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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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seines, von ihm selbst erbauten Hauses, gerade in diesen Tagen nicht mit gesteiger¬
ter Wehmuth? in jugendlicher Blüthe hatte er in den Tagen der Göttinger
Säcularfeier an der Stiftung des Philologenvereins Theil genommen -- jetzt,
wo derselbe zuerst in Göttingen seinen Sitz ausschlug, sollte er ihn, der nun kaum
in die Jahre des hohem Mannesalters eingetreten sein würde, nicht mehr an der
Stelle finden, die Jeder ihm neidlos zugestanden hätte! Die Erinnerung an ihn
rief Hermann wach im Eingange seiner Rede; belebt wurde sie durch Curtius,
durch Preller, der gleichfalls von der weit hinleuchtenden Marmorstelle seines
Grabes sprach, und sie zog sich wie -- doch den rothen Faden muß man sich
selbst abschneide".




Der erste Act der Wahlen ist vorüber. Er hat. unter die Berliner Bürger
einiges Leben gebracht, d. h. etwas mehr, als wir von der politischen Gleich-
giltigkeit vermutheten, und viel weniger, als es selbst bescheidene Anforderungen
bei der Wichtigkeit gerade dieses Wahlacts wünschen mußten. Die Betheiligung
an den Wahlen war etwas größer, als beiden letzten derartigen Acten, und wird
auch wol im Großen und Ganzen die Regsamkeit in den Provinzen übertreffen;
doch dürfte sie hinter der Schätzung der Rat.-Zeit., daß fast die Hälfte de^
Berechtigten Theil genommen, noch um ein Bedeutendes zurückbleiben. Die
Demokraten haben als Partei nicht mitgewählt, sich aber in einigen Wahl¬
bezirken stark betheiligt, in denen dann natürlich liberale Kandidaten, Konstitutio¬
nelle und Demokraten, leicht durchgesetzt wurden. Eine Urwasi hat" für Jeder¬
mann, der die Zustände seiner Zeit aufmerksam verfolgt, viel Interessantes; da zeigt
sich die Maschinerie des Polizeistaats in voller Thätigkeit; alle Räder und Rädchen
sind im Gange. Fragt man den Einzelnen nach den Gründen der Abstimmung,
die im vertraulichen Gespräch meistens mit großer Offenherzigkeit angegeben werden,
so tritt die ganze Misere unsrer Zeit zu Tage. Der Polizeistaat hat seine tausend
Polypenarme in alle Kreise der Gesellschaft erstreckt, "ut die Zahl derer, denen
es völlig gleichgiltig ist, ob sie es durch eine liberale Abstimmung mit der Polizei
verderben, ist so gering, daß man solche Personen mit der Laterne suchen muß.
Die Schaar der Beamten, vom Minister bis zum niedrigsten Subalternen, die
Lehrer, die zahlreichen Klassen der Gewerbtreibenden, die einer Concession be¬
dürfen, alle diejenigen, die bei öffentlichen Unternehmungen, Lieferungen u. tgi.
betheiligt sind, oder, denen Aussicht auf Theilnahme an solchen vortheilhaften Ge¬
schäften eröffnet wird, bis zu dem Particulier, der sich seine nächste Sommerreise


seines, von ihm selbst erbauten Hauses, gerade in diesen Tagen nicht mit gesteiger¬
ter Wehmuth? in jugendlicher Blüthe hatte er in den Tagen der Göttinger
Säcularfeier an der Stiftung des Philologenvereins Theil genommen — jetzt,
wo derselbe zuerst in Göttingen seinen Sitz ausschlug, sollte er ihn, der nun kaum
in die Jahre des hohem Mannesalters eingetreten sein würde, nicht mehr an der
Stelle finden, die Jeder ihm neidlos zugestanden hätte! Die Erinnerung an ihn
rief Hermann wach im Eingange seiner Rede; belebt wurde sie durch Curtius,
durch Preller, der gleichfalls von der weit hinleuchtenden Marmorstelle seines
Grabes sprach, und sie zog sich wie — doch den rothen Faden muß man sich
selbst abschneide».




Der erste Act der Wahlen ist vorüber. Er hat. unter die Berliner Bürger
einiges Leben gebracht, d. h. etwas mehr, als wir von der politischen Gleich-
giltigkeit vermutheten, und viel weniger, als es selbst bescheidene Anforderungen
bei der Wichtigkeit gerade dieses Wahlacts wünschen mußten. Die Betheiligung
an den Wahlen war etwas größer, als beiden letzten derartigen Acten, und wird
auch wol im Großen und Ganzen die Regsamkeit in den Provinzen übertreffen;
doch dürfte sie hinter der Schätzung der Rat.-Zeit., daß fast die Hälfte de^
Berechtigten Theil genommen, noch um ein Bedeutendes zurückbleiben. Die
Demokraten haben als Partei nicht mitgewählt, sich aber in einigen Wahl¬
bezirken stark betheiligt, in denen dann natürlich liberale Kandidaten, Konstitutio¬
nelle und Demokraten, leicht durchgesetzt wurden. Eine Urwasi hat" für Jeder¬
mann, der die Zustände seiner Zeit aufmerksam verfolgt, viel Interessantes; da zeigt
sich die Maschinerie des Polizeistaats in voller Thätigkeit; alle Räder und Rädchen
sind im Gange. Fragt man den Einzelnen nach den Gründen der Abstimmung,
die im vertraulichen Gespräch meistens mit großer Offenherzigkeit angegeben werden,
so tritt die ganze Misere unsrer Zeit zu Tage. Der Polizeistaat hat seine tausend
Polypenarme in alle Kreise der Gesellschaft erstreckt, »ut die Zahl derer, denen
es völlig gleichgiltig ist, ob sie es durch eine liberale Abstimmung mit der Polizei
verderben, ist so gering, daß man solche Personen mit der Laterne suchen muß.
Die Schaar der Beamten, vom Minister bis zum niedrigsten Subalternen, die
Lehrer, die zahlreichen Klassen der Gewerbtreibenden, die einer Concession be¬
dürfen, alle diejenigen, die bei öffentlichen Unternehmungen, Lieferungen u. tgi.
betheiligt sind, oder, denen Aussicht auf Theilnahme an solchen vortheilhaften Ge¬
schäften eröffnet wird, bis zu dem Particulier, der sich seine nächste Sommerreise


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[0282] seines, von ihm selbst erbauten Hauses, gerade in diesen Tagen nicht mit gesteiger¬ ter Wehmuth? in jugendlicher Blüthe hatte er in den Tagen der Göttinger Säcularfeier an der Stiftung des Philologenvereins Theil genommen — jetzt, wo derselbe zuerst in Göttingen seinen Sitz ausschlug, sollte er ihn, der nun kaum in die Jahre des hohem Mannesalters eingetreten sein würde, nicht mehr an der Stelle finden, die Jeder ihm neidlos zugestanden hätte! Die Erinnerung an ihn rief Hermann wach im Eingange seiner Rede; belebt wurde sie durch Curtius, durch Preller, der gleichfalls von der weit hinleuchtenden Marmorstelle seines Grabes sprach, und sie zog sich wie — doch den rothen Faden muß man sich selbst abschneide». Der erste Act der Wahlen ist vorüber. Er hat. unter die Berliner Bürger einiges Leben gebracht, d. h. etwas mehr, als wir von der politischen Gleich- giltigkeit vermutheten, und viel weniger, als es selbst bescheidene Anforderungen bei der Wichtigkeit gerade dieses Wahlacts wünschen mußten. Die Betheiligung an den Wahlen war etwas größer, als beiden letzten derartigen Acten, und wird auch wol im Großen und Ganzen die Regsamkeit in den Provinzen übertreffen; doch dürfte sie hinter der Schätzung der Rat.-Zeit., daß fast die Hälfte de^ Berechtigten Theil genommen, noch um ein Bedeutendes zurückbleiben. Die Demokraten haben als Partei nicht mitgewählt, sich aber in einigen Wahl¬ bezirken stark betheiligt, in denen dann natürlich liberale Kandidaten, Konstitutio¬ nelle und Demokraten, leicht durchgesetzt wurden. Eine Urwasi hat" für Jeder¬ mann, der die Zustände seiner Zeit aufmerksam verfolgt, viel Interessantes; da zeigt sich die Maschinerie des Polizeistaats in voller Thätigkeit; alle Räder und Rädchen sind im Gange. Fragt man den Einzelnen nach den Gründen der Abstimmung, die im vertraulichen Gespräch meistens mit großer Offenherzigkeit angegeben werden, so tritt die ganze Misere unsrer Zeit zu Tage. Der Polizeistaat hat seine tausend Polypenarme in alle Kreise der Gesellschaft erstreckt, »ut die Zahl derer, denen es völlig gleichgiltig ist, ob sie es durch eine liberale Abstimmung mit der Polizei verderben, ist so gering, daß man solche Personen mit der Laterne suchen muß. Die Schaar der Beamten, vom Minister bis zum niedrigsten Subalternen, die Lehrer, die zahlreichen Klassen der Gewerbtreibenden, die einer Concession be¬ dürfen, alle diejenigen, die bei öffentlichen Unternehmungen, Lieferungen u. tgi. betheiligt sind, oder, denen Aussicht auf Theilnahme an solchen vortheilhaften Ge¬ schäften eröffnet wird, bis zu dem Particulier, der sich seine nächste Sommerreise

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/282>, abgerufen am 27.09.2024.