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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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sieht, Kriegerstand und Bürgerthum sind hier demselben Volke entsprossen, von
gleicher nationaler Gesinnung beseelt.

Das sardinische Heer ist in seiner äußern Haltung wie in seiner Znsammen¬
setzung ein sehr tüchtiges, das den Vergleich mit keiner andern europäischen
Armee zu scheuen braucht. Die Infanterie hat in ihrer Uniformirnng und ge¬
wandten militairischen Haltung sehr viel Ähnlichkeit mit der preußischen. Was
die Leichtigkeit des Exercirens und die Schnelligkeit aller Bewegungen anbetrifft,
so dürfte sie sich mit der östreichischen Linien-Infanterie vollkommen messen tonnen,
ja diese vielleicht übertreffen. Bei Ertragung von Strapazen und Ausdauer im
Marschiren aber siud die älteren, langgedienten Soldaten der meisten slavischen
Infanterie-Regimenter Oestreichs den Sardiniern offenbar überlegen. Einen
Vorzug besitzt das sardinische Heer, es ist ganz ans einer Nationalität hervor¬
gegangen. Es liegt mir fern, die vielen und nicht geringen Vorzüge, welche die
k. k. Armee unbestritten besitzt, irgendwie im mindesten herabsetzen zu wollen.
Sehr viel geschieht jetzt für das Heer Oestreichs, die Hauptstütze des Kaiser¬
staates, so daß man wol mit Recht etwas Tüchtiges von demselben erwarten
kann. Die große Verschiedenheit der Nationalitäten aber, die in demselben
dienen, und sich doch dabei bitter unter einander hassen, wird stets eine schwache
Stelle desselben bleiben, der selbst bei dein besten Willen nicht abzuhelfen
ist. Bei den Officieren macht sich diese Nationalitätseifersucht nicht geltend, dort
herrscht im Gegentheil ein so inniges Verhältniß, wie man es in keinen anderen
Heeren findet. sind doch besonders jetzt, wo man sehr wenige Ungarn, Ita¬
liener und polnische Edelleute als Officiere in der Arme hat, fast ein Viertheil
Ausländer, die keine andere Heimath als die kaiserlichen Fahnen kennen. Desto
schärfer tritt der Nalioualitätenhaß nnter der Mannschaft hervor. Der Böhme
verachtet den Deutschen und haßt den Ungarn und wird von diesen Beiden wieder
mit ungünstigen Augen angesehen. Der Ungar steht schroff allen Anderen gegen¬
über, in denen er die Besieger seines Vaterlandes erblickt, und nicht geringern
Haß hegt der italienische Soldat gegen alle seine polnischen, deutschen, böhmischen
und arvalischen Kameraden, mit welchen er jetzt gezwungen den gleichen Rock
trägt. Gerade dieser geringe kameradschaftliche Sinn läßt die Soldaten der ver¬
schiedenen Nationalitäten sich im Felde nicht gegenseitig unterstützen, er hat bewirkt,
daß die k. k. Armee bei d"in'letzten Feldzügen in Italien und Ungarn vcrhälmiß-
mäßig so ungeheure Verluste erlitten hat. Es ist unglaublich sast, welche Opfer an
Menschen manche Regimenter weniger in den Feldschlachten, als bei anderen Ge-,
. legenhciten verloren haben, und ist dieser Verlust in seiner vollen Stärke nie,
auch nur annäherungsweise bekannt gemacht worden. Der italienische Soldat ist
nicht erzürnt darüber, wenn seine böhmischen Kameraden recht viele Verluste
erleide"; der Böhme, der im Lazareth zum Krankenwärter commandirt ist., läßt
sich die Sorge für die Deutschen oder Ungarn gerade nicht allzu angelegentlich


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sieht, Kriegerstand und Bürgerthum sind hier demselben Volke entsprossen, von
gleicher nationaler Gesinnung beseelt.

Das sardinische Heer ist in seiner äußern Haltung wie in seiner Znsammen¬
setzung ein sehr tüchtiges, das den Vergleich mit keiner andern europäischen
Armee zu scheuen braucht. Die Infanterie hat in ihrer Uniformirnng und ge¬
wandten militairischen Haltung sehr viel Ähnlichkeit mit der preußischen. Was
die Leichtigkeit des Exercirens und die Schnelligkeit aller Bewegungen anbetrifft,
so dürfte sie sich mit der östreichischen Linien-Infanterie vollkommen messen tonnen,
ja diese vielleicht übertreffen. Bei Ertragung von Strapazen und Ausdauer im
Marschiren aber siud die älteren, langgedienten Soldaten der meisten slavischen
Infanterie-Regimenter Oestreichs den Sardiniern offenbar überlegen. Einen
Vorzug besitzt das sardinische Heer, es ist ganz ans einer Nationalität hervor¬
gegangen. Es liegt mir fern, die vielen und nicht geringen Vorzüge, welche die
k. k. Armee unbestritten besitzt, irgendwie im mindesten herabsetzen zu wollen.
Sehr viel geschieht jetzt für das Heer Oestreichs, die Hauptstütze des Kaiser¬
staates, so daß man wol mit Recht etwas Tüchtiges von demselben erwarten
kann. Die große Verschiedenheit der Nationalitäten aber, die in demselben
dienen, und sich doch dabei bitter unter einander hassen, wird stets eine schwache
Stelle desselben bleiben, der selbst bei dein besten Willen nicht abzuhelfen
ist. Bei den Officieren macht sich diese Nationalitätseifersucht nicht geltend, dort
herrscht im Gegentheil ein so inniges Verhältniß, wie man es in keinen anderen
Heeren findet. sind doch besonders jetzt, wo man sehr wenige Ungarn, Ita¬
liener und polnische Edelleute als Officiere in der Arme hat, fast ein Viertheil
Ausländer, die keine andere Heimath als die kaiserlichen Fahnen kennen. Desto
schärfer tritt der Nalioualitätenhaß nnter der Mannschaft hervor. Der Böhme
verachtet den Deutschen und haßt den Ungarn und wird von diesen Beiden wieder
mit ungünstigen Augen angesehen. Der Ungar steht schroff allen Anderen gegen¬
über, in denen er die Besieger seines Vaterlandes erblickt, und nicht geringern
Haß hegt der italienische Soldat gegen alle seine polnischen, deutschen, böhmischen
und arvalischen Kameraden, mit welchen er jetzt gezwungen den gleichen Rock
trägt. Gerade dieser geringe kameradschaftliche Sinn läßt die Soldaten der ver¬
schiedenen Nationalitäten sich im Felde nicht gegenseitig unterstützen, er hat bewirkt,
daß die k. k. Armee bei d«in'letzten Feldzügen in Italien und Ungarn vcrhälmiß-
mäßig so ungeheure Verluste erlitten hat. Es ist unglaublich sast, welche Opfer an
Menschen manche Regimenter weniger in den Feldschlachten, als bei anderen Ge-,
. legenhciten verloren haben, und ist dieser Verlust in seiner vollen Stärke nie,
auch nur annäherungsweise bekannt gemacht worden. Der italienische Soldat ist
nicht erzürnt darüber, wenn seine böhmischen Kameraden recht viele Verluste
erleide»; der Böhme, der im Lazareth zum Krankenwärter commandirt ist., läßt
sich die Sorge für die Deutschen oder Ungarn gerade nicht allzu angelegentlich


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[0333] sieht, Kriegerstand und Bürgerthum sind hier demselben Volke entsprossen, von gleicher nationaler Gesinnung beseelt. Das sardinische Heer ist in seiner äußern Haltung wie in seiner Znsammen¬ setzung ein sehr tüchtiges, das den Vergleich mit keiner andern europäischen Armee zu scheuen braucht. Die Infanterie hat in ihrer Uniformirnng und ge¬ wandten militairischen Haltung sehr viel Ähnlichkeit mit der preußischen. Was die Leichtigkeit des Exercirens und die Schnelligkeit aller Bewegungen anbetrifft, so dürfte sie sich mit der östreichischen Linien-Infanterie vollkommen messen tonnen, ja diese vielleicht übertreffen. Bei Ertragung von Strapazen und Ausdauer im Marschiren aber siud die älteren, langgedienten Soldaten der meisten slavischen Infanterie-Regimenter Oestreichs den Sardiniern offenbar überlegen. Einen Vorzug besitzt das sardinische Heer, es ist ganz ans einer Nationalität hervor¬ gegangen. Es liegt mir fern, die vielen und nicht geringen Vorzüge, welche die k. k. Armee unbestritten besitzt, irgendwie im mindesten herabsetzen zu wollen. Sehr viel geschieht jetzt für das Heer Oestreichs, die Hauptstütze des Kaiser¬ staates, so daß man wol mit Recht etwas Tüchtiges von demselben erwarten kann. Die große Verschiedenheit der Nationalitäten aber, die in demselben dienen, und sich doch dabei bitter unter einander hassen, wird stets eine schwache Stelle desselben bleiben, der selbst bei dein besten Willen nicht abzuhelfen ist. Bei den Officieren macht sich diese Nationalitätseifersucht nicht geltend, dort herrscht im Gegentheil ein so inniges Verhältniß, wie man es in keinen anderen Heeren findet. sind doch besonders jetzt, wo man sehr wenige Ungarn, Ita¬ liener und polnische Edelleute als Officiere in der Arme hat, fast ein Viertheil Ausländer, die keine andere Heimath als die kaiserlichen Fahnen kennen. Desto schärfer tritt der Nalioualitätenhaß nnter der Mannschaft hervor. Der Böhme verachtet den Deutschen und haßt den Ungarn und wird von diesen Beiden wieder mit ungünstigen Augen angesehen. Der Ungar steht schroff allen Anderen gegen¬ über, in denen er die Besieger seines Vaterlandes erblickt, und nicht geringern Haß hegt der italienische Soldat gegen alle seine polnischen, deutschen, böhmischen und arvalischen Kameraden, mit welchen er jetzt gezwungen den gleichen Rock trägt. Gerade dieser geringe kameradschaftliche Sinn läßt die Soldaten der ver¬ schiedenen Nationalitäten sich im Felde nicht gegenseitig unterstützen, er hat bewirkt, daß die k. k. Armee bei d«in'letzten Feldzügen in Italien und Ungarn vcrhälmiß- mäßig so ungeheure Verluste erlitten hat. Es ist unglaublich sast, welche Opfer an Menschen manche Regimenter weniger in den Feldschlachten, als bei anderen Ge-, . legenhciten verloren haben, und ist dieser Verlust in seiner vollen Stärke nie, auch nur annäherungsweise bekannt gemacht worden. Der italienische Soldat ist nicht erzürnt darüber, wenn seine böhmischen Kameraden recht viele Verluste erleide»; der Böhme, der im Lazareth zum Krankenwärter commandirt ist., läßt sich die Sorge für die Deutschen oder Ungarn gerade nicht allzu angelegentlich 41*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/333>, abgerufen am 27.09.2024.