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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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Wir hielten uns in Cleveland ebenfalls einen Tag ans, und wohnten im
Kaiser Napoleon, einem kleinen, saubern Gasthause im obern Theile der Stadt.
Man hatte von hier eine vortreffliche Aussicht, konnte zum Zeitvertreib über die
verschiedenen Costume der großen Armee, mit deren Abbildungen der Wirth, ein
alter Soldat und begeisterter Verehrer des kleinen Korporals, die Wände seines
Barrooms geziert hatte, Heerschau halten, und, bekam einen recht trinkbaren
Bordeaux für einen mäßigen Preis. Weniger augenehm waren die unzähligen
Wanzen, die Herrn Emmerich's Hans zur Wohnung gewählt hatten. Da sie
indessen eine allgemeine Plage sind und gleich deu Ratten und Stechapfelstauden
gewissermaßen zu den charakteristischen Merkmalen amerikanischen Lebens gehören,
so hatte man gute Miene zum bösen Spiele zu machen. Selbst in dem pracht¬
vollen Wedell-House drunten ans der Maistreet tollen die Passagiere vergeblich
gegen den Stachel dieser niederzüchtigen Rothhäute.

Einen Theil des Abends verbrachten wir in einer nebenan befindlichen
Schänke, deren Besitzer mir als ehemaliger deutschkatholischer Geistlicher und
Mitkämpfer in Baden vorgestellt wurde. Es war hier eines der westlichen Haupt¬
quartiere desjenigen Theils der deutschen Emigration, welche der unglückliche Aus-
gang der Aufstände von 1849 nach Amerika geworfen hat. Ich verspare eine
Charakteristik dieser Herren auf einen andern Aufsatz. Hier nur so viel, daß die
Barrikadenmänner, die ich in Cleveland sprach, der Ueberzeugung lebten, daß
auch der Uankcerepnblik eine Revolution Noth thue und unausbleiblich bevorstehe
-- eine Faselei, die man ihnen gern verzieh, wenn mau hörte, wie die armen
Sünder sich nach den Fleischtöpfen Aegyptens zurücksehnten, obgleich dieselben mich
hier (aber freilich nicht durch eiteles Gerede) zu erlangen waren. In der That,
die Verblendung mancher von diesen Menschen wird nnr von ihrem Eigendünkel an
Mammuthhaftigkeit überboten. Statt dem Volke, das ihnen eine comfortable
Freistätte gewährte, dankbar zu sein, schimpfen sie wie die Rohrsperlinge mit
Heinzenschen Kraftwörtern auf die Landessitten, und statt sich in deu Organismus
der hier wirkenden Kräfte einzufügen und Etwas von ihm oder wenigstens über ihn
zu lernen, möchten sie, und würden sie, wofern ihre Niesenzunge nicht in einem
Zwergenkörper säße, der Union ihre Penaten vom Hausaltare stoßen. Wie die
Sachen jetzt stehen (und beiläufig stehen bleiben werden), müssen sie sich mit der
fixen Idee, das Ferment zu sein, welches zur Umgestaltung der transatlantischen
Welt herübergekommen, und mit gelegentlichem Schulmeistern über das, was ge¬
than und gelassen werden solle, begnügen. Daß der Mond aber auf das Gebelfer
der Kläffer nicht hört, sondern bei seiner Natur und seinem Gange bleibt, ver¬
wandelt den Gram in Grimm, den Eifer in Geifer, den Wahn in Wahnsinn,
und man weiß in der That zuweilen nicht, ob man es mit Leuten zu thun hat,
die heil im Hirne sind.

D.as Deutschthum ist übrigens in Cleveland durch etwa dreitausend seiner


Wir hielten uns in Cleveland ebenfalls einen Tag ans, und wohnten im
Kaiser Napoleon, einem kleinen, saubern Gasthause im obern Theile der Stadt.
Man hatte von hier eine vortreffliche Aussicht, konnte zum Zeitvertreib über die
verschiedenen Costume der großen Armee, mit deren Abbildungen der Wirth, ein
alter Soldat und begeisterter Verehrer des kleinen Korporals, die Wände seines
Barrooms geziert hatte, Heerschau halten, und, bekam einen recht trinkbaren
Bordeaux für einen mäßigen Preis. Weniger augenehm waren die unzähligen
Wanzen, die Herrn Emmerich's Hans zur Wohnung gewählt hatten. Da sie
indessen eine allgemeine Plage sind und gleich deu Ratten und Stechapfelstauden
gewissermaßen zu den charakteristischen Merkmalen amerikanischen Lebens gehören,
so hatte man gute Miene zum bösen Spiele zu machen. Selbst in dem pracht¬
vollen Wedell-House drunten ans der Maistreet tollen die Passagiere vergeblich
gegen den Stachel dieser niederzüchtigen Rothhäute.

Einen Theil des Abends verbrachten wir in einer nebenan befindlichen
Schänke, deren Besitzer mir als ehemaliger deutschkatholischer Geistlicher und
Mitkämpfer in Baden vorgestellt wurde. Es war hier eines der westlichen Haupt¬
quartiere desjenigen Theils der deutschen Emigration, welche der unglückliche Aus-
gang der Aufstände von 1849 nach Amerika geworfen hat. Ich verspare eine
Charakteristik dieser Herren auf einen andern Aufsatz. Hier nur so viel, daß die
Barrikadenmänner, die ich in Cleveland sprach, der Ueberzeugung lebten, daß
auch der Uankcerepnblik eine Revolution Noth thue und unausbleiblich bevorstehe
— eine Faselei, die man ihnen gern verzieh, wenn mau hörte, wie die armen
Sünder sich nach den Fleischtöpfen Aegyptens zurücksehnten, obgleich dieselben mich
hier (aber freilich nicht durch eiteles Gerede) zu erlangen waren. In der That,
die Verblendung mancher von diesen Menschen wird nnr von ihrem Eigendünkel an
Mammuthhaftigkeit überboten. Statt dem Volke, das ihnen eine comfortable
Freistätte gewährte, dankbar zu sein, schimpfen sie wie die Rohrsperlinge mit
Heinzenschen Kraftwörtern auf die Landessitten, und statt sich in deu Organismus
der hier wirkenden Kräfte einzufügen und Etwas von ihm oder wenigstens über ihn
zu lernen, möchten sie, und würden sie, wofern ihre Niesenzunge nicht in einem
Zwergenkörper säße, der Union ihre Penaten vom Hausaltare stoßen. Wie die
Sachen jetzt stehen (und beiläufig stehen bleiben werden), müssen sie sich mit der
fixen Idee, das Ferment zu sein, welches zur Umgestaltung der transatlantischen
Welt herübergekommen, und mit gelegentlichem Schulmeistern über das, was ge¬
than und gelassen werden solle, begnügen. Daß der Mond aber auf das Gebelfer
der Kläffer nicht hört, sondern bei seiner Natur und seinem Gange bleibt, ver¬
wandelt den Gram in Grimm, den Eifer in Geifer, den Wahn in Wahnsinn,
und man weiß in der That zuweilen nicht, ob man es mit Leuten zu thun hat,
die heil im Hirne sind.

D.as Deutschthum ist übrigens in Cleveland durch etwa dreitausend seiner


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[0383] Wir hielten uns in Cleveland ebenfalls einen Tag ans, und wohnten im Kaiser Napoleon, einem kleinen, saubern Gasthause im obern Theile der Stadt. Man hatte von hier eine vortreffliche Aussicht, konnte zum Zeitvertreib über die verschiedenen Costume der großen Armee, mit deren Abbildungen der Wirth, ein alter Soldat und begeisterter Verehrer des kleinen Korporals, die Wände seines Barrooms geziert hatte, Heerschau halten, und, bekam einen recht trinkbaren Bordeaux für einen mäßigen Preis. Weniger augenehm waren die unzähligen Wanzen, die Herrn Emmerich's Hans zur Wohnung gewählt hatten. Da sie indessen eine allgemeine Plage sind und gleich deu Ratten und Stechapfelstauden gewissermaßen zu den charakteristischen Merkmalen amerikanischen Lebens gehören, so hatte man gute Miene zum bösen Spiele zu machen. Selbst in dem pracht¬ vollen Wedell-House drunten ans der Maistreet tollen die Passagiere vergeblich gegen den Stachel dieser niederzüchtigen Rothhäute. Einen Theil des Abends verbrachten wir in einer nebenan befindlichen Schänke, deren Besitzer mir als ehemaliger deutschkatholischer Geistlicher und Mitkämpfer in Baden vorgestellt wurde. Es war hier eines der westlichen Haupt¬ quartiere desjenigen Theils der deutschen Emigration, welche der unglückliche Aus- gang der Aufstände von 1849 nach Amerika geworfen hat. Ich verspare eine Charakteristik dieser Herren auf einen andern Aufsatz. Hier nur so viel, daß die Barrikadenmänner, die ich in Cleveland sprach, der Ueberzeugung lebten, daß auch der Uankcerepnblik eine Revolution Noth thue und unausbleiblich bevorstehe — eine Faselei, die man ihnen gern verzieh, wenn mau hörte, wie die armen Sünder sich nach den Fleischtöpfen Aegyptens zurücksehnten, obgleich dieselben mich hier (aber freilich nicht durch eiteles Gerede) zu erlangen waren. In der That, die Verblendung mancher von diesen Menschen wird nnr von ihrem Eigendünkel an Mammuthhaftigkeit überboten. Statt dem Volke, das ihnen eine comfortable Freistätte gewährte, dankbar zu sein, schimpfen sie wie die Rohrsperlinge mit Heinzenschen Kraftwörtern auf die Landessitten, und statt sich in deu Organismus der hier wirkenden Kräfte einzufügen und Etwas von ihm oder wenigstens über ihn zu lernen, möchten sie, und würden sie, wofern ihre Niesenzunge nicht in einem Zwergenkörper säße, der Union ihre Penaten vom Hausaltare stoßen. Wie die Sachen jetzt stehen (und beiläufig stehen bleiben werden), müssen sie sich mit der fixen Idee, das Ferment zu sein, welches zur Umgestaltung der transatlantischen Welt herübergekommen, und mit gelegentlichem Schulmeistern über das, was ge¬ than und gelassen werden solle, begnügen. Daß der Mond aber auf das Gebelfer der Kläffer nicht hört, sondern bei seiner Natur und seinem Gange bleibt, ver¬ wandelt den Gram in Grimm, den Eifer in Geifer, den Wahn in Wahnsinn, und man weiß in der That zuweilen nicht, ob man es mit Leuten zu thun hat, die heil im Hirne sind. D.as Deutschthum ist übrigens in Cleveland durch etwa dreitausend seiner

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/383>, abgerufen am 27.09.2024.