„Des Abends ſprechet ihr: Es wird ein ſchoͤner Tag
werden, denn der Himmel iſt roth. Und des
Morgens ſprechet ihr: Es wird heute Ungewitter
ſeyn, denn der Himmel iſt roth und truͤbe. Jhr
Heuchler! des Himmels Geſtalt koͤnnt ihr beur-
theilen; koͤnnt ihr denn nicht auch die
Zeichen dieſer Zeit beurtheilen? Das
iſt eine boͤſe und (faule) Art!‟ Matth. 16, 1—4.
M. 18, 11. 12. L. 11, 16. 29.
So wuͤrde der Herr euch antworten, euch, den
boͤſen und faulen Schulmeiſtern, die wehklagend
zu ihm ſprechen: „Unſere Schulen ſollen Werk-
ſtaͤtten deines Geiſtes ſeyn und ſiehe, nun will
man ein neues Joch auf deiner Juͤnger Haͤlſe
legen. Wir ſollen Teufelskuͤnſte treiben mit un-
ſern Kindern, ſie klettern und ſpringen, laufen
und raufen lehren.‟ Wahrlich! auch euch „ließ
er und ginge davon.‟ Und mit Recht, denn
was iſt mit der boͤſen und faulen Art anzufan-
gen? — Jhr, die ihr von der guten und kraͤf-
tigen Art ſeyd und die Zeichen dieſer Zeit zu
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beurtheilen wiſſet, euch darf ich nicht beweiſen,
daß unſer Leib kein Schneckenhaus iſt, das ſein
Bewohner unbehuͤlflich durchs Leben ſchleppt;
daß nur im geſunden, ſtarken und geuͤbten Koͤr-
per eine geſunde und freye Seele wohne und
daß Haͤnschen lernen muͤſſe, was Hans koͤnnen
ſoll. Fuͤr euch darf ich nicht wiederholen, wie
bey den Muſtervoͤlkern des Alterthums das Ganze
der Leibesuͤbungen unter dem Namen Gymna-
ſtik einen weſentlichen Theil der Erziehung aus-
machte; wie und wodurch unſere mannhaften
Ahnen der Entnervung und deren Folgen entge-
genarbeiteten und was bereits einige teutſche
Maͤnner gethan, um durch Lehre und That wie-
derherzuſtellen, was verloren war. Jhr wiſſet
die Zeichen dieſer Zeit zu beurtheilen und die
Verordnung einer Behoͤrde, welche dieſe Zeichen
verſteht und zur Begruͤndung beſſrer Zeiten
kraftvoll benutzt, durch Gehorſam zu ehren.
Hunderttauſende haben ſie mit ihrem Leben,
Hunderttauſende mit ihrer Geſundheit, Millio-
nen mit ihrem Wohlſtande bezahlt dieſe Zeichen.
Jſt die Seele, welche dem Unterdruͤcker wider-
ſtehen will, aber nicht kann, weil ſie nicht in
einem ſtarken und geſunden Koͤrper wohnt, eine
freye Seele? kann ſie dankbar des Erziehers
ſich erinnern, wenn der ungeuͤbte Koͤrper nach
einem Nachtlager draußen auf der nackten, feuch-
ten Erde ſich aufmachen ſoll, aber nicht kann,
ſondern im Krankenhauſe ſiecht? wenn ein ra-
ſcher Sprung, ein ſicherer Gang uͤber den Ab-
grund, das Erklettern eines Baumes, ein an-
haltender, ſchneller Lauf, die dienſtbare Welle
retten ſollte, aber nicht rettet, weil Uebung und
Kraft und deren Wirkungen, Muth und Gei-
ſtesgegenwart, fehlen?
„Keineswegs,‟ unterbrach den Verfaſſer ein
Freund, dem er dieſe Vorrede vorlas, „wenig-
ſtens der Wehrmann nicht, dem ich monatlich
einen Gnadenthaler auszahle, weil er bey Groß-
beeren, einen Franzoſen verfolgend, uͤber einen
Graben ſprang und — das Bein brach.‟
Eine Thatſache, die, als ſolche, ganze Ab-
handlungen uͤber die Nothwendigkeit der Turn-
uͤbungen fuͤr das Landvolk aufwiegt und zu
der Frage berechtigt, was koſtſpieliger ſey, die
Errichtung oder Nichterrichtung der Turnanſtal-
ten? Allerdings iſt die Gewohnheit, bey jedem
Wechſel der Witterung im Freyen auszudauern,
ein Gewinn fuͤr den Dorfbewohner, um wel-
chen der Staͤdter, den die Werkſtatt einſchließt,
ihn beneiden muß und dem Juͤngling, der als
Hirtenjunge ſo manche Nacht auf dem Felde um-
herzog, wird ein Erdlager minder beſchwerlich
ſeyn, als dem, der ſie am Schreibtiſch durch-
wachte. Damit iſt Viel, aber nicht Alles ge-
wonnen. Die „ſteifen Knochen,‟ woruͤber
die Unterofficiere fluchen, muͤſſen gelenkiger wer-
den. Behendigkeit, Gewandheit, daran fehlts,
und auf dem Exercierplatze wird nimmer gefun-
den, was nur auf dem Turnplatze zu haben iſt.
Die Juͤnglinge, welche an dem Alpenhirtenfeſte
bey Jnterlachen (Kanton Bern) vor Tauſenden
auftreten, ihre Kraft und Gewandheit zu er-
proben, ſind Hirten, keine Bauern.
Schullehrer! Das Mindeſte, was unſere
Vaterlandsvertheidiger verdienten, iſt das Be-
wußtſeyn, nicht vergebens gekaͤmpft und gelitten
zu haben. Sie muͤſſen die Freude erleben, ein-
zuſehen, die Zeit, deren Zeichen ſie ſo hart em-
pfunden, koͤnne nicht wiederkehren, und es aͤrnd-
ten nun ihre Nachkommen, was unter Nacht-
wachen, Muͤh’ und Schweiß, Blut und Schmerz
ſie geſaͤet!
Auch ſoll ja nichts Unmoͤgliches noch Uner-
hoͤrtes geleiſtet werden. Was ein teutſcher Er-
zieher, Guths Muths, in Lehre und Anwen-
dung vorbereitet, das hat die Daͤniſche Regie-
rung vor 16 Jahren ſchon empfohlen und ein-
gefuͤhrt und durch Schullehrerſchulen verbreitet.
(Vergl. einen Aufſatz des Verfaſſers als Augen-
zeugen). Und mit wie viel Eifer ſo viele Staͤd-
te Preußens dem Vorgang der Hauptſtadt ge-
folgt und das Muſter, das der um dieſe Sache
hochverdiente Jahn dort aufgeſtellt, zu errei-
chen geſtrebt, iſt aus oͤffentlichen Nachrichten
bekannt. Noch fehlt es aber meines Wiſſens
an einem kurzen, wohlgeordneten und
wohlfeilen Leitfaden fuͤr Schullehrer, nament-
lich fuͤr diejenigen, welche in den von dem Ver-
faſſer eingerichteten Erziehanſtalten und Lehr-
ſchulen zur Nachfolge erweckt worden. Dieſe
moͤgen ſich einſtweilen und ſo lange, bis ſich
ein beſſerer und eben ſo wohlfeiler findet, mit
dieſem begnuͤgen.
Die Grundſaͤtze, die den Verfaſſer deſſelben
geleitet, ſind folgende:
I. Eine naturgemaͤße Eintheilung der ſo
mannigfaltigen Turnuͤbungen erhebt ſie zum
Lehrgegenſtand, bringt den Schuͤler zur Ein-
und Ueberſicht deſſen, was er thut, und macht
ihn zum Lehrer dieſes Faches.
Das Ziel jeder Turnſchule iſt Fertigkeit,
ſie mag nun von den Grundſaͤtzen aͤchter Ele-
mentarbildung oder von gar keinen ausgehen.
Der Schuͤler ſoll am Ende das — das — das
koͤnnen. Sind dir aber die Fragen nicht gleich-
guͤltig: „wie, auf welchem Wege iſt der Schuͤ-
ler zum Ziele gelangt? Weiß er, was er that?
Ueberſieht er das Feld, das er durchlaufen?‟
ſo folge einſtweilen dieſem Leitſaden, deſſen Ver-
faſſer Einſicht und Fertigkeit will. Auch iſt in
der That kein Lehrfach der Elementarbildung ſo
ſehr, wie dieſes, geeignet, die Nothwendigkeit
dieſes hoͤhern Zieles klar zu machen; denn nur
durch viele, zur Einſicht und Fertigkeit gelangte
Unterlehrer kann der Turnlehrer viele und vie-
lerley Schuͤler gleichzeitig beſchaͤftigen und nur
ſolche Unterlehrer, unterſtuͤtzt durch den natur-
gemaͤßen Stufengang der Uebungen moͤgen die
Schuͤler vor Schaden bewahren. Jn einer
Schule fuͤr Koͤrperbildung ſind die Mißgriffe,
die Mangel an Plan, Ordnung und Aufſicht,
Muthwille und Leichtſinn veranlaſſen, ſchreyen-
der, als in einer Schule fuͤr Geiſtesbildung.
Es gilt Hals und Bein, Leben und Ge-
ſundheit.
II. Bey allen Turnuͤbungen kann die Stel-
lung, dann die Bewegung der Koͤrpertheile,
zuerſt als Bewegung ohne Ortsveraͤnderung,
dann als Fortbewegung Gegenſtand des Be-
wußtſeyns werden. Durch die Verbindung bey-
der Theile entſteht ein dritter, der eine end-
loſe Menge zuſammengeſetzter Uebungen begreift.
III. Der Standpunkt, von welchem aus
das weite Feld der Turnuͤbungen ſich wohl am
beſten uͤberſehen laͤßt, iſt die Uebung der Glied-
maßen; zuerſt der obern, Arme und Haͤnde,
dann der untern, Beine und Fuͤße, und end-
lich der obern und untern in Zuſammenſetzungen.
Haltung und Bewegung des Kopfes und Rum-
pfes wird der Uebung der Gliedmaßen unterge-
ordnet, ohne Gegenſtand der Eintheilung zu ſeyn.
Jede Stufe zerfaͤllt in zwey §§., deren Einer die
Voruͤbungen, der Andere die Angewand-
ten begreift, zu welchen irgend eine Vorrichtung
noͤthig iſt.
Jm Januar 1815.
Zeller.