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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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gehen, hielten ihn seine Freunde für den Mann, der so etwas im botanischen
Garten zu Nenschöneberg wol unternehmen könne. Alle diese kleinen Drolligkeiten
waren aber mit so viel guter Laune verbunden und standen ihm so natürlich, daß sie
wahrscheinlich von den Genossen seiner Jugend mehr gepflegt, als bekämpft wurden.
Neben der guten Laune und den Scherzen des Jugendkreises erblühte aber auch
eine Innigkeit und Wärme der Freundschaft, die noch jetzt für uns etwas Rüh¬
rendes hat. Seine Börse mit den Freunden theilen, keine Freude ohne sie ge-
nießen, Alles, was der Eine geschaffen, gefühlt und erlebt hat, den treuen Ge¬
fährten zur Theilnahme und Kritik vorlegen, das war Gewohnheit und Gesetz.
Diese edle und reine Zärtlichkeit, mit welcher die jungeu Männer an einander
hingen, hat am allermeisten dazu beigetragen, uusern Chamisso zu einem Deutschen
zu machen. Auf allen seinen Irrfahrten blieb Berlin und das Herz der Freunde
der Angelpunkt, um welchen sich sein Leben drehte. Dort hatte er kennen gelernt,
was oft in der Welt verkannt, oft gemißbraucht und zertreten worden ist, und
was wir selbst gerade jetzt zu unterschätzen geneigt sind, das deutsche Gemüth,
und es war ihm ein größerer Schatz geworden, als alles Andere, was ihm sein
Schicksal geschenkt hatte. Es stand ihm über seinem Frankreich, ja über der
Liebe zu seiner Familie. Schon im Jahre 1804 wollte er den preußischen Sol¬
datendienst aufgeben, der damals sehr unerfreulich war, und auf eine sächsische
Universität gehen; er schrieb deshalb an seine Mutter, sie antwortete ihm mit
dem Achselzucken einer vornehmen Französin und dem Zorn einer frommen Frau,
welche die Wissenschaft nur erträglich findet, wenn sie dem vornehmen Mann amü-
sant oder nützlich ist, und abscheulich, wenn sie zur Aufklärung und zum
religiösen Zweifel führt. Diesen Brief theilte der junge Chamisso einem
der Freunde mit und schrieb dazu: "Empfinde Du nach Alles, was zu sagen mir
ekelt und Dir zu sagen unnütz ist. -- Aber' wir bleiben uns getreu und nah und
fest und fester umschlungen in ernstem, heiligem, ruhigem Gefühle der Freund¬
schaft." -- Mehr als einmal zog ihn sein Herz und die Verhältnisse nach Frank¬
reich hin, und immer wieder erkannte er dort, daß er nicht mehr Franzose sein
könne, daß er ein Norddeutscher geworden sei. Seine Familie wollte ihn fest¬
halten und ihn mit eiuer reichen Dame verheirathen, er schlug es aus und ging
fast ohne Subsistenzmittel nach Berlin zurück; die Negierung Napoleon's wollte
ihm eine Professur an einer höhern Lehranstalt in Frankreich geben, er ging nach
Berlin und wurde dort Student; die StaÄ hatte eine Zeitlang Lust, ihn in ihrer
Nähe festzuhalten, er erkannte sehr richtig, daß er zu der Französin nicht passe,
und ließ sich' durch keine Caprice oder Eitelkeit verblenden. Als er Mit dem Rurik
nach Nußland zurückkehrte, hatte er eine förmliche Angst, daß man ihn dort an¬
stellen könne, und lief schnell wie Peter Schlemihl mit seinen Siebenmeilenstiefeln
nach Berlin zu seinem Freunde Hitzig zurück.

Man merkte dem Franzosen noch lange den Ausländer an; einzelne kleine


39 *

gehen, hielten ihn seine Freunde für den Mann, der so etwas im botanischen
Garten zu Nenschöneberg wol unternehmen könne. Alle diese kleinen Drolligkeiten
waren aber mit so viel guter Laune verbunden und standen ihm so natürlich, daß sie
wahrscheinlich von den Genossen seiner Jugend mehr gepflegt, als bekämpft wurden.
Neben der guten Laune und den Scherzen des Jugendkreises erblühte aber auch
eine Innigkeit und Wärme der Freundschaft, die noch jetzt für uns etwas Rüh¬
rendes hat. Seine Börse mit den Freunden theilen, keine Freude ohne sie ge-
nießen, Alles, was der Eine geschaffen, gefühlt und erlebt hat, den treuen Ge¬
fährten zur Theilnahme und Kritik vorlegen, das war Gewohnheit und Gesetz.
Diese edle und reine Zärtlichkeit, mit welcher die jungeu Männer an einander
hingen, hat am allermeisten dazu beigetragen, uusern Chamisso zu einem Deutschen
zu machen. Auf allen seinen Irrfahrten blieb Berlin und das Herz der Freunde
der Angelpunkt, um welchen sich sein Leben drehte. Dort hatte er kennen gelernt,
was oft in der Welt verkannt, oft gemißbraucht und zertreten worden ist, und
was wir selbst gerade jetzt zu unterschätzen geneigt sind, das deutsche Gemüth,
und es war ihm ein größerer Schatz geworden, als alles Andere, was ihm sein
Schicksal geschenkt hatte. Es stand ihm über seinem Frankreich, ja über der
Liebe zu seiner Familie. Schon im Jahre 1804 wollte er den preußischen Sol¬
datendienst aufgeben, der damals sehr unerfreulich war, und auf eine sächsische
Universität gehen; er schrieb deshalb an seine Mutter, sie antwortete ihm mit
dem Achselzucken einer vornehmen Französin und dem Zorn einer frommen Frau,
welche die Wissenschaft nur erträglich findet, wenn sie dem vornehmen Mann amü-
sant oder nützlich ist, und abscheulich, wenn sie zur Aufklärung und zum
religiösen Zweifel führt. Diesen Brief theilte der junge Chamisso einem
der Freunde mit und schrieb dazu: „Empfinde Du nach Alles, was zu sagen mir
ekelt und Dir zu sagen unnütz ist. — Aber' wir bleiben uns getreu und nah und
fest und fester umschlungen in ernstem, heiligem, ruhigem Gefühle der Freund¬
schaft." — Mehr als einmal zog ihn sein Herz und die Verhältnisse nach Frank¬
reich hin, und immer wieder erkannte er dort, daß er nicht mehr Franzose sein
könne, daß er ein Norddeutscher geworden sei. Seine Familie wollte ihn fest¬
halten und ihn mit eiuer reichen Dame verheirathen, er schlug es aus und ging
fast ohne Subsistenzmittel nach Berlin zurück; die Negierung Napoleon's wollte
ihm eine Professur an einer höhern Lehranstalt in Frankreich geben, er ging nach
Berlin und wurde dort Student; die StaÄ hatte eine Zeitlang Lust, ihn in ihrer
Nähe festzuhalten, er erkannte sehr richtig, daß er zu der Französin nicht passe,
und ließ sich' durch keine Caprice oder Eitelkeit verblenden. Als er Mit dem Rurik
nach Nußland zurückkehrte, hatte er eine förmliche Angst, daß man ihn dort an¬
stellen könne, und lief schnell wie Peter Schlemihl mit seinen Siebenmeilenstiefeln
nach Berlin zu seinem Freunde Hitzig zurück.

Man merkte dem Franzosen noch lange den Ausländer an; einzelne kleine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/317>, abgerufen am 27.09.2024.