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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.

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sagte: "ziehe!"- -- da zogen sie, und jedes riß ein davon; --
und einen Bubenschenkel und sprach; "reiße!" und jedes riß die
Hälfte davon; dann sprach er: "jedes von uns bewahre seinen
Theil, und wenn wir uns wieder sehen und jeder bringt sei¬
nen Theil wieder, und die Stücke passen noch hübsch zusam¬
men, dann sind wir recht brave, treue Spielkameraden gewe¬
sen, und ich schwöre dir, wie du mir, bei dem Grab des alten
Urgockels, von dem du mir erzählet hast, daß wir dann immer
beisammen bleiben wollen!" -- da hoben sie beide die Hände
auf und schworen. -- Gackeleia weinte in dem feierlichen Mo¬
mente und wollte Kronovus umarmen, da rief Gockel: "Ga¬
ckeleia tummle dich geschwind, der Bettelvogt kömmt!" -- worauf
Kronovus diesem zurief: "halte er sich zurück, Meister Schelm,
ich werde das Comteßchen selbst fortführen"; in demselben
Augenblicke kam aber ein Adjutant des Eifrasius, forderte
dem Prinzchen seinen Degen ab und führte ihn fort in das
königliche Oberhof-Ofenloch. Kronovus aber sagte vorher
noch dem Bettelvogt: "daß er sich nicht untersteht, meine
liebe Spielkamerädin, das Comteßchen anzurühren!" reichte
ihr die Hand und sprach: "leide geduldig, aber jetzt lau¬
fe, was du kannst!" da lief Gackeleia, was giebst du,
was hast du? ihren Eltern mit ihrem Körbchen nach, und
der Bettelvogt begleitete die unglückliche Familie, mehr um
sie mit seinem aufgespannten Regenschirm gegen den Regen
von Eiern zu schützen, welchen die unartigen Gassenbuben auf
sie schleuderten, als daß er sie fortgetrieben hätte.

Auf dem Eiercirkus war große Verwirrung eingetreten;
der König Eifrasius war allzusehr außer sich, die Königin
Eilegia allzusehr inner sich gekommen. Eifrasius hatte sein
Schwert gezogen, er wollte dem Gockel ans Leben, er stram¬
pelte mit allen vier Füßen, da er aber den allerhöchsten Fa¬
milienschwur ausstieß: "in Kraft sechzig destillirter Eierschnäp¬
se, ich fresse den Kerl auf einem Butterbrod!" so faßten
ihn der Kommandant der Leibgarde unter den Armen und

ſagte: „ziehe!“– — da zogen ſie, und jedes riß ein davon; —
und einen Bubenſchenkel und ſprach; „reiße!“ und jedes riß die
Haͤlfte davon; dann ſprach er: „jedes von uns bewahre ſeinen
Theil, und wenn wir uns wieder ſehen und jeder bringt ſei¬
nen Theil wieder, und die Stuͤcke paſſen noch huͤbſch zuſam¬
men, dann ſind wir recht brave, treue Spielkameraden gewe¬
ſen, und ich ſchwoͤre dir, wie du mir, bei dem Grab des alten
Urgockels, von dem du mir erzaͤhlet haſt, daß wir dann immer
beiſammen bleiben wollen!“ — da hoben ſie beide die Haͤnde
auf und ſchworen. — Gackeleia weinte in dem feierlichen Mo¬
mente und wollte Kronovus umarmen, da rief Gockel: „Ga¬
ckeleia tummle dich geſchwind, der Bettelvogt koͤmmt!“ — worauf
Kronovus dieſem zurief: „halte er ſich zuruͤck, Meiſter Schelm,
ich werde das Comteßchen ſelbſt fortfuͤhren“; in demſelben
Augenblicke kam aber ein Adjutant des Eifraſius, forderte
dem Prinzchen ſeinen Degen ab und fuͤhrte ihn fort in das
koͤnigliche Oberhof-Ofenloch. Kronovus aber ſagte vorher
noch dem Bettelvogt: „daß er ſich nicht unterſteht, meine
liebe Spielkameraͤdin, das Comteßchen anzuruͤhren!„ reichte
ihr die Hand und ſprach: „leide geduldig, aber jetzt lau¬
fe, was du kannſt!“ da lief Gackeleia, was giebſt du,
was haſt du? ihren Eltern mit ihrem Koͤrbchen nach, und
der Bettelvogt begleitete die ungluͤckliche Familie, mehr um
ſie mit ſeinem aufgeſpannten Regenſchirm gegen den Regen
von Eiern zu ſchuͤtzen, welchen die unartigen Gaſſenbuben auf
ſie ſchleuderten, als daß er ſie fortgetrieben haͤtte.

Auf dem Eiercirkus war große Verwirrung eingetreten;
der Koͤnig Eifraſius war allzuſehr außer ſich, die Koͤnigin
Eilegia allzuſehr inner ſich gekommen. Eifraſius hatte ſein
Schwert gezogen, er wollte dem Gockel ans Leben, er ſtram¬
pelte mit allen vier Fuͤßen, da er aber den allerhoͤchſten Fa¬
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[124/0166] ſagte: „ziehe!“– — da zogen ſie, und jedes riß ein davon; — und einen Bubenſchenkel und ſprach; „reiße!“ und jedes riß die Haͤlfte davon; dann ſprach er: „jedes von uns bewahre ſeinen Theil, und wenn wir uns wieder ſehen und jeder bringt ſei¬ nen Theil wieder, und die Stuͤcke paſſen noch huͤbſch zuſam¬ men, dann ſind wir recht brave, treue Spielkameraden gewe¬ ſen, und ich ſchwoͤre dir, wie du mir, bei dem Grab des alten Urgockels, von dem du mir erzaͤhlet haſt, daß wir dann immer beiſammen bleiben wollen!“ — da hoben ſie beide die Haͤnde auf und ſchworen. — Gackeleia weinte in dem feierlichen Mo¬ mente und wollte Kronovus umarmen, da rief Gockel: „Ga¬ ckeleia tummle dich geſchwind, der Bettelvogt koͤmmt!“ — worauf Kronovus dieſem zurief: „halte er ſich zuruͤck, Meiſter Schelm, ich werde das Comteßchen ſelbſt fortfuͤhren“; in demſelben Augenblicke kam aber ein Adjutant des Eifraſius, forderte dem Prinzchen ſeinen Degen ab und fuͤhrte ihn fort in das koͤnigliche Oberhof-Ofenloch. Kronovus aber ſagte vorher noch dem Bettelvogt: „daß er ſich nicht unterſteht, meine liebe Spielkameraͤdin, das Comteßchen anzuruͤhren!„ reichte ihr die Hand und ſprach: „leide geduldig, aber jetzt lau¬ fe, was du kannſt!“ da lief Gackeleia, was giebſt du, was haſt du? ihren Eltern mit ihrem Koͤrbchen nach, und der Bettelvogt begleitete die ungluͤckliche Familie, mehr um ſie mit ſeinem aufgeſpannten Regenſchirm gegen den Regen von Eiern zu ſchuͤtzen, welchen die unartigen Gaſſenbuben auf ſie ſchleuderten, als daß er ſie fortgetrieben haͤtte. Auf dem Eiercirkus war große Verwirrung eingetreten; der Koͤnig Eifraſius war allzuſehr außer ſich, die Koͤnigin Eilegia allzuſehr inner ſich gekommen. Eifraſius hatte ſein Schwert gezogen, er wollte dem Gockel ans Leben, er ſtram¬ pelte mit allen vier Fuͤßen, da er aber den allerhoͤchſten Fa¬ milienſchwur ausſtieß: „in Kraft ſechzig deſtillirter Eierſchnaͤp¬ ſe, ich freſſe den Kerl auf einem Butterbrod!“ ſo faßten ihn der Kommandant der Leibgarde unter den Armen und

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Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/166>, abgerufen am 23.04.2024.