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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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schlanken, astlosen, weißen Stämmen und breiten Kronen gleich Pinien ragen
sehn. Bald wurde auch Rügen sichtbar, das die auf der Ostseite breit einspringende
Bucht wie zwei Inseln erscheinen ließ. Die Sonne versank hinter einer weißgrauen
Wolkenbank, die von ihr durchglüht mit röthlich goldenem Glänze strahlte, und
mit der heraufzieheichen Dämmerung ging das Blau des Wassers allmählich in
ein schwärzliches Gran über, der Nachtwind erhob sich, und das Rauschen der
Wellen toute dumpfer als zuvor. Der Thee versammelte die Gesellschaft im
Salon, der mit Spiegeln, Vergoldung und Teppichen geschmackvoll ausgestattet
ist, wie denn überhaupt der Geyser an Eleganz-und Comfort nichts zu wünschen
übrig läßt und seine kriegerischen Antecedentien durchaus uicht verräth. Be¬
kanntlich war es dieser Dampfer, der den Christian den 8ten aus der Schußweite der
Eckernförder Batterien schleppen sollte, aber durch ein wohlgezieltes Feuer genöthigt
wurde, an seine eigene Sicherheit zu denken. Während wir beim Thee im Salon ver¬
weilt hatten, war die Nacht völlig hereingebrochen, ein sternklarer Himmel breitete
sich über der unendlichen Wasserfläche, und ich wandelte noch lange aus dem
Verdeck umher, als die meisten Mitreisenden sich schon längst zur Ruhe begeben
hatten. Endlich suchte ich meine Koie auf, und bald von dem eintönigen Rauschen
der Wellen in Schlaf gewiegt, erwachte ich erst, als ein graues Morgenlicht durch
das runde Fenster in der Schiffswand an meiner Seite fiel. Ich kleidete mich
an und ging aus das Verdeck, wo verschiedene Passagiere mit 'bleichen, übernäch¬
tigen Gesichtern, vor den Morgenschaueru sorgfältig eingehüllt, umherwandelten
und in verschiedenen Sprachen ihre Sehnsucht nach Caffee ausdrückten. Ihre
Lage wurde dadurch noch uuconfvrtabler, daß das Schiff eben seine Morgen¬
toilette machte, d. h. aus großen Eimern reichlich mit Wasser überströmt und
dann sehr systematisch gescheuert wurde, so daß man jeden Augenblick einen
Seitensprung machen mußte, um einem Wassersturz oder einem der taktmäßig da-
herfahrenden Borstwischc zu entgehn. Wir hatten jetzt die schwedische Küste zur
Rechten. Noch stand der abnehmende Mond am Himmel, aber immer stärker
röthete sich der Osten, einer nach dem andern verschwanden die Sterne in dem
unendlichen Blan, und endlich brach der äußerste Rand der Sonnenscheibe
golden aus der azurnen Muth hervor. Noch einige Stunden und wir waren in
Kopenhagen.

Kopenhagen ist eine sehr eigenthümliche Stadt. Ungeheuere Brände im
vorigen Jahrhundert und das Bombardement von 1807 haben jede Spur mittel¬
alterlicher Bauart von Grund aus zerstört, die älteren Schlösser und sonstigen
öffentlichen Gebäude, die stehen geblieben sind, rühren größtentheils aus der
Regierungszeit Christian's des neu her (1596 --1648), (dessen tüchtige
Heldengestalt in der Tracht seiner Zeit man in Thorvaldsens Museum sieht), und
tragen das unverkennbare Gepräge des damaligen architektonischen Ungeschmacks:
so die Rosenburg und besonders die Börse, auf deren Thurm vier aus den


schlanken, astlosen, weißen Stämmen und breiten Kronen gleich Pinien ragen
sehn. Bald wurde auch Rügen sichtbar, das die auf der Ostseite breit einspringende
Bucht wie zwei Inseln erscheinen ließ. Die Sonne versank hinter einer weißgrauen
Wolkenbank, die von ihr durchglüht mit röthlich goldenem Glänze strahlte, und
mit der heraufzieheichen Dämmerung ging das Blau des Wassers allmählich in
ein schwärzliches Gran über, der Nachtwind erhob sich, und das Rauschen der
Wellen toute dumpfer als zuvor. Der Thee versammelte die Gesellschaft im
Salon, der mit Spiegeln, Vergoldung und Teppichen geschmackvoll ausgestattet
ist, wie denn überhaupt der Geyser an Eleganz-und Comfort nichts zu wünschen
übrig läßt und seine kriegerischen Antecedentien durchaus uicht verräth. Be¬
kanntlich war es dieser Dampfer, der den Christian den 8ten aus der Schußweite der
Eckernförder Batterien schleppen sollte, aber durch ein wohlgezieltes Feuer genöthigt
wurde, an seine eigene Sicherheit zu denken. Während wir beim Thee im Salon ver¬
weilt hatten, war die Nacht völlig hereingebrochen, ein sternklarer Himmel breitete
sich über der unendlichen Wasserfläche, und ich wandelte noch lange aus dem
Verdeck umher, als die meisten Mitreisenden sich schon längst zur Ruhe begeben
hatten. Endlich suchte ich meine Koie auf, und bald von dem eintönigen Rauschen
der Wellen in Schlaf gewiegt, erwachte ich erst, als ein graues Morgenlicht durch
das runde Fenster in der Schiffswand an meiner Seite fiel. Ich kleidete mich
an und ging aus das Verdeck, wo verschiedene Passagiere mit 'bleichen, übernäch¬
tigen Gesichtern, vor den Morgenschaueru sorgfältig eingehüllt, umherwandelten
und in verschiedenen Sprachen ihre Sehnsucht nach Caffee ausdrückten. Ihre
Lage wurde dadurch noch uuconfvrtabler, daß das Schiff eben seine Morgen¬
toilette machte, d. h. aus großen Eimern reichlich mit Wasser überströmt und
dann sehr systematisch gescheuert wurde, so daß man jeden Augenblick einen
Seitensprung machen mußte, um einem Wassersturz oder einem der taktmäßig da-
herfahrenden Borstwischc zu entgehn. Wir hatten jetzt die schwedische Küste zur
Rechten. Noch stand der abnehmende Mond am Himmel, aber immer stärker
röthete sich der Osten, einer nach dem andern verschwanden die Sterne in dem
unendlichen Blan, und endlich brach der äußerste Rand der Sonnenscheibe
golden aus der azurnen Muth hervor. Noch einige Stunden und wir waren in
Kopenhagen.

Kopenhagen ist eine sehr eigenthümliche Stadt. Ungeheuere Brände im
vorigen Jahrhundert und das Bombardement von 1807 haben jede Spur mittel¬
alterlicher Bauart von Grund aus zerstört, die älteren Schlösser und sonstigen
öffentlichen Gebäude, die stehen geblieben sind, rühren größtentheils aus der
Regierungszeit Christian's des neu her (1596 —1648), (dessen tüchtige
Heldengestalt in der Tracht seiner Zeit man in Thorvaldsens Museum sieht), und
tragen das unverkennbare Gepräge des damaligen architektonischen Ungeschmacks:
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/468>, abgerufen am 27.09.2024.