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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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1. Abschnitt.Jahren auch nur zu betreten; seine Ausflüge gehen nach
den Landstädten, wo seine prächtigen Schlösser liegen; die
Barkenflottille die ihn, von raschen Pferden gezogen, auf
eigens gebauten Canälen dahin führt, ist für die Hand-
habung der ganzen Etikette eingerichtet. Wer das Castell
betrat, war hundertfach beobachtet; Niemand sollte auch
nur am Fenster stehen, damit nicht nach außen gewinkt
würde. Ein künstliches System von Prüfungen erging über
die, welche zur persönlichen Umgebung des Fürsten gezogen
werden sollten; diesen vertraute er dann die höchsten diplo-
matischen wie die Lakaiendienste an, denn Beides war ja
hier gleich ehrenvoll. Und dieser Mann führte lange,
schwierige Kriege und hatte beständig große politische Dinge
unter den Händen, d. h. er mußte unaufhörlich Leute mit
umfassenden Vollmachten aussenden. Seine Sicherheit lag
nun darin, daß keiner von diesen keinem traute, daß die
Condottieren durch Spione und die Unterhändler und höhern
Beamten durch künstlich genährte Zwietracht, namentlich durch
Zusammenkoppelung je eines Guten und eines Bösen irre
gemacht und auseinander gehalten wurden. Auch in seinem
Innersten ist Filippo Maria bei den entgegengesetzten Polen
der Weltanschauung versichert; er glaubt an Gestirne und
an blinde Nothwendigkeit und betet zugleich zu allen Noth-
helfern; er liest alte Autoren und französische Ritterromane.
Und zuletzt hat derselbe Mensch, der den Tod nie wollte
erwähnen hören 1) und selbst seine sterbenden Günstlinge
aus dem Castell schaffen ließ, damit Niemand in dieser Burg
des Glückes erbleiche, durch Schließung einer Wunde und
Verweigerung des Aderlasses seinen Tod absichtlich beschleunigt
und ist mit Anstand und Würde gestorben.

Franceseo
Sforza.
Sein Schwiegersohn und endlicher Erbe, der glückliche
Condottiere Francesco Sforza (1450--1466, S. 24) war

1) Ihn ängstigte, quod aliquando "non esse" necesse esset.

1. Abſchnitt.Jahren auch nur zu betreten; ſeine Ausflüge gehen nach
den Landſtädten, wo ſeine prächtigen Schlöſſer liegen; die
Barkenflottille die ihn, von raſchen Pferden gezogen, auf
eigens gebauten Canälen dahin führt, iſt für die Hand-
habung der ganzen Etikette eingerichtet. Wer das Caſtell
betrat, war hundertfach beobachtet; Niemand ſollte auch
nur am Fenſter ſtehen, damit nicht nach außen gewinkt
würde. Ein künſtliches Syſtem von Prüfungen erging über
die, welche zur perſönlichen Umgebung des Fürſten gezogen
werden ſollten; dieſen vertraute er dann die höchſten diplo-
matiſchen wie die Lakaiendienſte an, denn Beides war ja
hier gleich ehrenvoll. Und dieſer Mann führte lange,
ſchwierige Kriege und hatte beſtändig große politiſche Dinge
unter den Händen, d. h. er mußte unaufhörlich Leute mit
umfaſſenden Vollmachten ausſenden. Seine Sicherheit lag
nun darin, daß keiner von dieſen keinem traute, daß die
Condottieren durch Spione und die Unterhändler und höhern
Beamten durch künſtlich genährte Zwietracht, namentlich durch
Zuſammenkoppelung je eines Guten und eines Böſen irre
gemacht und auseinander gehalten wurden. Auch in ſeinem
Innerſten iſt Filippo Maria bei den entgegengeſetzten Polen
der Weltanſchauung verſichert; er glaubt an Geſtirne und
an blinde Nothwendigkeit und betet zugleich zu allen Noth-
helfern; er lieſt alte Autoren und franzöſiſche Ritterromane.
Und zuletzt hat derſelbe Menſch, der den Tod nie wollte
erwähnen hören 1) und ſelbſt ſeine ſterbenden Günſtlinge
aus dem Caſtell ſchaffen ließ, damit Niemand in dieſer Burg
des Glückes erbleiche, durch Schließung einer Wunde und
Verweigerung des Aderlaſſes ſeinen Tod abſichtlich beſchleunigt
und iſt mit Anſtand und Würde geſtorben.

Franceseo
Sforza.
Sein Schwiegerſohn und endlicher Erbe, der glückliche
Condottiere Francesco Sforza (1450—1466, S. 24) war

1) Ihn ängſtigte, quod aliquando „non esse“ necesse esset.
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[38/0048] Jahren auch nur zu betreten; ſeine Ausflüge gehen nach den Landſtädten, wo ſeine prächtigen Schlöſſer liegen; die Barkenflottille die ihn, von raſchen Pferden gezogen, auf eigens gebauten Canälen dahin führt, iſt für die Hand- habung der ganzen Etikette eingerichtet. Wer das Caſtell betrat, war hundertfach beobachtet; Niemand ſollte auch nur am Fenſter ſtehen, damit nicht nach außen gewinkt würde. Ein künſtliches Syſtem von Prüfungen erging über die, welche zur perſönlichen Umgebung des Fürſten gezogen werden ſollten; dieſen vertraute er dann die höchſten diplo- matiſchen wie die Lakaiendienſte an, denn Beides war ja hier gleich ehrenvoll. Und dieſer Mann führte lange, ſchwierige Kriege und hatte beſtändig große politiſche Dinge unter den Händen, d. h. er mußte unaufhörlich Leute mit umfaſſenden Vollmachten ausſenden. Seine Sicherheit lag nun darin, daß keiner von dieſen keinem traute, daß die Condottieren durch Spione und die Unterhändler und höhern Beamten durch künſtlich genährte Zwietracht, namentlich durch Zuſammenkoppelung je eines Guten und eines Böſen irre gemacht und auseinander gehalten wurden. Auch in ſeinem Innerſten iſt Filippo Maria bei den entgegengeſetzten Polen der Weltanſchauung verſichert; er glaubt an Geſtirne und an blinde Nothwendigkeit und betet zugleich zu allen Noth- helfern; er lieſt alte Autoren und franzöſiſche Ritterromane. Und zuletzt hat derſelbe Menſch, der den Tod nie wollte erwähnen hören 1) und ſelbſt ſeine ſterbenden Günſtlinge aus dem Caſtell ſchaffen ließ, damit Niemand in dieſer Burg des Glückes erbleiche, durch Schließung einer Wunde und Verweigerung des Aderlaſſes ſeinen Tod abſichtlich beſchleunigt und iſt mit Anſtand und Würde geſtorben. 1. Abſchnitt. Sein Schwiegerſohn und endlicher Erbe, der glückliche Condottiere Francesco Sforza (1450—1466, S. 24) war Franceseo Sforza. 1) Ihn ängſtigte, quod aliquando „non esse“ necesse esset.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/48>, abgerufen am 30.11.2024.