p1c_325.001 Worten hört. Oft aber gebrauchen die Tragiker so p1c_325.002 unnütze Periphrasen von den gewöhnlichsten Dingen, daß p1c_325.003 der Sinn schwer zu fassen wird. Dieß ist das, was Quinctilian p1c_325.004 kakozelon nennt, alle abundantia, arcessita, exsultantiap1c_325.005 und übrigen ambitiosa ornamenta, welche zeigen, p1c_325.006 daß der Dichter, an Gedanken leer, mit Worten spiele. p1c_325.007 b) Das Entgegengesetzte, eine gezwungene Kürze, bringt p1c_325.008 auch Dunkelheit hervor, brevis esse laboro, obscurus p1c_325.009 fio. Wir haben zwar schon oben erwähnt, daß des Dichters p1c_325.010 Rede reichhaltig seyn, also im Kurzen viel sagen p1c_325.011 müsse. Daher der sentenziöse gedrängte Vortrag, die Antithesen, p1c_325.012 der Climar, das Epiphonem, wodurch oft gerade p1c_325.013 ein plötzliches Hauptlicht auf das Ganze fällt. Daher die p1c_325.014 mahlerischen Worte, die mit wenig Sylben viel Nebenideen p1c_325.015 erwecken, z. B. wenn Homer sagt: Menelaus stieg in das p1c_325.016 Pferd hinab, der Cyclop lag die Höhle entlang. - Auch p1c_325.017 rechtfertigen starke heftige Empfindungen die Ellipse. Allein, p1c_325.018 wenn die Uebergänge beständig zu gewaltsam sind, zu viel p1c_325.019 der dazwischen liegenden Gedanken verschwiegen werden, so p1c_325.020 geht das Gefühl des Schönen als einer sanften Allmähligkeit p1c_325.021 zugleich mit der Klarheit verlohren. Der Zuhörer p1c_325.022 wird zu sehr angestrengt und verliehrt am Ende den Faden. p1c_325.023 c) Endlich wird die Klarheit der Hauptidee durch eine zu p1c_325.024 bunte Diktion gestöhrt, welche alte und neue, erhabene und p1c_325.025 gemeine Wörter zusammen mischt, in allen Dialekten spricht, p1c_325.026 kurz daß Horazens Menschenkopf und Pferdehals herauskömmt. p1c_325.027 Quinctilian nennt diesen Fehler koinismos. - p1c_325.028 Jede Empfindung des Schönen hat ihren besondern Ton,
p1c_325.001 Worten hört. Oft aber gebrauchen die Tragiker so p1c_325.002 unnütze Periphrasen von den gewöhnlichsten Dingen, daß p1c_325.003 der Sinn schwer zu fassen wird. Dieß ist das, was Quinctilian p1c_325.004 κακοζηλον nennt, alle abundantia, arcessita, exsultantiap1c_325.005 und übrigen ambitiosa ornamenta, welche zeigen, p1c_325.006 daß der Dichter, an Gedanken leer, mit Worten spiele. p1c_325.007 b) Das Entgegengesetzte, eine gezwungene Kürze, bringt p1c_325.008 auch Dunkelheit hervor, brevis esse laboro, obscurus p1c_325.009 fio. Wir haben zwar schon oben erwähnt, daß des Dichters p1c_325.010 Rede reichhaltig seyn, also im Kurzen viel sagen p1c_325.011 müsse. Daher der sentenziöse gedrängte Vortrag, die Antithesen, p1c_325.012 der Climar, das Epiphonem, wodurch oft gerade p1c_325.013 ein plötzliches Hauptlicht auf das Ganze fällt. Daher die p1c_325.014 mahlerischen Worte, die mit wenig Sylben viel Nebenideen p1c_325.015 erwecken, z. B. wenn Homer sagt: Menelaus stieg in das p1c_325.016 Pferd hinab, der Cyclop lag die Höhle entlang. ─ Auch p1c_325.017 rechtfertigen starke heftige Empfindungen die Ellipse. Allein, p1c_325.018 wenn die Uebergänge beständig zu gewaltsam sind, zu viel p1c_325.019 der dazwischen liegenden Gedanken verschwiegen werden, so p1c_325.020 geht das Gefühl des Schönen als einer sanften Allmähligkeit p1c_325.021 zugleich mit der Klarheit verlohren. Der Zuhörer p1c_325.022 wird zu sehr angestrengt und verliehrt am Ende den Faden. p1c_325.023 c) Endlich wird die Klarheit der Hauptidee durch eine zu p1c_325.024 bunte Diktion gestöhrt, welche alte und neue, erhabene und p1c_325.025 gemeine Wörter zusammen mischt, in allen Dialekten spricht, p1c_325.026 kurz daß Horazens Menschenkopf und Pferdehals herauskömmt. p1c_325.027 Quinctilian nennt diesen Fehler κοινισμος. ─ p1c_325.028 Jede Empfindung des Schönen hat ihren besondern Ton,
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Clodius, Christian August Heinrich: Entwurf einer systematischen Poetik nebst Collectaneen zu ihrer Ausführung. Erster Theil. Leipzig, 1804, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clodius_poetik01_1804/383>, abgerufen am 23.11.2024.
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