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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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Manne den Bruch mit der kirchlichen Union in auffälliger Weise zu markiren.
Wir hoffen, daß der Gewählte, nachdem er auch zu politischer Wirksamkeit berufen
ist, es nicht verkennen wird, wie die Versuche, durch eine Zerreißung des Landes
in scharf gesonderte Provinzen, und schließlich in die ursprünglichen Territorien,
aus denen Preußen im Laufe der Jahrhunderte mühsam zusammengewachsen ist,
die Staatseinheit zu stören; wie serner die Versuche, das Volk in Stände zu
zerklüften und diese damit zu beauftragen, ihre Specialinteressen gegen einander
wahrzunehmen und geltend zu machen; und wie endlich die unduldsamen Be¬
strebungen auf dem ihm besonders nahe liegenden kirchlichen Gebiete, die Con¬
traste der Konfessionen in ein grelles Licht zu stellen und auch hier das Werk
der Eintracht, die Union, allmählich zu zerbröckeln, alle aus derselben Quelle
stammen, aus dem Geiste, der Staat und Kirche in Atome zersetzt, um die ge¬
meinsamen höheren Ideen durch crasser Materialismus absorbiren, und jede
höhere Einigung durch Anstachelung der exclusiver Subjectivität stören
zu lassen.

In Betreff der Parteistellung in der künftigen zweiten Kammer hat das
C. B. eine Zusammenstellung geliefert, die leicht zu schiefen Ansichten, unbegrün¬
deten Erwartungen und in Folge dessen zu schädlicher Entmuthigung Anlaß
geben könnte. Die genannte Lithographie wirft Polen und Ultramontane schlecht¬
weg in die Opposition. Das ist irrig. Die Polen haben in der letzten Zeit
nur bei der deutschen Frage zusammengehalten und hier das Nichtinterventions-
priucip befolgt, im Uebrigen stimmten sie mit verschiedenen Parteien, die Mehr¬
zahl, wie Graf Cießkowski, v. Zoltowski, v. Morawski, Sobeski u. A. mit der
Linken, Andere, wie Graf Poninski, v. Pokrzywnicki mit der Rechten. Unter
den jetzt gewählten Polen befinden sich mehrere mir unbekannte Personen, und
es ist anzunehmen, daß auch dieses Mal wieder eine Minorität mit der Negie¬
rung gehen wird. Eben so waren bisher eifrige Katholiken in allen Parteien
zu finden; nur eine geringe Anzahl hatte sich vereinigt, unter der Führung der
Herrn Reichensperger und 'Osterrath einen eigenen Gang einzuschlagen, --
ein Versuch, der unter ihren Glaubensgenossen bisher keinen großen Anklang
fand. In der nächsten Session wird diese Fraction allerdings bedeutend stärker
sein; welche Stellung sie aber in den nichtkirchlichen Fragen einnehmen wird, ist
um so zweifelhafter, als das Austreten der Fraction schon früher, trotz einer
leichten liberalen Färbung, völlig unberechenbar war. Herr Reichensperger wurzelt
mit seinem ganzen Wesen zu sehr im Mittelalter, als daß er für ein consequentes
Vertreten liberaler Grundsätze eine Bürgschaft liefern könnte. Wer Gelegenheit
gehabt hat, das große Aergerniß kennen zu lernen, welches ihm Bauwerke, wie
unser altes Museum, das Brandenburger Thor mit seiner Victoria u. a. einflößen,
-- Bauwerke, bei deren Anblick uus profanen Menschenkindern lustig die Seele
ausgeht -- wird den Eindruck mitgenommen haben, daß ein Mann, der mit


Manne den Bruch mit der kirchlichen Union in auffälliger Weise zu markiren.
Wir hoffen, daß der Gewählte, nachdem er auch zu politischer Wirksamkeit berufen
ist, es nicht verkennen wird, wie die Versuche, durch eine Zerreißung des Landes
in scharf gesonderte Provinzen, und schließlich in die ursprünglichen Territorien,
aus denen Preußen im Laufe der Jahrhunderte mühsam zusammengewachsen ist,
die Staatseinheit zu stören; wie serner die Versuche, das Volk in Stände zu
zerklüften und diese damit zu beauftragen, ihre Specialinteressen gegen einander
wahrzunehmen und geltend zu machen; und wie endlich die unduldsamen Be¬
strebungen auf dem ihm besonders nahe liegenden kirchlichen Gebiete, die Con¬
traste der Konfessionen in ein grelles Licht zu stellen und auch hier das Werk
der Eintracht, die Union, allmählich zu zerbröckeln, alle aus derselben Quelle
stammen, aus dem Geiste, der Staat und Kirche in Atome zersetzt, um die ge¬
meinsamen höheren Ideen durch crasser Materialismus absorbiren, und jede
höhere Einigung durch Anstachelung der exclusiver Subjectivität stören
zu lassen.

In Betreff der Parteistellung in der künftigen zweiten Kammer hat das
C. B. eine Zusammenstellung geliefert, die leicht zu schiefen Ansichten, unbegrün¬
deten Erwartungen und in Folge dessen zu schädlicher Entmuthigung Anlaß
geben könnte. Die genannte Lithographie wirft Polen und Ultramontane schlecht¬
weg in die Opposition. Das ist irrig. Die Polen haben in der letzten Zeit
nur bei der deutschen Frage zusammengehalten und hier das Nichtinterventions-
priucip befolgt, im Uebrigen stimmten sie mit verschiedenen Parteien, die Mehr¬
zahl, wie Graf Cießkowski, v. Zoltowski, v. Morawski, Sobeski u. A. mit der
Linken, Andere, wie Graf Poninski, v. Pokrzywnicki mit der Rechten. Unter
den jetzt gewählten Polen befinden sich mehrere mir unbekannte Personen, und
es ist anzunehmen, daß auch dieses Mal wieder eine Minorität mit der Negie¬
rung gehen wird. Eben so waren bisher eifrige Katholiken in allen Parteien
zu finden; nur eine geringe Anzahl hatte sich vereinigt, unter der Führung der
Herrn Reichensperger und 'Osterrath einen eigenen Gang einzuschlagen, —
ein Versuch, der unter ihren Glaubensgenossen bisher keinen großen Anklang
fand. In der nächsten Session wird diese Fraction allerdings bedeutend stärker
sein; welche Stellung sie aber in den nichtkirchlichen Fragen einnehmen wird, ist
um so zweifelhafter, als das Austreten der Fraction schon früher, trotz einer
leichten liberalen Färbung, völlig unberechenbar war. Herr Reichensperger wurzelt
mit seinem ganzen Wesen zu sehr im Mittelalter, als daß er für ein consequentes
Vertreten liberaler Grundsätze eine Bürgschaft liefern könnte. Wer Gelegenheit
gehabt hat, das große Aergerniß kennen zu lernen, welches ihm Bauwerke, wie
unser altes Museum, das Brandenburger Thor mit seiner Victoria u. a. einflößen,
— Bauwerke, bei deren Anblick uus profanen Menschenkindern lustig die Seele
ausgeht — wird den Eindruck mitgenommen haben, daß ein Mann, der mit


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[0398] Manne den Bruch mit der kirchlichen Union in auffälliger Weise zu markiren. Wir hoffen, daß der Gewählte, nachdem er auch zu politischer Wirksamkeit berufen ist, es nicht verkennen wird, wie die Versuche, durch eine Zerreißung des Landes in scharf gesonderte Provinzen, und schließlich in die ursprünglichen Territorien, aus denen Preußen im Laufe der Jahrhunderte mühsam zusammengewachsen ist, die Staatseinheit zu stören; wie serner die Versuche, das Volk in Stände zu zerklüften und diese damit zu beauftragen, ihre Specialinteressen gegen einander wahrzunehmen und geltend zu machen; und wie endlich die unduldsamen Be¬ strebungen auf dem ihm besonders nahe liegenden kirchlichen Gebiete, die Con¬ traste der Konfessionen in ein grelles Licht zu stellen und auch hier das Werk der Eintracht, die Union, allmählich zu zerbröckeln, alle aus derselben Quelle stammen, aus dem Geiste, der Staat und Kirche in Atome zersetzt, um die ge¬ meinsamen höheren Ideen durch crasser Materialismus absorbiren, und jede höhere Einigung durch Anstachelung der exclusiver Subjectivität stören zu lassen. In Betreff der Parteistellung in der künftigen zweiten Kammer hat das C. B. eine Zusammenstellung geliefert, die leicht zu schiefen Ansichten, unbegrün¬ deten Erwartungen und in Folge dessen zu schädlicher Entmuthigung Anlaß geben könnte. Die genannte Lithographie wirft Polen und Ultramontane schlecht¬ weg in die Opposition. Das ist irrig. Die Polen haben in der letzten Zeit nur bei der deutschen Frage zusammengehalten und hier das Nichtinterventions- priucip befolgt, im Uebrigen stimmten sie mit verschiedenen Parteien, die Mehr¬ zahl, wie Graf Cießkowski, v. Zoltowski, v. Morawski, Sobeski u. A. mit der Linken, Andere, wie Graf Poninski, v. Pokrzywnicki mit der Rechten. Unter den jetzt gewählten Polen befinden sich mehrere mir unbekannte Personen, und es ist anzunehmen, daß auch dieses Mal wieder eine Minorität mit der Negie¬ rung gehen wird. Eben so waren bisher eifrige Katholiken in allen Parteien zu finden; nur eine geringe Anzahl hatte sich vereinigt, unter der Führung der Herrn Reichensperger und 'Osterrath einen eigenen Gang einzuschlagen, — ein Versuch, der unter ihren Glaubensgenossen bisher keinen großen Anklang fand. In der nächsten Session wird diese Fraction allerdings bedeutend stärker sein; welche Stellung sie aber in den nichtkirchlichen Fragen einnehmen wird, ist um so zweifelhafter, als das Austreten der Fraction schon früher, trotz einer leichten liberalen Färbung, völlig unberechenbar war. Herr Reichensperger wurzelt mit seinem ganzen Wesen zu sehr im Mittelalter, als daß er für ein consequentes Vertreten liberaler Grundsätze eine Bürgschaft liefern könnte. Wer Gelegenheit gehabt hat, das große Aergerniß kennen zu lernen, welches ihm Bauwerke, wie unser altes Museum, das Brandenburger Thor mit seiner Victoria u. a. einflößen, — Bauwerke, bei deren Anblick uus profanen Menschenkindern lustig die Seele ausgeht — wird den Eindruck mitgenommen haben, daß ein Mann, der mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/398>, abgerufen am 27.09.2024.