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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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eine Woche, geschweige denn viele Monate geheim zu bleiben, zumal wenn eine
der Parteien ein ganz besonderes Interesse an ihrem Bekanntwerden hat. An¬
dere vertrauen auf Preußens vielbewährtem Wankelmuth, und weisen aus den
blinden Lärm von 18ö0 hin. Aber die Dinge liegen jetzt gariz anders. Die
Partei, die damals die wunderbare Wandlung zu Stande brachte und für Oest¬
reich wirkte, ist jetzt gegen Oestreich, weniger aus staatsmännischem Princip, als
aus wohlverstandenen eigenen Interesse, weil sie aus Grundbesitzern in den alten
Provinzen besteht, und deshalb gegen hohe Zölle sein muß, und auch aus doctri-
nairem, aber tiefsitzendem Groll gegen den liberalen rheinischen Fabrikantenstand,
dessen Bequemlichkeitsliebe das Liebäugeln mit dem Schutzzoll nicht lassen kann,
aus feudalen Haß gegen die Geldsäcke. Wo Parteileidenschaft und materielles Inter¬
esse so einträchtig Hand in Hand gehen, ist kein Umschwung zu erwarten. Außerdem
ist Preußen durch Hannover gebunden, und ratistcirte Verträge sind bekanntlich
für den Staat, nicht für die Minister verpflichtend, und können ohne gegenseitige
Zustimmung nicht gelöst werden. Auch diese Hoffnung dürste ans schwachen Fü¬
ßen ruhen.

Mittlerweile stocken Handel und Gewerbe, und uicht blos die industriellen Zweige.
Niemand wagt eine auf irgend anf längere Zeitdauer berechnete Speculation zu
machen, da die Ungewißheit der zukünftigen Gestaltung der deutschen Verkehrs¬
verhältnisse jede Berechnung zur Unmöglichkeit macht. Kaum traut man sich ein
größeres Haus oder ein Gut zu kaufen, denn Niemand kann errathen, was
nächstes Jahr sein Werth ist. Aber wenn es auch aus dem Markte still ist, in
den Cabineten der Diplomaten herrscht große Thätigkeit. Da sitzt man am
Brete und rechnet und sinnt, und zieht langsam und bedächtig die Steine -- denn
noch dauert es sechs Monate, bevor Oestreich es den zur Wahrung ihrer Selbst-
ständigkeit vor Preußen in Darmstadt zusammengetretenen Staaten verstattet,
selbstständig mit Preußen zu unterhandeln.

Zusatz der Redaction. Unsre Leser werden es dem Verfasser des vor¬
stehenden Aufsatzes Dank wissen, daß er in seine nationalökonomische Beweis¬
führung den politischen Nebengedanken keinen Raum gegeben hat. Diesen Neben¬
gedanken wird unter den betheiligten Mächten -- ans beiden Seiten -- ein viel
zu großer Einfluß verstattet. Verstände man unter Politik, was es eigentlich
heißen soll, den Inbegriff aller staatlichen Verhältnisse, so ließe sich dagegen
Nichts sagen, denn dem Ganzen soll das Glied weichen. Aber man versteht
darunter Rangbeziehungen der Fürsten/ oder vielmehr ihrer Minister. Ob Herr
Hassenpflug hinter Herrn v. Manteuffel gehen muß, oder neben ihm -- diese
und ähnliche Gesichtspunkte scheinen uns nicht wichtig genug, in einer Sache den
Ausschlag zu geben, an der das Wohl und Wehe von Millionen hängt.




eine Woche, geschweige denn viele Monate geheim zu bleiben, zumal wenn eine
der Parteien ein ganz besonderes Interesse an ihrem Bekanntwerden hat. An¬
dere vertrauen auf Preußens vielbewährtem Wankelmuth, und weisen aus den
blinden Lärm von 18ö0 hin. Aber die Dinge liegen jetzt gariz anders. Die
Partei, die damals die wunderbare Wandlung zu Stande brachte und für Oest¬
reich wirkte, ist jetzt gegen Oestreich, weniger aus staatsmännischem Princip, als
aus wohlverstandenen eigenen Interesse, weil sie aus Grundbesitzern in den alten
Provinzen besteht, und deshalb gegen hohe Zölle sein muß, und auch aus doctri-
nairem, aber tiefsitzendem Groll gegen den liberalen rheinischen Fabrikantenstand,
dessen Bequemlichkeitsliebe das Liebäugeln mit dem Schutzzoll nicht lassen kann,
aus feudalen Haß gegen die Geldsäcke. Wo Parteileidenschaft und materielles Inter¬
esse so einträchtig Hand in Hand gehen, ist kein Umschwung zu erwarten. Außerdem
ist Preußen durch Hannover gebunden, und ratistcirte Verträge sind bekanntlich
für den Staat, nicht für die Minister verpflichtend, und können ohne gegenseitige
Zustimmung nicht gelöst werden. Auch diese Hoffnung dürste ans schwachen Fü¬
ßen ruhen.

Mittlerweile stocken Handel und Gewerbe, und uicht blos die industriellen Zweige.
Niemand wagt eine auf irgend anf längere Zeitdauer berechnete Speculation zu
machen, da die Ungewißheit der zukünftigen Gestaltung der deutschen Verkehrs¬
verhältnisse jede Berechnung zur Unmöglichkeit macht. Kaum traut man sich ein
größeres Haus oder ein Gut zu kaufen, denn Niemand kann errathen, was
nächstes Jahr sein Werth ist. Aber wenn es auch aus dem Markte still ist, in
den Cabineten der Diplomaten herrscht große Thätigkeit. Da sitzt man am
Brete und rechnet und sinnt, und zieht langsam und bedächtig die Steine — denn
noch dauert es sechs Monate, bevor Oestreich es den zur Wahrung ihrer Selbst-
ständigkeit vor Preußen in Darmstadt zusammengetretenen Staaten verstattet,
selbstständig mit Preußen zu unterhandeln.

Zusatz der Redaction. Unsre Leser werden es dem Verfasser des vor¬
stehenden Aufsatzes Dank wissen, daß er in seine nationalökonomische Beweis¬
führung den politischen Nebengedanken keinen Raum gegeben hat. Diesen Neben¬
gedanken wird unter den betheiligten Mächten — ans beiden Seiten — ein viel
zu großer Einfluß verstattet. Verstände man unter Politik, was es eigentlich
heißen soll, den Inbegriff aller staatlichen Verhältnisse, so ließe sich dagegen
Nichts sagen, denn dem Ganzen soll das Glied weichen. Aber man versteht
darunter Rangbeziehungen der Fürsten/ oder vielmehr ihrer Minister. Ob Herr
Hassenpflug hinter Herrn v. Manteuffel gehen muß, oder neben ihm — diese
und ähnliche Gesichtspunkte scheinen uns nicht wichtig genug, in einer Sache den
Ausschlag zu geben, an der das Wohl und Wehe von Millionen hängt.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/84>, abgerufen am 21.12.2024.