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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.

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Ueber die Prüfung
Schläfrigkeit die Schwächung derselben. Eine
Seele, die immer mit gewissen Gegenständen be-
schäftiget ist, setzet auch ihren Körper in Bewe-
gung, und verhindert die Erschlaffung der Ner-
ven, aus der die Trägheit entsteht. Wenn hin-
gegen die Seele leer oder nur schlecht gerührt ist,
so wirkt sie in ihren Körper eben so langsam und
eben so schwach, als auf sie war gewirkt worden,
und der Mensch versinkt in Langeweile und Mü-
digkeit.

7. Aber ein Merkmal, welches seltner beob-
achtet wird, ist die Unfähigkeit eines jungen em-
pfindenden Kopfs zu Erlernung abstrakter Be-
griffe, oder der Wörter, die sie ausdrücken. Man
hört so oft über die Ungelehrigkeit von Kindern
klagen, die allenthalben, nur nicht in ihren Lehr-
stunden verständig scheinen. Ganz gewiß müssen
alsdann entweder die Sachen nicht gut für sie
gewählt seyn, die man sie lehrt, oder der Lehrer
unterscheidet die Gabe, bloß andrer Gedanken zu
behalten, nicht von der Fähigkeit selbst zu denken.
In einem je höhern Grade es die leztere besizt,

Ueber die Pruͤfung
Schlaͤfrigkeit die Schwaͤchung derſelben. Eine
Seele, die immer mit gewiſſen Gegenſtaͤnden be-
ſchaͤftiget iſt, ſetzet auch ihren Koͤrper in Bewe-
gung, und verhindert die Erſchlaffung der Ner-
ven, aus der die Traͤgheit entſteht. Wenn hin-
gegen die Seele leer oder nur ſchlecht geruͤhrt iſt,
ſo wirkt ſie in ihren Koͤrper eben ſo langſam und
eben ſo ſchwach, als auf ſie war gewirkt worden,
und der Menſch verſinkt in Langeweile und Muͤ-
digkeit.

7. Aber ein Merkmal, welches ſeltner beob-
achtet wird, iſt die Unfaͤhigkeit eines jungen em-
pfindenden Kopfs zu Erlernung abſtrakter Be-
griffe, oder der Woͤrter, die ſie ausdruͤcken. Man
hoͤrt ſo oft uͤber die Ungelehrigkeit von Kindern
klagen, die allenthalben, nur nicht in ihren Lehr-
ſtunden verſtaͤndig ſcheinen. Ganz gewiß muͤſſen
alsdann entweder die Sachen nicht gut fuͤr ſie
gewaͤhlt ſeyn, die man ſie lehrt, oder der Lehrer
unterſcheidet die Gabe, bloß andrer Gedanken zu
behalten, nicht von der Faͤhigkeit ſelbſt zu denken.
In einem je hoͤhern Grade es die leztere beſizt,

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[24/0030] Ueber die Pruͤfung Schlaͤfrigkeit die Schwaͤchung derſelben. Eine Seele, die immer mit gewiſſen Gegenſtaͤnden be- ſchaͤftiget iſt, ſetzet auch ihren Koͤrper in Bewe- gung, und verhindert die Erſchlaffung der Ner- ven, aus der die Traͤgheit entſteht. Wenn hin- gegen die Seele leer oder nur ſchlecht geruͤhrt iſt, ſo wirkt ſie in ihren Koͤrper eben ſo langſam und eben ſo ſchwach, als auf ſie war gewirkt worden, und der Menſch verſinkt in Langeweile und Muͤ- digkeit. 7. Aber ein Merkmal, welches ſeltner beob- achtet wird, iſt die Unfaͤhigkeit eines jungen em- pfindenden Kopfs zu Erlernung abſtrakter Be- griffe, oder der Woͤrter, die ſie ausdruͤcken. Man hoͤrt ſo oft uͤber die Ungelehrigkeit von Kindern klagen, die allenthalben, nur nicht in ihren Lehr- ſtunden verſtaͤndig ſcheinen. Ganz gewiß muͤſſen alsdann entweder die Sachen nicht gut fuͤr ſie gewaͤhlt ſeyn, die man ſie lehrt, oder der Lehrer unterſcheidet die Gabe, bloß andrer Gedanken zu behalten, nicht von der Faͤhigkeit ſelbſt zu denken. In einem je hoͤhern Grade es die leztere beſizt,

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Zitationshilfe: Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/30>, abgerufen am 29.03.2024.