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Allgemeine Zeitung. Nr. 64. Augsburg, 4. März 1840.

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Skizzen aus Tirol.

II. Die Hauptstadt. Ihre Lage und Umgebungen.

Die Hauptstadt eines jeden Landes ist wohl stets der bequemste Ort, wo ein Fremder sein Hauptquartier aufzuschlagen hat, wenn ihm darum zu thun ist, nach und nach das Land in allen seinen Theilen kennen zu lernen. Innsbruck zumal ist in dieser Beziehung sehr zu empfehlen. Der Reisende findet nirgends in Tirol so viele Hülfsmittel auf einem und demselben Platze vereinigt. Einige recht ordentliche Gasthäuser stehen ihm hier zu Gebote. Es ist freilich von ihnen nicht zu rühmen, was man an den Hotels in Frankfurt und längs des Rheinstroms, auch nicht was man an den meisten Gasthöfen der Schweiz zu loben pflegt. Etwas Großartiges in dieser Gattung zu Innsbruck zu finden muß der Tourist nicht erwarten. Immerhin ist jedoch in den Gasthäusern zur Sonne, zum goldenen Adler, und in einigen andern für den Leib erträglich gesorgt; Fußreisenden namentlich der "Stern" zu empfehlen. Privatwohnungen für Längerbleibende finden sich auch hie und da, obschon, wie ich glaube, nicht in großer Anzahl. Denn, wie klein auch die Stadt erscheint, so ist doch die Bevölkerung derselben im Verhältniß sehr bedeutend. Eine Menge von Beamten, eine ziemlich starke Garnison, einige hundert Studenten vermehren die Anzahl der Bewohner um Vieles. Innsbruck, das seit Beginn des langen Friedens stets im Aufnehmen begriffen ist, hat viel Leben und Gewerbthätigkeit. Es hat dieselbe Regsamkeit, die sich durchgehends in allen österreichischen Provincial- und Landstädten verspüren läßt: eine erfreuliche Erscheinung im Gegensatz zu der Verödung und stufenweisen Entvölkerung mancher andern, früher hochberühmten, gewerbfleißigen und starkbevölkerten Städte des übrigen Deutschlands. Der Aufenthalt in Tirols Hauptstadt ist daher auch nicht gar wohlfeil, obgleich bei weitem nicht so kostspielig für den Fremden, als das Verweilen in einer Schweizer Stadt. Englische Reisende, oder französische Weltflüchtlinge schimpfen freilich genug über die Theurung in den Hotels und über den Mangel an allen Bequemlichkeiten; doch kommt es auf solche Klagen nicht an. Jene Leute haben auch nicht den Gewinn, den andere deutschsprechende und deutschdenkende Fremde in dem Umgang mit den Bewohnern Innsbrucks finden. Die Hauptstadt der Provinz hat die Hauptstädter nicht verdorben: ihr Charakter ist bieder, obwohl nicht gänzlich frei von Schlauheit; sie sind zuvorkommend gegen Fremde, gesprächig und jovial; sie wägen das Wort nicht ab, aber sie meinen's gut. Der Fremde ist ihnen nicht ein Gegenstand des Mißtrauens; sie fühlen sich aufgefordert, ihm gefällig zu seyn. Wer da manche Gegenden des deutschen Vaterlandes durchwandert und die vornehme Gespreiztheit, die geflissentliche Verneinung, welche dort dem Reisenden entgegentreten, beobachtet hat; wer da weiß, wie schwer es z. B. in der Schweiz hält, des Inländers Kälte und Argwohn zu neutralisiren und ihn sich zum Freunde zu machen, fühlt sich natürlich doppelt angezogen von dem Benehmen der Innsbrucker. - Freilich schleift sich auch mit der Zeit die ebenberührte Gespreiztheit ab, freilich wird der Schweizer endlich, wenn's ihm gerathen dünkt, ein recht warmer und getreuer Freund - aber die Stunden des Reisenden sind gezählt, seines Bleibens ist nirgends lange, er kann nicht warten; und wie traurig muß ihm während seiner kurzen Rastzeit eine gezwungen isolirte Stellung, ein steifer, nur auf Empfehlungsbriefe gegründeter Umgang erscheinen!

Die Innsbrucker machen also dem Reisenden gern die Honneurs ihrer Stadt und ihrer reizenden Gegend. Reizend ist sie in vollem Maaße. Das Innthal, finster und wild im Westen beim Ursprung des Flusses, wird schon mehrere Stunden aufwärts von der Hauptstadt breit, fruchtbar, angenehm zu schauen, beschattet von dem schönen waldreichen und vielbewohnten Mittelgebirg, hinter welchem gewaltig aufstreben die großartigen Hochgebirge mit ihren kräftigen Felsenstirnen. Diese starren Riesen, die auf beiden Seiten das langgestreckte Thal begränzen, durchrissen von zahlreichen Schluchten und Pässen, verleihen ihm eine Aehnlichkeit mit dem Walliserlande, wenn sich überhaupt das freundliche Stromgebiet des Inns - in der Gegend von Innsbruck, Hall und Schwatz - mit dem düstern Rhonethal vergleichen läßt. Vergleichungen sind aber eine üble Sache. Der Reisende, der sich wie ein Felleisen von keuchenden Postpferden durch die Welt schleppen läßt, so weit die höchstnützlichen Landstraßen oder Eisenbahnen reichen, weiß davon zu erzählen. Er verbittert sich sein Courierleben im höchsten Grad, indem er vergleicht. Ich bin einmal einem solchen Weltstürmer zwischen Botzen und Trient begegnet. Er war ein Jahr früher in der Schweiz gewesen. Er schalt entsetzlich auf Tirol. Sein Losungswort war das aller Engländer und Franzosen und vieler Deutschen, wie er denn selbst leider einer der letztern war: "Gletscher und Orangen!" - In der Schweiz hatte er wahrscheinlich nur Gletscher verlangt, und sich an der Ausstellung der Eisgebirge im Berner Oberland ergötzt; aber es ist hergebracht, von dem armen Tirol nebst den Gletschern auch noch die Goldäpfel des Südens zu begehren. "Nirgends Eis, nirgends Schnee," fuhr er fort, indem er trostlos die Blicke umherwarf, "aber auch nirgends Orangen, als in den Körben der Marktweiber; ein elendes Land!" Vergeblich suchte ich ihm begreiflich zu machen, daß eben Tirol nicht die Schweiz sey, wo die Gletscher die Gefälligkeit haben, sich den Courierfahrern am Wege zu präsentiren, und daß die Pomeranzen nur in einem kleinen Winkel des Tiroler Territoriums zu finden seyen; daß von Ewigkeit her es nicht anders gewesen; daß nur enthusiastische Träumer ihm das Gegentheil weiß gemacht; daß Tirol nicht schöner sey, als die Schweiz, und die Schweiz nicht schöner als Tirol, indem es zwei gänzlich verschiedene Länder. Alles war jedoch umsonst - Berge seyen Berge, behauptete der Tourist - er habe nicht Zeit, die Gletscher erst aufzusuchen, es werde ohnehin nichts daran seyn; nicht einmal ein vernünftiger See sey in Tirol zu finden, und er wolle keine Minute säumen und nach Italien gehen, obschon ihm Hr. Nicolai auch vor dem letztern bange gemacht habe. Und also geschah es.

Um jedoch wieder auf die Umgegend von Innsbruck zurückzukommen, so ist zu sagen, daß sie Alles vereint, was selbst überspannte Erwartungen befriedigt. Die Stadt liegt umgeben von malerischen Alpengeländen, von weit verbreiteten Maisfeldern, die der heiße Hauch des Scirocco befruchtet, von unzähligen Dörfern und Weilern. Einige der genannten Dörfer, Hötling, Pradl, Wilten schließen sich unmittelbar an die Stadt an. Wer nur wenige Schritte über der Innbrücke in der steilen Gasse von Hötling emporsteigt, sieht sich gar bald in eine ländliche Bergeinsamkeit versetzt, welche die Nähe einer Stadt gar nicht ahnen läßt. Wer dagegen von dem rühmlich bekannten Berg Isel ins Thal sieht, erschaut die Stadt in ihrer

Skizzen aus Tirol.

II. Die Hauptstadt. Ihre Lage und Umgebungen.

Die Hauptstadt eines jeden Landes ist wohl stets der bequemste Ort, wo ein Fremder sein Hauptquartier aufzuschlagen hat, wenn ihm darum zu thun ist, nach und nach das Land in allen seinen Theilen kennen zu lernen. Innsbruck zumal ist in dieser Beziehung sehr zu empfehlen. Der Reisende findet nirgends in Tirol so viele Hülfsmittel auf einem und demselben Platze vereinigt. Einige recht ordentliche Gasthäuser stehen ihm hier zu Gebote. Es ist freilich von ihnen nicht zu rühmen, was man an den Hotels in Frankfurt und längs des Rheinstroms, auch nicht was man an den meisten Gasthöfen der Schweiz zu loben pflegt. Etwas Großartiges in dieser Gattung zu Innsbruck zu finden muß der Tourist nicht erwarten. Immerhin ist jedoch in den Gasthäusern zur Sonne, zum goldenen Adler, und in einigen andern für den Leib erträglich gesorgt; Fußreisenden namentlich der „Stern“ zu empfehlen. Privatwohnungen für Längerbleibende finden sich auch hie und da, obschon, wie ich glaube, nicht in großer Anzahl. Denn, wie klein auch die Stadt erscheint, so ist doch die Bevölkerung derselben im Verhältniß sehr bedeutend. Eine Menge von Beamten, eine ziemlich starke Garnison, einige hundert Studenten vermehren die Anzahl der Bewohner um Vieles. Innsbruck, das seit Beginn des langen Friedens stets im Aufnehmen begriffen ist, hat viel Leben und Gewerbthätigkeit. Es hat dieselbe Regsamkeit, die sich durchgehends in allen österreichischen Provincial- und Landstädten verspüren läßt: eine erfreuliche Erscheinung im Gegensatz zu der Verödung und stufenweisen Entvölkerung mancher andern, früher hochberühmten, gewerbfleißigen und starkbevölkerten Städte des übrigen Deutschlands. Der Aufenthalt in Tirols Hauptstadt ist daher auch nicht gar wohlfeil, obgleich bei weitem nicht so kostspielig für den Fremden, als das Verweilen in einer Schweizer Stadt. Englische Reisende, oder französische Weltflüchtlinge schimpfen freilich genug über die Theurung in den Hotels und über den Mangel an allen Bequemlichkeiten; doch kommt es auf solche Klagen nicht an. Jene Leute haben auch nicht den Gewinn, den andere deutschsprechende und deutschdenkende Fremde in dem Umgang mit den Bewohnern Innsbrucks finden. Die Hauptstadt der Provinz hat die Hauptstädter nicht verdorben: ihr Charakter ist bieder, obwohl nicht gänzlich frei von Schlauheit; sie sind zuvorkommend gegen Fremde, gesprächig und jovial; sie wägen das Wort nicht ab, aber sie meinen's gut. Der Fremde ist ihnen nicht ein Gegenstand des Mißtrauens; sie fühlen sich aufgefordert, ihm gefällig zu seyn. Wer da manche Gegenden des deutschen Vaterlandes durchwandert und die vornehme Gespreiztheit, die geflissentliche Verneinung, welche dort dem Reisenden entgegentreten, beobachtet hat; wer da weiß, wie schwer es z. B. in der Schweiz hält, des Inländers Kälte und Argwohn zu neutralisiren und ihn sich zum Freunde zu machen, fühlt sich natürlich doppelt angezogen von dem Benehmen der Innsbrucker. – Freilich schleift sich auch mit der Zeit die ebenberührte Gespreiztheit ab, freilich wird der Schweizer endlich, wenn's ihm gerathen dünkt, ein recht warmer und getreuer Freund – aber die Stunden des Reisenden sind gezählt, seines Bleibens ist nirgends lange, er kann nicht warten; und wie traurig muß ihm während seiner kurzen Rastzeit eine gezwungen isolirte Stellung, ein steifer, nur auf Empfehlungsbriefe gegründeter Umgang erscheinen!

Die Innsbrucker machen also dem Reisenden gern die Honneurs ihrer Stadt und ihrer reizenden Gegend. Reizend ist sie in vollem Maaße. Das Innthal, finster und wild im Westen beim Ursprung des Flusses, wird schon mehrere Stunden aufwärts von der Hauptstadt breit, fruchtbar, angenehm zu schauen, beschattet von dem schönen waldreichen und vielbewohnten Mittelgebirg, hinter welchem gewaltig aufstreben die großartigen Hochgebirge mit ihren kräftigen Felsenstirnen. Diese starren Riesen, die auf beiden Seiten das langgestreckte Thal begränzen, durchrissen von zahlreichen Schluchten und Pässen, verleihen ihm eine Aehnlichkeit mit dem Walliserlande, wenn sich überhaupt das freundliche Stromgebiet des Inns – in der Gegend von Innsbruck, Hall und Schwatz – mit dem düstern Rhonethal vergleichen läßt. Vergleichungen sind aber eine üble Sache. Der Reisende, der sich wie ein Felleisen von keuchenden Postpferden durch die Welt schleppen läßt, so weit die höchstnützlichen Landstraßen oder Eisenbahnen reichen, weiß davon zu erzählen. Er verbittert sich sein Courierleben im höchsten Grad, indem er vergleicht. Ich bin einmal einem solchen Weltstürmer zwischen Botzen und Trient begegnet. Er war ein Jahr früher in der Schweiz gewesen. Er schalt entsetzlich auf Tirol. Sein Losungswort war das aller Engländer und Franzosen und vieler Deutschen, wie er denn selbst leider einer der letztern war: „Gletscher und Orangen!“ – In der Schweiz hatte er wahrscheinlich nur Gletscher verlangt, und sich an der Ausstellung der Eisgebirge im Berner Oberland ergötzt; aber es ist hergebracht, von dem armen Tirol nebst den Gletschern auch noch die Goldäpfel des Südens zu begehren. „Nirgends Eis, nirgends Schnee,“ fuhr er fort, indem er trostlos die Blicke umherwarf, „aber auch nirgends Orangen, als in den Körben der Marktweiber; ein elendes Land!“ Vergeblich suchte ich ihm begreiflich zu machen, daß eben Tirol nicht die Schweiz sey, wo die Gletscher die Gefälligkeit haben, sich den Courierfahrern am Wege zu präsentiren, und daß die Pomeranzen nur in einem kleinen Winkel des Tiroler Territoriums zu finden seyen; daß von Ewigkeit her es nicht anders gewesen; daß nur enthusiastische Träumer ihm das Gegentheil weiß gemacht; daß Tirol nicht schöner sey, als die Schweiz, und die Schweiz nicht schöner als Tirol, indem es zwei gänzlich verschiedene Länder. Alles war jedoch umsonst – Berge seyen Berge, behauptete der Tourist – er habe nicht Zeit, die Gletscher erst aufzusuchen, es werde ohnehin nichts daran seyn; nicht einmal ein vernünftiger See sey in Tirol zu finden, und er wolle keine Minute säumen und nach Italien gehen, obschon ihm Hr. Nicolai auch vor dem letztern bange gemacht habe. Und also geschah es.

Um jedoch wieder auf die Umgegend von Innsbruck zurückzukommen, so ist zu sagen, daß sie Alles vereint, was selbst überspannte Erwartungen befriedigt. Die Stadt liegt umgeben von malerischen Alpengeländen, von weit verbreiteten Maisfeldern, die der heiße Hauch des Scirocco befruchtet, von unzähligen Dörfern und Weilern. Einige der genannten Dörfer, Hötling, Pradl, Wilten schließen sich unmittelbar an die Stadt an. Wer nur wenige Schritte über der Innbrücke in der steilen Gasse von Hötling emporsteigt, sieht sich gar bald in eine ländliche Bergeinsamkeit versetzt, welche die Nähe einer Stadt gar nicht ahnen läßt. Wer dagegen von dem rühmlich bekannten Berg Isel ins Thal sieht, erschaut die Stadt in ihrer

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[0505/0009] Skizzen aus Tirol. II. Die Hauptstadt. Ihre Lage und Umgebungen. Die Hauptstadt eines jeden Landes ist wohl stets der bequemste Ort, wo ein Fremder sein Hauptquartier aufzuschlagen hat, wenn ihm darum zu thun ist, nach und nach das Land in allen seinen Theilen kennen zu lernen. Innsbruck zumal ist in dieser Beziehung sehr zu empfehlen. Der Reisende findet nirgends in Tirol so viele Hülfsmittel auf einem und demselben Platze vereinigt. Einige recht ordentliche Gasthäuser stehen ihm hier zu Gebote. Es ist freilich von ihnen nicht zu rühmen, was man an den Hotels in Frankfurt und längs des Rheinstroms, auch nicht was man an den meisten Gasthöfen der Schweiz zu loben pflegt. Etwas Großartiges in dieser Gattung zu Innsbruck zu finden muß der Tourist nicht erwarten. Immerhin ist jedoch in den Gasthäusern zur Sonne, zum goldenen Adler, und in einigen andern für den Leib erträglich gesorgt; Fußreisenden namentlich der „Stern“ zu empfehlen. Privatwohnungen für Längerbleibende finden sich auch hie und da, obschon, wie ich glaube, nicht in großer Anzahl. Denn, wie klein auch die Stadt erscheint, so ist doch die Bevölkerung derselben im Verhältniß sehr bedeutend. Eine Menge von Beamten, eine ziemlich starke Garnison, einige hundert Studenten vermehren die Anzahl der Bewohner um Vieles. Innsbruck, das seit Beginn des langen Friedens stets im Aufnehmen begriffen ist, hat viel Leben und Gewerbthätigkeit. Es hat dieselbe Regsamkeit, die sich durchgehends in allen österreichischen Provincial- und Landstädten verspüren läßt: eine erfreuliche Erscheinung im Gegensatz zu der Verödung und stufenweisen Entvölkerung mancher andern, früher hochberühmten, gewerbfleißigen und starkbevölkerten Städte des übrigen Deutschlands. Der Aufenthalt in Tirols Hauptstadt ist daher auch nicht gar wohlfeil, obgleich bei weitem nicht so kostspielig für den Fremden, als das Verweilen in einer Schweizer Stadt. Englische Reisende, oder französische Weltflüchtlinge schimpfen freilich genug über die Theurung in den Hotels und über den Mangel an allen Bequemlichkeiten; doch kommt es auf solche Klagen nicht an. Jene Leute haben auch nicht den Gewinn, den andere deutschsprechende und deutschdenkende Fremde in dem Umgang mit den Bewohnern Innsbrucks finden. Die Hauptstadt der Provinz hat die Hauptstädter nicht verdorben: ihr Charakter ist bieder, obwohl nicht gänzlich frei von Schlauheit; sie sind zuvorkommend gegen Fremde, gesprächig und jovial; sie wägen das Wort nicht ab, aber sie meinen's gut. Der Fremde ist ihnen nicht ein Gegenstand des Mißtrauens; sie fühlen sich aufgefordert, ihm gefällig zu seyn. Wer da manche Gegenden des deutschen Vaterlandes durchwandert und die vornehme Gespreiztheit, die geflissentliche Verneinung, welche dort dem Reisenden entgegentreten, beobachtet hat; wer da weiß, wie schwer es z. B. in der Schweiz hält, des Inländers Kälte und Argwohn zu neutralisiren und ihn sich zum Freunde zu machen, fühlt sich natürlich doppelt angezogen von dem Benehmen der Innsbrucker. – Freilich schleift sich auch mit der Zeit die ebenberührte Gespreiztheit ab, freilich wird der Schweizer endlich, wenn's ihm gerathen dünkt, ein recht warmer und getreuer Freund – aber die Stunden des Reisenden sind gezählt, seines Bleibens ist nirgends lange, er kann nicht warten; und wie traurig muß ihm während seiner kurzen Rastzeit eine gezwungen isolirte Stellung, ein steifer, nur auf Empfehlungsbriefe gegründeter Umgang erscheinen! Die Innsbrucker machen also dem Reisenden gern die Honneurs ihrer Stadt und ihrer reizenden Gegend. Reizend ist sie in vollem Maaße. Das Innthal, finster und wild im Westen beim Ursprung des Flusses, wird schon mehrere Stunden aufwärts von der Hauptstadt breit, fruchtbar, angenehm zu schauen, beschattet von dem schönen waldreichen und vielbewohnten Mittelgebirg, hinter welchem gewaltig aufstreben die großartigen Hochgebirge mit ihren kräftigen Felsenstirnen. Diese starren Riesen, die auf beiden Seiten das langgestreckte Thal begränzen, durchrissen von zahlreichen Schluchten und Pässen, verleihen ihm eine Aehnlichkeit mit dem Walliserlande, wenn sich überhaupt das freundliche Stromgebiet des Inns – in der Gegend von Innsbruck, Hall und Schwatz – mit dem düstern Rhonethal vergleichen läßt. Vergleichungen sind aber eine üble Sache. Der Reisende, der sich wie ein Felleisen von keuchenden Postpferden durch die Welt schleppen läßt, so weit die höchstnützlichen Landstraßen oder Eisenbahnen reichen, weiß davon zu erzählen. Er verbittert sich sein Courierleben im höchsten Grad, indem er vergleicht. Ich bin einmal einem solchen Weltstürmer zwischen Botzen und Trient begegnet. Er war ein Jahr früher in der Schweiz gewesen. Er schalt entsetzlich auf Tirol. Sein Losungswort war das aller Engländer und Franzosen und vieler Deutschen, wie er denn selbst leider einer der letztern war: „Gletscher und Orangen!“ – In der Schweiz hatte er wahrscheinlich nur Gletscher verlangt, und sich an der Ausstellung der Eisgebirge im Berner Oberland ergötzt; aber es ist hergebracht, von dem armen Tirol nebst den Gletschern auch noch die Goldäpfel des Südens zu begehren. „Nirgends Eis, nirgends Schnee,“ fuhr er fort, indem er trostlos die Blicke umherwarf, „aber auch nirgends Orangen, als in den Körben der Marktweiber; ein elendes Land!“ Vergeblich suchte ich ihm begreiflich zu machen, daß eben Tirol nicht die Schweiz sey, wo die Gletscher die Gefälligkeit haben, sich den Courierfahrern am Wege zu präsentiren, und daß die Pomeranzen nur in einem kleinen Winkel des Tiroler Territoriums zu finden seyen; daß von Ewigkeit her es nicht anders gewesen; daß nur enthusiastische Träumer ihm das Gegentheil weiß gemacht; daß Tirol nicht schöner sey, als die Schweiz, und die Schweiz nicht schöner als Tirol, indem es zwei gänzlich verschiedene Länder. Alles war jedoch umsonst – Berge seyen Berge, behauptete der Tourist – er habe nicht Zeit, die Gletscher erst aufzusuchen, es werde ohnehin nichts daran seyn; nicht einmal ein vernünftiger See sey in Tirol zu finden, und er wolle keine Minute säumen und nach Italien gehen, obschon ihm Hr. Nicolai auch vor dem letztern bange gemacht habe. Und also geschah es. Um jedoch wieder auf die Umgegend von Innsbruck zurückzukommen, so ist zu sagen, daß sie Alles vereint, was selbst überspannte Erwartungen befriedigt. Die Stadt liegt umgeben von malerischen Alpengeländen, von weit verbreiteten Maisfeldern, die der heiße Hauch des Scirocco befruchtet, von unzähligen Dörfern und Weilern. Einige der genannten Dörfer, Hötling, Pradl, Wilten schließen sich unmittelbar an die Stadt an. Wer nur wenige Schritte über der Innbrücke in der steilen Gasse von Hötling emporsteigt, sieht sich gar bald in eine ländliche Bergeinsamkeit versetzt, welche die Nähe einer Stadt gar nicht ahnen läßt. Wer dagegen von dem rühmlich bekannten Berg Isel ins Thal sieht, erschaut die Stadt in ihrer

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 64. Augsburg, 4. März 1840, S. 0505. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_064_18400304/9>, abgerufen am 23.11.2024.