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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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zum Kriege gedrängt werden, von Seiten der Armee. Die feste Anhänglichkeit
derselben ist eine unerläßliche Bedingung seiner Herrschaft; entstanden über Nacht
durch einen militairischen Staatsstreich, könnte sie über Nacht durch eine Militair-
revolution gestürzt werden, wenn er nicht im Stande ist, die Gesinnungen des
Heeres an sich zu fesseln. Spricht man jedoch vom Heere, so muß man wissen,
daß der Geist desselben bestimmt wird durch dessen bleibendes und stabiles Ele¬
ment, durch das Officiercorps, die Unterofficiere und Sergeanten. Dem Impuls,
den er vou diesen empfängt, folgt unbedingt der gemeine Soldat, der dem Heere
nur so lange angehörtals das Gesetz ihn dazu verpflichtet. Es Ist unmöglich,
sich darüber zu täuschen, daß jenes stabile Element der französischen Armee von
dem Glauben erfüllt ist, die Tradition des Kaiserthunrs müsse Louis Napoleon
bald zum Kriege treiben. Es ist der Durst in diesen Herzen, Rache zu nehmen
für das Unglück von 1813 und 14, für die Niederlage von Waterloo, noch mehr
aber ist es die Hoffnung ans Ruhm und Beförderung, ans ein bewegtes, glän¬
zendes Kriegerleben, die sie anfeuert. Der ruhmlose Razziakrieg in Afrika gegen
undisciplinicte Barbaren, dessen beste Tage übrigens schon vorüber sind, kann
hiefür keinen Ersatz bieten, noch weniger die mit so viel pompösen Worten ge¬
priesene "moderne Mission der Heere, die Vertheidigung der Gesellschaft gegen
die Umsturzpattei," d. h. mit anderen Worten ein Polizeidienst in großem Ma߬
stabe. In der Langeweile des Garnisonslebens wird dieser philosophische Trost,
die Gesellschaft zu vertheidigen, schwerlich für die zerronnenen Träume, die kaiser¬
lichen Adler über den Rhein zu tragen, entschädigen. Das Heer hängt jetzt an
Louis Napoleon, weil die in ihm aufgewühlte Ruhmbegierde, weil tausend angeregte
Hoffnungen ihre Erfüllung vom Erben des Kaisers erwarten; verbleibt es in dem
neuen Kaiserthum bei Feuerwerken, Militairbällen und Paraden, so wird der
Mißmuth der Enttäuschung viel unbefriedigte, aber uicht beruhigte Wünsche in
andere Wege treiben. Der Neid und die Eifersucht aus die glücklicheren Kame¬
raden, denen es gelungen, in die Kreise des Hofes zu kommeu und die Strahlen
der kaiserlichen Gunst auf sich zu ziehn, wird die Zurückgesetzte!? uoch mehr
erbittern. Der getäuschte nud zurückgedrängte Ehrgeiz wird seiue Blicke nach
anderen Seiten wenden und durch politische Wechsel zu erreichen suchen, was ihm
im Feldlager und auf dem Schlachtfelds zu erreichen verwehrt ist. Anknüpfungs¬
punkte sind dafür in der Armee vorhanden, das beweist noch die letzte Abstimmung;
und wenn es sicher ist, daß die 9000 militairischen Stimmen, die gegen Louis Napoleon
gefallen, ihm feindlich sind, so ist es keineswegs sicher, daß ihm alle unbedingt
gehören, die für ihn sielen. Tapfere und entschlossene Feldherrn, deren Namen
das Heer noch nicht vergessen haben kann, sind von Louis Napoleon unversöhnlich
beleidigt worden. Ihre glänzende, jetzt unterbrochene Laufbahn ist vernichtet,
wenn das Kaiserthum sich erhält; sie werdeu ihren Todfeind nicht aus den Augen
lassen, und sobald sie die Blöße seiner Macht wahrnehme", ihr Leben zu seinem


Grenzboten. IV. 18ö2. '

zum Kriege gedrängt werden, von Seiten der Armee. Die feste Anhänglichkeit
derselben ist eine unerläßliche Bedingung seiner Herrschaft; entstanden über Nacht
durch einen militairischen Staatsstreich, könnte sie über Nacht durch eine Militair-
revolution gestürzt werden, wenn er nicht im Stande ist, die Gesinnungen des
Heeres an sich zu fesseln. Spricht man jedoch vom Heere, so muß man wissen,
daß der Geist desselben bestimmt wird durch dessen bleibendes und stabiles Ele¬
ment, durch das Officiercorps, die Unterofficiere und Sergeanten. Dem Impuls,
den er vou diesen empfängt, folgt unbedingt der gemeine Soldat, der dem Heere
nur so lange angehörtals das Gesetz ihn dazu verpflichtet. Es Ist unmöglich,
sich darüber zu täuschen, daß jenes stabile Element der französischen Armee von
dem Glauben erfüllt ist, die Tradition des Kaiserthunrs müsse Louis Napoleon
bald zum Kriege treiben. Es ist der Durst in diesen Herzen, Rache zu nehmen
für das Unglück von 1813 und 14, für die Niederlage von Waterloo, noch mehr
aber ist es die Hoffnung ans Ruhm und Beförderung, ans ein bewegtes, glän¬
zendes Kriegerleben, die sie anfeuert. Der ruhmlose Razziakrieg in Afrika gegen
undisciplinicte Barbaren, dessen beste Tage übrigens schon vorüber sind, kann
hiefür keinen Ersatz bieten, noch weniger die mit so viel pompösen Worten ge¬
priesene „moderne Mission der Heere, die Vertheidigung der Gesellschaft gegen
die Umsturzpattei," d. h. mit anderen Worten ein Polizeidienst in großem Ma߬
stabe. In der Langeweile des Garnisonslebens wird dieser philosophische Trost,
die Gesellschaft zu vertheidigen, schwerlich für die zerronnenen Träume, die kaiser¬
lichen Adler über den Rhein zu tragen, entschädigen. Das Heer hängt jetzt an
Louis Napoleon, weil die in ihm aufgewühlte Ruhmbegierde, weil tausend angeregte
Hoffnungen ihre Erfüllung vom Erben des Kaisers erwarten; verbleibt es in dem
neuen Kaiserthum bei Feuerwerken, Militairbällen und Paraden, so wird der
Mißmuth der Enttäuschung viel unbefriedigte, aber uicht beruhigte Wünsche in
andere Wege treiben. Der Neid und die Eifersucht aus die glücklicheren Kame¬
raden, denen es gelungen, in die Kreise des Hofes zu kommeu und die Strahlen
der kaiserlichen Gunst auf sich zu ziehn, wird die Zurückgesetzte!? uoch mehr
erbittern. Der getäuschte nud zurückgedrängte Ehrgeiz wird seiue Blicke nach
anderen Seiten wenden und durch politische Wechsel zu erreichen suchen, was ihm
im Feldlager und auf dem Schlachtfelds zu erreichen verwehrt ist. Anknüpfungs¬
punkte sind dafür in der Armee vorhanden, das beweist noch die letzte Abstimmung;
und wenn es sicher ist, daß die 9000 militairischen Stimmen, die gegen Louis Napoleon
gefallen, ihm feindlich sind, so ist es keineswegs sicher, daß ihm alle unbedingt
gehören, die für ihn sielen. Tapfere und entschlossene Feldherrn, deren Namen
das Heer noch nicht vergessen haben kann, sind von Louis Napoleon unversöhnlich
beleidigt worden. Ihre glänzende, jetzt unterbrochene Laufbahn ist vernichtet,
wenn das Kaiserthum sich erhält; sie werdeu ihren Todfeind nicht aus den Augen
lassen, und sobald sie die Blöße seiner Macht wahrnehme», ihr Leben zu seinem


Grenzboten. IV. 18ö2. '
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[0435] zum Kriege gedrängt werden, von Seiten der Armee. Die feste Anhänglichkeit derselben ist eine unerläßliche Bedingung seiner Herrschaft; entstanden über Nacht durch einen militairischen Staatsstreich, könnte sie über Nacht durch eine Militair- revolution gestürzt werden, wenn er nicht im Stande ist, die Gesinnungen des Heeres an sich zu fesseln. Spricht man jedoch vom Heere, so muß man wissen, daß der Geist desselben bestimmt wird durch dessen bleibendes und stabiles Ele¬ ment, durch das Officiercorps, die Unterofficiere und Sergeanten. Dem Impuls, den er vou diesen empfängt, folgt unbedingt der gemeine Soldat, der dem Heere nur so lange angehörtals das Gesetz ihn dazu verpflichtet. Es Ist unmöglich, sich darüber zu täuschen, daß jenes stabile Element der französischen Armee von dem Glauben erfüllt ist, die Tradition des Kaiserthunrs müsse Louis Napoleon bald zum Kriege treiben. Es ist der Durst in diesen Herzen, Rache zu nehmen für das Unglück von 1813 und 14, für die Niederlage von Waterloo, noch mehr aber ist es die Hoffnung ans Ruhm und Beförderung, ans ein bewegtes, glän¬ zendes Kriegerleben, die sie anfeuert. Der ruhmlose Razziakrieg in Afrika gegen undisciplinicte Barbaren, dessen beste Tage übrigens schon vorüber sind, kann hiefür keinen Ersatz bieten, noch weniger die mit so viel pompösen Worten ge¬ priesene „moderne Mission der Heere, die Vertheidigung der Gesellschaft gegen die Umsturzpattei," d. h. mit anderen Worten ein Polizeidienst in großem Ma߬ stabe. In der Langeweile des Garnisonslebens wird dieser philosophische Trost, die Gesellschaft zu vertheidigen, schwerlich für die zerronnenen Träume, die kaiser¬ lichen Adler über den Rhein zu tragen, entschädigen. Das Heer hängt jetzt an Louis Napoleon, weil die in ihm aufgewühlte Ruhmbegierde, weil tausend angeregte Hoffnungen ihre Erfüllung vom Erben des Kaisers erwarten; verbleibt es in dem neuen Kaiserthum bei Feuerwerken, Militairbällen und Paraden, so wird der Mißmuth der Enttäuschung viel unbefriedigte, aber uicht beruhigte Wünsche in andere Wege treiben. Der Neid und die Eifersucht aus die glücklicheren Kame¬ raden, denen es gelungen, in die Kreise des Hofes zu kommeu und die Strahlen der kaiserlichen Gunst auf sich zu ziehn, wird die Zurückgesetzte!? uoch mehr erbittern. Der getäuschte nud zurückgedrängte Ehrgeiz wird seiue Blicke nach anderen Seiten wenden und durch politische Wechsel zu erreichen suchen, was ihm im Feldlager und auf dem Schlachtfelds zu erreichen verwehrt ist. Anknüpfungs¬ punkte sind dafür in der Armee vorhanden, das beweist noch die letzte Abstimmung; und wenn es sicher ist, daß die 9000 militairischen Stimmen, die gegen Louis Napoleon gefallen, ihm feindlich sind, so ist es keineswegs sicher, daß ihm alle unbedingt gehören, die für ihn sielen. Tapfere und entschlossene Feldherrn, deren Namen das Heer noch nicht vergessen haben kann, sind von Louis Napoleon unversöhnlich beleidigt worden. Ihre glänzende, jetzt unterbrochene Laufbahn ist vernichtet, wenn das Kaiserthum sich erhält; sie werdeu ihren Todfeind nicht aus den Augen lassen, und sobald sie die Blöße seiner Macht wahrnehme», ihr Leben zu seinem Grenzboten. IV. 18ö2. '

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/435>, abgerufen am 27.09.2024.