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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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Wanderern und amerikanischen Auswanderern sah, das die Eisenbahn herstromeit
ließ, und die anlandenden und absegelnden Dampfboote zählte, und die wie
Ameisen aus den Thüren der Billetbureaux wimmelnden Reisenden beobachtete,
konnte man es wol für aufrichtig gemeint und wohlbegründet halten, wenn aus
dem Schilde einer dieser Anstalten aus dem Munde einer Figur, welche die äl¬
teren Bewohner des Ortes in die Betrachtung des ersten Eisenbahnzuges nach
Dunkirk versunken darstellte, die Worte Gloster's quollen:


"Nov is tre motör ok our äisoontont
Raae Zlorious summer lbs sun ol (New-) VorK!"



"Aber ick) meine, wir hätten nun genug gesehen von dem Neste," sagte der
Doctor, mit ärgerlicher Miene den Schweiß von der Stirn wischend. "Unbändige
Hitze -- grausam, wahrhaft grausam! Kommen Sie, lassen Sie uns -- hin --
lassen Sie uns, wie Cicero sich ausdrückt, miserers Milo äuleem. Versuchen
wir einen Mintjulep."

Er nahm mir das Wort von der Zunge, etwas ungrammatikalischer zwar
als billig, aber es war das Wort, und so gingen wir denn, zwei Seelen und
Ein Gedanke, und mischten das Angenehme mit dem Nützlichen. Thun wir's
auch hier. Genießen wir in Emangelung eines realen Jülep Schwarz auf Weiß
einen idealen. Mancher dürfte mir dankbar sein sür Ausschluß über die Ingre¬
dienzien, aus denen der Amerikaner sein Nationalgetränk brant. Hier ist das
Recept dazu und eine hübsche Fabel obendrein. Es wird daraus klar werden,
daß das genannte Gebräu nichts weniger als eine moderne Entdeckung, sondern
älter als die Geburt des ersten Uankees, älter sogar als Milton, der es im
"Conus" besingt, und daß es bei einer Gelegenheit erfunden worden ist, von
welcher selbst die Mythologie bisher nichts gewußt hat.

Eines Abends, als die Götter auf dem Olymp beim Gelage saßen, erschien
Bacchus mit der betrübenden Kunde, daß sein letztes Nektarfaß geplatzt und aus¬
gelaufen sei. Zeus war bei Zechcrlaune und entschlossen, den Humpen noch einmal
kreisen zu lassen. So gebot er den Unsterblichen vom schonen Geschlechte, stracks
ein Getränk zu bereiten, welches besser munde, als jeglicher Wein, so aus Erden
und im Himmel jemals gewachsen. Und sogleich regten sich die holden Frauen,
um in anmuthigem Vereine einen Becher zu mischen, der dem Wunsche des hohen
Gebieters entspräche. Die ernste Ceres brachte eine Aehre und hieß dem Geiste,
der aus Thautropfen in das goldgelbe Maiskorn geflossen, in hellfuukelndem Feuer-
wasser wieder herausquellen. Pomona sodann, deren Spenden in farbiger Fülle
die Tafel der Himmlischen bedeckten, drückte den milden Saft einer Pfirsiche in
den Kelch. Die Bewohnerin des Hybla ferner, Frau Venus, die Süße, goß
lächelnden Blicks ihren Honig dazwischen. Flora endlich pflückte mit rosigem
Finger von eines Baches Rand das Kräutlein, welches das Ganze durchduften


Grenzboten. IV. i7

Wanderern und amerikanischen Auswanderern sah, das die Eisenbahn herstromeit
ließ, und die anlandenden und absegelnden Dampfboote zählte, und die wie
Ameisen aus den Thüren der Billetbureaux wimmelnden Reisenden beobachtete,
konnte man es wol für aufrichtig gemeint und wohlbegründet halten, wenn aus
dem Schilde einer dieser Anstalten aus dem Munde einer Figur, welche die äl¬
teren Bewohner des Ortes in die Betrachtung des ersten Eisenbahnzuges nach
Dunkirk versunken darstellte, die Worte Gloster's quollen:


„Nov is tre motör ok our äisoontont
Raae Zlorious summer lbs sun ol (New-) VorK!"



„Aber ick) meine, wir hätten nun genug gesehen von dem Neste," sagte der
Doctor, mit ärgerlicher Miene den Schweiß von der Stirn wischend. „Unbändige
Hitze — grausam, wahrhaft grausam! Kommen Sie, lassen Sie uns — hin —
lassen Sie uns, wie Cicero sich ausdrückt, miserers Milo äuleem. Versuchen
wir einen Mintjulep."

Er nahm mir das Wort von der Zunge, etwas ungrammatikalischer zwar
als billig, aber es war das Wort, und so gingen wir denn, zwei Seelen und
Ein Gedanke, und mischten das Angenehme mit dem Nützlichen. Thun wir's
auch hier. Genießen wir in Emangelung eines realen Jülep Schwarz auf Weiß
einen idealen. Mancher dürfte mir dankbar sein sür Ausschluß über die Ingre¬
dienzien, aus denen der Amerikaner sein Nationalgetränk brant. Hier ist das
Recept dazu und eine hübsche Fabel obendrein. Es wird daraus klar werden,
daß das genannte Gebräu nichts weniger als eine moderne Entdeckung, sondern
älter als die Geburt des ersten Uankees, älter sogar als Milton, der es im
„Conus" besingt, und daß es bei einer Gelegenheit erfunden worden ist, von
welcher selbst die Mythologie bisher nichts gewußt hat.

Eines Abends, als die Götter auf dem Olymp beim Gelage saßen, erschien
Bacchus mit der betrübenden Kunde, daß sein letztes Nektarfaß geplatzt und aus¬
gelaufen sei. Zeus war bei Zechcrlaune und entschlossen, den Humpen noch einmal
kreisen zu lassen. So gebot er den Unsterblichen vom schonen Geschlechte, stracks
ein Getränk zu bereiten, welches besser munde, als jeglicher Wein, so aus Erden
und im Himmel jemals gewachsen. Und sogleich regten sich die holden Frauen,
um in anmuthigem Vereine einen Becher zu mischen, der dem Wunsche des hohen
Gebieters entspräche. Die ernste Ceres brachte eine Aehre und hieß dem Geiste,
der aus Thautropfen in das goldgelbe Maiskorn geflossen, in hellfuukelndem Feuer-
wasser wieder herausquellen. Pomona sodann, deren Spenden in farbiger Fülle
die Tafel der Himmlischen bedeckten, drückte den milden Saft einer Pfirsiche in
den Kelch. Die Bewohnerin des Hybla ferner, Frau Venus, die Süße, goß
lächelnden Blicks ihren Honig dazwischen. Flora endlich pflückte mit rosigem
Finger von eines Baches Rand das Kräutlein, welches das Ganze durchduften


Grenzboten. IV. i7
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[0379] Wanderern und amerikanischen Auswanderern sah, das die Eisenbahn herstromeit ließ, und die anlandenden und absegelnden Dampfboote zählte, und die wie Ameisen aus den Thüren der Billetbureaux wimmelnden Reisenden beobachtete, konnte man es wol für aufrichtig gemeint und wohlbegründet halten, wenn aus dem Schilde einer dieser Anstalten aus dem Munde einer Figur, welche die äl¬ teren Bewohner des Ortes in die Betrachtung des ersten Eisenbahnzuges nach Dunkirk versunken darstellte, die Worte Gloster's quollen: „Nov is tre motör ok our äisoontont Raae Zlorious summer lbs sun ol (New-) VorK!" „Aber ick) meine, wir hätten nun genug gesehen von dem Neste," sagte der Doctor, mit ärgerlicher Miene den Schweiß von der Stirn wischend. „Unbändige Hitze — grausam, wahrhaft grausam! Kommen Sie, lassen Sie uns — hin — lassen Sie uns, wie Cicero sich ausdrückt, miserers Milo äuleem. Versuchen wir einen Mintjulep." Er nahm mir das Wort von der Zunge, etwas ungrammatikalischer zwar als billig, aber es war das Wort, und so gingen wir denn, zwei Seelen und Ein Gedanke, und mischten das Angenehme mit dem Nützlichen. Thun wir's auch hier. Genießen wir in Emangelung eines realen Jülep Schwarz auf Weiß einen idealen. Mancher dürfte mir dankbar sein sür Ausschluß über die Ingre¬ dienzien, aus denen der Amerikaner sein Nationalgetränk brant. Hier ist das Recept dazu und eine hübsche Fabel obendrein. Es wird daraus klar werden, daß das genannte Gebräu nichts weniger als eine moderne Entdeckung, sondern älter als die Geburt des ersten Uankees, älter sogar als Milton, der es im „Conus" besingt, und daß es bei einer Gelegenheit erfunden worden ist, von welcher selbst die Mythologie bisher nichts gewußt hat. Eines Abends, als die Götter auf dem Olymp beim Gelage saßen, erschien Bacchus mit der betrübenden Kunde, daß sein letztes Nektarfaß geplatzt und aus¬ gelaufen sei. Zeus war bei Zechcrlaune und entschlossen, den Humpen noch einmal kreisen zu lassen. So gebot er den Unsterblichen vom schonen Geschlechte, stracks ein Getränk zu bereiten, welches besser munde, als jeglicher Wein, so aus Erden und im Himmel jemals gewachsen. Und sogleich regten sich die holden Frauen, um in anmuthigem Vereine einen Becher zu mischen, der dem Wunsche des hohen Gebieters entspräche. Die ernste Ceres brachte eine Aehre und hieß dem Geiste, der aus Thautropfen in das goldgelbe Maiskorn geflossen, in hellfuukelndem Feuer- wasser wieder herausquellen. Pomona sodann, deren Spenden in farbiger Fülle die Tafel der Himmlischen bedeckten, drückte den milden Saft einer Pfirsiche in den Kelch. Die Bewohnerin des Hybla ferner, Frau Venus, die Süße, goß lächelnden Blicks ihren Honig dazwischen. Flora endlich pflückte mit rosigem Finger von eines Baches Rand das Kräutlein, welches das Ganze durchduften Grenzboten. IV. i7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/379>, abgerufen am 27.09.2024.