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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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die verfluchten Menscher! Ehe man aber die Pferde fand und sich hinaufschwang,
waren sie verschwunden und nichl wieder zu finden. Komisch war ein Disci¬
plinvergehen bei Chälons, das aber einen bösen Ausgang hätte nehmen können.
Macdonald hielt die Stadt besetzt, und Aork ließ sie bombardiren. Die Ost¬
preußen schlugen sich in Se. Memmie mit dem Feinde herum, aber allmählich
hörte man das Feuer matter werden. Aork befand sich mit seinem Stäbe'in
einem Bauerhause vor der Stadt, als sein Reitknecht, den er nach Se. Memmie
geschickt hatte, um etwas Wein zu holen, ohne Wein, aber starkraumelnd zurück¬
kehrte-: "Alles todt, Excellenz, Alles todt" berichtete er. Ein Adjutant eilte hin,
.um sich naher zu unterrichten. Er sand ein seltsames Schauspiel. Die wackeren
Ostpreußen hatten ein Paar Champagnerkeller entdeckt, und an dem trefflichen
Weißbier, wofür sie es tranken, sich überreichlich crletzt. Tausende von Flaschen
lagen zerbrochen umher, Mancher war in der Tollkühnheit des Rausches mit der
Flasche in der Hand gegen die Mauer gestürmt, und hatte dort den Tod gefun¬
den, Andere lagen mitten im Feuer im süßen Schlummer, Andere saßen und
schwatzten und tranken. So meldete der Adjutant. "Eine nüchterne Brigade
zur Ablösung!" commandirte Z)ort. Die Ausschweifung hatte zum Glück keine
schlimmeren Folgen, und Macdonald mußte capituliren. Einer derben Strafrede
aber entgingen die Truppen nicht.

Bei Montmirail rettete Uork's hartnäckige Tapferkeit Sacken's Corps vor
gänzlicher Zertrümmerung, freilich mit argem Verluste; bei Laon erfocht er durch
seinen nächtlichen Anfall auf Marmont's Armeecorps den Sieg, der dem Feinde
seine ganze Artillerie und i000 Todte, Verwundete und Gefangene kostete. An
Anerkennung fehlte es nicht: Blücher ließ ihm sagen, "ihr alten Aork'schen seid
ehrliche brave Kerls; wenn man sich auch auf euch nicht mehr verlassen könnte,
da fiele der Himmel ein." Nach diesem Siege, der Napoleon an den Rand des
Unterganges brachte, trat durch Blücher's Erkranken ein Stillstand in der Ope¬
ration ein; Uork beschuldigte Gneisenau, er wolle ihm aus persönlichem Haß den
Ruhm seines Sieges rauben, und der lange verhaltene Groll brach hervor: er legte
sein Kommando nieder, und verließ das Hauptquartier. Erst durch einen Brief
Blücher's, der denselben trotz seiner Krankheit eigenhändig schrieb, und der mit
den Worten schloß: "Mein alter Kamerad, so etwas darf die Geschichte von
uns nicht erzählen, also seid vernünftig und kommt zurück," und durch einen
zweiten des Prinzen Wilhelm ließ er sich zum Umkehren bewegen.

Er nahm noch an dem Zug nach Paris Theil. Napoleon warf sich in den
Rücken Schwarzenberg's, um die Verbündeten von der Hauptstadt abzuziehen, aber
Blücher ließ sich nicht im Vorrücken stören. Am 28. März erreichte das 1. Corps
Meaux, wo eine Brücke über die Marne, den letzten Terrain-Abschnitt von
Paris, führt. In geschlossener Ordnung, ohne Ausenthalt zogen die Kolonnen
durch die Hauptstraße der Stadt, die Nebengassen durch Posten absperrend.


die verfluchten Menscher! Ehe man aber die Pferde fand und sich hinaufschwang,
waren sie verschwunden und nichl wieder zu finden. Komisch war ein Disci¬
plinvergehen bei Chälons, das aber einen bösen Ausgang hätte nehmen können.
Macdonald hielt die Stadt besetzt, und Aork ließ sie bombardiren. Die Ost¬
preußen schlugen sich in Se. Memmie mit dem Feinde herum, aber allmählich
hörte man das Feuer matter werden. Aork befand sich mit seinem Stäbe'in
einem Bauerhause vor der Stadt, als sein Reitknecht, den er nach Se. Memmie
geschickt hatte, um etwas Wein zu holen, ohne Wein, aber starkraumelnd zurück¬
kehrte-: „Alles todt, Excellenz, Alles todt" berichtete er. Ein Adjutant eilte hin,
.um sich naher zu unterrichten. Er sand ein seltsames Schauspiel. Die wackeren
Ostpreußen hatten ein Paar Champagnerkeller entdeckt, und an dem trefflichen
Weißbier, wofür sie es tranken, sich überreichlich crletzt. Tausende von Flaschen
lagen zerbrochen umher, Mancher war in der Tollkühnheit des Rausches mit der
Flasche in der Hand gegen die Mauer gestürmt, und hatte dort den Tod gefun¬
den, Andere lagen mitten im Feuer im süßen Schlummer, Andere saßen und
schwatzten und tranken. So meldete der Adjutant. „Eine nüchterne Brigade
zur Ablösung!" commandirte Z)ort. Die Ausschweifung hatte zum Glück keine
schlimmeren Folgen, und Macdonald mußte capituliren. Einer derben Strafrede
aber entgingen die Truppen nicht.

Bei Montmirail rettete Uork's hartnäckige Tapferkeit Sacken's Corps vor
gänzlicher Zertrümmerung, freilich mit argem Verluste; bei Laon erfocht er durch
seinen nächtlichen Anfall auf Marmont's Armeecorps den Sieg, der dem Feinde
seine ganze Artillerie und i000 Todte, Verwundete und Gefangene kostete. An
Anerkennung fehlte es nicht: Blücher ließ ihm sagen, „ihr alten Aork'schen seid
ehrliche brave Kerls; wenn man sich auch auf euch nicht mehr verlassen könnte,
da fiele der Himmel ein." Nach diesem Siege, der Napoleon an den Rand des
Unterganges brachte, trat durch Blücher's Erkranken ein Stillstand in der Ope¬
ration ein; Uork beschuldigte Gneisenau, er wolle ihm aus persönlichem Haß den
Ruhm seines Sieges rauben, und der lange verhaltene Groll brach hervor: er legte
sein Kommando nieder, und verließ das Hauptquartier. Erst durch einen Brief
Blücher's, der denselben trotz seiner Krankheit eigenhändig schrieb, und der mit
den Worten schloß: „Mein alter Kamerad, so etwas darf die Geschichte von
uns nicht erzählen, also seid vernünftig und kommt zurück," und durch einen
zweiten des Prinzen Wilhelm ließ er sich zum Umkehren bewegen.

Er nahm noch an dem Zug nach Paris Theil. Napoleon warf sich in den
Rücken Schwarzenberg's, um die Verbündeten von der Hauptstadt abzuziehen, aber
Blücher ließ sich nicht im Vorrücken stören. Am 28. März erreichte das 1. Corps
Meaux, wo eine Brücke über die Marne, den letzten Terrain-Abschnitt von
Paris, führt. In geschlossener Ordnung, ohne Ausenthalt zogen die Kolonnen
durch die Hauptstraße der Stadt, die Nebengassen durch Posten absperrend.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/465>, abgerufen am 27.09.2024.