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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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solcher Hartnäckigkeit in eine ganz einseitige Richtung verrannt ist, der die ver¬
schiedensten Gebiete der Kunst und des Lebens nur von seinem exclustveu kirch¬
lichen Standpunkt beurtheilt und gleichwol durch seine Bildung, wie durch die
Welt, in der er lebt, zu einer- unbefangenen Anschauungsweise gedrängt wird,
für die feudale Partei, zu der er seiner Grundstimmung uach gehört, wie für die
liberale Partei, zu der den Rheinländer Leben und Bildung ziehen, ein gleich
unzuverlässiger Bundesgenosse sein muß. Es ist daher Grund zu der Annahme
vorhanden, daß die Ultramontanen, die sich Herrn Reichensperger anschließen,
ein reines Centrum zu bilden, und bei Fragen, bei denen sie nicht speciell interessirt
sind, jede Resolution im Sumpfe der Mitte stecken zu lassen sich bemühen werden.
Jedenfalls wird die constitutionelle Partei gut thun, sich bei Zeiten und genau
über die Intentionen dieser Fraction zu unterrichten und sich nicht auf bloße
Vermuthungen hin durch die Hoffnung, hier und da die Majorität zu erlangen,
in eine schiefe Stellung drängen zu lassen.

Aus der andern Seite sondert das C. B. eine Fraction Kühne-Riedel als
linkes Centrum von der eigentlichen Linken ab. Was Herrn Kühne betrifft, so
pflegt er sich nicht einer bestimmten Fraction geradezu anzuschließen, sondern sich
auf einen ungebundenen freundschaftlichen Verkehr mit deu Mitgliedern der libe¬
ralen Partei zu beschränken; so ist er während der vorigen Session bei den Vor¬
berathungen der Fractionen Helgoland und Baumstark mehrmals zugegen gewesen,
und hat doch seine Ansichten über die handelspolitische Frage im "Preußischen
Wochenblatt" niedergelegt. Er wird von diesem Verfahren schwerlich abgehen,
am wenigsten in einer Zeit, in der er sich vielleicht veranlaßt fühlen könnte, bei
dieser oder jener Frage einen eigenthümlichen Gang einzuschlagen. Die Fraction
Riedel ist schon seit zwei Jahren mit der Fraction Helgoland so regelmäßig
Hand in Hand gegangen, daß die Sonderung lediglich formal ist. Da sie im
Sommer des vorigen Jahres durch Mandatöniederlegungen und ungünstige Nach¬
wahlen einige Einbuße erlitten hatte, kam am Beginn der letzten Session ihre
Verschmelzung mit der Fraction Helgoland zur Sprache; es zeigte sich jedoch bald,
daß sie noch eine genügende Anzahl von Mitgliedern besaß, und da hielt man
ihre Fortexistenz als gesonderte Fraction, vornehmlich zur Erleichterung der Vvr-
bcrathungen durch Bildung kleinerer Kreise, für empfehlenswerth. Ob dasselbe auch
jetzt der Fall sein wird, wo die constitutionelle Partei numerisch schwächer und
die Bildung eines wirklichen linken Centrums durch die Herren von Bethmann-
Hollweg und Mathis ziemlich sicher ist, scheint mir zweifelhaft. Jedenfalls wird
nicht eine Meinungsdifferenz, sondern nur die Rücksicht auf die Nützlichkeit für die
Entscheidung der Frage, ob die Fraction Riedel gesondert fortbestehen soll, ma߬
gebend sein.

Die Nachricht, daß Simson ein Mandat abgelehnt hat, ist zwar nirgends
dementirt worden; indeß muß ich mir erlauben, sie bis auf Weiteres zu bezwei-


solcher Hartnäckigkeit in eine ganz einseitige Richtung verrannt ist, der die ver¬
schiedensten Gebiete der Kunst und des Lebens nur von seinem exclustveu kirch¬
lichen Standpunkt beurtheilt und gleichwol durch seine Bildung, wie durch die
Welt, in der er lebt, zu einer- unbefangenen Anschauungsweise gedrängt wird,
für die feudale Partei, zu der er seiner Grundstimmung uach gehört, wie für die
liberale Partei, zu der den Rheinländer Leben und Bildung ziehen, ein gleich
unzuverlässiger Bundesgenosse sein muß. Es ist daher Grund zu der Annahme
vorhanden, daß die Ultramontanen, die sich Herrn Reichensperger anschließen,
ein reines Centrum zu bilden, und bei Fragen, bei denen sie nicht speciell interessirt
sind, jede Resolution im Sumpfe der Mitte stecken zu lassen sich bemühen werden.
Jedenfalls wird die constitutionelle Partei gut thun, sich bei Zeiten und genau
über die Intentionen dieser Fraction zu unterrichten und sich nicht auf bloße
Vermuthungen hin durch die Hoffnung, hier und da die Majorität zu erlangen,
in eine schiefe Stellung drängen zu lassen.

Aus der andern Seite sondert das C. B. eine Fraction Kühne-Riedel als
linkes Centrum von der eigentlichen Linken ab. Was Herrn Kühne betrifft, so
pflegt er sich nicht einer bestimmten Fraction geradezu anzuschließen, sondern sich
auf einen ungebundenen freundschaftlichen Verkehr mit deu Mitgliedern der libe¬
ralen Partei zu beschränken; so ist er während der vorigen Session bei den Vor¬
berathungen der Fractionen Helgoland und Baumstark mehrmals zugegen gewesen,
und hat doch seine Ansichten über die handelspolitische Frage im „Preußischen
Wochenblatt" niedergelegt. Er wird von diesem Verfahren schwerlich abgehen,
am wenigsten in einer Zeit, in der er sich vielleicht veranlaßt fühlen könnte, bei
dieser oder jener Frage einen eigenthümlichen Gang einzuschlagen. Die Fraction
Riedel ist schon seit zwei Jahren mit der Fraction Helgoland so regelmäßig
Hand in Hand gegangen, daß die Sonderung lediglich formal ist. Da sie im
Sommer des vorigen Jahres durch Mandatöniederlegungen und ungünstige Nach¬
wahlen einige Einbuße erlitten hatte, kam am Beginn der letzten Session ihre
Verschmelzung mit der Fraction Helgoland zur Sprache; es zeigte sich jedoch bald,
daß sie noch eine genügende Anzahl von Mitgliedern besaß, und da hielt man
ihre Fortexistenz als gesonderte Fraction, vornehmlich zur Erleichterung der Vvr-
bcrathungen durch Bildung kleinerer Kreise, für empfehlenswerth. Ob dasselbe auch
jetzt der Fall sein wird, wo die constitutionelle Partei numerisch schwächer und
die Bildung eines wirklichen linken Centrums durch die Herren von Bethmann-
Hollweg und Mathis ziemlich sicher ist, scheint mir zweifelhaft. Jedenfalls wird
nicht eine Meinungsdifferenz, sondern nur die Rücksicht auf die Nützlichkeit für die
Entscheidung der Frage, ob die Fraction Riedel gesondert fortbestehen soll, ma߬
gebend sein.

Die Nachricht, daß Simson ein Mandat abgelehnt hat, ist zwar nirgends
dementirt worden; indeß muß ich mir erlauben, sie bis auf Weiteres zu bezwei-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/399>, abgerufen am 27.09.2024.