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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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Solide Männer, wie es an dem ist, daß wir welche sein sollen, dürfen unter
keinerlei Vorwand mehr brauchen, als sie haben. Das ist meine Idee über
Schulden. Andererseits will mir bedünken, als schwärmtest Du zu sehr bei Leuten
umher; habe Sitzefleisch und arbeite." Immer regiert ihn, wie die besseren seines
Kreises, der Grundsatz, zuerst ehrlich sein und dann feinfühlend. Man ist gegen¬
wärtig gewohnt, so etwas, wenigstens in der Theorie, als selbstverständlich voraus¬
zusetzen, damals aber war bei den jüngere" Talenten die Ueberschwänglichkeit des
Gefühls so groß, nud die Verwirrung, in welche alle sittlichen Grundsätze des Lebens
durch die Verirrungen der Schule gekommen waren, so vollständig, daß viele
literarische Größen haltlos hin und her getrieben und durch Sophistik und Un¬
klarheit zu den größten Immoralitäten und Schlechtigkeiten verführt wurden; man
denke an Zacharias Werner, an Heinse, Lenz u. s. w. Damals war eine solche
Reaction des gesunden Menschenverstandes und der ganz gemeinen Sittlichkeit
in der Kunst von der größten Wichtigkeit, und die respectabeln Personen, welche
sie für uns darstellen, sind als die Vorläufer derselben Richtung, welche dieses
Blatt seit Jahren mit größtem Eifer vertritt, zu betrachten. -- Manche ans dem
Kreise gingen ihm verloren. Theremin wurde fromm, Koreff wurde Modearzt in
Paris und lebte noch lauge, als er für seine Jugendfreunde bereits gestorben
war. Aber der Kern der alten Genossenschaft, Eduard Hitzig, Chamisso und der
bewegliche, geschmeidige Vanihagen mit allem Besseren, was sich ihnen anschloß,
haben auf solcher tüchtigen Gesinnung ihr Leben aufgebaut. Sie haben sich nicht
alle Konsequenzen gezogen, welche uns den Jüngeren zu ziehen leichter wird.
Ihr Geschmack, ihre Bildung wurde noch mächtig bestimmt durch die Doctrin und
die Poesien der Schule, aber im Kern ihres Lebens erhielten sie sich gesund
und rein; wo sie handelten, wo sie die Welt beurtheilten, waren sie in Harmonie
mit den großen Grundwahrheiten des menschlichen Lebens. Ein zweiter Grund¬
satz des Kreises war, dadurch die Herrschaft über das Leben zu gewinnen, -daß
sie etwas Tüchtiges, praktisch Brauchbares ans sich machten, vor Allem etwas
Ordentliches lernten. Mit welchem Ernst kümmerten sich die jungen Dichter um
Prosodie und Wohlklang ihrer Verse! Sie schreiben einander Briefe wegen eines
schlechten Versfußes oder eines unklaren Ausdrucks, sie sind dabei bescheiden; als
sie den ersten Jahrgang des Musenalmanachs herausgegeben haben, schreibt Cha¬
misso an Varnhagen, der den schnellen Einfall gehabt hatte, Kritiken heraus¬
zugeben: "Freund, laß Dir sagen, wir sind Jungen, die da kauen lernen, und
lehren zu wollen und aburtheilen zu wollen, würde mir sehr spaßhaft vorkommen;
ich erinnere mich des Distichons recht gut:


Das, was sie gestern gelernt, das lehren sie heute schon wieder,
O was haben die Herrn doch für ein kurzes Gedärm!

und nichts weniger als die Schlegel sind gemeint. Lerne Dein ABC."

Unsrem Dichter selbst wurde das Lernen nicht leicht gemacht. Er hatte in


Grenzboten. IV. 39

Solide Männer, wie es an dem ist, daß wir welche sein sollen, dürfen unter
keinerlei Vorwand mehr brauchen, als sie haben. Das ist meine Idee über
Schulden. Andererseits will mir bedünken, als schwärmtest Du zu sehr bei Leuten
umher; habe Sitzefleisch und arbeite." Immer regiert ihn, wie die besseren seines
Kreises, der Grundsatz, zuerst ehrlich sein und dann feinfühlend. Man ist gegen¬
wärtig gewohnt, so etwas, wenigstens in der Theorie, als selbstverständlich voraus¬
zusetzen, damals aber war bei den jüngere» Talenten die Ueberschwänglichkeit des
Gefühls so groß, nud die Verwirrung, in welche alle sittlichen Grundsätze des Lebens
durch die Verirrungen der Schule gekommen waren, so vollständig, daß viele
literarische Größen haltlos hin und her getrieben und durch Sophistik und Un¬
klarheit zu den größten Immoralitäten und Schlechtigkeiten verführt wurden; man
denke an Zacharias Werner, an Heinse, Lenz u. s. w. Damals war eine solche
Reaction des gesunden Menschenverstandes und der ganz gemeinen Sittlichkeit
in der Kunst von der größten Wichtigkeit, und die respectabeln Personen, welche
sie für uns darstellen, sind als die Vorläufer derselben Richtung, welche dieses
Blatt seit Jahren mit größtem Eifer vertritt, zu betrachten. — Manche ans dem
Kreise gingen ihm verloren. Theremin wurde fromm, Koreff wurde Modearzt in
Paris und lebte noch lauge, als er für seine Jugendfreunde bereits gestorben
war. Aber der Kern der alten Genossenschaft, Eduard Hitzig, Chamisso und der
bewegliche, geschmeidige Vanihagen mit allem Besseren, was sich ihnen anschloß,
haben auf solcher tüchtigen Gesinnung ihr Leben aufgebaut. Sie haben sich nicht
alle Konsequenzen gezogen, welche uns den Jüngeren zu ziehen leichter wird.
Ihr Geschmack, ihre Bildung wurde noch mächtig bestimmt durch die Doctrin und
die Poesien der Schule, aber im Kern ihres Lebens erhielten sie sich gesund
und rein; wo sie handelten, wo sie die Welt beurtheilten, waren sie in Harmonie
mit den großen Grundwahrheiten des menschlichen Lebens. Ein zweiter Grund¬
satz des Kreises war, dadurch die Herrschaft über das Leben zu gewinnen, -daß
sie etwas Tüchtiges, praktisch Brauchbares ans sich machten, vor Allem etwas
Ordentliches lernten. Mit welchem Ernst kümmerten sich die jungen Dichter um
Prosodie und Wohlklang ihrer Verse! Sie schreiben einander Briefe wegen eines
schlechten Versfußes oder eines unklaren Ausdrucks, sie sind dabei bescheiden; als
sie den ersten Jahrgang des Musenalmanachs herausgegeben haben, schreibt Cha¬
misso an Varnhagen, der den schnellen Einfall gehabt hatte, Kritiken heraus¬
zugeben: „Freund, laß Dir sagen, wir sind Jungen, die da kauen lernen, und
lehren zu wollen und aburtheilen zu wollen, würde mir sehr spaßhaft vorkommen;
ich erinnere mich des Distichons recht gut:


Das, was sie gestern gelernt, das lehren sie heute schon wieder,
O was haben die Herrn doch für ein kurzes Gedärm!

und nichts weniger als die Schlegel sind gemeint. Lerne Dein ABC."

Unsrem Dichter selbst wurde das Lernen nicht leicht gemacht. Er hatte in


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[0315] Solide Männer, wie es an dem ist, daß wir welche sein sollen, dürfen unter keinerlei Vorwand mehr brauchen, als sie haben. Das ist meine Idee über Schulden. Andererseits will mir bedünken, als schwärmtest Du zu sehr bei Leuten umher; habe Sitzefleisch und arbeite." Immer regiert ihn, wie die besseren seines Kreises, der Grundsatz, zuerst ehrlich sein und dann feinfühlend. Man ist gegen¬ wärtig gewohnt, so etwas, wenigstens in der Theorie, als selbstverständlich voraus¬ zusetzen, damals aber war bei den jüngere» Talenten die Ueberschwänglichkeit des Gefühls so groß, nud die Verwirrung, in welche alle sittlichen Grundsätze des Lebens durch die Verirrungen der Schule gekommen waren, so vollständig, daß viele literarische Größen haltlos hin und her getrieben und durch Sophistik und Un¬ klarheit zu den größten Immoralitäten und Schlechtigkeiten verführt wurden; man denke an Zacharias Werner, an Heinse, Lenz u. s. w. Damals war eine solche Reaction des gesunden Menschenverstandes und der ganz gemeinen Sittlichkeit in der Kunst von der größten Wichtigkeit, und die respectabeln Personen, welche sie für uns darstellen, sind als die Vorläufer derselben Richtung, welche dieses Blatt seit Jahren mit größtem Eifer vertritt, zu betrachten. — Manche ans dem Kreise gingen ihm verloren. Theremin wurde fromm, Koreff wurde Modearzt in Paris und lebte noch lauge, als er für seine Jugendfreunde bereits gestorben war. Aber der Kern der alten Genossenschaft, Eduard Hitzig, Chamisso und der bewegliche, geschmeidige Vanihagen mit allem Besseren, was sich ihnen anschloß, haben auf solcher tüchtigen Gesinnung ihr Leben aufgebaut. Sie haben sich nicht alle Konsequenzen gezogen, welche uns den Jüngeren zu ziehen leichter wird. Ihr Geschmack, ihre Bildung wurde noch mächtig bestimmt durch die Doctrin und die Poesien der Schule, aber im Kern ihres Lebens erhielten sie sich gesund und rein; wo sie handelten, wo sie die Welt beurtheilten, waren sie in Harmonie mit den großen Grundwahrheiten des menschlichen Lebens. Ein zweiter Grund¬ satz des Kreises war, dadurch die Herrschaft über das Leben zu gewinnen, -daß sie etwas Tüchtiges, praktisch Brauchbares ans sich machten, vor Allem etwas Ordentliches lernten. Mit welchem Ernst kümmerten sich die jungen Dichter um Prosodie und Wohlklang ihrer Verse! Sie schreiben einander Briefe wegen eines schlechten Versfußes oder eines unklaren Ausdrucks, sie sind dabei bescheiden; als sie den ersten Jahrgang des Musenalmanachs herausgegeben haben, schreibt Cha¬ misso an Varnhagen, der den schnellen Einfall gehabt hatte, Kritiken heraus¬ zugeben: „Freund, laß Dir sagen, wir sind Jungen, die da kauen lernen, und lehren zu wollen und aburtheilen zu wollen, würde mir sehr spaßhaft vorkommen; ich erinnere mich des Distichons recht gut: Das, was sie gestern gelernt, das lehren sie heute schon wieder, O was haben die Herrn doch für ein kurzes Gedärm! und nichts weniger als die Schlegel sind gemeint. Lerne Dein ABC." Unsrem Dichter selbst wurde das Lernen nicht leicht gemacht. Er hatte in Grenzboten. IV. 39

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/315>, abgerufen am 27.09.2024.