1. Abschnitt.Jahren auch nur zu betreten; seine Ausflüge gehen nach den Landstädten, wo seine prächtigen Schlösser liegen; die Barkenflottille die ihn, von raschen Pferden gezogen, auf eigens gebauten Canälen dahin führt, ist für die Hand- habung der ganzen Etikette eingerichtet. Wer das Castell betrat, war hundertfach beobachtet; Niemand sollte auch nur am Fenster stehen, damit nicht nach außen gewinkt würde. Ein künstliches System von Prüfungen erging über die, welche zur persönlichen Umgebung des Fürsten gezogen werden sollten; diesen vertraute er dann die höchsten diplo- matischen wie die Lakaiendienste an, denn Beides war ja hier gleich ehrenvoll. Und dieser Mann führte lange, schwierige Kriege und hatte beständig große politische Dinge unter den Händen, d. h. er mußte unaufhörlich Leute mit umfassenden Vollmachten aussenden. Seine Sicherheit lag nun darin, daß keiner von diesen keinem traute, daß die Condottieren durch Spione und die Unterhändler und höhern Beamten durch künstlich genährte Zwietracht, namentlich durch Zusammenkoppelung je eines Guten und eines Bösen irre gemacht und auseinander gehalten wurden. Auch in seinem Innersten ist Filippo Maria bei den entgegengesetzten Polen der Weltanschauung versichert; er glaubt an Gestirne und an blinde Nothwendigkeit und betet zugleich zu allen Noth- helfern; er liest alte Autoren und französische Ritterromane. Und zuletzt hat derselbe Mensch, der den Tod nie wollte erwähnen hören 1) und selbst seine sterbenden Günstlinge aus dem Castell schaffen ließ, damit Niemand in dieser Burg des Glückes erbleiche, durch Schließung einer Wunde und Verweigerung des Aderlasses seinen Tod absichtlich beschleunigt und ist mit Anstand und Würde gestorben.
Franceseo Sforza.Sein Schwiegersohn und endlicher Erbe, der glückliche Condottiere Francesco Sforza (1450--1466, S. 24) war
1) Ihn ängstigte, quod aliquando "non esse" necesse esset.
1. Abſchnitt.Jahren auch nur zu betreten; ſeine Ausflüge gehen nach den Landſtädten, wo ſeine prächtigen Schlöſſer liegen; die Barkenflottille die ihn, von raſchen Pferden gezogen, auf eigens gebauten Canälen dahin führt, iſt für die Hand- habung der ganzen Etikette eingerichtet. Wer das Caſtell betrat, war hundertfach beobachtet; Niemand ſollte auch nur am Fenſter ſtehen, damit nicht nach außen gewinkt würde. Ein künſtliches Syſtem von Prüfungen erging über die, welche zur perſönlichen Umgebung des Fürſten gezogen werden ſollten; dieſen vertraute er dann die höchſten diplo- matiſchen wie die Lakaiendienſte an, denn Beides war ja hier gleich ehrenvoll. Und dieſer Mann führte lange, ſchwierige Kriege und hatte beſtändig große politiſche Dinge unter den Händen, d. h. er mußte unaufhörlich Leute mit umfaſſenden Vollmachten ausſenden. Seine Sicherheit lag nun darin, daß keiner von dieſen keinem traute, daß die Condottieren durch Spione und die Unterhändler und höhern Beamten durch künſtlich genährte Zwietracht, namentlich durch Zuſammenkoppelung je eines Guten und eines Böſen irre gemacht und auseinander gehalten wurden. Auch in ſeinem Innerſten iſt Filippo Maria bei den entgegengeſetzten Polen der Weltanſchauung verſichert; er glaubt an Geſtirne und an blinde Nothwendigkeit und betet zugleich zu allen Noth- helfern; er lieſt alte Autoren und franzöſiſche Ritterromane. Und zuletzt hat derſelbe Menſch, der den Tod nie wollte erwähnen hören 1) und ſelbſt ſeine ſterbenden Günſtlinge aus dem Caſtell ſchaffen ließ, damit Niemand in dieſer Burg des Glückes erbleiche, durch Schließung einer Wunde und Verweigerung des Aderlaſſes ſeinen Tod abſichtlich beſchleunigt und iſt mit Anſtand und Würde geſtorben.
Franceseo Sforza.Sein Schwiegerſohn und endlicher Erbe, der glückliche Condottiere Francesco Sforza (1450—1466, S. 24) war
1) Ihn ängſtigte, quod aliquando „non esse“ necesse esset.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0048"n="38"/><noteplace="left"><hirendition="#b"><hirendition="#u">1. Abſchnitt.</hi></hi></note>Jahren auch nur zu betreten; ſeine Ausflüge gehen nach<lb/>
den Landſtädten, wo ſeine prächtigen Schlöſſer liegen; die<lb/>
Barkenflottille die ihn, von raſchen Pferden gezogen, auf<lb/>
eigens gebauten Canälen dahin führt, iſt für die Hand-<lb/>
habung der ganzen Etikette eingerichtet. Wer das Caſtell<lb/>
betrat, war hundertfach beobachtet; Niemand ſollte auch<lb/>
nur am Fenſter ſtehen, damit nicht nach außen gewinkt<lb/>
würde. Ein künſtliches Syſtem von Prüfungen erging über<lb/>
die, welche zur perſönlichen Umgebung des Fürſten gezogen<lb/>
werden ſollten; dieſen vertraute er dann die höchſten diplo-<lb/>
matiſchen wie die Lakaiendienſte an, denn Beides war ja<lb/>
hier gleich ehrenvoll. Und dieſer Mann führte lange,<lb/>ſchwierige Kriege und hatte beſtändig große politiſche Dinge<lb/>
unter den Händen, d. h. er mußte unaufhörlich Leute mit<lb/>
umfaſſenden Vollmachten ausſenden. Seine Sicherheit lag<lb/>
nun darin, daß keiner von dieſen keinem traute, daß die<lb/>
Condottieren durch Spione und die Unterhändler und höhern<lb/>
Beamten durch künſtlich genährte Zwietracht, namentlich durch<lb/>
Zuſammenkoppelung je eines Guten und eines Böſen irre<lb/>
gemacht und auseinander gehalten wurden. Auch in ſeinem<lb/>
Innerſten iſt Filippo Maria bei den entgegengeſetzten Polen<lb/>
der Weltanſchauung verſichert; er glaubt an Geſtirne und<lb/>
an blinde Nothwendigkeit und betet zugleich zu allen Noth-<lb/>
helfern; er lieſt alte Autoren und franzöſiſche Ritterromane.<lb/>
Und zuletzt hat derſelbe Menſch, der den Tod nie wollte<lb/>
erwähnen hören <noteplace="foot"n="1)">Ihn ängſtigte, <hirendition="#aq">quod aliquando „non esse“ necesse esset</hi>.</note> und ſelbſt ſeine ſterbenden Günſtlinge<lb/>
aus dem Caſtell ſchaffen ließ, damit Niemand in dieſer Burg<lb/>
des Glückes erbleiche, durch Schließung einer Wunde und<lb/>
Verweigerung des Aderlaſſes ſeinen Tod abſichtlich beſchleunigt<lb/>
und iſt mit Anſtand und Würde geſtorben.</p><lb/><p><noteplace="left">Franceseo<lb/>
Sforza.</note>Sein Schwiegerſohn und endlicher Erbe, der glückliche<lb/>
Condottiere Francesco Sforza (1450—1466, S. 24) war<lb/></p></div></body></text></TEI>
[38/0048]
Jahren auch nur zu betreten; ſeine Ausflüge gehen nach
den Landſtädten, wo ſeine prächtigen Schlöſſer liegen; die
Barkenflottille die ihn, von raſchen Pferden gezogen, auf
eigens gebauten Canälen dahin führt, iſt für die Hand-
habung der ganzen Etikette eingerichtet. Wer das Caſtell
betrat, war hundertfach beobachtet; Niemand ſollte auch
nur am Fenſter ſtehen, damit nicht nach außen gewinkt
würde. Ein künſtliches Syſtem von Prüfungen erging über
die, welche zur perſönlichen Umgebung des Fürſten gezogen
werden ſollten; dieſen vertraute er dann die höchſten diplo-
matiſchen wie die Lakaiendienſte an, denn Beides war ja
hier gleich ehrenvoll. Und dieſer Mann führte lange,
ſchwierige Kriege und hatte beſtändig große politiſche Dinge
unter den Händen, d. h. er mußte unaufhörlich Leute mit
umfaſſenden Vollmachten ausſenden. Seine Sicherheit lag
nun darin, daß keiner von dieſen keinem traute, daß die
Condottieren durch Spione und die Unterhändler und höhern
Beamten durch künſtlich genährte Zwietracht, namentlich durch
Zuſammenkoppelung je eines Guten und eines Böſen irre
gemacht und auseinander gehalten wurden. Auch in ſeinem
Innerſten iſt Filippo Maria bei den entgegengeſetzten Polen
der Weltanſchauung verſichert; er glaubt an Geſtirne und
an blinde Nothwendigkeit und betet zugleich zu allen Noth-
helfern; er lieſt alte Autoren und franzöſiſche Ritterromane.
Und zuletzt hat derſelbe Menſch, der den Tod nie wollte
erwähnen hören 1) und ſelbſt ſeine ſterbenden Günſtlinge
aus dem Caſtell ſchaffen ließ, damit Niemand in dieſer Burg
des Glückes erbleiche, durch Schließung einer Wunde und
Verweigerung des Aderlaſſes ſeinen Tod abſichtlich beſchleunigt
und iſt mit Anſtand und Würde geſtorben.
1. Abſchnitt.
Sein Schwiegerſohn und endlicher Erbe, der glückliche
Condottiere Francesco Sforza (1450—1466, S. 24) war
Franceseo
Sforza.
1) Ihn ängſtigte, quod aliquando „non esse“ necesse esset.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/48>, abgerufen am 30.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.