Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, II. Semester. III. Band.Die Appenzeller Landsgemeinde. 2. Es war ein vollkommenes Wagestück, am 25. April 1832 Vormittags vor Bald wirbelten die Trommeln und pfiffen .die Pickclflötcn, die Autoritäten . Grcnzlwtm. IU. 18
Die Appenzeller Landsgemeinde. 2. Es war ein vollkommenes Wagestück, am 25. April 1832 Vormittags vor Bald wirbelten die Trommeln und pfiffen .die Pickclflötcn, die Autoritäten . Grcnzlwtm. IU. 18
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Die Appenzeller Landsgemeinde.
2.
Es war ein vollkommenes Wagestück, am 25. April 1832 Vormittags vor
11 Uhr die Treppe hinaufzubringen zu den Gastzimmern des Wirthshauses zum Hecht
in Appenzelb. Von Stufe zu Stufe warf sich dem emporsteigenden Menschenstrom die
Fluth des herabdringenden entgegen, welcher bereits seine vom Hermarsch ermatte¬
ten Kräfte mit einigen Schoppen Nheinthaler wieder aufgefrischt hatte und nur aus
der dumpfheißen Stube in die Gassen fluthete. Die Landsgemeinde werde sogleich
ihren Anfang nehmen, sagten die'Treibend-Ungeduldigen, wahrend andere Stimmen
riefen, da sei noch viel Zeit und man könne noch manchen Schoppen vertilgen.
Wirklich harrten mich oben ruhig die Anführer der officiellen Festlichkeit, die
Spielleute; und dem Fragenden versicherten sie ernstwichtig: man habe noch Zeit,
die „Herren,, seien noch nicht sämmtlich versammelt. Diese Spielleute sind wun¬
derbare Erscheinungen und ersetzen durch Wurde, was ihnen an Kunstfertigkeit
anf ihren Instrumenten abgeht, obgleich ihr Orchester sich uur aus etwa S — 6
Pickelpfeifeu und 3 —- 4- Trommeln zusammensetzt. Alle andere Menschen über¬
ragen sie zunächst mit einem kolossalen Dreimaster um etwa eine Elle. Diese
Dreimaster gewinnen aber die rechte Bedeutung uicht blos durch ihre gigantischen
Verhältnisse, sondern eben so sehr dnrch die Ehrwürde ihres augenscheinlich mehr
als hundertjährigen Greisenalters. Jeder der Spielleute steckt ferner mit dem
Obertheil seines sterblichen Leibes in einem' breitschößigen und außerordentlich
langgeschwänzten Kleidungsstück, welches sich mit seinen Schwingungen ironischer
Weise ebeu so sehr den Formen einer französischen Pairsunisorm unsrer Tage als
einem Bedientenrock aus ältester Zeit nähert. Diese Civiluuiform wird eben nnr
am Landögemeindstage getragen, entstammt also möglicher Weise ebenfalls abge¬
laufenen Jahrhunderten, scheint darum auch, vollkommen rücksichtslos ans die
Leibesbcschcisfenheit der jetzigen Generation, noch immer wehmüthig an die Körper-
formen des ersten Trägers zu denken. Kurze Beinkleider legen sich in gleicher
Nonchalance spannend oder runzelig um den Unterleib der Spielleute; weiße Strüm¬
pfe verkriechen sich ängstlich in tüchtige.Bergschuhe ze. Dazu kommt eine kleine
Eigenthümlichkeit. Die eine Hälfte des Frackes wie des Beinkleides ist nämlich
schwarz, die andere weiß. Denn die Diener der Autorität müssen des Landes
Farben tragen und jene Modernisirung, welche sie blos durch Ausschläge repräsen-
tiren läßt, ist noch nicht in dieses Thal gedrungen.
Bald wirbelten die Trommeln und pfiffen .die Pickclflötcn, die Autoritäten
setzten sich in Bewegung nach dem Marktplatze, wo die Landsgemeinde abgehalten
wird. Voran zogen ti-e wundersamen Spielleute; dann folgten pacmveis die
gesammten Landesbeamten, den Landammann an der Spitze, den Landwaibel hinter-
. Grcnzlwtm. IU. 18
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