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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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durch jene Vergeistigung der Liebe sich zu erheben, welche6. Abschnitt.
sich an die platonische Seelenlehre anlehnt und in Pietro
Bembo ihren berühmtesten Vertreter gefunden hat. Man
hört ihn unmittelbar im dritten Buch seiner Asolani, undPietro Bembo.
mittelbar durch Castiglione, welcher ihm jene prachtvolle
Schlußrede des vierten Buches des Cortigiano in den Mund
legt. Beide Autoren waren im Leben keine Stoiker, aber
in jener Zeit wollte es schon etwas heißen, wenn man ein
berühmter und zugleich ein guter Mann war und diese
Prädicate kann man Beiden nicht versagen. Die Zeitge-
nossen nahmen das was sie sagten für wahrhaft gefühlt
und so dürfen auch wir es nicht als bloßes Phrasenwerk
verachten. Wer sich die Mühe nimmt, die Rede im Cor-
tigiano nachzulesen, wird einsehen, wie wenig ein Excerpt
einen Begriff davon geben könnte. Damals lebten in Italien
einige vornehme Frauen, welche wesentlich durch Verhält-
nisse dieser Art berühmt wurden, wie Giulia Gonzaga,
Veronica da Coreggio und vor allen Vittoria Colonna.
Das Land der stärksten Wüstlinge und der größten Spötter
respectirte diese Gattung von Liebe und diese Weiber; Grö-
ßeres läßt sich nicht zu ihren Gunsten sagen. Ob etwas
Eitelkeit dabei war, ob Vittoria den sublimirten Ausdruck
hoffnungsloser Liebe von Seiten der berühmtesten Männer
Italiens gerne um sich herum tönen hörte, wer mag es
entscheiden? Wenn die Sache stellenweise eine Mode wurde,
so war es immerhin kein Kleines, daß Vittoria wenigstens
nicht aus der Mode kam und daß sie in der spätesten Zeit
noch die stärksten Eindrücke hervorbrachte. -- Es dauerte
lange, bis andere Länder irgend ähnliche Erscheinungen
aufwiesen.

Die Phantasie, welche dieses Volk mehr als ein anderes
beherrscht, ist dann überhaupt eine allgemeine Ursache davon,
daß jede Leidenschaft in ihrem Verlauf überaus heftig und
je nach Umständen verbrecherisch in den Mitteln wird.

durch jene Vergeiſtigung der Liebe ſich zu erheben, welche6. Abſchnitt.
ſich an die platoniſche Seelenlehre anlehnt und in Pietro
Bembo ihren berühmteſten Vertreter gefunden hat. Man
hört ihn unmittelbar im dritten Buch ſeiner Aſolani, undPietro Bembo.
mittelbar durch Caſtiglione, welcher ihm jene prachtvolle
Schlußrede des vierten Buches des Cortigiano in den Mund
legt. Beide Autoren waren im Leben keine Stoiker, aber
in jener Zeit wollte es ſchon etwas heißen, wenn man ein
berühmter und zugleich ein guter Mann war und dieſe
Prädicate kann man Beiden nicht verſagen. Die Zeitge-
noſſen nahmen das was ſie ſagten für wahrhaft gefühlt
und ſo dürfen auch wir es nicht als bloßes Phraſenwerk
verachten. Wer ſich die Mühe nimmt, die Rede im Cor-
tigiano nachzuleſen, wird einſehen, wie wenig ein Excerpt
einen Begriff davon geben könnte. Damals lebten in Italien
einige vornehme Frauen, welche weſentlich durch Verhält-
niſſe dieſer Art berühmt wurden, wie Giulia Gonzaga,
Veronica da Coreggio und vor allen Vittoria Colonna.
Das Land der ſtärkſten Wüſtlinge und der größten Spötter
reſpectirte dieſe Gattung von Liebe und dieſe Weiber; Grö-
ßeres läßt ſich nicht zu ihren Gunſten ſagen. Ob etwas
Eitelkeit dabei war, ob Vittoria den ſublimirten Ausdruck
hoffnungsloſer Liebe von Seiten der berühmteſten Männer
Italiens gerne um ſich herum tönen hörte, wer mag es
entſcheiden? Wenn die Sache ſtellenweiſe eine Mode wurde,
ſo war es immerhin kein Kleines, daß Vittoria wenigſtens
nicht aus der Mode kam und daß ſie in der ſpäteſten Zeit
noch die ſtärkſten Eindrücke hervorbrachte. — Es dauerte
lange, bis andere Länder irgend ähnliche Erſcheinungen
aufwieſen.

Die Phantaſie, welche dieſes Volk mehr als ein anderes
beherrſcht, iſt dann überhaupt eine allgemeine Urſache davon,
daß jede Leidenſchaft in ihrem Verlauf überaus heftig und
je nach Umſtänden verbrecheriſch in den Mitteln wird.

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[445/0455] durch jene Vergeiſtigung der Liebe ſich zu erheben, welche ſich an die platoniſche Seelenlehre anlehnt und in Pietro Bembo ihren berühmteſten Vertreter gefunden hat. Man hört ihn unmittelbar im dritten Buch ſeiner Aſolani, und mittelbar durch Caſtiglione, welcher ihm jene prachtvolle Schlußrede des vierten Buches des Cortigiano in den Mund legt. Beide Autoren waren im Leben keine Stoiker, aber in jener Zeit wollte es ſchon etwas heißen, wenn man ein berühmter und zugleich ein guter Mann war und dieſe Prädicate kann man Beiden nicht verſagen. Die Zeitge- noſſen nahmen das was ſie ſagten für wahrhaft gefühlt und ſo dürfen auch wir es nicht als bloßes Phraſenwerk verachten. Wer ſich die Mühe nimmt, die Rede im Cor- tigiano nachzuleſen, wird einſehen, wie wenig ein Excerpt einen Begriff davon geben könnte. Damals lebten in Italien einige vornehme Frauen, welche weſentlich durch Verhält- niſſe dieſer Art berühmt wurden, wie Giulia Gonzaga, Veronica da Coreggio und vor allen Vittoria Colonna. Das Land der ſtärkſten Wüſtlinge und der größten Spötter reſpectirte dieſe Gattung von Liebe und dieſe Weiber; Grö- ßeres läßt ſich nicht zu ihren Gunſten ſagen. Ob etwas Eitelkeit dabei war, ob Vittoria den ſublimirten Ausdruck hoffnungsloſer Liebe von Seiten der berühmteſten Männer Italiens gerne um ſich herum tönen hörte, wer mag es entſcheiden? Wenn die Sache ſtellenweiſe eine Mode wurde, ſo war es immerhin kein Kleines, daß Vittoria wenigſtens nicht aus der Mode kam und daß ſie in der ſpäteſten Zeit noch die ſtärkſten Eindrücke hervorbrachte. — Es dauerte lange, bis andere Länder irgend ähnliche Erſcheinungen aufwieſen. 6. Abſchnitt. Pietro Bembo. Die Phantaſie, welche dieſes Volk mehr als ein anderes beherrſcht, iſt dann überhaupt eine allgemeine Urſache davon, daß jede Leidenſchaft in ihrem Verlauf überaus heftig und je nach Umſtänden verbrecheriſch in den Mitteln wird.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 445. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/455>, abgerufen am 24.04.2024.