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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.

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ein Fleischerladen ist; -- ach, dachte sie, jetzt ist die Stunde,
jetzt öffnen die Fleischer ihre Laden, jetzt hängen sie die fet¬
ten Kälber, Hämmel und Schweine auf und breiten in de¬
ren aufgeschlitzten Leibern reinliche schneeweiße Tücher aus! --
Ach jetzt ist die Stunde, jetzt öffnen die Bäcker ihre Laden
und stellen auf weißen Bänken die braunglänzenden Brode,
die gelben Semmeln und schön lakirten Eierwecke, Buben¬
schenkel genannt, in Reih und Glied. Gackeleia, die sie an
der Hand führte, weckte mit ihren Reden ihre Betrübniß oft
von neuem wieder auf, denn sie fragte ein um das ande¬
remal: "Mutter, giebt es auch Bretzeln, wo wir hingehen?"
Da seufzte Frau Hinkel; Gockel aber, der ernsthaft und freu¬
dig voranschritt, sagte: "nein, mein Kind Gackeleia, Bretzeln
giebt es dort nicht, sie sind auch nicht gesund und verder¬
ben den Magen; aber Erdbeeren, schöne rothe Waldbeeren
giebt es die Menge," und somit zeigte er mit seinem Stocke
auf einige, die am Wege standen, welche Gackeleia mit vie¬
lem Vergnügen verzehrte. Hierauf fragte Gackeleia wieder:
"Mutter, giebt es auch so schöne braune Kuchenhäschen, wo
wir hingehen?" Da seufzte Frau Hinkel abermals und die
Thränen traten ihr in die Augen; Gockel aber sagte freund¬
lich zu dem Kinde: "Nein, mein Kind Gackeleia, Kuchenhäs¬
chen giebt es da nicht, sie sind auch nicht gesund und ver¬
derben den Magen, aber es giebt da lebendige Seidenhäs¬
chen und weiße Kaninchen, aus deren Wolle du der Mutter
auf ihren Geburtstag Strümpfe stricken kannst, wenn du
fleißig bist. Sieh, sieh, da lauft eines!" und somit zeigte
er mir seinem Stocke auf ein vorüberlaufendes Kaninchen.
Da riß sich Gackeleia von der Mutter los, und sprang dem
Hasen mit dem Geschrei nach: "gieb mir die Strümpfe, gieb
mir die Stümpfe!" aber fort war er, und sie fiel über eine
Baumwurzel und weinte sehr. Der Vater verwies ihr ihre
Heftigkeit und tröstete sie mit Himbeeren, welche neben der
Stelle wuchsen, wo sie gefallen war. Nach einiger Zeit

ein Fleiſcherladen iſt; — ach, dachte ſie, jetzt iſt die Stunde,
jetzt oͤffnen die Fleiſcher ihre Laden, jetzt haͤngen ſie die fet¬
ten Kaͤlber, Haͤmmel und Schweine auf und breiten in de¬
ren aufgeſchlitzten Leibern reinliche ſchneeweiße Tuͤcher aus! —
Ach jetzt iſt die Stunde, jetzt oͤffnen die Baͤcker ihre Laden
und ſtellen auf weißen Baͤnken die braunglaͤnzenden Brode,
die gelben Semmeln und ſchoͤn lakirten Eierwecke, Buben¬
ſchenkel genannt, in Reih und Glied. Gackeleia, die ſie an
der Hand fuͤhrte, weckte mit ihren Reden ihre Betruͤbniß oft
von neuem wieder auf, denn ſie fragte ein um das ande¬
remal: „Mutter, giebt es auch Bretzeln, wo wir hingehen?“
Da ſeufzte Frau Hinkel; Gockel aber, der ernſthaft und freu¬
dig voranſchritt, ſagte: „nein, mein Kind Gackeleia, Bretzeln
giebt es dort nicht, ſie ſind auch nicht geſund und verder¬
ben den Magen; aber Erdbeeren, ſchoͤne rothe Waldbeeren
giebt es die Menge,“ und ſomit zeigte er mit ſeinem Stocke
auf einige, die am Wege ſtanden, welche Gackeleia mit vie¬
lem Vergnuͤgen verzehrte. Hierauf fragte Gackeleia wieder:
„Mutter, giebt es auch ſo ſchoͤne braune Kuchenhaͤschen, wo
wir hingehen?“ Da ſeufzte Frau Hinkel abermals und die
Thraͤnen traten ihr in die Augen; Gockel aber ſagte freund¬
lich zu dem Kinde: „Nein, mein Kind Gackeleia, Kuchenhaͤs¬
chen giebt es da nicht, ſie ſind auch nicht geſund und ver¬
derben den Magen, aber es giebt da lebendige Seidenhaͤs¬
chen und weiße Kaninchen, aus deren Wolle du der Mutter
auf ihren Geburtstag Struͤmpfe ſtricken kannſt, wenn du
fleißig biſt. Sieh, ſieh, da lauft eines!“ und ſomit zeigte
er mir ſeinem Stocke auf ein voruͤberlaufendes Kaninchen.
Da riß ſich Gackeleia von der Mutter los, und ſprang dem
Haſen mit dem Geſchrei nach: „gieb mir die Struͤmpfe, gieb
mir die Stuͤmpfe!“ aber fort war er, und ſie fiel uͤber eine
Baumwurzel und weinte ſehr. Der Vater verwies ihr ihre
Heftigkeit und troͤſtete ſie mit Himbeeren, welche neben der
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[11/0033] ein Fleiſcherladen iſt; — ach, dachte ſie, jetzt iſt die Stunde, jetzt oͤffnen die Fleiſcher ihre Laden, jetzt haͤngen ſie die fet¬ ten Kaͤlber, Haͤmmel und Schweine auf und breiten in de¬ ren aufgeſchlitzten Leibern reinliche ſchneeweiße Tuͤcher aus! — Ach jetzt iſt die Stunde, jetzt oͤffnen die Baͤcker ihre Laden und ſtellen auf weißen Baͤnken die braunglaͤnzenden Brode, die gelben Semmeln und ſchoͤn lakirten Eierwecke, Buben¬ ſchenkel genannt, in Reih und Glied. Gackeleia, die ſie an der Hand fuͤhrte, weckte mit ihren Reden ihre Betruͤbniß oft von neuem wieder auf, denn ſie fragte ein um das ande¬ remal: „Mutter, giebt es auch Bretzeln, wo wir hingehen?“ Da ſeufzte Frau Hinkel; Gockel aber, der ernſthaft und freu¬ dig voranſchritt, ſagte: „nein, mein Kind Gackeleia, Bretzeln giebt es dort nicht, ſie ſind auch nicht geſund und verder¬ ben den Magen; aber Erdbeeren, ſchoͤne rothe Waldbeeren giebt es die Menge,“ und ſomit zeigte er mit ſeinem Stocke auf einige, die am Wege ſtanden, welche Gackeleia mit vie¬ lem Vergnuͤgen verzehrte. Hierauf fragte Gackeleia wieder: „Mutter, giebt es auch ſo ſchoͤne braune Kuchenhaͤschen, wo wir hingehen?“ Da ſeufzte Frau Hinkel abermals und die Thraͤnen traten ihr in die Augen; Gockel aber ſagte freund¬ lich zu dem Kinde: „Nein, mein Kind Gackeleia, Kuchenhaͤs¬ chen giebt es da nicht, ſie ſind auch nicht geſund und ver¬ derben den Magen, aber es giebt da lebendige Seidenhaͤs¬ chen und weiße Kaninchen, aus deren Wolle du der Mutter auf ihren Geburtstag Struͤmpfe ſtricken kannſt, wenn du fleißig biſt. Sieh, ſieh, da lauft eines!“ und ſomit zeigte er mir ſeinem Stocke auf ein voruͤberlaufendes Kaninchen. Da riß ſich Gackeleia von der Mutter los, und ſprang dem Haſen mit dem Geſchrei nach: „gieb mir die Struͤmpfe, gieb mir die Stuͤmpfe!“ aber fort war er, und ſie fiel uͤber eine Baumwurzel und weinte ſehr. Der Vater verwies ihr ihre Heftigkeit und troͤſtete ſie mit Himbeeren, welche neben der Stelle wuchſen, wo ſie gefallen war. Nach einiger Zeit

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Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/33>, abgerufen am 19.04.2024.