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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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zeihen; die Verführung dazu war gar zu groß; und dann war's so natürlich,
daß wir an die Richtung der Times dachten, wahrend ihr Manager und Re¬
dacteur über die morgigen Leitartikel consuliren.

Die Berathung ist geschlossen. Sie haben das Resultat derselben in wenigen
Worten zu Papier gebracht, Einzelnes dazu notirr, und so für jeden Leitartikel
ein mehr oder weniger bestimmtes Programm abgefaßt. Jedem einzelnen dieser
Briesprogramme werden, ,wo es nöthig ist, Actenstücke, einzelne Briefe inländischer
oder auswärtiger Korrespondenten, die bei der Bearbeitung des fixirten Artikels
allenfalls zu berücksichtigen sind, u. tgi. beigelegt, dann jeder solcher Brief an
die bestimmten Leitartikelschreiber durch einen Boten geschickt, der nach einigen
Stunden den Artikel wieder abzuholen hat.

Mit diesen Leitartikelschreibern der "Times" hat es ein ganz eigenes Be-
wandtniß. Bei deutschen Zeitnngsinstitnten fällt diese Arbeit zumeist den Re¬
dacteuren anheim; bei der Times hingegen war es ursprünglich Grundsatz, daß
die Redacteure nur zu redigiren, aber durchaus nicht zu schreiben habe". Der
Grund dafür ist theoretisch wie praktisch gleich richtig. Es liegt in der Natur
eines jeden Menschen, daß er für seine eigene Arbeit parteiisch ist. Es ist
einem Redacteur zu verzeihen, daß er seinem eigenen Artikel vor anderen den
Vorzug giebt, wenn er unter verschiedenen Arbeiten über denselben Gegenstand
zu wählen hat, wie dies bei der "Times" und wol bei jedem größern Zeitungs¬
institute der Fall ist. Um die Redacteure dieser Versuchung zu überheben, und
um ihnen Zeit zu gönnen, mit aller erforderlichen Aufmerksamkeit und Unpartei¬
lichkeit zu redigiren, d. h. anzuordnen, zu wählen, zu sichten und zu ordnen,
wurden die Redacteure des Schreibens ganz enthoben. Doch wird von dieser
heilsamen Regel nicht selten abgewichen, und sollen die feuilletonartigen, mit so
treffendem Witz und Humor geschriebenen Leitartikel? (namentlich über Localan-
gelegenheiten) aus der Feder von Mr. Morris selbst fließen.

Die Leitartikelschreiber bekommen das zu Stande gekommene Programm
ihrer zu liefernden Arbeit, wie bemerkt, in ihre Wohnung geschickt, die oft meilen¬
weit vom Times-Office entfernt ist. Wer diese Herren sind, was sie außerdem
für Stellung im Leben und Beschäftigung haben, weiß, außerhalb des Redactions-
bureau, Niemand zu sagen. Selbst alten, aus dem Times-Office grau gewordenen
Mitarbeitern ist dies ein uuerschlosseues Geheimniß. In ihm liegt ein Theil des
großen Nimbus, der die "Times" umgiebt, und der wol kaum in einer weniger
ausgedehnten Stadt wie London zu bewahren ist.

Diese Leitartikelschreiber setzen nie einen Fuß in's Times-Office, es müßte sie
denn ein ganz besonders wichtiges Geschäft hinführen. Diese Leitartikelschreiber
haben sich verbindlich gemacht, sich nie als Autoren ihrer Artikel, auch nicht als
Mitarbeiter der Times zu erkennen zu geben. Diese Leitartikelschreiber haben in
ihrer Verborgenheit auf jede literarische Anerkennung und Berühmtheit verzichtet;


zeihen; die Verführung dazu war gar zu groß; und dann war's so natürlich,
daß wir an die Richtung der Times dachten, wahrend ihr Manager und Re¬
dacteur über die morgigen Leitartikel consuliren.

Die Berathung ist geschlossen. Sie haben das Resultat derselben in wenigen
Worten zu Papier gebracht, Einzelnes dazu notirr, und so für jeden Leitartikel
ein mehr oder weniger bestimmtes Programm abgefaßt. Jedem einzelnen dieser
Briesprogramme werden, ,wo es nöthig ist, Actenstücke, einzelne Briefe inländischer
oder auswärtiger Korrespondenten, die bei der Bearbeitung des fixirten Artikels
allenfalls zu berücksichtigen sind, u. tgi. beigelegt, dann jeder solcher Brief an
die bestimmten Leitartikelschreiber durch einen Boten geschickt, der nach einigen
Stunden den Artikel wieder abzuholen hat.

Mit diesen Leitartikelschreibern der „Times" hat es ein ganz eigenes Be-
wandtniß. Bei deutschen Zeitnngsinstitnten fällt diese Arbeit zumeist den Re¬
dacteuren anheim; bei der Times hingegen war es ursprünglich Grundsatz, daß
die Redacteure nur zu redigiren, aber durchaus nicht zu schreiben habe». Der
Grund dafür ist theoretisch wie praktisch gleich richtig. Es liegt in der Natur
eines jeden Menschen, daß er für seine eigene Arbeit parteiisch ist. Es ist
einem Redacteur zu verzeihen, daß er seinem eigenen Artikel vor anderen den
Vorzug giebt, wenn er unter verschiedenen Arbeiten über denselben Gegenstand
zu wählen hat, wie dies bei der „Times" und wol bei jedem größern Zeitungs¬
institute der Fall ist. Um die Redacteure dieser Versuchung zu überheben, und
um ihnen Zeit zu gönnen, mit aller erforderlichen Aufmerksamkeit und Unpartei¬
lichkeit zu redigiren, d. h. anzuordnen, zu wählen, zu sichten und zu ordnen,
wurden die Redacteure des Schreibens ganz enthoben. Doch wird von dieser
heilsamen Regel nicht selten abgewichen, und sollen die feuilletonartigen, mit so
treffendem Witz und Humor geschriebenen Leitartikel? (namentlich über Localan-
gelegenheiten) aus der Feder von Mr. Morris selbst fließen.

Die Leitartikelschreiber bekommen das zu Stande gekommene Programm
ihrer zu liefernden Arbeit, wie bemerkt, in ihre Wohnung geschickt, die oft meilen¬
weit vom Times-Office entfernt ist. Wer diese Herren sind, was sie außerdem
für Stellung im Leben und Beschäftigung haben, weiß, außerhalb des Redactions-
bureau, Niemand zu sagen. Selbst alten, aus dem Times-Office grau gewordenen
Mitarbeitern ist dies ein uuerschlosseues Geheimniß. In ihm liegt ein Theil des
großen Nimbus, der die „Times" umgiebt, und der wol kaum in einer weniger
ausgedehnten Stadt wie London zu bewahren ist.

Diese Leitartikelschreiber setzen nie einen Fuß in's Times-Office, es müßte sie
denn ein ganz besonders wichtiges Geschäft hinführen. Diese Leitartikelschreiber
haben sich verbindlich gemacht, sich nie als Autoren ihrer Artikel, auch nicht als
Mitarbeiter der Times zu erkennen zu geben. Diese Leitartikelschreiber haben in
ihrer Verborgenheit auf jede literarische Anerkennung und Berühmtheit verzichtet;


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[0416] zeihen; die Verführung dazu war gar zu groß; und dann war's so natürlich, daß wir an die Richtung der Times dachten, wahrend ihr Manager und Re¬ dacteur über die morgigen Leitartikel consuliren. Die Berathung ist geschlossen. Sie haben das Resultat derselben in wenigen Worten zu Papier gebracht, Einzelnes dazu notirr, und so für jeden Leitartikel ein mehr oder weniger bestimmtes Programm abgefaßt. Jedem einzelnen dieser Briesprogramme werden, ,wo es nöthig ist, Actenstücke, einzelne Briefe inländischer oder auswärtiger Korrespondenten, die bei der Bearbeitung des fixirten Artikels allenfalls zu berücksichtigen sind, u. tgi. beigelegt, dann jeder solcher Brief an die bestimmten Leitartikelschreiber durch einen Boten geschickt, der nach einigen Stunden den Artikel wieder abzuholen hat. Mit diesen Leitartikelschreibern der „Times" hat es ein ganz eigenes Be- wandtniß. Bei deutschen Zeitnngsinstitnten fällt diese Arbeit zumeist den Re¬ dacteuren anheim; bei der Times hingegen war es ursprünglich Grundsatz, daß die Redacteure nur zu redigiren, aber durchaus nicht zu schreiben habe». Der Grund dafür ist theoretisch wie praktisch gleich richtig. Es liegt in der Natur eines jeden Menschen, daß er für seine eigene Arbeit parteiisch ist. Es ist einem Redacteur zu verzeihen, daß er seinem eigenen Artikel vor anderen den Vorzug giebt, wenn er unter verschiedenen Arbeiten über denselben Gegenstand zu wählen hat, wie dies bei der „Times" und wol bei jedem größern Zeitungs¬ institute der Fall ist. Um die Redacteure dieser Versuchung zu überheben, und um ihnen Zeit zu gönnen, mit aller erforderlichen Aufmerksamkeit und Unpartei¬ lichkeit zu redigiren, d. h. anzuordnen, zu wählen, zu sichten und zu ordnen, wurden die Redacteure des Schreibens ganz enthoben. Doch wird von dieser heilsamen Regel nicht selten abgewichen, und sollen die feuilletonartigen, mit so treffendem Witz und Humor geschriebenen Leitartikel? (namentlich über Localan- gelegenheiten) aus der Feder von Mr. Morris selbst fließen. Die Leitartikelschreiber bekommen das zu Stande gekommene Programm ihrer zu liefernden Arbeit, wie bemerkt, in ihre Wohnung geschickt, die oft meilen¬ weit vom Times-Office entfernt ist. Wer diese Herren sind, was sie außerdem für Stellung im Leben und Beschäftigung haben, weiß, außerhalb des Redactions- bureau, Niemand zu sagen. Selbst alten, aus dem Times-Office grau gewordenen Mitarbeitern ist dies ein uuerschlosseues Geheimniß. In ihm liegt ein Theil des großen Nimbus, der die „Times" umgiebt, und der wol kaum in einer weniger ausgedehnten Stadt wie London zu bewahren ist. Diese Leitartikelschreiber setzen nie einen Fuß in's Times-Office, es müßte sie denn ein ganz besonders wichtiges Geschäft hinführen. Diese Leitartikelschreiber haben sich verbindlich gemacht, sich nie als Autoren ihrer Artikel, auch nicht als Mitarbeiter der Times zu erkennen zu geben. Diese Leitartikelschreiber haben in ihrer Verborgenheit auf jede literarische Anerkennung und Berühmtheit verzichtet;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/416>, abgerufen am 27.09.2024.