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Forkel, Johann Nikolaus: Ueber Johann Sebastian Bachs Leben, Kunst und Kunstwerke. Leipzig, 1802.

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leichte Art ein Instrument rein zu temperiren, können zum Beweise dienen, wie scharf und umfassend der Blick dieses großen Mannes war. Als er im Jahr 1747 in Berlin war, wurde ihm das neue Opernhaus gezeigt. Alles was in der Anlage desselben in Hinsicht auf die Ausnahme der Musik gut oder fehlerhaft war, und was Andere erst durch Erfahrung bemerkt hatten, entdeckte er beym ersten Anblick. Man führte ihn in den darin befindlichen großen Speise-Saal; er ging auf die oben herum laufende Gallerie, besah die Decke, und sagte, ohne fürs erste weiter nachzuforschen, der Baumeister habe hier ein Kunststück angebracht, ohne es vielleicht zu wollen, und ohne daß es Jemand wisse. Wenn nehmlich Jemand an der einen Ecke des länglicht viereckichten Saals oben ganz leise gegen die Wand einige Worte sprach, so konnte es ein Anderer, welcher übers Kreuz an der andern Ecke mit dem Gesichte gegen die Wand gerichtet stand, ganz deutlich hören, sonst aber Niemand im ganzen Saal, weder in der Mitte, noch an irgend einer andern Stelle. Diese Wirkung kam von der Richtung der an der Decke angebrachten Bogen, deren besondere Beschaffenheit er beym ersten Anblick entdeckte. Solche Beobachtungen konnten und mußten ihn allerdings auch auf Versuche führen, durch ungewöhnliche Vereinigung verschiedener Orgelstimmen vor und nach ihm unbekannte Wirkungen hervor zu bringen.

Die Vereinigung und Anwendung der angeführten Mittel auf die üblichen Formen der Orgelstücke brachte nun das große, feyerlich-erhabene, der Kirche angemessene, beym Zuhörer heiligen Schauder und Bewunderung erregende Orgelspiel Joh. Seb. Bachs hervor. Seine tiefe Kenntniß der Harmonie, sein Bestreben, alle Gedanken fremdartig zu wenden, um ihnen auch nicht die mindeste Aehnlichkeit mit der außer der Kirche üblichen Art musikalischer Gedanken zu lassen, seine der reichsten, unerschöpflichsten und stets unaufhaltsam fortströmenden Fantasie entsprechende Allgewalt über sein Instrument mit Hand und Fuß, sein sicheres und schnelles Urtheil, mit welchem er aus dem ihm zuströmenden Reichthum an Gedanken nur die zum gegenwärtigen Zweck gehörigen zu wählen wußte, kurz sein großes Genie, welches alles umfaßte, alles in sich vereinigte, was zur Vollendung einer der unerschöpflichsten Künste erforderlich ist, brachte auch die Orgelkunst so zur Vollendung, wie sie vor ihm nie war, und nach ihm schwerlich seyn wird. Quanz war hierin meiner Meynung. Der bewundernswürdige Joh. Seb. Bach,

leichte Art ein Instrument rein zu temperiren, können zum Beweise dienen, wie scharf und umfassend der Blick dieses großen Mannes war. Als er im Jahr 1747 in Berlin war, wurde ihm das neue Opernhaus gezeigt. Alles was in der Anlage desselben in Hinsicht auf die Ausnahme der Musik gut oder fehlerhaft war, und was Andere erst durch Erfahrung bemerkt hatten, entdeckte er beym ersten Anblick. Man führte ihn in den darin befindlichen großen Speise-Saal; er ging auf die oben herum laufende Gallerie, besah die Decke, und sagte, ohne fürs erste weiter nachzuforschen, der Baumeister habe hier ein Kunststück angebracht, ohne es vielleicht zu wollen, und ohne daß es Jemand wisse. Wenn nehmlich Jemand an der einen Ecke des länglicht viereckichten Saals oben ganz leise gegen die Wand einige Worte sprach, so konnte es ein Anderer, welcher übers Kreuz an der andern Ecke mit dem Gesichte gegen die Wand gerichtet stand, ganz deutlich hören, sonst aber Niemand im ganzen Saal, weder in der Mitte, noch an irgend einer andern Stelle. Diese Wirkung kam von der Richtung der an der Decke angebrachten Bogen, deren besondere Beschaffenheit er beym ersten Anblick entdeckte. Solche Beobachtungen konnten und mußten ihn allerdings auch auf Versuche führen, durch ungewöhnliche Vereinigung verschiedener Orgelstimmen vor und nach ihm unbekannte Wirkungen hervor zu bringen.

Die Vereinigung und Anwendung der angeführten Mittel auf die üblichen Formen der Orgelstücke brachte nun das große, feyerlich-erhabene, der Kirche angemessene, beym Zuhörer heiligen Schauder und Bewunderung erregende Orgelspiel Joh. Seb. Bachs hervor. Seine tiefe Kenntniß der Harmonie, sein Bestreben, alle Gedanken fremdartig zu wenden, um ihnen auch nicht die mindeste Aehnlichkeit mit der außer der Kirche üblichen Art musikalischer Gedanken zu lassen, seine der reichsten, unerschöpflichsten und stets unaufhaltsam fortströmenden Fantasie entsprechende Allgewalt über sein Instrument mit Hand und Fuß, sein sicheres und schnelles Urtheil, mit welchem er aus dem ihm zuströmenden Reichthum an Gedanken nur die zum gegenwärtigen Zweck gehörigen zu wählen wußte, kurz sein großes Genie, welches alles umfaßte, alles in sich vereinigte, was zur Vollendung einer der unerschöpflichsten Künste erforderlich ist, brachte auch die Orgelkunst so zur Vollendung, wie sie vor ihm nie war, und nach ihm schwerlich seyn wird. Quanz war hierin meiner Meynung. Der bewundernswürdige Joh. Seb. Bach,

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[21/0031] leichte Art ein Instrument rein zu temperiren, können zum Beweise dienen, wie scharf und umfassend der Blick dieses großen Mannes war. Als er im Jahr 1747 in Berlin war, wurde ihm das neue Opernhaus gezeigt. Alles was in der Anlage desselben in Hinsicht auf die Ausnahme der Musik gut oder fehlerhaft war, und was Andere erst durch Erfahrung bemerkt hatten, entdeckte er beym ersten Anblick. Man führte ihn in den darin befindlichen großen Speise-Saal; er ging auf die oben herum laufende Gallerie, besah die Decke, und sagte, ohne fürs erste weiter nachzuforschen, der Baumeister habe hier ein Kunststück angebracht, ohne es vielleicht zu wollen, und ohne daß es Jemand wisse. Wenn nehmlich Jemand an der einen Ecke des länglicht viereckichten Saals oben ganz leise gegen die Wand einige Worte sprach, so konnte es ein Anderer, welcher übers Kreuz an der andern Ecke mit dem Gesichte gegen die Wand gerichtet stand, ganz deutlich hören, sonst aber Niemand im ganzen Saal, weder in der Mitte, noch an irgend einer andern Stelle. Diese Wirkung kam von der Richtung der an der Decke angebrachten Bogen, deren besondere Beschaffenheit er beym ersten Anblick entdeckte. Solche Beobachtungen konnten und mußten ihn allerdings auch auf Versuche führen, durch ungewöhnliche Vereinigung verschiedener Orgelstimmen vor und nach ihm unbekannte Wirkungen hervor zu bringen. Die Vereinigung und Anwendung der angeführten Mittel auf die üblichen Formen der Orgelstücke brachte nun das große, feyerlich-erhabene, der Kirche angemessene, beym Zuhörer heiligen Schauder und Bewunderung erregende Orgelspiel Joh. Seb. Bachs hervor. Seine tiefe Kenntniß der Harmonie, sein Bestreben, alle Gedanken fremdartig zu wenden, um ihnen auch nicht die mindeste Aehnlichkeit mit der außer der Kirche üblichen Art musikalischer Gedanken zu lassen, seine der reichsten, unerschöpflichsten und stets unaufhaltsam fortströmenden Fantasie entsprechende Allgewalt über sein Instrument mit Hand und Fuß, sein sicheres und schnelles Urtheil, mit welchem er aus dem ihm zuströmenden Reichthum an Gedanken nur die zum gegenwärtigen Zweck gehörigen zu wählen wußte, kurz sein großes Genie, welches alles umfaßte, alles in sich vereinigte, was zur Vollendung einer der unerschöpflichsten Künste erforderlich ist, brachte auch die Orgelkunst so zur Vollendung, wie sie vor ihm nie war, und nach ihm schwerlich seyn wird. Quanz war hierin meiner Meynung. Der bewundernswürdige Joh. Seb. Bach,

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Zitationshilfe: Forkel, Johann Nikolaus: Ueber Johann Sebastian Bachs Leben, Kunst und Kunstwerke. Leipzig, 1802, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forkel_bach_1802/31>, abgerufen am 18.04.2024.