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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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Italienische Brief e.

Es ist freilich viel angenehmer, Ihnen von hier aus zu schreiben, wo eben
die Sonne hinter dem Vesuv aufgehend seine Rauchsäule golden umsäumt und
der alte Brummer sich gar behaglich in dem klare" Golf spiegelt, der sich vor mir
ausbreitet, aus dessen blauen Wogen die Inseln wie silberne Schwäne auftauchen,
"ut der frische Morgenwind, wie überall, die Gesänge und den Jubel der schrei¬
seligen Bevölkerung seinen Ufern zuführt, als mir dieses Vergnügen ans irgend
einem Sitze deutscher Gelehrsamkeit beim Tröpfeln des Regens auf schmierigen
Pflaster und demokratisch gleich vertheilten: Torfgestank .zu verschaffen. Ich will
damit nun nicht behauptet haben, als ob die glänzende Sonne hier nur lauter
Erbauliches beleuchtete, -- im Gegentheil habe ich nie solchen Respect vor deut¬
scher Ehrlichkeit und Uneigennützigkeit und vor deutschem Regenwetter gehabt,
als hier, wo ich sie allüberall vermisse.

Wir werden uns wirklich einstweilen trösten müssen, wie die Neapolitaner
noch weniger als die übrigen Italiener constitutionell regiert werden, bis das
Geheimniß von unsren großen Philosophen entdeckt sein wird, eine erschlaffte,
gedankenfaule und gewissenlos habsüchtige Bevölkerung im Handumwenden zu
Nüchternen, tapferen, sittlichen und gewissenhaften Bürgern umzuschaffen, was bis
M einem ziemlichen Grad, wenigstens hier, doch unumgängliche Eigenschaften für
einen freien Staat sein möchten.

Man kann in sechs Wochen begreiflich ein Königreich nicht so kennen lernen,
n"i sich ein entscheidendes Urtheil darüber erlauben zu dürfen, und ich begnüge
mich daher auch damit, Ihnen meine unmittelbaren eigenen Eindrücke zu geben,
so wie das, was mir die hier langjährig angesessenen Landsleute der verschieden¬
sten politischen Meinungen übereinstimmend erzählten. Jene waren nun freilich
gleich beim ersten Eintritt an der Grenze in Fvndi nicht glänzend. Die Mauth-
beamten fingen mitten auf der Straße einen förmlichen Handel über das
Trinkgeld an, gegen welches sie unsre Koffer und Nachtsäcke ununtersucht Pas¬
siren lassen wollten. Diese Versteigerung an den Wenigstnehmenden geschah unter
der naiven Theilnahme sämmtlicher Angestellten und der halben Bevölkerung des
Ortes, die um uns Herumstand und die Sache vollkommen in der Ordnung zu
finden schien; unsren Koffern wurde kein Haar gekrümmt, nachdem wir durch
e'ues Piasters silberne Stimme ihre Reinheit von revolutionairen und mautbbaren
Stoffen genügend bezeugen lassen.

Ich hätte einen halben Centner Ruge'scher Weltanschauung und Mazzini'scher
Volksbeglückung ohne das geringste Hinderniß einschmuggeln können, und meine
Gefährten bedauerten höchst aufrichtig, nicht wenigstens mehr Cigarren mitge-


Italienische Brief e.

Es ist freilich viel angenehmer, Ihnen von hier aus zu schreiben, wo eben
die Sonne hinter dem Vesuv aufgehend seine Rauchsäule golden umsäumt und
der alte Brummer sich gar behaglich in dem klare» Golf spiegelt, der sich vor mir
ausbreitet, aus dessen blauen Wogen die Inseln wie silberne Schwäne auftauchen,
»ut der frische Morgenwind, wie überall, die Gesänge und den Jubel der schrei¬
seligen Bevölkerung seinen Ufern zuführt, als mir dieses Vergnügen ans irgend
einem Sitze deutscher Gelehrsamkeit beim Tröpfeln des Regens auf schmierigen
Pflaster und demokratisch gleich vertheilten: Torfgestank .zu verschaffen. Ich will
damit nun nicht behauptet haben, als ob die glänzende Sonne hier nur lauter
Erbauliches beleuchtete, — im Gegentheil habe ich nie solchen Respect vor deut¬
scher Ehrlichkeit und Uneigennützigkeit und vor deutschem Regenwetter gehabt,
als hier, wo ich sie allüberall vermisse.

Wir werden uns wirklich einstweilen trösten müssen, wie die Neapolitaner
noch weniger als die übrigen Italiener constitutionell regiert werden, bis das
Geheimniß von unsren großen Philosophen entdeckt sein wird, eine erschlaffte,
gedankenfaule und gewissenlos habsüchtige Bevölkerung im Handumwenden zu
Nüchternen, tapferen, sittlichen und gewissenhaften Bürgern umzuschaffen, was bis
M einem ziemlichen Grad, wenigstens hier, doch unumgängliche Eigenschaften für
einen freien Staat sein möchten.

Man kann in sechs Wochen begreiflich ein Königreich nicht so kennen lernen,
n»i sich ein entscheidendes Urtheil darüber erlauben zu dürfen, und ich begnüge
mich daher auch damit, Ihnen meine unmittelbaren eigenen Eindrücke zu geben,
so wie das, was mir die hier langjährig angesessenen Landsleute der verschieden¬
sten politischen Meinungen übereinstimmend erzählten. Jene waren nun freilich
gleich beim ersten Eintritt an der Grenze in Fvndi nicht glänzend. Die Mauth-
beamten fingen mitten auf der Straße einen förmlichen Handel über das
Trinkgeld an, gegen welches sie unsre Koffer und Nachtsäcke ununtersucht Pas¬
siren lassen wollten. Diese Versteigerung an den Wenigstnehmenden geschah unter
der naiven Theilnahme sämmtlicher Angestellten und der halben Bevölkerung des
Ortes, die um uns Herumstand und die Sache vollkommen in der Ordnung zu
finden schien; unsren Koffern wurde kein Haar gekrümmt, nachdem wir durch
e'ues Piasters silberne Stimme ihre Reinheit von revolutionairen und mautbbaren
Stoffen genügend bezeugen lassen.

Ich hätte einen halben Centner Ruge'scher Weltanschauung und Mazzini'scher
Volksbeglückung ohne das geringste Hinderniß einschmuggeln können, und meine
Gefährten bedauerten höchst aufrichtig, nicht wenigstens mehr Cigarren mitge-


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[0427] Italienische Brief e. Es ist freilich viel angenehmer, Ihnen von hier aus zu schreiben, wo eben die Sonne hinter dem Vesuv aufgehend seine Rauchsäule golden umsäumt und der alte Brummer sich gar behaglich in dem klare» Golf spiegelt, der sich vor mir ausbreitet, aus dessen blauen Wogen die Inseln wie silberne Schwäne auftauchen, »ut der frische Morgenwind, wie überall, die Gesänge und den Jubel der schrei¬ seligen Bevölkerung seinen Ufern zuführt, als mir dieses Vergnügen ans irgend einem Sitze deutscher Gelehrsamkeit beim Tröpfeln des Regens auf schmierigen Pflaster und demokratisch gleich vertheilten: Torfgestank .zu verschaffen. Ich will damit nun nicht behauptet haben, als ob die glänzende Sonne hier nur lauter Erbauliches beleuchtete, — im Gegentheil habe ich nie solchen Respect vor deut¬ scher Ehrlichkeit und Uneigennützigkeit und vor deutschem Regenwetter gehabt, als hier, wo ich sie allüberall vermisse. Wir werden uns wirklich einstweilen trösten müssen, wie die Neapolitaner noch weniger als die übrigen Italiener constitutionell regiert werden, bis das Geheimniß von unsren großen Philosophen entdeckt sein wird, eine erschlaffte, gedankenfaule und gewissenlos habsüchtige Bevölkerung im Handumwenden zu Nüchternen, tapferen, sittlichen und gewissenhaften Bürgern umzuschaffen, was bis M einem ziemlichen Grad, wenigstens hier, doch unumgängliche Eigenschaften für einen freien Staat sein möchten. Man kann in sechs Wochen begreiflich ein Königreich nicht so kennen lernen, n»i sich ein entscheidendes Urtheil darüber erlauben zu dürfen, und ich begnüge mich daher auch damit, Ihnen meine unmittelbaren eigenen Eindrücke zu geben, so wie das, was mir die hier langjährig angesessenen Landsleute der verschieden¬ sten politischen Meinungen übereinstimmend erzählten. Jene waren nun freilich gleich beim ersten Eintritt an der Grenze in Fvndi nicht glänzend. Die Mauth- beamten fingen mitten auf der Straße einen förmlichen Handel über das Trinkgeld an, gegen welches sie unsre Koffer und Nachtsäcke ununtersucht Pas¬ siren lassen wollten. Diese Versteigerung an den Wenigstnehmenden geschah unter der naiven Theilnahme sämmtlicher Angestellten und der halben Bevölkerung des Ortes, die um uns Herumstand und die Sache vollkommen in der Ordnung zu finden schien; unsren Koffern wurde kein Haar gekrümmt, nachdem wir durch e'ues Piasters silberne Stimme ihre Reinheit von revolutionairen und mautbbaren Stoffen genügend bezeugen lassen. Ich hätte einen halben Centner Ruge'scher Weltanschauung und Mazzini'scher Volksbeglückung ohne das geringste Hinderniß einschmuggeln können, und meine Gefährten bedauerten höchst aufrichtig, nicht wenigstens mehr Cigarren mitge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/427>, abgerufen am 21.12.2024.