Dilthey, Wilhelm: Die Einbildungskraft des Dichters: Bausteine für eine Poetik. In: Philosophische Aufsätze. Eduard Zeller zu seinem fünfzigjährigen Doctor-Jubiläum gewidmet. (= Philosphische Aufsätze, 10.) Leipzig, 1887, S. 303–482.pdi_452.001 Die Fabel, das ausgebildete Grundgefüge einer Dichtung pdi_452.009 Wie überall in der Natur gelangen auch innerhalb des pdi_452.017 Der epische Dichter bedarf nicht einer so strengen Führung pdi_452.029 1) pdi_452.033
Ueber den doppelten Gebrauch des Ausdruckes muthos in der Poetik pdi_452.034 für den Stoff, der dem epischen oder dramatischen Dichter vorliegt (die zu pdi_452.035 bearbeitenden pragmata) und für dieses ausgebildete Grundgefüge (sunthesis pdi_452.036 ton pragmaton) handelt Vahlen Beiträge zu Aristoteles Poetik I 31 ff. pdi_452.001 Die Fabel, das ausgebildete Grundgefüge einer Dichtung pdi_452.009 Wie überall in der Natur gelangen auch innerhalb des pdi_452.017 Der epische Dichter bedarf nicht einer so strengen Führung pdi_452.029 1) pdi_452.033
Ueber den doppelten Gebrauch des Ausdruckes μῦθος in der Poetik pdi_452.034 für den Stoff, der dem epischen oder dramatischen Dichter vorliegt (die zu pdi_452.035 bearbeitenden πράγματα) und für dieses ausgebildete Grundgefüge (σύνθεσις pdi_452.036 τῶν πραγμάτων) handelt Vahlen Beiträge zu Aristoteles Poetik I 31 ff. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0154" n="452"/><lb n="pdi_452.001"/> es als <foreign xml:lang="grc">μῦθος</foreign><note xml:id="PDI_452_1" place="foot" n="1)"><lb n="pdi_452.033"/> Ueber den doppelten Gebrauch des Ausdruckes <foreign xml:lang="grc">μῦθος</foreign> in der Poetik <lb n="pdi_452.034"/> für den Stoff, der dem epischen oder dramatischen Dichter vorliegt (die zu <lb n="pdi_452.035"/> bearbeitenden <foreign xml:lang="grc">πράγματα</foreign>) und für dieses ausgebildete Grundgefüge (<foreign xml:lang="grc">σύνθεσις</foreign> <lb n="pdi_452.036"/> <foreign xml:lang="grc">τῶν πραγμάτων</foreign>) handelt Vahlen Beiträge zu Aristoteles Poetik I 31 ff.</note>, die unsere hat aus der Fabula der <lb n="pdi_452.002"/> Römer die Bezeichnung <hi rendition="#g">Fabel</hi> dafür gebildet. In ihr sind <lb n="pdi_452.003"/> Charaktere und Handlungen mit einander verflochten. Denn die <lb n="pdi_452.004"/> Person und ihr Thun oder Leiden, der Held und seine Handlungen <lb n="pdi_452.005"/> sind nur zwei Seiten desselben Thatbestandes. Ohne die Gestalt <lb n="pdi_452.006"/> des Mörders ist der Vorgang des Mordes eine Abstraction. <lb n="pdi_452.007"/> Die Einbildungskraft aber lebt nur in Bildern.</p> <lb n="pdi_452.008"/> <p> <hi rendition="#et"> Die Fabel, das ausgebildete Grundgefüge einer Dichtung <lb n="pdi_452.009"/> von grösserem Umfang steht vor dem epischen oder <lb n="pdi_452.010"/> dramatischen Dichter fertig da, bevor die Ausführung <lb n="pdi_452.011"/> beginnt. Sie wird in der Regel von ihm aufgezeichnet. <lb n="pdi_452.012"/> Die Literaturgeschichte besitzt ein zureichendes Material, <lb n="pdi_452.013"/> dieses Stadium des Schaffens an solchen Fabeln festzustellen <lb n="pdi_452.014"/> und deren Grundeigenschaften und Hauptformen <lb n="pdi_452.015"/> durch vergleichendes Verfahren zu entwickeln.</hi> </p> <lb n="pdi_452.016"/> <p> Wie überall in der Natur gelangen auch innerhalb des <lb n="pdi_452.017"/> dichterischen Schaffens nur wenige der vorhandenen Keime zur <lb n="pdi_452.018"/> Reife. So bewahrt die Literaturgeschichte eine erhebliche Zahl <lb n="pdi_452.019"/> <hi rendition="#g">dramatischer</hi> Entwürfe auf, die nicht zur Ausführung gelangten. <lb n="pdi_452.020"/> Belehrender ist doch die Vergleichung ausgeführter <lb n="pdi_452.021"/> Dramen mit ihrem Entwurf. Wir können in die Werkstatt von <lb n="pdi_452.022"/> Schiller, Lessing, Goethe, Kleist, Otto Ludwig so hineinsehen und <lb n="pdi_452.023"/> einiges von ihren Atelier-Geheimnissen erlauschen. Schiller hat <lb n="pdi_452.024"/> manchen Entwürfen eine Darstellung der historischen und socialen <lb n="pdi_452.025"/> Situation vorausgeschickt. Andere Dichter eilen in solcher Darstellung <lb n="pdi_452.026"/> der Fabel sofort zu den Schlagscenen hin, die den <lb n="pdi_452.027"/> Kern der dramatischen Wirkung enthalten.</p> <lb n="pdi_452.028"/> <p> Der <hi rendition="#g">epische</hi> Dichter bedarf nicht einer so strengen Führung <lb n="pdi_452.029"/> der Handlung als der dramatische. Die ihm vorschwebende <lb n="pdi_452.030"/> Fabel der Handlung scheint daher nicht so nothwendig eine <lb n="pdi_452.031"/> Aufzeichnung zu fordern. Dass <hi rendition="#g">Walter Scott</hi> seine Fabel aufzuschreiben <lb n="pdi_452.032"/> pflegte, scheint aus folgender Stelle in der Einleitung </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [452/0154]
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es als μῦθος 1), die unsere hat aus der Fabula der pdi_452.002
Römer die Bezeichnung Fabel dafür gebildet. In ihr sind pdi_452.003
Charaktere und Handlungen mit einander verflochten. Denn die pdi_452.004
Person und ihr Thun oder Leiden, der Held und seine Handlungen pdi_452.005
sind nur zwei Seiten desselben Thatbestandes. Ohne die Gestalt pdi_452.006
des Mörders ist der Vorgang des Mordes eine Abstraction. pdi_452.007
Die Einbildungskraft aber lebt nur in Bildern.
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Die Fabel, das ausgebildete Grundgefüge einer Dichtung pdi_452.009
von grösserem Umfang steht vor dem epischen oder pdi_452.010
dramatischen Dichter fertig da, bevor die Ausführung pdi_452.011
beginnt. Sie wird in der Regel von ihm aufgezeichnet. pdi_452.012
Die Literaturgeschichte besitzt ein zureichendes Material, pdi_452.013
dieses Stadium des Schaffens an solchen Fabeln festzustellen pdi_452.014
und deren Grundeigenschaften und Hauptformen pdi_452.015
durch vergleichendes Verfahren zu entwickeln.
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Wie überall in der Natur gelangen auch innerhalb des pdi_452.017
dichterischen Schaffens nur wenige der vorhandenen Keime zur pdi_452.018
Reife. So bewahrt die Literaturgeschichte eine erhebliche Zahl pdi_452.019
dramatischer Entwürfe auf, die nicht zur Ausführung gelangten. pdi_452.020
Belehrender ist doch die Vergleichung ausgeführter pdi_452.021
Dramen mit ihrem Entwurf. Wir können in die Werkstatt von pdi_452.022
Schiller, Lessing, Goethe, Kleist, Otto Ludwig so hineinsehen und pdi_452.023
einiges von ihren Atelier-Geheimnissen erlauschen. Schiller hat pdi_452.024
manchen Entwürfen eine Darstellung der historischen und socialen pdi_452.025
Situation vorausgeschickt. Andere Dichter eilen in solcher Darstellung pdi_452.026
der Fabel sofort zu den Schlagscenen hin, die den pdi_452.027
Kern der dramatischen Wirkung enthalten.
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Der epische Dichter bedarf nicht einer so strengen Führung pdi_452.029
der Handlung als der dramatische. Die ihm vorschwebende pdi_452.030
Fabel der Handlung scheint daher nicht so nothwendig eine pdi_452.031
Aufzeichnung zu fordern. Dass Walter Scott seine Fabel aufzuschreiben pdi_452.032
pflegte, scheint aus folgender Stelle in der Einleitung
1) pdi_452.033
Ueber den doppelten Gebrauch des Ausdruckes μῦθος in der Poetik pdi_452.034
für den Stoff, der dem epischen oder dramatischen Dichter vorliegt (die zu pdi_452.035
bearbeitenden πράγματα) und für dieses ausgebildete Grundgefüge (σύνθεσις pdi_452.036
τῶν πραγμάτων) handelt Vahlen Beiträge zu Aristoteles Poetik I 31 ff.
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