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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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eines veränderten Stimmenverhältnisses kann man bei Nachwahlen für Opposttions-
candidaten mit ziemlicher Bestimmtheit als Regel aufstellen; denn zu den bereits
angedeuteten Gründen für die Erschlaffung der Majorität treten in diesem Falle
noch neue und sehr wirksame Motive hinzu. Daß die Zahl der Personen, denen
es völlig gleichgiltig ist, ob sie mit der Polizei und der Regierung auf freund¬
schaftlichem Fuße stehen oder nicht, bei uns sehr gering ist, habe ich an diesem
Orte schon einmal hervorgehoben; aber auch da, wo eine Abhängigkeit von den
Behörden nicht stattfindet, greift die öffentliche Abstimmung nicht selten in die
Geschäftsverhältnisse des Einzelnen störend ein, so daß ein Wahlact in dieser
Form auch für viele scheinbar unabhängige Personen mehr eine Unannehmlichkeit
als ein Vergnügen ist. Zweimal in kurzer Frist für Oppositionscaudidaten
stimmen, scheint hartnäckig nud tendenziös; und es wird für den Einzelnen um
so peinlicher, wenn er vielleicht in der Zwischenzeit schon die verdrießlichen Folgen
seiner ersten Abstimmung gespürt zu haben glaubt, auch da, wo sie nicht, wie
jetzt in Breslau, durch eine öffentliche Annonce provocirt werden. Solche Be¬
trachtungen geben um so eher deu Ausschlag, wo man sich um einer Sache willen
gefährden soll, deren Sieg doch noch immer nicht in Aussicht steht. Das sind
die Momente, deren Zusammenwirken den Ausfall der Nachwahlen für Oppo¬
sitionscaudidaten so zweifelhaft machen, daß ich bei meiner Berechnung der Partei-
starke die Doppclwahlen von Oppositionscaudidaten stets nur als einfache in
Anschlag brachte. Es ist wichtig, sich dieses Verhältniß ganz klar zu machen,
um sich zu überzeugen, daß die Oppositionspartei gerade bei solchen Nachwählen
mit ganz besonderer Umsicht und Energie zu Werke gehen muß. Unter den
Gründen, daß das Stimmcnverhältniß während der verflossenen Legislaturperiode
eine so totale Umgestaltung erfuhr, nimmt der Umstand, daß die constitutionelle
Partei jene Regel noch nicht klar erkannt hatte, eine vorzügliche Stelle ein.
Daß jetzt in Cöln statt Camphansenö der klerikale Kandidat, in Duisburg statt
der Herren Kühne und Bethmann-Hvllweg die ministeriellen Kandidaten den Sieg
davon trugen, beweist, daß die frühere Majorität von dem zweifelhaften Cha¬
rakter der Nachwahlen nicht hinlänglich überzeugt war.

In Stelle Neander's ist von dem hiesigen Gemeinderath der Oberconsistorial-
ratl), or. Nitzsch in die erste Kammer gewählt worden. Nitzsch ist bekanntlich
das einzige Mitglied des Oberkirchenraths, welches rein und treu an der kirch¬
lichen Union, dem von dem verstorbenen Könige mit so vieler Hingebung und
Ausdauer geförderten Kriedenswerke, festhält. Er nimmt deshalb in jener Be¬
hörde eine isolirte, man möchte fast sagen, blos geduldete Stellung ein; und daß
er in ihr überhaupt noch einen Platz behält, ist wol weniger dem Umstände,
daß die von ihm vertretene Sache unter seinen Kollegen noch eine zustimmende
Anerkennung findet, als der Persönlichkeit dieses würdigen und gelehrten Theo¬
logen beizumessen; es schien noch nicht rathsam, schon jetzt und an einem solchen


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eines veränderten Stimmenverhältnisses kann man bei Nachwahlen für Opposttions-
candidaten mit ziemlicher Bestimmtheit als Regel aufstellen; denn zu den bereits
angedeuteten Gründen für die Erschlaffung der Majorität treten in diesem Falle
noch neue und sehr wirksame Motive hinzu. Daß die Zahl der Personen, denen
es völlig gleichgiltig ist, ob sie mit der Polizei und der Regierung auf freund¬
schaftlichem Fuße stehen oder nicht, bei uns sehr gering ist, habe ich an diesem
Orte schon einmal hervorgehoben; aber auch da, wo eine Abhängigkeit von den
Behörden nicht stattfindet, greift die öffentliche Abstimmung nicht selten in die
Geschäftsverhältnisse des Einzelnen störend ein, so daß ein Wahlact in dieser
Form auch für viele scheinbar unabhängige Personen mehr eine Unannehmlichkeit
als ein Vergnügen ist. Zweimal in kurzer Frist für Oppositionscaudidaten
stimmen, scheint hartnäckig nud tendenziös; und es wird für den Einzelnen um
so peinlicher, wenn er vielleicht in der Zwischenzeit schon die verdrießlichen Folgen
seiner ersten Abstimmung gespürt zu haben glaubt, auch da, wo sie nicht, wie
jetzt in Breslau, durch eine öffentliche Annonce provocirt werden. Solche Be¬
trachtungen geben um so eher deu Ausschlag, wo man sich um einer Sache willen
gefährden soll, deren Sieg doch noch immer nicht in Aussicht steht. Das sind
die Momente, deren Zusammenwirken den Ausfall der Nachwahlen für Oppo¬
sitionscaudidaten so zweifelhaft machen, daß ich bei meiner Berechnung der Partei-
starke die Doppclwahlen von Oppositionscaudidaten stets nur als einfache in
Anschlag brachte. Es ist wichtig, sich dieses Verhältniß ganz klar zu machen,
um sich zu überzeugen, daß die Oppositionspartei gerade bei solchen Nachwählen
mit ganz besonderer Umsicht und Energie zu Werke gehen muß. Unter den
Gründen, daß das Stimmcnverhältniß während der verflossenen Legislaturperiode
eine so totale Umgestaltung erfuhr, nimmt der Umstand, daß die constitutionelle
Partei jene Regel noch nicht klar erkannt hatte, eine vorzügliche Stelle ein.
Daß jetzt in Cöln statt Camphansenö der klerikale Kandidat, in Duisburg statt
der Herren Kühne und Bethmann-Hvllweg die ministeriellen Kandidaten den Sieg
davon trugen, beweist, daß die frühere Majorität von dem zweifelhaften Cha¬
rakter der Nachwahlen nicht hinlänglich überzeugt war.

In Stelle Neander's ist von dem hiesigen Gemeinderath der Oberconsistorial-
ratl), or. Nitzsch in die erste Kammer gewählt worden. Nitzsch ist bekanntlich
das einzige Mitglied des Oberkirchenraths, welches rein und treu an der kirch¬
lichen Union, dem von dem verstorbenen Könige mit so vieler Hingebung und
Ausdauer geförderten Kriedenswerke, festhält. Er nimmt deshalb in jener Be¬
hörde eine isolirte, man möchte fast sagen, blos geduldete Stellung ein; und daß
er in ihr überhaupt noch einen Platz behält, ist wol weniger dem Umstände,
daß die von ihm vertretene Sache unter seinen Kollegen noch eine zustimmende
Anerkennung findet, als der Persönlichkeit dieses würdigen und gelehrten Theo¬
logen beizumessen; es schien noch nicht rathsam, schon jetzt und an einem solchen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/397>, abgerufen am 27.09.2024.