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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862.

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der Festung Küstrin war ihre militärische Ehre geblieben, sie war
nicht übergeben worden. Fünfzig Jahre später sollte auch diese
verloren gehen. Oberst von Ingersleben hatte am 24. Oktober
1806 dem König versichert: "die Festung halten zu wollen,
bis ihm das Schnupftuch in der Tasche brenne
;" am
31. Oktober übergab er die fast uneinnehmbare Festung (Napoleon
nannte sie une forteresse formidable) an 250 Franzosen.
Frau von Ingersleben, eine geborne von Massow, spie vor
ihrem Gemahl aus und trennte sich auf immer von ihm. Nach
einer andern Lesart warf sie ihm, als er, bei den Vorbereitungen zur
Flucht, von ihr ein Sitzkissen forderte, statt des Kissens eine Schlaf-
mütze hin. Ingersleben selbst, als er in französische Dienste treten
wollte, erhielt den Bescheid: "der Kaiser könne keinen Soldaten
brauchen, der seinen Kriegsherrn verrathen habe." Der beklagens-
werthe Mann starb erst viele Jahre später, elend und vergessen,
auf einem Dorf in der Nähe von Wittenberg. *)

Die denkwürdigste, die am meisten historisch gewordene Zeit
Küstrins ist unbestritten das Jahr 1730 bis 1731, die Zeit des
Kronprinzen Fritz. Ehe wir zu einer Besprechung derselben über-
gehen, ist es nöthig noch einmal auf den 15. August 1758 zurück-
zukommen. Das Bombardement durch die Russen nämlich und die
Einäscherung der Stadt in Folge desselben, ist Schuld daran, daß

*) Das Ende fast aller der Generale und Commandirenden, denen,
gleichviel mit Recht oder Unrecht, die Schuld für die Katastrophe von
1806 beigemessen wird, war ein sehr trauriges. Massenbachs Schicksal ist
bekannt; Fürst Hohenlohe, der, bei Jena geschlagen, bei Prenzlau die un-
selige Capitulation geschlossen hatte, verbrachte seine letzten Lebensjahre
in völliger Einsamkeit (in Oberschlesien). Als Generallieutenant von Pirch,
der früher Adjutant des Fürsten gewesen war, ihn nach Beendigung der
Kriege von 1813 bis 1815 besuchte, fand er ihn in einem alten Ueber-
rocke. Pirch blieb zu Tisch und der Fürst entschuldigte sich, daß er seinem
Gaste nichts als eine Wassersuppe vorsetzen könne. Er war völlig mittel-
los, glücklicherweise auch bedürfnißlos. Uebrigens war er ein tapferer und
hochherziger Mann, der neben den "Ingerslebens" jener Epoche kaum ge-
nannt, sicherlich nicht mit ihnen verwechselt werden darf.

der Feſtung Küſtrin war ihre militäriſche Ehre geblieben, ſie war
nicht übergeben worden. Fünfzig Jahre ſpäter ſollte auch dieſe
verloren gehen. Oberſt von Ingersleben hatte am 24. Oktober
1806 dem König verſichert: „die Feſtung halten zu wollen,
bis ihm das Schnupftuch in der Taſche brenne
;“ am
31. Oktober übergab er die faſt uneinnehmbare Feſtung (Napoleon
nannte ſie une forteresse formidable) an 250 Franzoſen.
Frau von Ingersleben, eine geborne von Maſſow, ſpie vor
ihrem Gemahl aus und trennte ſich auf immer von ihm. Nach
einer andern Lesart warf ſie ihm, als er, bei den Vorbereitungen zur
Flucht, von ihr ein Sitzkiſſen forderte, ſtatt des Kiſſens eine Schlaf-
mütze hin. Ingersleben ſelbſt, als er in franzöſiſche Dienſte treten
wollte, erhielt den Beſcheid: „der Kaiſer könne keinen Soldaten
brauchen, der ſeinen Kriegsherrn verrathen habe.“ Der beklagens-
werthe Mann ſtarb erſt viele Jahre ſpäter, elend und vergeſſen,
auf einem Dorf in der Nähe von Wittenberg. *)

Die denkwürdigſte, die am meiſten hiſtoriſch gewordene Zeit
Küſtrins iſt unbeſtritten das Jahr 1730 bis 1731, die Zeit des
Kronprinzen Fritz. Ehe wir zu einer Beſprechung derſelben über-
gehen, iſt es nöthig noch einmal auf den 15. Auguſt 1758 zurück-
zukommen. Das Bombardement durch die Ruſſen nämlich und die
Einäſcherung der Stadt in Folge deſſelben, iſt Schuld daran, daß

*) Das Ende faſt aller der Generale und Commandirenden, denen,
gleichviel mit Recht oder Unrecht, die Schuld für die Kataſtrophe von
1806 beigemeſſen wird, war ein ſehr trauriges. Maſſenbachs Schickſal iſt
bekannt; Fürſt Hohenlohe, der, bei Jena geſchlagen, bei Prenzlau die un-
ſelige Capitulation geſchloſſen hatte, verbrachte ſeine letzten Lebensjahre
in völliger Einſamkeit (in Oberſchleſien). Als Generallieutenant von Pirch,
der früher Adjutant des Fürſten geweſen war, ihn nach Beendigung der
Kriege von 1813 bis 1815 beſuchte, fand er ihn in einem alten Ueber-
rocke. Pirch blieb zu Tiſch und der Fürſt entſchuldigte ſich, daß er ſeinem
Gaſte nichts als eine Waſſerſuppe vorſetzen könne. Er war völlig mittel-
los, glücklicherweiſe auch bedürfnißlos. Uebrigens war er ein tapferer und
hochherziger Mann, der neben den „Ingerslebens“ jener Epoche kaum ge-
nannt, ſicherlich nicht mit ihnen verwechſelt werden darf.
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[331/0349] der Feſtung Küſtrin war ihre militäriſche Ehre geblieben, ſie war nicht übergeben worden. Fünfzig Jahre ſpäter ſollte auch dieſe verloren gehen. Oberſt von Ingersleben hatte am 24. Oktober 1806 dem König verſichert: „die Feſtung halten zu wollen, bis ihm das Schnupftuch in der Taſche brenne;“ am 31. Oktober übergab er die faſt uneinnehmbare Feſtung (Napoleon nannte ſie une forteresse formidable) an 250 Franzoſen. Frau von Ingersleben, eine geborne von Maſſow, ſpie vor ihrem Gemahl aus und trennte ſich auf immer von ihm. Nach einer andern Lesart warf ſie ihm, als er, bei den Vorbereitungen zur Flucht, von ihr ein Sitzkiſſen forderte, ſtatt des Kiſſens eine Schlaf- mütze hin. Ingersleben ſelbſt, als er in franzöſiſche Dienſte treten wollte, erhielt den Beſcheid: „der Kaiſer könne keinen Soldaten brauchen, der ſeinen Kriegsherrn verrathen habe.“ Der beklagens- werthe Mann ſtarb erſt viele Jahre ſpäter, elend und vergeſſen, auf einem Dorf in der Nähe von Wittenberg. *) Die denkwürdigſte, die am meiſten hiſtoriſch gewordene Zeit Küſtrins iſt unbeſtritten das Jahr 1730 bis 1731, die Zeit des Kronprinzen Fritz. Ehe wir zu einer Beſprechung derſelben über- gehen, iſt es nöthig noch einmal auf den 15. Auguſt 1758 zurück- zukommen. Das Bombardement durch die Ruſſen nämlich und die Einäſcherung der Stadt in Folge deſſelben, iſt Schuld daran, daß *) Das Ende faſt aller der Generale und Commandirenden, denen, gleichviel mit Recht oder Unrecht, die Schuld für die Kataſtrophe von 1806 beigemeſſen wird, war ein ſehr trauriges. Maſſenbachs Schickſal iſt bekannt; Fürſt Hohenlohe, der, bei Jena geſchlagen, bei Prenzlau die un- ſelige Capitulation geſchloſſen hatte, verbrachte ſeine letzten Lebensjahre in völliger Einſamkeit (in Oberſchleſien). Als Generallieutenant von Pirch, der früher Adjutant des Fürſten geweſen war, ihn nach Beendigung der Kriege von 1813 bis 1815 beſuchte, fand er ihn in einem alten Ueber- rocke. Pirch blieb zu Tiſch und der Fürſt entſchuldigte ſich, daß er ſeinem Gaſte nichts als eine Waſſerſuppe vorſetzen könne. Er war völlig mittel- los, glücklicherweiſe auch bedürfnißlos. Uebrigens war er ein tapferer und hochherziger Mann, der neben den „Ingerslebens“ jener Epoche kaum ge- nannt, ſicherlich nicht mit ihnen verwechſelt werden darf.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. [Bd. 1: Die Grafschaft Ruppin. Der Barnim. Der Teltow]. Berlin, 1862, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg01_1862/349>, abgerufen am 23.11.2024.