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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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Freundes im Kloster empfing die Braut mit einem
Thränenstrom, der sie zu erleichtern schien.

Als am Sonntagsmorgen der Gottesdienst sich
seinem Ende näherte, stieg die Mutter in Dorotheens
Stube hinauf, ihr kleines Angebinde zu überreichen.
Es war eine Silhouette und Locke ihrer Tochter, die
sie einem perlenumrahmten Medaillon hatte einfügen
lassen.

Sie fand die Braut fertig gekleidet in ihrem
Abendmahlsanzug, Brust und Arme mit einer Gar¬
nirung weißer Klosterspitzen, einem Geschenke Fabers,
umschlossen. Das dunkle Bild am schwarzen Bande
als einziger Schmuck, hob das Trauerartige der Er¬
scheinung noch mehr hervor. In diesem düsteren
Rahmen aber, in der Blüthenweiße des Angesichts,
die Augen gesenkt, die Hände wie zu demüthigem
Flehen über der Brust gefaltet und die Morgensonne
die weiche Lockenwelle übergoldend: die Mutter ge¬
stand, daß sie unter dem Rosenschimmer des Kindes
niemals diese ideale Schönheit geahnt und daß sie ge¬
bannt im Anschauen, einen Augenblick auf der Schwelle
geweilt habe.

Aber nur einen Augenblick. Im nächsten durch¬
flog ein Schrecken die Glieder der armen Hochzeits¬

Freundes im Kloſter empfing die Braut mit einem
Thränenſtrom, der ſie zu erleichtern ſchien.

Als am Sonntagsmorgen der Gottesdienſt ſich
ſeinem Ende näherte, ſtieg die Mutter in Dorotheens
Stube hinauf, ihr kleines Angebinde zu überreichen.
Es war eine Silhouette und Locke ihrer Tochter, die
ſie einem perlenumrahmten Medaillon hatte einfügen
laſſen.

Sie fand die Braut fertig gekleidet in ihrem
Abendmahlsanzug, Bruſt und Arme mit einer Gar¬
nirung weißer Kloſterſpitzen, einem Geſchenke Fabers,
umſchloſſen. Das dunkle Bild am ſchwarzen Bande
als einziger Schmuck, hob das Trauerartige der Er¬
ſcheinung noch mehr hervor. In dieſem düſteren
Rahmen aber, in der Blüthenweiße des Angeſichts,
die Augen geſenkt, die Hände wie zu demüthigem
Flehen über der Bruſt gefaltet und die Morgenſonne
die weiche Lockenwelle übergoldend: die Mutter ge¬
ſtand, daß ſie unter dem Roſenſchimmer des Kindes
niemals dieſe ideale Schönheit geahnt und daß ſie ge¬
bannt im Anſchauen, einen Augenblick auf der Schwelle
geweilt habe.

Aber nur einen Augenblick. Im nächſten durch¬
flog ein Schrecken die Glieder der armen Hochzeits¬

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[102/0106] Freundes im Kloſter empfing die Braut mit einem Thränenſtrom, der ſie zu erleichtern ſchien. Als am Sonntagsmorgen der Gottesdienſt ſich ſeinem Ende näherte, ſtieg die Mutter in Dorotheens Stube hinauf, ihr kleines Angebinde zu überreichen. Es war eine Silhouette und Locke ihrer Tochter, die ſie einem perlenumrahmten Medaillon hatte einfügen laſſen. Sie fand die Braut fertig gekleidet in ihrem Abendmahlsanzug, Bruſt und Arme mit einer Gar¬ nirung weißer Kloſterſpitzen, einem Geſchenke Fabers, umſchloſſen. Das dunkle Bild am ſchwarzen Bande als einziger Schmuck, hob das Trauerartige der Er¬ ſcheinung noch mehr hervor. In dieſem düſteren Rahmen aber, in der Blüthenweiße des Angeſichts, die Augen geſenkt, die Hände wie zu demüthigem Flehen über der Bruſt gefaltet und die Morgenſonne die weiche Lockenwelle übergoldend: die Mutter ge¬ ſtand, daß ſie unter dem Roſenſchimmer des Kindes niemals dieſe ideale Schönheit geahnt und daß ſie ge¬ bannt im Anſchauen, einen Augenblick auf der Schwelle geweilt habe. Aber nur einen Augenblick. Im nächſten durch¬ flog ein Schrecken die Glieder der armen Hochzeits¬

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/106>, abgerufen am 28.03.2024.