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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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dergleichen mehr. -- An diese schließt sich der Berichterstatter und Kritiker aus
dem Gebiete der Musik, während die Kritiken von Dramen, Vorlesungen und
Büchern dem einen oder andern Mitarbeiter zufallen. -- Für die Beuchter aus
den Gerichtshöfen besoldet die Times keine eigenen Reporters. Sie werden ihr
durch Barristers, die an den verschiedenen Gerichtshöfen prakticiren, geliefert.--
Auch die Polizeiberichte werden nicht von fixen Reporters abgefaßt, sondern zu¬
gleich mit den übrigen Londoner Journalen von einem Manne bezogen, der seine
eigenen Leute in die Policecourts schickt, für dieselbe" verantwortlich ist, und
gegen eine bestimmte Bezahlung allen Blättern das Bedeutendere auf diesem Felde
zuschickt.

Für die Mittheilung sonstiger Localereignisse sorgen die sogenannten Penny-
a-liners, diese nomadischen Journalisten, die Tag und Nacht auf deu Beinen sind
die bei allen Polizeiwachen, in allen Dicbshöhlen, bei allen Feuersbrünsten herum-
spucken, Notizen sammeln, sie möglichst breit treten, möglichst pikant machen und
dann an die einzelnen Journale verkaufen. Es sind dies ganz merkwürdige,
rührige, zuweilen talentvolle, vielfach durch Wind, Wetter" und Kneipenleben ab¬
gehärtete Persönlichkeiten, deren Blüthezeit außerhalb der Londoner Saison fällt,
wo die Redactionen mit dem Stoff nicht wählig sind, wo diese Penny-a-lincrs
in einer einzigen glücklichen Woche durch ihre "fürchterlichen Raubmorde", "höchst
erschrecklichen Feuersbrünste", "ganz besonders waghalsigen Einbrüche", "wunder¬
bare Freundschaften von Hunden, Kaninchen und Wasserratten", manchmal eine
erkleckliche Summe Goldes verdienen. Leider werden ihre wunderbaren Beiträge
von den Redactionen unbarmherzig zusammengestrichen, sonst wäre ihr Geschäft
eines der einträglichsten in der reichen Stadt London.

Die letztgenannten drei Klassen von Journalisten dienen, wie man sieht,
mehreren oder allen Blättern zu gleicher Zeit. Für ihre Ehrlichkeit bürgt ihr
Interesse; denn es versteht sich von selbst, daß sie ihre Kunden verlieren müßten,
wenn sie absichtlich lügenhafte Berichte einliefern würden. In diesem Bewußtsein
steckt ihre ganze Organisation. Sie fußt wie jedes Gewerbe in England auf
dem doppelten Systeme des materiellen Vortheils und der unbeschränkten Con-
currenz. --

Ueber die Organisation dagegen der sixangestellten Berichterstatter und Mit¬
arbeiter, namentlich bei Times, ließe sich Vieles sagen, was in den Ohren unsrer
deutschen Journalisten (die bei einem Journal fest angestellt sind) ganz fabelhaft
klingen würde. Wir meinen die strenge Subordination in ihrem Dienste, deren
sich Keiner entziehen darf. Wir wollen hier nicht in Einzelnheiten eingehen, die
zu weit führen würden. Nur so viel als Fingerzeig, daß jeder Berichterstatter
der Times in jedem Augenblicke bereit sein muß, eine Misston nach irgend einem
Theile Englands oder des Kontinents zu übernehmen, daß, dem strengen Regle¬
ment zufolge, Jeder sogar Jahr aus, Jahr ein, eine Reisetasche mit den aller-


dergleichen mehr. — An diese schließt sich der Berichterstatter und Kritiker aus
dem Gebiete der Musik, während die Kritiken von Dramen, Vorlesungen und
Büchern dem einen oder andern Mitarbeiter zufallen. — Für die Beuchter aus
den Gerichtshöfen besoldet die Times keine eigenen Reporters. Sie werden ihr
durch Barristers, die an den verschiedenen Gerichtshöfen prakticiren, geliefert.—
Auch die Polizeiberichte werden nicht von fixen Reporters abgefaßt, sondern zu¬
gleich mit den übrigen Londoner Journalen von einem Manne bezogen, der seine
eigenen Leute in die Policecourts schickt, für dieselbe» verantwortlich ist, und
gegen eine bestimmte Bezahlung allen Blättern das Bedeutendere auf diesem Felde
zuschickt.

Für die Mittheilung sonstiger Localereignisse sorgen die sogenannten Penny-
a-liners, diese nomadischen Journalisten, die Tag und Nacht auf deu Beinen sind
die bei allen Polizeiwachen, in allen Dicbshöhlen, bei allen Feuersbrünsten herum-
spucken, Notizen sammeln, sie möglichst breit treten, möglichst pikant machen und
dann an die einzelnen Journale verkaufen. Es sind dies ganz merkwürdige,
rührige, zuweilen talentvolle, vielfach durch Wind, Wetter» und Kneipenleben ab¬
gehärtete Persönlichkeiten, deren Blüthezeit außerhalb der Londoner Saison fällt,
wo die Redactionen mit dem Stoff nicht wählig sind, wo diese Penny-a-lincrs
in einer einzigen glücklichen Woche durch ihre „fürchterlichen Raubmorde", „höchst
erschrecklichen Feuersbrünste", „ganz besonders waghalsigen Einbrüche", „wunder¬
bare Freundschaften von Hunden, Kaninchen und Wasserratten", manchmal eine
erkleckliche Summe Goldes verdienen. Leider werden ihre wunderbaren Beiträge
von den Redactionen unbarmherzig zusammengestrichen, sonst wäre ihr Geschäft
eines der einträglichsten in der reichen Stadt London.

Die letztgenannten drei Klassen von Journalisten dienen, wie man sieht,
mehreren oder allen Blättern zu gleicher Zeit. Für ihre Ehrlichkeit bürgt ihr
Interesse; denn es versteht sich von selbst, daß sie ihre Kunden verlieren müßten,
wenn sie absichtlich lügenhafte Berichte einliefern würden. In diesem Bewußtsein
steckt ihre ganze Organisation. Sie fußt wie jedes Gewerbe in England auf
dem doppelten Systeme des materiellen Vortheils und der unbeschränkten Con-
currenz. —

Ueber die Organisation dagegen der sixangestellten Berichterstatter und Mit¬
arbeiter, namentlich bei Times, ließe sich Vieles sagen, was in den Ohren unsrer
deutschen Journalisten (die bei einem Journal fest angestellt sind) ganz fabelhaft
klingen würde. Wir meinen die strenge Subordination in ihrem Dienste, deren
sich Keiner entziehen darf. Wir wollen hier nicht in Einzelnheiten eingehen, die
zu weit führen würden. Nur so viel als Fingerzeig, daß jeder Berichterstatter
der Times in jedem Augenblicke bereit sein muß, eine Misston nach irgend einem
Theile Englands oder des Kontinents zu übernehmen, daß, dem strengen Regle¬
ment zufolge, Jeder sogar Jahr aus, Jahr ein, eine Reisetasche mit den aller-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/426>, abgerufen am 27.09.2024.