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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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Die Schlacht von Waterloo und die Franzosen.
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Um zu beweisen, wie nahe Wellington cun Räude des Verderbens gestanden,
wenn der Verräther Grouchy seine Schuldigkeit gethan hätte, und wenn Blücher
anständig genug gewesen wäre, sich bei Ligny für vollständig geschlagen zu halten,
und seinen Rückzug nach Namur zu nehmen, wie es Napoleon voraussetzte, haben
die Franzosen auch noch die Fabel erfunden, daß Wellington, außer Stande, seinen
Rückzug weiter fortzusetzen, die Stellung bei Mont Se. Jean in der letzten Noth
eingenommen, und riskirt habe, im Falle einer Niederlage gegen die ungangbaren
Desileeu des Waldes von Svigne geworfen zu werden, wo sicherer Untergang
seiner Armee geharrt hätte. Es ist recht Schade, daß eine so affectvolle
Gruppirung der Möglichkeiten nicht der Wahrheit geniijß ist. Die Stellung von
Mont Se. Jean, anstatt ein verzweifelter Nothbehelf zu sein, war schon lange
vorher wegen ihrer Vorzüge als militairische Position ausgesucht. Schon vor
Beginn der Feindseligkeiten hatte Wellington das ganze Terrain zwischen der
Grenze, und Brüssel von Ingenieurs bereisen, und die zur Annahme einer
Schlacht am meisten geeigneten Positionen aufnehmen lassen. Unter Anderen
hatten Capitain Pringle und Oberst Wells bereits am 8. Juni an Ort und Stelle
eine Karte vom Schlachtfelde von Waterloo entworfen, und in diese Karte zeichnete
der Herzog während des Rückzugs am 17. die von den englischen Truppen ein¬
zunehmenden Positionen ein. Ueberhaupt.war es von Haus aus Wellington's
Vorhaben, sich bei Waterloo zum zweiten Mal zu setzen, wenn man von Ligny
zurückweichen müsse. Was den angeblich undurchdringlichen Wald von Soigne
betrifft, so muß schon der Umstand, daß ein so vorsichtiger Feldherr, wie Lord
Wellington, nach reiflicher Erwägung sich vor demselben einer überlegenen Macht
entgegenstellt, gegen die französische Angabe argwöhnisch machen. In der That
war, wie sachkundige Zeitgenossen, z. B. Müffling, der als preußischer Commissär
in Wellington's Hauptquartier verweilte, berichten, der Wald von Soigne durch¬
aus kein Hinderniß eines Rückzugs, sondern im Gegentheil vortrefflich geeignet,
ihn zu decken. Er war, wie alle flandrischen Holzungen in jener Gegend, ein
hochstämmiger, offener Buchenwald ohne Unterholz, also der Vertheidigung durch
leichte Infanterie besonders günstig, von drei guten Chausseen, "ud auch anderen
für Reiterei tauglichen Nebenwegen durchzogen. Wäre daher auch der Herzog
zur Räumung seiner Stellung gezwungen worden, so konnte er ruhig seine Artillerie
und seine Reiterei ans den drei Chausseen durch den Wald gehen lassen, während
eine einfache Besetzung desselben dnrch Tirailleurs jede Verfolgung gehemmt hätte;
denn es ist gewiß nicht leicht, entschlossene Soldaten aus eiuer offenen Buchen¬
waldung zu vertreiben, wo jeder Baum einem Scharfschützen Schutz gewährt;


Die Schlacht von Waterloo und die Franzosen.
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Um zu beweisen, wie nahe Wellington cun Räude des Verderbens gestanden,
wenn der Verräther Grouchy seine Schuldigkeit gethan hätte, und wenn Blücher
anständig genug gewesen wäre, sich bei Ligny für vollständig geschlagen zu halten,
und seinen Rückzug nach Namur zu nehmen, wie es Napoleon voraussetzte, haben
die Franzosen auch noch die Fabel erfunden, daß Wellington, außer Stande, seinen
Rückzug weiter fortzusetzen, die Stellung bei Mont Se. Jean in der letzten Noth
eingenommen, und riskirt habe, im Falle einer Niederlage gegen die ungangbaren
Desileeu des Waldes von Svigne geworfen zu werden, wo sicherer Untergang
seiner Armee geharrt hätte. Es ist recht Schade, daß eine so affectvolle
Gruppirung der Möglichkeiten nicht der Wahrheit geniijß ist. Die Stellung von
Mont Se. Jean, anstatt ein verzweifelter Nothbehelf zu sein, war schon lange
vorher wegen ihrer Vorzüge als militairische Position ausgesucht. Schon vor
Beginn der Feindseligkeiten hatte Wellington das ganze Terrain zwischen der
Grenze, und Brüssel von Ingenieurs bereisen, und die zur Annahme einer
Schlacht am meisten geeigneten Positionen aufnehmen lassen. Unter Anderen
hatten Capitain Pringle und Oberst Wells bereits am 8. Juni an Ort und Stelle
eine Karte vom Schlachtfelde von Waterloo entworfen, und in diese Karte zeichnete
der Herzog während des Rückzugs am 17. die von den englischen Truppen ein¬
zunehmenden Positionen ein. Ueberhaupt.war es von Haus aus Wellington's
Vorhaben, sich bei Waterloo zum zweiten Mal zu setzen, wenn man von Ligny
zurückweichen müsse. Was den angeblich undurchdringlichen Wald von Soigne
betrifft, so muß schon der Umstand, daß ein so vorsichtiger Feldherr, wie Lord
Wellington, nach reiflicher Erwägung sich vor demselben einer überlegenen Macht
entgegenstellt, gegen die französische Angabe argwöhnisch machen. In der That
war, wie sachkundige Zeitgenossen, z. B. Müffling, der als preußischer Commissär
in Wellington's Hauptquartier verweilte, berichten, der Wald von Soigne durch¬
aus kein Hinderniß eines Rückzugs, sondern im Gegentheil vortrefflich geeignet,
ihn zu decken. Er war, wie alle flandrischen Holzungen in jener Gegend, ein
hochstämmiger, offener Buchenwald ohne Unterholz, also der Vertheidigung durch
leichte Infanterie besonders günstig, von drei guten Chausseen, »ud auch anderen
für Reiterei tauglichen Nebenwegen durchzogen. Wäre daher auch der Herzog
zur Räumung seiner Stellung gezwungen worden, so konnte er ruhig seine Artillerie
und seine Reiterei ans den drei Chausseen durch den Wald gehen lassen, während
eine einfache Besetzung desselben dnrch Tirailleurs jede Verfolgung gehemmt hätte;
denn es ist gewiß nicht leicht, entschlossene Soldaten aus eiuer offenen Buchen¬
waldung zu vertreiben, wo jeder Baum einem Scharfschützen Schutz gewährt;


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[0305] Die Schlacht von Waterloo und die Franzosen. 2/ Um zu beweisen, wie nahe Wellington cun Räude des Verderbens gestanden, wenn der Verräther Grouchy seine Schuldigkeit gethan hätte, und wenn Blücher anständig genug gewesen wäre, sich bei Ligny für vollständig geschlagen zu halten, und seinen Rückzug nach Namur zu nehmen, wie es Napoleon voraussetzte, haben die Franzosen auch noch die Fabel erfunden, daß Wellington, außer Stande, seinen Rückzug weiter fortzusetzen, die Stellung bei Mont Se. Jean in der letzten Noth eingenommen, und riskirt habe, im Falle einer Niederlage gegen die ungangbaren Desileeu des Waldes von Svigne geworfen zu werden, wo sicherer Untergang seiner Armee geharrt hätte. Es ist recht Schade, daß eine so affectvolle Gruppirung der Möglichkeiten nicht der Wahrheit geniijß ist. Die Stellung von Mont Se. Jean, anstatt ein verzweifelter Nothbehelf zu sein, war schon lange vorher wegen ihrer Vorzüge als militairische Position ausgesucht. Schon vor Beginn der Feindseligkeiten hatte Wellington das ganze Terrain zwischen der Grenze, und Brüssel von Ingenieurs bereisen, und die zur Annahme einer Schlacht am meisten geeigneten Positionen aufnehmen lassen. Unter Anderen hatten Capitain Pringle und Oberst Wells bereits am 8. Juni an Ort und Stelle eine Karte vom Schlachtfelde von Waterloo entworfen, und in diese Karte zeichnete der Herzog während des Rückzugs am 17. die von den englischen Truppen ein¬ zunehmenden Positionen ein. Ueberhaupt.war es von Haus aus Wellington's Vorhaben, sich bei Waterloo zum zweiten Mal zu setzen, wenn man von Ligny zurückweichen müsse. Was den angeblich undurchdringlichen Wald von Soigne betrifft, so muß schon der Umstand, daß ein so vorsichtiger Feldherr, wie Lord Wellington, nach reiflicher Erwägung sich vor demselben einer überlegenen Macht entgegenstellt, gegen die französische Angabe argwöhnisch machen. In der That war, wie sachkundige Zeitgenossen, z. B. Müffling, der als preußischer Commissär in Wellington's Hauptquartier verweilte, berichten, der Wald von Soigne durch¬ aus kein Hinderniß eines Rückzugs, sondern im Gegentheil vortrefflich geeignet, ihn zu decken. Er war, wie alle flandrischen Holzungen in jener Gegend, ein hochstämmiger, offener Buchenwald ohne Unterholz, also der Vertheidigung durch leichte Infanterie besonders günstig, von drei guten Chausseen, »ud auch anderen für Reiterei tauglichen Nebenwegen durchzogen. Wäre daher auch der Herzog zur Räumung seiner Stellung gezwungen worden, so konnte er ruhig seine Artillerie und seine Reiterei ans den drei Chausseen durch den Wald gehen lassen, während eine einfache Besetzung desselben dnrch Tirailleurs jede Verfolgung gehemmt hätte; denn es ist gewiß nicht leicht, entschlossene Soldaten aus eiuer offenen Buchen¬ waldung zu vertreiben, wo jeder Baum einem Scharfschützen Schutz gewährt;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/305>, abgerufen am 27.09.2024.