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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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am Ende in das Loos finden, Theile des französischen Heeres zu werden. So
viel ist gewiß, um den Preis einer Hilfe im Kriege gegen Oestreich könnte Louis
Napoleon von Sardinien sehr viel, ja vielleicht die Verzichtleistung aus eine
constitutionelle Regierungsform erlangen.

Dies ist der jetzige Zustand des constitutionellen Systems in Sardinien.'
Man sieht, für die Gegenwart wenigstens noch sind die Freunde desselben weit
mächtiger und namentlich einiger als seine Gegner.

Wer aber die segensreichen Folgen sehen will, welche die neue Verfassung
schon in den wenigen Jahren ihres Bestehens ans alle Verhältnisse Sardiniens
ausgeübt hat, der betrete nur dessen Grenzen. Welch Unterschied in Allem, so
wie man den Ticino überschritten hat. In Sardinien brauchen die Postwagen
keine starke Bedeckung, die Landstraßen sind nicht, wie überall sonst in Italien,
mit Gendarmerie und Militärpatrouillen bedeckt, und doch reist man überall mit
der größten Sicherheit; überall herrscht Ruhe und Ordnung, ohne zu ihrer Auf¬
rechterhaltung der Bayonette nöthig zu haben. In dieser Hinsicht bildet Sar¬
dinien eine glänzende Ausnahme vor allen Staaten der italienischen Halbinsel,

Außer in den ganz arme", rauhen Gebirgsgegenden Savoyens, herrscht
überall keine große, wenigstens sichtbare Armuth, und die Schaaren der Bettler
jeglichen Alters und Geschlechts, die sonst in Italien den Reisenden fast zur Ver¬
zweiflung bringen, haben sich hier sehr verringert; auch die Wunden der letzten
Kriegsjahre sind schon größtentheils vernarbt, und wenn anch die Steuerlast,
die das Land zu tragen hat, sehr bedeutend ist, so wird doch ihr Druck durch
eine sehr zweckmäßige, besonders die ärmeren Klassen schonende Verkeilung be¬
deutend gelindert. Auch hierin ist der Sardinier in großem Vorzug gegen seineu
Nachbar, den Longobarden, der außer hohen Abgaben noch eine große und
sast beständige Einquartierungslast zu tragen hat.

Für eine schnelle und gerechte Justiz, dieses erste Erforderniß eines ge¬
sunden Staatslebens, wird von Turin ans alles Mögliche gethan, und man hat
in den letzten Jahren sehr umfassende Reformen durchgeführt, deren Wohlthätig¬
keit auf den heillosen Zustand, in dem sich die Gerechtigkeitspflege in dem
übrigen Italien befindet, sich noch lebhafter fühlbar macht.

Der Schulunterricht, der bis zum Jahre 18i8 in ganz. Sardinien, wie
überall in Italien, sehr darnieder lag, wird nach besten Kräften jetzt gehoben.
Daß dies nicht so rasch geht, und besonders die ländlichen Schulanstalten noch
Vieles zu wünschen übrig lassen, darf nicht verwundern. Ein gutes Volksschul-
wesen kaun selbst beim eifrigsten Willen nicht in einigen Jahren hervorgezaubert
werden. Es bedarf vor Allem tüchtiger Lehrer für dasselbe, und diese fehlen
noch vielfach im Königreich Sardinien, und müssen erst allmählich herangebildet
werden. Der gute Wille hierzu ist aber bei dem Ministerium, wie bei den
Kammern vorhanden, und treten nicht störende Einflüsse von Außen dazwischen,


am Ende in das Loos finden, Theile des französischen Heeres zu werden. So
viel ist gewiß, um den Preis einer Hilfe im Kriege gegen Oestreich könnte Louis
Napoleon von Sardinien sehr viel, ja vielleicht die Verzichtleistung aus eine
constitutionelle Regierungsform erlangen.

Dies ist der jetzige Zustand des constitutionellen Systems in Sardinien.'
Man sieht, für die Gegenwart wenigstens noch sind die Freunde desselben weit
mächtiger und namentlich einiger als seine Gegner.

Wer aber die segensreichen Folgen sehen will, welche die neue Verfassung
schon in den wenigen Jahren ihres Bestehens ans alle Verhältnisse Sardiniens
ausgeübt hat, der betrete nur dessen Grenzen. Welch Unterschied in Allem, so
wie man den Ticino überschritten hat. In Sardinien brauchen die Postwagen
keine starke Bedeckung, die Landstraßen sind nicht, wie überall sonst in Italien,
mit Gendarmerie und Militärpatrouillen bedeckt, und doch reist man überall mit
der größten Sicherheit; überall herrscht Ruhe und Ordnung, ohne zu ihrer Auf¬
rechterhaltung der Bayonette nöthig zu haben. In dieser Hinsicht bildet Sar¬
dinien eine glänzende Ausnahme vor allen Staaten der italienischen Halbinsel,

Außer in den ganz arme», rauhen Gebirgsgegenden Savoyens, herrscht
überall keine große, wenigstens sichtbare Armuth, und die Schaaren der Bettler
jeglichen Alters und Geschlechts, die sonst in Italien den Reisenden fast zur Ver¬
zweiflung bringen, haben sich hier sehr verringert; auch die Wunden der letzten
Kriegsjahre sind schon größtentheils vernarbt, und wenn anch die Steuerlast,
die das Land zu tragen hat, sehr bedeutend ist, so wird doch ihr Druck durch
eine sehr zweckmäßige, besonders die ärmeren Klassen schonende Verkeilung be¬
deutend gelindert. Auch hierin ist der Sardinier in großem Vorzug gegen seineu
Nachbar, den Longobarden, der außer hohen Abgaben noch eine große und
sast beständige Einquartierungslast zu tragen hat.

Für eine schnelle und gerechte Justiz, dieses erste Erforderniß eines ge¬
sunden Staatslebens, wird von Turin ans alles Mögliche gethan, und man hat
in den letzten Jahren sehr umfassende Reformen durchgeführt, deren Wohlthätig¬
keit auf den heillosen Zustand, in dem sich die Gerechtigkeitspflege in dem
übrigen Italien befindet, sich noch lebhafter fühlbar macht.

Der Schulunterricht, der bis zum Jahre 18i8 in ganz. Sardinien, wie
überall in Italien, sehr darnieder lag, wird nach besten Kräften jetzt gehoben.
Daß dies nicht so rasch geht, und besonders die ländlichen Schulanstalten noch
Vieles zu wünschen übrig lassen, darf nicht verwundern. Ein gutes Volksschul-
wesen kaun selbst beim eifrigsten Willen nicht in einigen Jahren hervorgezaubert
werden. Es bedarf vor Allem tüchtiger Lehrer für dasselbe, und diese fehlen
noch vielfach im Königreich Sardinien, und müssen erst allmählich herangebildet
werden. Der gute Wille hierzu ist aber bei dem Ministerium, wie bei den
Kammern vorhanden, und treten nicht störende Einflüsse von Außen dazwischen,


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[0394] am Ende in das Loos finden, Theile des französischen Heeres zu werden. So viel ist gewiß, um den Preis einer Hilfe im Kriege gegen Oestreich könnte Louis Napoleon von Sardinien sehr viel, ja vielleicht die Verzichtleistung aus eine constitutionelle Regierungsform erlangen. Dies ist der jetzige Zustand des constitutionellen Systems in Sardinien.' Man sieht, für die Gegenwart wenigstens noch sind die Freunde desselben weit mächtiger und namentlich einiger als seine Gegner. Wer aber die segensreichen Folgen sehen will, welche die neue Verfassung schon in den wenigen Jahren ihres Bestehens ans alle Verhältnisse Sardiniens ausgeübt hat, der betrete nur dessen Grenzen. Welch Unterschied in Allem, so wie man den Ticino überschritten hat. In Sardinien brauchen die Postwagen keine starke Bedeckung, die Landstraßen sind nicht, wie überall sonst in Italien, mit Gendarmerie und Militärpatrouillen bedeckt, und doch reist man überall mit der größten Sicherheit; überall herrscht Ruhe und Ordnung, ohne zu ihrer Auf¬ rechterhaltung der Bayonette nöthig zu haben. In dieser Hinsicht bildet Sar¬ dinien eine glänzende Ausnahme vor allen Staaten der italienischen Halbinsel, Außer in den ganz arme», rauhen Gebirgsgegenden Savoyens, herrscht überall keine große, wenigstens sichtbare Armuth, und die Schaaren der Bettler jeglichen Alters und Geschlechts, die sonst in Italien den Reisenden fast zur Ver¬ zweiflung bringen, haben sich hier sehr verringert; auch die Wunden der letzten Kriegsjahre sind schon größtentheils vernarbt, und wenn anch die Steuerlast, die das Land zu tragen hat, sehr bedeutend ist, so wird doch ihr Druck durch eine sehr zweckmäßige, besonders die ärmeren Klassen schonende Verkeilung be¬ deutend gelindert. Auch hierin ist der Sardinier in großem Vorzug gegen seineu Nachbar, den Longobarden, der außer hohen Abgaben noch eine große und sast beständige Einquartierungslast zu tragen hat. Für eine schnelle und gerechte Justiz, dieses erste Erforderniß eines ge¬ sunden Staatslebens, wird von Turin ans alles Mögliche gethan, und man hat in den letzten Jahren sehr umfassende Reformen durchgeführt, deren Wohlthätig¬ keit auf den heillosen Zustand, in dem sich die Gerechtigkeitspflege in dem übrigen Italien befindet, sich noch lebhafter fühlbar macht. Der Schulunterricht, der bis zum Jahre 18i8 in ganz. Sardinien, wie überall in Italien, sehr darnieder lag, wird nach besten Kräften jetzt gehoben. Daß dies nicht so rasch geht, und besonders die ländlichen Schulanstalten noch Vieles zu wünschen übrig lassen, darf nicht verwundern. Ein gutes Volksschul- wesen kaun selbst beim eifrigsten Willen nicht in einigen Jahren hervorgezaubert werden. Es bedarf vor Allem tüchtiger Lehrer für dasselbe, und diese fehlen noch vielfach im Königreich Sardinien, und müssen erst allmählich herangebildet werden. Der gute Wille hierzu ist aber bei dem Ministerium, wie bei den Kammern vorhanden, und treten nicht störende Einflüsse von Außen dazwischen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/394>, abgerufen am 27.09.2024.