Dilthey, Wilhelm: Die Einbildungskraft des Dichters: Bausteine für eine Poetik. In: Philosophische Aufsätze. Eduard Zeller zu seinem fünfzigjährigen Doctor-Jubiläum gewidmet. (= Philosphische Aufsätze, 10.) Leipzig, 1887, S. 303–482.pdi_458.001 Die Technik der Handlung im Drama ist seit Aristoteles pdi_458.011 1) pdi_458.035
Für die nähere Erörterung der dramatischen Handlung, insbesondere pdi_458.036 den Nachweis der Verschiedenheit ihres Baues, welche durch den ge- pdi_459.033 schichtlichen Wechsel ihres Gehalts bedingt ist, verweise ich auf meine pdi_459.034 Erörterung der Schrift von Freytag, Berliner Allgem. Zt. 26. März, 29. März, pdi_459.035 3. April, 9. April 1863. pdi_458.001 Die Technik der Handlung im Drama ist seit Aristoteles pdi_458.011 1) pdi_458.035
Für die nähere Erörterung der dramatischen Handlung, insbesondere pdi_458.036 den Nachweis der Verschiedenheit ihres Baues, welche durch den ge- pdi_459.033 schichtlichen Wechsel ihres Gehalts bedingt ist, verweise ich auf meine pdi_459.034 Erörterung der Schrift von Freytag, Berliner Allgem. Zt. 26. März, 29. März, pdi_459.035 3. April, 9. April 1863. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0160" n="458"/><lb n="pdi_458.001"/> Krisis entgegen, und dann von da abwärts zum versöhnten Ende. <lb n="pdi_458.002"/> So dachte sich auch die vom religiösen Gemüth beherrschte metaphysische <lb n="pdi_458.003"/> Begriffsdichtung der untergehenden alten Welt die Handlung <lb n="pdi_458.004"/> in dem Weltganzen. Selige Ruhe, auftretende gegeneinander <lb n="pdi_458.005"/> wirkende Kräfte, Schuld und Schmerz, Wiederbringung aller Dinge <lb n="pdi_458.006"/> in die urerste Seligkeit. Nun ist aber die <hi rendition="#g">Art,</hi> wie die <hi rendition="#g">Versöhnung</hi> <lb n="pdi_458.007"/> herbeigeführt wird, <hi rendition="#g">geschichtlich bedingt.</hi> Sonach <lb n="pdi_458.008"/> ist die Form der Handlung oder Begebenheit nicht allgemeingültig, <lb n="pdi_458.009"/> sondern von dem geschichtlichen Inhalt abhängig.</p> <lb n="pdi_458.010"/> <p> Die Technik der Handlung im <hi rendition="#g">Drama</hi> ist seit Aristoteles <lb n="pdi_458.011"/> mit grosser Genauigkeit erkannt worden, und Freytag hat sie <lb n="pdi_458.012"/> zuletzt mit feinem Formensinn behandelt. Er hat zwei Grundgestalten <lb n="pdi_458.013"/> der dramatischen Form aufgefunden, und dies war eine <lb n="pdi_458.014"/> der seltenen wirklichen ästhetischen Entdeckungen. Die Handlung <lb n="pdi_458.015"/> verläuft in Spiel und Gegenspiel. Denn der Held der <lb n="pdi_458.016"/> Handlung bedarf einer gegenspielenden Gewalt. Diese soll das <lb n="pdi_458.017"/> Interesse für den Helden nicht paralysiren, sondern ihn nur in <lb n="pdi_458.018"/> Handlung setzen. Für die so entstehende Handlung ist die <lb n="pdi_458.019"/> Mitte oder der Höhepunkt des Dramas die entscheidende Stelle. <lb n="pdi_458.020"/> Bis zu ihm steigt, von ihm ab fällt die Handlung. Und zwar <lb n="pdi_458.021"/> können sich von dieser entscheidenden Stelle der Construction <lb n="pdi_458.022"/> ab Spiel und Gegenspiel auf zwiefache Weise vertheilen. Entweder <lb n="pdi_458.023"/> das Spiel herrscht im ersten Theile vor: dann steigert <lb n="pdi_458.024"/> sich in dieser ersten Hälfte des Dramas die leidenschaftliche <lb n="pdi_458.025"/> Spannung des Helden aus den inneren Impulsen seines Charakters <lb n="pdi_458.026"/> bis zur That; von da ab beginnt die Umkehr; was er <lb n="pdi_458.027"/> that, wirkt nun auf ihn zurück; indem er der auf ihn eindringenden <lb n="pdi_458.028"/> Reaction der Aussenwelt allmälig unterliegt, fällt <lb n="pdi_458.029"/> die Leitung der Handlung von der Umkehr ab dem Gegenspiel <lb n="pdi_458.030"/> zu. Oder das Gegenspiel überwiegt im ersten Theil: <lb n="pdi_458.031"/> dann wird der Held von der sich steigernden Thätigkeit ihm <lb n="pdi_458.032"/> gegenüberstehender Gewalten bis zum Höhepunkt fortgetrieben; <lb n="pdi_458.033"/> von der Umkehr ab, die damit beginnt, herrscht nun erst die <lb n="pdi_458.034"/> Leidenschaft des Helden<note xml:id="PDI_458_1" place="foot" n="1)"><lb n="pdi_458.035"/> Für die nähere Erörterung der dramatischen Handlung, insbesondere <lb n="pdi_458.036"/> den Nachweis der Verschiedenheit ihres Baues, welche durch den ge- <lb n="pdi_459.033"/> schichtlichen Wechsel ihres Gehalts bedingt ist, verweise ich auf meine <lb n="pdi_459.034"/> Erörterung der Schrift von Freytag, Berliner Allgem. Zt. 26. März, 29. März, <lb n="pdi_459.035"/> 3. April, 9. April 1863.</note>.</p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [458/0160]
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Krisis entgegen, und dann von da abwärts zum versöhnten Ende. pdi_458.002
So dachte sich auch die vom religiösen Gemüth beherrschte metaphysische pdi_458.003
Begriffsdichtung der untergehenden alten Welt die Handlung pdi_458.004
in dem Weltganzen. Selige Ruhe, auftretende gegeneinander pdi_458.005
wirkende Kräfte, Schuld und Schmerz, Wiederbringung aller Dinge pdi_458.006
in die urerste Seligkeit. Nun ist aber die Art, wie die Versöhnung pdi_458.007
herbeigeführt wird, geschichtlich bedingt. Sonach pdi_458.008
ist die Form der Handlung oder Begebenheit nicht allgemeingültig, pdi_458.009
sondern von dem geschichtlichen Inhalt abhängig.
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Die Technik der Handlung im Drama ist seit Aristoteles pdi_458.011
mit grosser Genauigkeit erkannt worden, und Freytag hat sie pdi_458.012
zuletzt mit feinem Formensinn behandelt. Er hat zwei Grundgestalten pdi_458.013
der dramatischen Form aufgefunden, und dies war eine pdi_458.014
der seltenen wirklichen ästhetischen Entdeckungen. Die Handlung pdi_458.015
verläuft in Spiel und Gegenspiel. Denn der Held der pdi_458.016
Handlung bedarf einer gegenspielenden Gewalt. Diese soll das pdi_458.017
Interesse für den Helden nicht paralysiren, sondern ihn nur in pdi_458.018
Handlung setzen. Für die so entstehende Handlung ist die pdi_458.019
Mitte oder der Höhepunkt des Dramas die entscheidende Stelle. pdi_458.020
Bis zu ihm steigt, von ihm ab fällt die Handlung. Und zwar pdi_458.021
können sich von dieser entscheidenden Stelle der Construction pdi_458.022
ab Spiel und Gegenspiel auf zwiefache Weise vertheilen. Entweder pdi_458.023
das Spiel herrscht im ersten Theile vor: dann steigert pdi_458.024
sich in dieser ersten Hälfte des Dramas die leidenschaftliche pdi_458.025
Spannung des Helden aus den inneren Impulsen seines Charakters pdi_458.026
bis zur That; von da ab beginnt die Umkehr; was er pdi_458.027
that, wirkt nun auf ihn zurück; indem er der auf ihn eindringenden pdi_458.028
Reaction der Aussenwelt allmälig unterliegt, fällt pdi_458.029
die Leitung der Handlung von der Umkehr ab dem Gegenspiel pdi_458.030
zu. Oder das Gegenspiel überwiegt im ersten Theil: pdi_458.031
dann wird der Held von der sich steigernden Thätigkeit ihm pdi_458.032
gegenüberstehender Gewalten bis zum Höhepunkt fortgetrieben; pdi_458.033
von der Umkehr ab, die damit beginnt, herrscht nun erst die pdi_458.034
Leidenschaft des Helden 1).
1) pdi_458.035
Für die nähere Erörterung der dramatischen Handlung, insbesondere pdi_458.036
den Nachweis der Verschiedenheit ihres Baues, welche durch den ge- pdi_459.033
schichtlichen Wechsel ihres Gehalts bedingt ist, verweise ich auf meine pdi_459.034
Erörterung der Schrift von Freytag, Berliner Allgem. Zt. 26. März, 29. März, pdi_459.035
3. April, 9. April 1863.
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