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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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Rheinufers als die unveräußerliche Tradition des Kaiserthums, als die unabweis-
liche Forderung für eine gebietende Stellung desselben in Europa.

Es mag indessen müßig sein, darüber zu streiten, welche Pläne und Absichten
in der Seele des neuen Kaisers sich bergen. Wichtiger ist die Untersuchung
ob die gegenwärtigen Zustände Frankreichs überhaupt eine Aufrechthaltung des
Friedens gestatten. Die Allmacht, mit welcher Louis Napoleon bekleidet scheint,
kann unmöglich einem tiefern Blicke die schwankenden Grundlagen seiner Herr¬
schaft verbergen. Gewiß sind die 8 Millionen Stimme", die er erhalten, nicht
blos, wie viele seiner Gegner glauben machen wollen, das Product administrativer
Bearbeitung der Wähler, oder gar noch schlimmerer Kunstgriffe. Es ist ihm
gelungen, die napoleonischen Sympathien, die in den Massen schlummerten, durch
die größten Verheißungen materiellen Wohlseins zu erwecken, er hat kein Mittel
geschont um in alle Adern des Verkehrs, in alle Zweige der Nationalindustrie
Leben und Aufschwung zu bringen. Die bürgerlichen Klassen, so wenig sie sonst
einem militärischen, alle Nationalfteiheiten erdrückenden Regiment hold sind, haben
ihre Antipathien vor diesen lockenden Aussichten schweigen lassen. Der Durst nach
Gewinn, das Fieber der Speculation bei den Wohlhabenden und Reichen, die
Hoffnung aus reichliche Arbeit und Erwerb bei dem Proletariat, die Hoffnung
aus Steuererleichterung und werthvollen Absatz der Producte bei der ackerbau¬
treibenden Bevölkerung lassen augenblicklich den größten Theil Frankreichs die
verlorene politische Freiheit vergessen und die Mehrheit der Nation sich willfährig
der kaiserlichen Absolutie unterwerfen.

Wenn nun aber diese Erwartungen sich getäuscht sehen, wenn das gegen¬
wärtige materielle Wohlsein sich als trügerisch erweist, wenn, wie es immer bei
einer Prosperität eintritt, die mit gewaltsamen Mitteln künstlich emporgetrieben
ist, der Umschlag sich fühlbar zu machen beginnt, wird" die Nation, unsanft aus
diesem Taumel des Materialismus erweckt, nicht zum Nachdenken kommen und
erkennen, daß sie ihre Freiheit, ihre so theuer errungenen bürgerlichen Rechte
für Nichts verloren hat, ja, daß sie auf der abschüssigen Bahn der öffentlichen
Noth sich befindet? Dieser Umschlag kann nicht ausbleiben. Seit dem zweiten
December herrscht eine Verschwendung der öffentlichen Gelder, die allen Glauben
übersteigt; Bauten aller Arten werden auf Staatskosten unternommen, um den
Arbeitern Beschäftigung zu geben und die Löhne zu steigern, die das Budget
unverhältnißmäßig belasten und dazu zum großen Theil ganz unproductiv sind.
Millionen werden für öffentliche Feste ausgegeben, die Gehalte der höheren Be¬
amten werden außerordentlich erhöht, und dafür die Empfänger zu größerem Auf¬
wand verpflichtet. Die Kosten des kaiserliche" Hofes verschlingen allein schon die
Ersparnisse, die man durch die Rentencouverston gemacht hat; was man etwa
durch die Reduction des Heeres erübrigt, geht, wenn es nicht schon anderweitig
im Armeebudget verwendet wird, in den kostspieligen Marinerüstungen reichlich


Rheinufers als die unveräußerliche Tradition des Kaiserthums, als die unabweis-
liche Forderung für eine gebietende Stellung desselben in Europa.

Es mag indessen müßig sein, darüber zu streiten, welche Pläne und Absichten
in der Seele des neuen Kaisers sich bergen. Wichtiger ist die Untersuchung
ob die gegenwärtigen Zustände Frankreichs überhaupt eine Aufrechthaltung des
Friedens gestatten. Die Allmacht, mit welcher Louis Napoleon bekleidet scheint,
kann unmöglich einem tiefern Blicke die schwankenden Grundlagen seiner Herr¬
schaft verbergen. Gewiß sind die 8 Millionen Stimme», die er erhalten, nicht
blos, wie viele seiner Gegner glauben machen wollen, das Product administrativer
Bearbeitung der Wähler, oder gar noch schlimmerer Kunstgriffe. Es ist ihm
gelungen, die napoleonischen Sympathien, die in den Massen schlummerten, durch
die größten Verheißungen materiellen Wohlseins zu erwecken, er hat kein Mittel
geschont um in alle Adern des Verkehrs, in alle Zweige der Nationalindustrie
Leben und Aufschwung zu bringen. Die bürgerlichen Klassen, so wenig sie sonst
einem militärischen, alle Nationalfteiheiten erdrückenden Regiment hold sind, haben
ihre Antipathien vor diesen lockenden Aussichten schweigen lassen. Der Durst nach
Gewinn, das Fieber der Speculation bei den Wohlhabenden und Reichen, die
Hoffnung aus reichliche Arbeit und Erwerb bei dem Proletariat, die Hoffnung
aus Steuererleichterung und werthvollen Absatz der Producte bei der ackerbau¬
treibenden Bevölkerung lassen augenblicklich den größten Theil Frankreichs die
verlorene politische Freiheit vergessen und die Mehrheit der Nation sich willfährig
der kaiserlichen Absolutie unterwerfen.

Wenn nun aber diese Erwartungen sich getäuscht sehen, wenn das gegen¬
wärtige materielle Wohlsein sich als trügerisch erweist, wenn, wie es immer bei
einer Prosperität eintritt, die mit gewaltsamen Mitteln künstlich emporgetrieben
ist, der Umschlag sich fühlbar zu machen beginnt, wird" die Nation, unsanft aus
diesem Taumel des Materialismus erweckt, nicht zum Nachdenken kommen und
erkennen, daß sie ihre Freiheit, ihre so theuer errungenen bürgerlichen Rechte
für Nichts verloren hat, ja, daß sie auf der abschüssigen Bahn der öffentlichen
Noth sich befindet? Dieser Umschlag kann nicht ausbleiben. Seit dem zweiten
December herrscht eine Verschwendung der öffentlichen Gelder, die allen Glauben
übersteigt; Bauten aller Arten werden auf Staatskosten unternommen, um den
Arbeitern Beschäftigung zu geben und die Löhne zu steigern, die das Budget
unverhältnißmäßig belasten und dazu zum großen Theil ganz unproductiv sind.
Millionen werden für öffentliche Feste ausgegeben, die Gehalte der höheren Be¬
amten werden außerordentlich erhöht, und dafür die Empfänger zu größerem Auf¬
wand verpflichtet. Die Kosten des kaiserliche» Hofes verschlingen allein schon die
Ersparnisse, die man durch die Rentencouverston gemacht hat; was man etwa
durch die Reduction des Heeres erübrigt, geht, wenn es nicht schon anderweitig
im Armeebudget verwendet wird, in den kostspieligen Marinerüstungen reichlich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/432>, abgerufen am 27.09.2024.