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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.

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Effi Briest
Wand befanden sich alphabetisch geordnete, vorn mit
einem Eisenringe versehene Kästen, in denen die
Rezepte lagen.

Gieshübler war beglückt und verlegen. "Welche
Ehre. Hier unter meinen Retorten. Darf ich die
gnädige Frau auffordern, einen Augenblick Platz zu
nehmen?"

"Gewiß, lieber Gieshübler. Aber auch wirklich
nur einen Augenblick. Ich will Ihnen Adieu sagen."

"Aber meine gnädigste Frau, Sie kommen ja
doch wieder. Ich habe gehört, nur auf drei, vier
Tage ..."

"Ja, lieber Freund, ich soll wiederkommen, und
es ist sogar verabredet, daß ich spätestens in einer
Woche wieder in Kessin bin. Aber ich könnte doch
auch nicht wiederkommen. Muß ich Ihnen sagen,
welche tausend Möglichkeiten es giebt ... Ich sehe,
Sie wollen mir sagen, daß ich noch zu jung sei ...,
auch Junge können sterben. Und dann so vieles
andere noch. Und da will ich doch lieber Abschied
nehmen von Ihnen, als wär' es für immer."

"Aber meine gnädigste Frau ..."

"Als wär' es für immer. Und ich will Ihnen
danken, lieber Gieshübler. Denn Sie waren das
beste hier; natürlich, weil Sie der Beste waren.
Und wenn ich hundert Jahr alt würde, so werde

Effi Brieſt
Wand befanden ſich alphabetiſch geordnete, vorn mit
einem Eiſenringe verſehene Käſten, in denen die
Rezepte lagen.

Gieshübler war beglückt und verlegen. „Welche
Ehre. Hier unter meinen Retorten. Darf ich die
gnädige Frau auffordern, einen Augenblick Platz zu
nehmen?“

„Gewiß, lieber Gieshübler. Aber auch wirklich
nur einen Augenblick. Ich will Ihnen Adieu ſagen.“

„Aber meine gnädigſte Frau, Sie kommen ja
doch wieder. Ich habe gehört, nur auf drei, vier
Tage …“

„Ja, lieber Freund, ich ſoll wiederkommen, und
es iſt ſogar verabredet, daß ich ſpäteſtens in einer
Woche wieder in Keſſin bin. Aber ich könnte doch
auch nicht wiederkommen. Muß ich Ihnen ſagen,
welche tauſend Möglichkeiten es giebt … Ich ſehe,
Sie wollen mir ſagen, daß ich noch zu jung ſei …,
auch Junge können ſterben. Und dann ſo vieles
andere noch. Und da will ich doch lieber Abſchied
nehmen von Ihnen, als wär' es für immer.“

„Aber meine gnädigſte Frau …“

„Als wär' es für immer. Und ich will Ihnen
danken, lieber Gieshübler. Denn Sie waren das
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[328/0337] Effi Brieſt Wand befanden ſich alphabetiſch geordnete, vorn mit einem Eiſenringe verſehene Käſten, in denen die Rezepte lagen. Gieshübler war beglückt und verlegen. „Welche Ehre. Hier unter meinen Retorten. Darf ich die gnädige Frau auffordern, einen Augenblick Platz zu nehmen?“ „Gewiß, lieber Gieshübler. Aber auch wirklich nur einen Augenblick. Ich will Ihnen Adieu ſagen.“ „Aber meine gnädigſte Frau, Sie kommen ja doch wieder. Ich habe gehört, nur auf drei, vier Tage …“ „Ja, lieber Freund, ich ſoll wiederkommen, und es iſt ſogar verabredet, daß ich ſpäteſtens in einer Woche wieder in Keſſin bin. Aber ich könnte doch auch nicht wiederkommen. Muß ich Ihnen ſagen, welche tauſend Möglichkeiten es giebt … Ich ſehe, Sie wollen mir ſagen, daß ich noch zu jung ſei …, auch Junge können ſterben. Und dann ſo vieles andere noch. Und da will ich doch lieber Abſchied nehmen von Ihnen, als wär' es für immer.“ „Aber meine gnädigſte Frau …“ „Als wär' es für immer. Und ich will Ihnen danken, lieber Gieshübler. Denn Sie waren das beſte hier; natürlich, weil Sie der Beſte waren. Und wenn ich hundert Jahr alt würde, ſo werde

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/337>, abgerufen am 30.11.2024.