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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.

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Ueber die Prüfung

Sind diese rauschend und heftig, aber vor-
übergehend, so sind die Eindrücke in der Seele
schnell, aber flüchtig. Sind sie ruhig, aber
dauerhaft, so ist die Empfindung langsam, aber
tief. Ist zwischen den Begierden und ihren Ge-
genständen ein gewisses Verhältniß, gesezt auch,
daß sie zuweilen darüber hinausgehen sollten, so
kann man in den Begriffen Ordnung und Rich-
tigkeit vermuthen. Ausschweifende oder ganz
verkehrte Leidenschaften, ohne alles wenigstens
scheinbare Verhältniß mit dem Guten, auf wel-
ches sie gerichtet sind, zeigen Zerrüttung und Un-
deutlichkeit in den Bildern an, die die Dinge von
sich in der Seele abgedrückt hatten. Ein Mangel
aller Leidenschaften ist das untrüglichste Kennzei-
chen der Dummheit.

5. Aber die genaueste und schärfste Prüfung
läßt sich durch die Beobachtung des Geschmacks
anstellen. Für diejenige Klasse von Empfindun-
gen ist das Vermögen der Seele am fähigsten, in
der sie das Schöne vom Häßlichen am leichtesten
und richtigsten unterscheidet. Nach der Einrich-

Ueber die Pruͤfung

Sind dieſe rauſchend und heftig, aber vor-
uͤbergehend, ſo ſind die Eindruͤcke in der Seele
ſchnell, aber fluͤchtig. Sind ſie ruhig, aber
dauerhaft, ſo iſt die Empfindung langſam, aber
tief. Iſt zwiſchen den Begierden und ihren Ge-
genſtaͤnden ein gewiſſes Verhaͤltniß, geſezt auch,
daß ſie zuweilen daruͤber hinausgehen ſollten, ſo
kann man in den Begriffen Ordnung und Rich-
tigkeit vermuthen. Ausſchweifende oder ganz
verkehrte Leidenſchaften, ohne alles wenigſtens
ſcheinbare Verhaͤltniß mit dem Guten, auf wel-
ches ſie gerichtet ſind, zeigen Zerruͤttung und Un-
deutlichkeit in den Bildern an, die die Dinge von
ſich in der Seele abgedruͤckt hatten. Ein Mangel
aller Leidenſchaften iſt das untruͤglichſte Kennzei-
chen der Dummheit.

5. Aber die genaueſte und ſchaͤrfſte Pruͤfung
laͤßt ſich durch die Beobachtung des Geſchmacks
anſtellen. Fuͤr diejenige Klaſſe von Empfindun-
gen iſt das Vermoͤgen der Seele am faͤhigſten, in
der ſie das Schoͤne vom Haͤßlichen am leichteſten
und richtigſten unterſcheidet. Nach der Einrich-

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[20/0026] Ueber die Pruͤfung Sind dieſe rauſchend und heftig, aber vor- uͤbergehend, ſo ſind die Eindruͤcke in der Seele ſchnell, aber fluͤchtig. Sind ſie ruhig, aber dauerhaft, ſo iſt die Empfindung langſam, aber tief. Iſt zwiſchen den Begierden und ihren Ge- genſtaͤnden ein gewiſſes Verhaͤltniß, geſezt auch, daß ſie zuweilen daruͤber hinausgehen ſollten, ſo kann man in den Begriffen Ordnung und Rich- tigkeit vermuthen. Ausſchweifende oder ganz verkehrte Leidenſchaften, ohne alles wenigſtens ſcheinbare Verhaͤltniß mit dem Guten, auf wel- ches ſie gerichtet ſind, zeigen Zerruͤttung und Un- deutlichkeit in den Bildern an, die die Dinge von ſich in der Seele abgedruͤckt hatten. Ein Mangel aller Leidenſchaften iſt das untruͤglichſte Kennzei- chen der Dummheit. 5. Aber die genaueſte und ſchaͤrfſte Pruͤfung laͤßt ſich durch die Beobachtung des Geſchmacks anſtellen. Fuͤr diejenige Klaſſe von Empfindun- gen iſt das Vermoͤgen der Seele am faͤhigſten, in der ſie das Schoͤne vom Haͤßlichen am leichteſten und richtigſten unterſcheidet. Nach der Einrich-

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Zitationshilfe: Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/26>, abgerufen am 28.03.2024.