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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band.

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im Stande ist. Preußen hat die Aussicht, die Antipathien seiner katholischen Rhein¬
land? zu überwinden und sie mit seinen alten Provinzen zu verschmelzen, wenn
seine Regierung eine nationale und freisinnige Politik adoptirt. Bayern wird
schwerlich je das Gleiche mit seinen protestantisch-fränkischen Besitzungen erreichen;
seine staatliche Bedeutung ist zu gering, um seiner Bevölkerung ein Interesse am
Staat zu verleihen, wo dies nicht, wie in den altbayerischen Landen, einen Hebel
in der strengkatholischen Gesinnung findet, und die Großmachtsträume des Herrn
vou der Pfordten werden wohl Träume bleiben. Man kann es den Nürnbergern
daher nicht verdenken, wenn ihr bayerischer Patriotismus mir lau ist, und was
den deutschen betrifft, so sind die Dinge nicht darnach geartet, ihm irgend welche
Nahrung zu geben. Materiell befindet sich die Stadt bei Bayern nicht schlecht
und verdankt der Verbindung mit ihr die Ordnung ihres ganz zerrütteten Staats¬
haushaltes, durch die 1819 erfolgte Uebernahme ihrer Schulden, die bis aus
18"/<> herabgesunken waren, auf die Staatsschuld, eine Wohlthat, die freilich mit
dem Beitritt zu einem andern größern Staatsganzen wohl auch nicht ausgeblieben
wäre. Von unserm norddeutschen Standpunkt müssen wir es tief beklagen, daß
Preußen seine fränkischen Gebiete, die ihm mit althergestammter Treue anhingen,
aufgegeben hat, und diese protestantischen Lande katholischem Scepter unterworfen
sind. Nürnberg z. B>, das 1806 eine kaum nennenswerthe Zahl von Katholiken in
seinen Mauern'hatte, zählt deren jetzt schon 7000, das ist etwa ISpCt. seiner
Einwohnerschaft. Sollte übrigens der Zollverein, wie es den Anschein hat, ans
einander brechen, so würden Nürnberg und Franken die Folgen schwer davon
empfinden, und sicherlich in ihren bayerischen Gefühlen, soweit sie vorhanden
sind, durch diese Leide" für die Münchener Großmachtssucht nicht gestärkt
werden.

Ich schied vou Nürnberg mit der Ueberzeugung, daß mau sehr wohl thut,
mindestens zwei Tage auf eine genane Besichtigung seiner zahlreichen Kunstschätze
und mittelalterlichen Bauwerke zu verwenden, zugleich aber, falls man nicht Pri¬
vatverbindungen hat, um seinem fernern Aufenthalt Rejz zu geben, weise han¬
delt, nicht länger zu verweilen, um nicht neben so viel interessanten Eindrücken die.
Erinnerung an ausgestandene Langeweile mitzunehmen. Das ganze gastliche Le¬
ben der Stadt bietet, wie gesagt, keine geistigen Genüsse und, das gute Bier
ausgenommen, auch keinen materiellen. Die bayerische Küche ist überhaupt nach
meinem Geschmacke schauderhaft, und die Gasthöfe mit den rheinischen und nord¬
deutschen nicht zu vergleichen. Die sogenannten Cafes sind noch ungleich schlechter.
Fleischsuppe ist, wie es scheint, eine Delicatesse, die Gemüse werden wie Suppen
gekocht, die man ans diese Weise zweimal, erhält, während man schon an der
ersten mehr, als genug hat; was man an Stelle der Mehlspeisen giebt, ist mei¬
stens ein mir unbegreifliches Etwas, das nach Nichts und zugleich doch abscheulich
schmeckt, und will man sich, auf alle Table d'hote-Freuden oder Couvert-Genüsse


im Stande ist. Preußen hat die Aussicht, die Antipathien seiner katholischen Rhein¬
land? zu überwinden und sie mit seinen alten Provinzen zu verschmelzen, wenn
seine Regierung eine nationale und freisinnige Politik adoptirt. Bayern wird
schwerlich je das Gleiche mit seinen protestantisch-fränkischen Besitzungen erreichen;
seine staatliche Bedeutung ist zu gering, um seiner Bevölkerung ein Interesse am
Staat zu verleihen, wo dies nicht, wie in den altbayerischen Landen, einen Hebel
in der strengkatholischen Gesinnung findet, und die Großmachtsträume des Herrn
vou der Pfordten werden wohl Träume bleiben. Man kann es den Nürnbergern
daher nicht verdenken, wenn ihr bayerischer Patriotismus mir lau ist, und was
den deutschen betrifft, so sind die Dinge nicht darnach geartet, ihm irgend welche
Nahrung zu geben. Materiell befindet sich die Stadt bei Bayern nicht schlecht
und verdankt der Verbindung mit ihr die Ordnung ihres ganz zerrütteten Staats¬
haushaltes, durch die 1819 erfolgte Uebernahme ihrer Schulden, die bis aus
18"/<> herabgesunken waren, auf die Staatsschuld, eine Wohlthat, die freilich mit
dem Beitritt zu einem andern größern Staatsganzen wohl auch nicht ausgeblieben
wäre. Von unserm norddeutschen Standpunkt müssen wir es tief beklagen, daß
Preußen seine fränkischen Gebiete, die ihm mit althergestammter Treue anhingen,
aufgegeben hat, und diese protestantischen Lande katholischem Scepter unterworfen
sind. Nürnberg z. B>, das 1806 eine kaum nennenswerthe Zahl von Katholiken in
seinen Mauern'hatte, zählt deren jetzt schon 7000, das ist etwa ISpCt. seiner
Einwohnerschaft. Sollte übrigens der Zollverein, wie es den Anschein hat, ans
einander brechen, so würden Nürnberg und Franken die Folgen schwer davon
empfinden, und sicherlich in ihren bayerischen Gefühlen, soweit sie vorhanden
sind, durch diese Leide» für die Münchener Großmachtssucht nicht gestärkt
werden.

Ich schied vou Nürnberg mit der Ueberzeugung, daß mau sehr wohl thut,
mindestens zwei Tage auf eine genane Besichtigung seiner zahlreichen Kunstschätze
und mittelalterlichen Bauwerke zu verwenden, zugleich aber, falls man nicht Pri¬
vatverbindungen hat, um seinem fernern Aufenthalt Rejz zu geben, weise han¬
delt, nicht länger zu verweilen, um nicht neben so viel interessanten Eindrücken die.
Erinnerung an ausgestandene Langeweile mitzunehmen. Das ganze gastliche Le¬
ben der Stadt bietet, wie gesagt, keine geistigen Genüsse und, das gute Bier
ausgenommen, auch keinen materiellen. Die bayerische Küche ist überhaupt nach
meinem Geschmacke schauderhaft, und die Gasthöfe mit den rheinischen und nord¬
deutschen nicht zu vergleichen. Die sogenannten Cafes sind noch ungleich schlechter.
Fleischsuppe ist, wie es scheint, eine Delicatesse, die Gemüse werden wie Suppen
gekocht, die man ans diese Weise zweimal, erhält, während man schon an der
ersten mehr, als genug hat; was man an Stelle der Mehlspeisen giebt, ist mei¬
stens ein mir unbegreifliches Etwas, das nach Nichts und zugleich doch abscheulich
schmeckt, und will man sich, auf alle Table d'hote-Freuden oder Couvert-Genüsse


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94982/273>, abgerufen am 27.09.2024.