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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.

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Seit der Einwanderung der Franken hat sich die Bevölkerung des Oberharzes
in völliger Reinheit und nnverüiischt, treu der von den Vätern ererbten Beschäf¬
tigung, erhalten. So sind diese Berge einer der hauptsächlichsten Sammelplätze
für alte Ueberlieferungen, für Sagen und Märchen geworden. Bei dem Sam¬
meln konnte ich die Erfahrung machen, daß man Anfangs im Betreff der Mär¬
chen, welche das Volk mit poetischer Freiheit genießt, mittheilsamer war, als über
die Ortssagen, welche großentheils für wast gehalten werden und oft die zuletzt
verstorbene Generation berühren, wenn sie nicht gar in die gegenwärtigen Ver¬
hältnisse hineinreichen.

Der Charakter des Harzfranken ist heiter und lebenslustig; er selbst nennt
sich oft genug gemüthlich. Heine, der in seiner "Harzreisc" von Osterode über
Lerbach und Clausthal nach Goslar seine Frivolität völlig vergißt und ganz in
fromme Wehmuth aufgelöst erscheint, schildert den Oberharzer als sehr religiös,
was vielleicht nicht ohne Grund sein mag, jedenfalls aber nicht der vorherrschende
Eindruck ist, den er hervorruft. -- Complimente werden nicht gemacht, "guter
Freund" ist die Anrede, welche Hoch und Niedrig von dem echten Bergmann
erhält, und wenn dieser Jemandes Wohlmollen genießt und im Stande ist es zu
erwiedern, so wird er, abgesehen von dieser gebräuchlichen Anrede, auch kein Be¬
denken tragen, ihn, und wenn es der Berghauptmann selber wäre, auch gegen
andere im ernstem Sinne des Wortes seinen Freund zu nennen. Eine gewisse
Derbheit ist sehr beliebt und diejenigen, welche sie sich am Meisten bewahrt haben,
sind bei ihrer großen Popularität eine Art von öffentlichen Charakteren. Kein
größeres Lob ertheilt der Oberharzer Jemand, als wenn er von ihm sagt: "Er'
ist noch so ein alter Deutscher." Kommt man dann zu diesen "alten Deutschen"
ins Haus, so findet man Leute, welche fünf gerade sein lassen, auf ihren Vortheil
möglichst bedacht sind, mit sehr bedächtiger Rede in großväterlicher Weise schwanke
erzählen, leicht grob werden, sobald das bei dem Harzer überaus rege Ehrgefühl
irgendwie verletzt wird, aber sich noch schneller versöhnen.

Die Bevölkerung des Oberharzes ist eine rein protestantische. Nicht eine
katholische Kirche befindet sich hier, ja man hat' uns nicht einen Katholiken zu
nennen gewußt, und wenn es deren giebt,' so werden sie sich zum wenigsten nicht
unter den Bergleuten und Waldarbeitern, sondern unter den nicht eingeborenen
höheren Beamten finden. Jedenfalls wohnt kein Jude hier. Da die Behör¬
den oft in die ökonomischen Verhältnisse der Bergleute eingreifen müssen,
so haben sie es bis jetzt für ant befunden, daß die Handelsjuden (denn anderen
ist es noch nicht eingefallen, sich hier nieder zu lassen) nur von Osterode und
Goslar heraufkommen dürfen. Ein einziger Jude wohnte in Clausthal und
erwarb dort Reichthümer. Nach seinem Tode konnten sich seine Kinder unter
der dortigen Bevölkerung nicht mehr halten, und zogen mit ihrer Erbschaft
davon.


Seit der Einwanderung der Franken hat sich die Bevölkerung des Oberharzes
in völliger Reinheit und nnverüiischt, treu der von den Vätern ererbten Beschäf¬
tigung, erhalten. So sind diese Berge einer der hauptsächlichsten Sammelplätze
für alte Ueberlieferungen, für Sagen und Märchen geworden. Bei dem Sam¬
meln konnte ich die Erfahrung machen, daß man Anfangs im Betreff der Mär¬
chen, welche das Volk mit poetischer Freiheit genießt, mittheilsamer war, als über
die Ortssagen, welche großentheils für wast gehalten werden und oft die zuletzt
verstorbene Generation berühren, wenn sie nicht gar in die gegenwärtigen Ver¬
hältnisse hineinreichen.

Der Charakter des Harzfranken ist heiter und lebenslustig; er selbst nennt
sich oft genug gemüthlich. Heine, der in seiner „Harzreisc" von Osterode über
Lerbach und Clausthal nach Goslar seine Frivolität völlig vergißt und ganz in
fromme Wehmuth aufgelöst erscheint, schildert den Oberharzer als sehr religiös,
was vielleicht nicht ohne Grund sein mag, jedenfalls aber nicht der vorherrschende
Eindruck ist, den er hervorruft. — Complimente werden nicht gemacht, „guter
Freund" ist die Anrede, welche Hoch und Niedrig von dem echten Bergmann
erhält, und wenn dieser Jemandes Wohlmollen genießt und im Stande ist es zu
erwiedern, so wird er, abgesehen von dieser gebräuchlichen Anrede, auch kein Be¬
denken tragen, ihn, und wenn es der Berghauptmann selber wäre, auch gegen
andere im ernstem Sinne des Wortes seinen Freund zu nennen. Eine gewisse
Derbheit ist sehr beliebt und diejenigen, welche sie sich am Meisten bewahrt haben,
sind bei ihrer großen Popularität eine Art von öffentlichen Charakteren. Kein
größeres Lob ertheilt der Oberharzer Jemand, als wenn er von ihm sagt: „Er'
ist noch so ein alter Deutscher." Kommt man dann zu diesen „alten Deutschen"
ins Haus, so findet man Leute, welche fünf gerade sein lassen, auf ihren Vortheil
möglichst bedacht sind, mit sehr bedächtiger Rede in großväterlicher Weise schwanke
erzählen, leicht grob werden, sobald das bei dem Harzer überaus rege Ehrgefühl
irgendwie verletzt wird, aber sich noch schneller versöhnen.

Die Bevölkerung des Oberharzes ist eine rein protestantische. Nicht eine
katholische Kirche befindet sich hier, ja man hat' uns nicht einen Katholiken zu
nennen gewußt, und wenn es deren giebt,' so werden sie sich zum wenigsten nicht
unter den Bergleuten und Waldarbeitern, sondern unter den nicht eingeborenen
höheren Beamten finden. Jedenfalls wohnt kein Jude hier. Da die Behör¬
den oft in die ökonomischen Verhältnisse der Bergleute eingreifen müssen,
so haben sie es bis jetzt für ant befunden, daß die Handelsjuden (denn anderen
ist es noch nicht eingefallen, sich hier nieder zu lassen) nur von Osterode und
Goslar heraufkommen dürfen. Ein einziger Jude wohnte in Clausthal und
erwarb dort Reichthümer. Nach seinem Tode konnten sich seine Kinder unter
der dortigen Bevölkerung nicht mehr halten, und zogen mit ihrer Erbschaft
davon.


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[0024] Seit der Einwanderung der Franken hat sich die Bevölkerung des Oberharzes in völliger Reinheit und nnverüiischt, treu der von den Vätern ererbten Beschäf¬ tigung, erhalten. So sind diese Berge einer der hauptsächlichsten Sammelplätze für alte Ueberlieferungen, für Sagen und Märchen geworden. Bei dem Sam¬ meln konnte ich die Erfahrung machen, daß man Anfangs im Betreff der Mär¬ chen, welche das Volk mit poetischer Freiheit genießt, mittheilsamer war, als über die Ortssagen, welche großentheils für wast gehalten werden und oft die zuletzt verstorbene Generation berühren, wenn sie nicht gar in die gegenwärtigen Ver¬ hältnisse hineinreichen. Der Charakter des Harzfranken ist heiter und lebenslustig; er selbst nennt sich oft genug gemüthlich. Heine, der in seiner „Harzreisc" von Osterode über Lerbach und Clausthal nach Goslar seine Frivolität völlig vergißt und ganz in fromme Wehmuth aufgelöst erscheint, schildert den Oberharzer als sehr religiös, was vielleicht nicht ohne Grund sein mag, jedenfalls aber nicht der vorherrschende Eindruck ist, den er hervorruft. — Complimente werden nicht gemacht, „guter Freund" ist die Anrede, welche Hoch und Niedrig von dem echten Bergmann erhält, und wenn dieser Jemandes Wohlmollen genießt und im Stande ist es zu erwiedern, so wird er, abgesehen von dieser gebräuchlichen Anrede, auch kein Be¬ denken tragen, ihn, und wenn es der Berghauptmann selber wäre, auch gegen andere im ernstem Sinne des Wortes seinen Freund zu nennen. Eine gewisse Derbheit ist sehr beliebt und diejenigen, welche sie sich am Meisten bewahrt haben, sind bei ihrer großen Popularität eine Art von öffentlichen Charakteren. Kein größeres Lob ertheilt der Oberharzer Jemand, als wenn er von ihm sagt: „Er' ist noch so ein alter Deutscher." Kommt man dann zu diesen „alten Deutschen" ins Haus, so findet man Leute, welche fünf gerade sein lassen, auf ihren Vortheil möglichst bedacht sind, mit sehr bedächtiger Rede in großväterlicher Weise schwanke erzählen, leicht grob werden, sobald das bei dem Harzer überaus rege Ehrgefühl irgendwie verletzt wird, aber sich noch schneller versöhnen. Die Bevölkerung des Oberharzes ist eine rein protestantische. Nicht eine katholische Kirche befindet sich hier, ja man hat' uns nicht einen Katholiken zu nennen gewußt, und wenn es deren giebt,' so werden sie sich zum wenigsten nicht unter den Bergleuten und Waldarbeitern, sondern unter den nicht eingeborenen höheren Beamten finden. Jedenfalls wohnt kein Jude hier. Da die Behör¬ den oft in die ökonomischen Verhältnisse der Bergleute eingreifen müssen, so haben sie es bis jetzt für ant befunden, daß die Handelsjuden (denn anderen ist es noch nicht eingefallen, sich hier nieder zu lassen) nur von Osterode und Goslar heraufkommen dürfen. Ein einziger Jude wohnte in Clausthal und erwarb dort Reichthümer. Nach seinem Tode konnten sich seine Kinder unter der dortigen Bevölkerung nicht mehr halten, und zogen mit ihrer Erbschaft davon.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_94440/24>, abgerufen am 21.12.2024.