen
Staatsorganismus fehlte diesem Stande die Befähigung, mußte sie ihm fehlen
nach allen vorhergegangenen nud obwaltenden Verhältnissen. So lange der
frische Groll der ihm entrissenen politischen Rechte, die er früher in den einzelnen
Provinzen des Staates besessen hatte, noch lebendig in ihm war, zeigte er von
Zeit zu Zeit Bestrebungen, die dem Sraat und dem Fürstenhause feindlich waren.
Den östreichischen Machinationen im 17. und in dem ersten Drittel des 18. Jahr¬
hunderts blieben diese Stimmungen im Schooß der Ritterschaft nicht fremd. Ihre
Anhänglichkeit an die Hohenzollern wuchs indeß mit der Macht und dem Ruhme
dieser Dynastie zu sehr, um späterhin ein bewußtes Streben gegen dieselbe auf¬
kommen zu lassen. Es blieb aber immer in der grundbesitzenden Ritterschaft ein
gewisses Uebelwollen gegen die Reformpvlitik der preußischen Herrscher zurück,
das sich in kleinlichen und vereinzelten Erscheinungen äußerte. Die Antipathie
Friedrich Wilhelm's l. und Friedrich's des Großen gegen die „Junker" hatte ihren
guten Grund. .

So lange kraftvolle Fürsten die Geschicke Preußens leiteten, bewährte sich
der Adel als ein sehr brauchbares Material zum Dienste des Staates. Einmal
eingetreten in die Reihen des Beamtenthums war der Wille des Königs sein
Gesetz, und er diente ihm auch gegen die Interessen seines Standes. Als aber
nach dem Tode Friedrich's des Großen die Zügel des Regiments in schwache
Hände kamen, geriet!) die Staatümaschine in's Stocken, und dieser viel bewunderte
Mechanismus verfiel mit erschreckender Schnelligkeit. Sobald der Impuls von
oben aufhörte, trat die Natur der ihn bildenden Elemente wieder hervor. Der
Rückschlag der französischen Revolution kam dazu, und trieb in Preußen, wie
anderwärts, das Königthum aus den Bahnen einer freisinnigen und vorschreitendem
Politik. Die Bureaukratie und das Heer, aus dem Adel hervorgegangen, hatten
unter der festen Leitung willenskräftiger Fürsten den,großen Zwecken und Interessen
der preußischen Macht gedient. Dieser Leitung beraubt, gewann der engherzige
Trieb der Kaste, ans der diese Institute beruhten, die Oberhand; das officielle
Staatswesen entfernte sich mehr und mehr von dem Geiste des Volks, und dies
System, stationair im Innern, nach Außer principlos, ohne Muth und Würde,
aber habgierig und vcrgrößcrungssüchtig, stürzte zwanzig Jahre nach dem Tode
Friedrich's des Großen in der Katastrophe von Jena kläglich zusammen.

Preußen stand an der Schwelle einer neuen Epoche. Die Dynastie hatte
diesen Staat geschaffen, hatte seine zerstreuten Bestandtheile zu einem Volk ver¬
einigt, sie war fernerhin nicht mehr im Stande, das begonnene Werk allein weiter


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/492>, abgerufen am 27.09.2024.