M. H.! Was ich Ihnen zur vorläufigen Orientirung
über den Inhalt und die Richtung der Vorträge zu sagen
habe, die ich heute beginne, das habe ich theilweise
schon in ihrer Ankündigung angedeutet. Wenn ich als
den Gegenstand derselben die Logik und die Erkennt¬
nisstheorie bezeichnete, so wollte ich damit nicht blos
diess ausdrücken, dass sowohl die eine als die andere
von diesen Wissenschaften darin besprochen werden solle;
sondern ich wollte auf einen inneren Zusammenhang bei¬
der hinweisen, ich wollte die Ueberzeugung aussprechen,
dass die Logik, um eine wissenschaftliche Haltung zu
gewinnen, sich auf die Erkenntnisstheorie gründen, die
Erkenntnisstheorie sich durch die Logik vollenden müsse.
Lassen Sie uns zunächst diesen Punkt genauer in’s Auge
fassen, und dann hieran einige weitere Bemerkungen
über die Bedeutung und die Aufgabe der philosophischen
Erkenntnisstheorie anknüpfen.
Mit dem Namen der Logik pflegt man seit zwei¬
tausend Jahren das Ganze der Untersuchungen zu be¬
zeichnen, welche sich auf die Denkthätigkeit rein als
solche, und abgesehen von dem bestimmten Inhalt un¬
seres Denkens, beziehen; sie soll die Formen und Gesetze
des Denkens darstellen, über die Gegenstände dagegen,
welche mittelst derselben erkannt werden können, nichts
aussagen. Dieser älteren Logik hat sich jedoch in der
neueren Zeit, bei Hegel und seinen Nachfolgern, eine
andere entgegengestellt. Diese will nicht blos eine Er¬
kenntniss der Denkformen, sondern zugleich auch eine
Erkenntniss des Wirklichen, das Gegenstand unseres
Denkens ist, gewähren; sie will nicht blos Logik, son¬
dern zugleich auch Metaphysik sein, und sie selbst
nennt sich desshalb, im Gegensatz zu der gewöhnlichen,
blos formalen Logik, die spekulative. Meiner Ansicht
nach ist diese Gleichstellung der Logik mit der Meta¬
physik oder dem ontologischen Theile der Metaphysik
nicht zulässig. Man sagt zwar, die Form lasse sich vom
Inhalt nicht trennen; blosse Denkformen, die auf jeden
beliebigen Inhalt gleich gut angewandt werden könnten,
wären ohne Wahrheit; nur dann werden die Formen un¬
seres Denkens auf objektive Gültigkeit Anspruch machen
können, wenn in ihnen zugleich die Grundbestimmungen
des Seins erkannt werden, welche als die gegenständ¬
lichen Begriffe das Wesen der Dinge selbst bilden. Gegen
diese Beweisführung lässt sich jedoch Manches einwenden.
Für’s Erste nämlich ist es immer uneigentlich gesprochen,
wenn man sagt, die Gedanken seien das Wesen der
Dinge, denn dieses Wesen ist wohl Gegenstand unseres
Denkens, aber nicht unmittelbar an sich selbst Gedanke;
es wird durch unser Denken erkannt, aber es hat nicht
an unserem Denken seinen Bestand, und wird nicht durch
unser Denken erzeugt. Aber wollen wir auch davon
absehen, so folgt doch durchaus nicht, dass die Denk¬
formen, weil sie in der Wirklichkeit immer mit einem
bestimmten Inhalt erfüllt sind, nun auch nicht ohne diesen
Inhalt zum Gegenstand der Untersuchung gemacht wer¬
den können. Gerade diess ist vielmehr die Aufgabe der
wissenschaftlichen Analyse, dass sie die verschiedenen
Bestandtheile unserer Vorstellungen unterscheide, das,
was in der Erscheinung verknüpft und vermischt ist,
sondere, und uns so in den Stand setze, das Gegebene
aus seinen ursprünglichen Elementen zu erklären. Wenn
diess die Logik in Beziehung auf unser denkendes Be¬
wusstsein überhaupt thut, wenn sie, die allgemeinen
Formen unseres Denkens für sich, und abgesehen von
jedem bestimmten Inhalt, betrachtet, so beschäftigt sie
sich nicht mit etwas Unwirklichem und Unwahrem; man
müsste denn das Gleiche auch der Mathematik vorwerfen,
weil diese Wissenschaft die allgemeinen Eigenschaften
der Zahl ohne Rücksicht auf die nähere Beschaffenheit
des Gezählten, die allgemeinen Verhältnisse der räum¬
lichen Gestalt, abgesehen von der physikalischen Be¬
schaffenheit der Körper, untersucht. Sondern wie in
dem letzteren Fall bestimmte Seiten und Eigenschaften
des Wirklichen für sich herausgehoben und zum Gegen¬
stand der Betrachtung gemacht werden, so hat es auch
die formale Logik mit einem Wirklichen, mit dem Denken,
als dieser Thatsache des menschlichen Geisteslebens, zu
thun; nur dass sie dasselbe blos nach der Seite seiner
Form, nicht nach der seines Inhalts, in Betracht zieht.
Diese gesonderte Behandlung der Denkformen ist aber
nicht allein statthaft, sondern sie ist geradezu unent¬
behrlich. Denn da die Ergebnisse jeder Untersuchung
wesentlich durch das Verfahren bedingt sind, dessen
man sich bei derselben bedient, so ist es unmöglich,
die Erforschung des Wirklichen mit wissenschaftlicher
Sicherheit in Angriff zu nehmen, wenn nicht zuvor die
Bedingungen und Formen des wissenschaftlichen Ver¬
fahrens festgestellt sind. Eben diess aber ist die Aufgabe
der Logik. Die Logik muss daher als wissenschaftliche
Methodologie jeder materiellen Untersuchung des Wirk¬
lichen vorangehen; und diess gilt nicht allein von den
Fächern, welche sich mit den einzelnen Gebieten des
Wirklichen, der Natur und dem menschlichen Geiste,
beschäftigen, sondern auch von der Metaphysik und dem
allgemeinsten Theile derselben, der Ontologie: auch diese
wird sich nicht mit Erfolg behandeln lassen, wenn wir
nicht vorher über die Art ihrer Behandlung im Reinen
sind, wenn wir z. B. nicht vorher wissen, ob sie durch
ein apriorisches oder ein aposteriorisches Verfahren,
durch Reflexion auf das Gegebene oder durch dialektische
Construction zu Stande kommt. Die Logik fällt daher
mit der Metaphysik so wenig, als mit irgend einem an¬
dern unmittelbar auf die Erkenntniss des Objekts ge¬
richteten Theile des philosophischen Systems zusammen,
sondern sie geht ihr voran: jene hat die allgemeinsten
Bestimmungen alles Wirklichen, diese die Formen und
Gesetze der menschlichen Erkenntnissthätigkeit zu unter¬
suchen. Wie verschieden aber diese zwei Aufgaben sind,
diess zeigt sich auch an der Hegel’schen Logik. Weit
die meisten von ihren Kategorieen drücken nur Bestim¬
mungen des gegenständlichen Seins, ohne jede nähere
Beziehung zu den Denkformen aus; diejenigen umgekehrt,
welche eine Beschreibung der Denkformen enthalten,
lassen sich nur künstlich und in uneigentlichem Sinn auf
das Gegenständliche übertragen. Die Denkoperationen,
mittelst deren wir das Wesen der Dinge erkennen, sind
eben etwas anderes, als das, was durch sie erkannt wird;
nur dann könnten beide sich unmittelbar gleichgesetzt
werden, wenn das Objekt blos in unserem Denken exi¬
stirte, oder wenn es sich andererseits ohne alle Vermitt¬
lung unserer Selbstthätigkeit völlig unverändert darin
abdrückte.
Nichtsdestoweniger ist der Tadel der älteren Logik,
dass es ihr an einer realen Grundlage fehle, nicht un¬
begründet. Nur wird sie diese nicht bei der Metaphysik,
sondern bei der Erkenntnisstheorie zu suchen haben.
Auf eine bestimmte Ansicht über das Objekt wird sich
die Wissenschaft, welche jeder objektiven Erkenntniss
vorangeht, nicht begründen lassen; wohl aber auf eine
Ansicht von den allgemeinen Elementen und Bedingungen
der Erkenntnissthätigkeit, deren besondere Formen sie
beschreiben und ebendamit die Regeln für ihre Anwen¬
dung aufstellen soll. Nur von hier aus wird sich auch
die Logik gegen den Vorwurf des Formalismus, so weit
dieser Vorwurf überhaupt begründet ist, mit Erfolg
schützen lassen. Eine formale Wissenschaft ist die Logik
allerdings so gut, wie die Grammatik oder die reine
Mathematik, und sie muss es sein, weil sie es eben nur
mit den allgemeinen Formen des Erkennens, nicht mit
einem bestimmten Inhalt zu thun hat. Aber formalistisch
wird sie erst dann, wenn sie diese Formen ohne Ver¬
ständniss ihrer realen Bedeutung, und desshalb auch ohne
Unterscheidung des Wesentlichen und Unwesentlichen
handhabt. Ihre Bedeutung liegt aber in dem Dienst,
welchen sie uns für die Erkenntniss des Wirklichen lei¬
sten, und wie es hiemit bestellt ist, lässt sich nur nach
ihrem Verhältniss zu der Geistesthätigkeit beurtheilen,
durch welche wir ursprünglich zur Vorstellung des Wirk¬
lichen gelangen. Da nun diese den eigenthümlichen Ge¬
genstand der Erkenntnisstheorie bildet, so liegt am Tage,
dass es die Erkenntnisstheorie ist, auf welche die Logik
zurückgehen muss, wenn die Denkformen für sie zu et¬
was Lebendigem werden und den Schein willkührlicher
Formeln verlieren sollen.
Es ist aber nicht blos ihr Zusammenhang mit der Logik,
worin die Bedeutung der philosophischen Erkenntniss¬
theorie zu suchen ist. Diese Wissenschaft bildet vielmehr
die formale Grundlage der ganzen Philosophie; sie ist
es, von der die letzte Entscheidung über die richtige
Methode in der Philosophie und in der Wissenschaft
überhaupt ausgehen muss. Denn wie wir zu verfahren
haben, um richtige Vorstellungen zu gewinnen, diess
werden wir nur nach Maassgabe der Bedingungen be¬
urtheilen können, an welche die Bildung unserer Vor¬
stellungen durch die Natur unseres Geistes geknüpft ist;
diese Bedingungen aber soll eben die Erkenntnisstheorie
untersuchen, und hienach bestimmen, ob und unter wel¬
chen Voraussetzungen der menschliche Geist zur Er¬
kenntniss der Wahrheit befähigt ist. Das Bedürfniss
solcher Untersuchungen hat sich daher der Philosophie
aufgedrängt, seit ihr durch Sokrates die Idee eines
methodischen, von einer bestimmten Ueberzeugung über
die Natur des Wissens geleiteten Verfahrens zum Be¬
wusstsein gebracht worden ist. Aber erst in den letzten
Jahrhunderten ist ihre volle Bedeutung hervorgetreten
und ihre Aufgabe schärfer bestimmt worden. Schon in
den ersten Begründern der neueren Philosophie, in Baco
und Descartes, traten sich die zwei wissenschaftlichen
Richtungen des Empirismus und des Rationalismus ge¬
genüber. Hatte Baco vorausgesetzt, dass alles Wissen
aus der Erfahrung entspringe, so suchte Hobbes ge¬
nauer zu zeigen, in welcher Weise unsere Vorstellungen
und Gedanken aus der sinnlichen Empfindung hervor¬
gehen; und Locke wies, unter ausdrücklicher Bestrei¬
tung der angeborenen Ideen, in der äusseren und inneren
Erfahrung die zwei Quellen nach, aus denen der ganze
Inhalt unseres Bewusstseins ausschliesslich herzuleiten sei.
Gegen ihn verfocht Leibnitz die cartesianische An¬
nahme angeborener Ideen, und er war folgerichtig genug,
diese Annahme, den Forderungen seines ganzen Systems
entsprechend, bis zu dem Punkt fortzuführen, zu dem
sie schon in der cartesianischen Schule und bei Spinoza
unverkennbar hingedrängt hatte, zu der Behauptung,
dass alle unsere Vorstellungen ohne Ausnahme ange¬
borene Ideen seien, dass alle aus unserem eigenen Geiste
hervorgehen und mit den äusseren Erscheinungen zwar
zeitlich zusammentreffen, aber nicht unmittelbar durch
ihre Einwirkung erzeugt werden. Zugleich fand aber
Leibnitz in der Unterscheidung der unbewussten und
der bewussten, der verworrenen und deutlichen Vor¬
stellungen, in der Lehre von den verschiedenen Ent¬
wicklungsstufen des geistigen Lebens das Mittel, die
Erfahrung und Sinnesempfindung selbst in diese Ent¬
wicklung mit aufzunehmen, und sie von seinem Stand¬
punkt aus zu erklären. Der Locke’sche Empirismus
wurde von den französischen Philosophen des 18. Jahr¬
hunderts zum Sensualismus, weiterhin zum Materialismus
fortgebildet; in England gieng aus demselben zuerst Ber¬
keley’s Idealismus, dann David Hume’s Skepsis
hervor, welcher die schottische Schule in der Hauptsache
doch nur die Berufung auf die Voraussetzungen und
Bedürfnisse des unphilosophischen Bewusstseins entge¬
genzustellen wusste. Auf dem gleichen Punkt war aber
auch die deutsche Philosophie angelangt, nachdem der
leibnitzische Spiritualismus bei Wolff in einen logischen
Formalismus umgeschlagen war, der seine reale Ergän¬
zung naturgemäss nur in der Erfahrung finden konnte;
und ähnlich lag für die französischen Aufklärer, und vor
Allem für Rousseau, der letzte Maasstab der Wahrheit
in gewissen praktischen Ueberzeugungen, die ihnen vor
jeder wissenschaftlichen Untersuchung als unerlässliches
Ergebniss zum Voraus feststanden.
Kant’s unsterbliches Verdienst ist es, dass er die
Philosophie aus diesem Dogmatismus herausgeführt, die
Frage nach dem Ursprung und der Wahrheit unserer
Vorstellungen nicht blos auf’s Neue in Fluss gebracht,
sondern sie auch gründlicher und umfassender, als irgend
einer von seinen Vorgängern, gelöst hat. Die letzteren
hatten unsere Vorstellungen einseitig entweder aus
der Erfahrung oder aus unserem eigenen Geist abge¬
leitet. Kant erkennt, dass sie sowohl aus der einen
als aus der andern von diesen Quellen entspringen; und
er behauptet diess nicht in dem eklektischen Sinn, als ob
ein Theil derselben empirischen, ein anderer Theil apri¬
orischen Ursprungs wäre; sondern seine Meinung ist die,
dass es keine einzige Vorstellung gebe, in der nicht beide
Elemente vereinigt seien. Alle erhalten ihren Inhalt,
wie Kant annimmt, aus der Empfindung; aber allen,
ohne Ausnahme, auch denen, worin wir uns scheinbar
nur aufnehmend verhalten, wird ihre Form durch uns
selbst gegeben; unser eigener Geist ist es, der den Stoff,
welchen die Empfindung ihm darbietet, nach den ihm
inwohnenden Gesetzen zu Anschauungen und Begriffen
verknüpft. Kant giebt also zugleich dem Empirismus
Recht, welcher behauptet, alle Vorstellungen entspringen
aus der Erfahrung, und dem Rationalismus, der sie alle
aus unserem Innern entspringen lässt; er giebt aber kei¬
nem von beiden darin Recht, dass er seine Behauptung
mit Ausschluss der entgegengesetzten festhält; er selbst
weiss, indem er die Form und den Stoff unserer Vor¬
stellungen unterscheidet, beide Standpunkte zu verknüpfen
und ebendamit zu überwinden, nicht blos einen Theil
unserer Vorstellungen, sondern sie alle, zugleich als eine
Wirkung der Objekte und als ein Erzeugniss unseres
Selbstbewusstseins zu begreifen.
Aus diesen Voraussetzungen hat nun Kant allerdings
Schlüsse gezogen, durch welche die deutsche Philosophie
bei aller Grossartigkeit ihrer Entwicklung doch in eine
einseitige und nicht ungefährliche Bahn gelenkt wurde.
Wenn alle Vorstellungen aus der Erfahrung entspringen,
so können wir uns von nichts eine Vorstellung bilden,
was über das Gebiet der möglichen Erfahrung hinaus¬
geht; wenn bei ihnen allen unsere Selbstthätigkeit mit
im Spiele ist, allen ein subjektives, apriorisches Element
beigemischt ist, so bringen sie uns die Dinge nie so zur
Anschauung, wie sie an sich sind, sondern immer nur
so, wie sie uns nach der Eigenthümlichkeit unseres Vor¬
stellens erscheinen. Wir sehen Alles nur in der Färbung,
die wir selbst ihm verleihen, und wie es sich abgesehen
davon ausnehmen würde, können wir schlechterdings
nicht wissen. Zunächst diese letztere Folgerung war es,
an die Kant’s Nachfolger sich hielten. Wenn ich nicht
wissen kann, was die Dinge an sich sind, sagt Fichte,
so kann ich auch nicht wissen, ob Dinge an sich sind;
die Dinge sind mir nur in meinem Bewusstsein gegeben,
und wenn sich uns allerdings die Vorstellung derselben
unwiderstehlich aufdrängt, so folgt daraus doch nicht
im Geringsten, dass diese Vorstellung von Gegenständen
ausser uns herrührt. Berechtigt ist vielmehr nur der
Schluss, dass in der Natur unseres Geistes etwas liege,
was uns nöthigt, die Vorstellung von Dingen ausser
uns zu erzeugen, und die Aufgabe der Philosophie kann
nur die sein, diese ganze vermeintliche Aussenwelt als
Erscheinung des Bewusstseins, als ein Werk des unend¬
lichen Ich, ein Moment seiner Entwicklung zu begreifen.
Dass diess freilich nicht so einfach und leicht sei,
musste sich bald herausstellen. Gesetzt auch, der Gegen¬
satz des Ich und des Nichtich sei erst ein abgeleiteter,
aus dem unendlichen Ich selbst erzeugter, so ist er doch
in unserem Bewusstsein nun einmal vorhanden, ja er ist
eine Grundthatsache unseres Bewusstseins, wir finden
uns selbst als bewusste nur in diesem Gegensatz, und
können nicht von ihm abstrahiren, ohne ebendamit auch
von der Persönlichkeit, als bewusster und bestimmter,
zu abstrahiren. Subjekt bin ich nur, indem ich mich
vom Objekt unterscheide; denke ich mir das, was diesem
Unterschied vorangeht, so habe ich mir weder ein Sub¬
jekt noch ein Objekt gedacht, sondern nur die Einheit
beider, nur das „Subjekt-Objekt“. Diess konnte auch
Fichte nicht läugnen, und er unterschied desshalb das
empirische Ich, das Subjekt, welches im Gegensatz zum
Objekt steht, von dem reinen oder absoluten Ich, welches
diesem Gegensatz vorangeht und das Subjekt, wie das
Objekt, als seine Erscheinungsform erst hervorbringt.
Aber mit welchem Recht, fragt Schelling nicht ohne
Grund, kann dieses unendliche Wesen noch „Ich“ genannt
werden? Ich ist eben die selbstbewusste Persönlichkeit,
das Subjekt; dasjenige, was sowohl Objekt als Subjekt
ist, ist ebendamit weder Subjekt noch Objekt, es ist also
auch nicht Ich, es ist nur das Absolute als solches. So
bricht der Fichte'sche Begriff des absoluten Ich in der
Mitte auseinander: auf die eine Seite stellt sich das
Absolute, das weder Subjekt noch Objekt, weder Ich
noch nicht-Ich, sondern nur ihre absolute Identität und
Indifferenz ist; auf die andere das abgeleitete Sein in
den zwei Hauptformen des Objekts und Subjekts, der
Natur und des Geistes; die Sache der Philosophie ist es,
diese beiden Seiten denkend zu vermitteln, das Abge¬
leitete aus dem Ursprünglichen, Geist und Natur aus
dem Absoluten zu erklären.
Geistvoll, aber mit mangelhafter Methode, unter
unruhigem Wechsel der wissenschaftlichen Form und des
Ausdrucks, versuchte sich Schelling an dieser Er¬
klärung; Hegel unternahm es, die gleiche Aufgabe in
geduldiger Arbeit des Gedankens mit systematischer
Strenge und Vollständigkeit zu lösen. Wenn sich das
absolute Wesen in Natur und Geist offenbart, so muss
die Nothwendigkeit dieser Offenbarung in ihm selbst
liegen, sie muss zur Vollständigkeit seines eigenen Wesens
gehören; Natur und Geist müssen mithin wesentliche
Erscheinungsformen des Absoluten, unentbehrliche Mo¬
mente seines unendlichen Lebens, und es selbst muss
das durch die Gegensätze des Endlichen sich bewegende,
durch die Natur zum Geist sich entwickelnde Wesen,
der absolute Geist sein. Diese seine Offenbarung muss
ferner durchaus gesetzmässig, durch innere Nothwendig¬
keit bestimmt sein; denn eine Zufälligkeit seines Wirkens
und Daseins würde dem Begriff des Absoluten wider¬
streiten. Ist sie aber dieses, so muss es auch möglich
sein, sie in ihrer Gesetzmässigkeit zu erkennen, die Welt
in ihrem Hervorgang aus dem Absoluten zu begreifen,
wenn nur erst die Formel gefunden ist, nach der dieser
Process sich vollzieht. Diese Formel ihrerseits, worin
anders könnte sie liegen, als in dem Gesetz der Ent¬
wicklung durch Gegensätze? Wie das absolute Wesen
erst in die Form des natürlichen Daseins, der Endlich¬
keit und Aeusserlichkeit eingehen muss, um sich selbst
als Geist zu erfassen, so folgt jede Entwicklung dem
gleichen Gesetze: was sich entwickelt, das muss erst ein
Anderes werden, um aus dem Anderssein zu sich selbst
zurückzukehren, durch seine Selbstentäusserung sich mit
sich zu vermitteln. In der denkenden Nachbildung dieses
Processes besteht das dialektische Verfahren; und durch
die fortgesetzte Anwendung des dialektischen Verfahrens
muss es gelingen, die Entwicklung des Absoluten, die
Stufenreihe der Wesen in ihrem Hervorgang aus der
2
Gottheit wissenschaftlich zu reproduciren. Diess sind die
wesentlichsten von den Gedanken, welche Hegel bei
seinem Versuch einer dialektischen Construction des
Universums geleitet haben.
Mag man aber auch der Grossartigkeit dieses Ver¬
suchs die höchste Bewunderung zollen, mag man das
Wahre und Berechtigte in demselben noch so bereitwillig
einräumen, von seiner vielfach befruchtenden Wirkung
noch so lebhaft überzeugt sein: das lässt sich bei vor¬
urtheilsfreier Prüfung nicht verkennen, dass er sein Ziel
nicht erreicht hat, und dass er es nicht erreichen konnte,
weil er die Bedingungen des menschlichen Erkennens
übersieht, weil er mit Einem Griffe von oben herab das
Ideal des Wissens erfassen will, dem wir uns in der
Wirklichkeit nur allmählig, durch die verwickeltste Arbeit,
von unten her nähern können. Ebenso klar ist jedoch
andererseits auch, dass das Hegel’sche System in allen
seinen wesentlichen Bestimmungen, und dass namentlich
auch Hegel’s dialektisch-constructive Methode nur das
natürliche Ergebniss der früheren philosophischen Ent¬
wicklung, nur die Vollendung jenes Idealismus ist, wel¬
cher aus Kant’s Kritik des Erkenntnissvermögens mit
vollkommener Folgerichtigkeit hervorgieng. Wenn daher
dieses System längere Zeit hindurch eine beherrschende
Stellung in der deutschen Philosophie einnahm, so wird
man diess vom geschichtlichen Standpunkt aus ganz in
der Ordnung finden müssen; und wenn es trotzdem für
die Dauer nicht genügen kann, so wird sich doch sein
Zauberkreis nicht wirklich durchbrechen lassen, so lange
nicht die Grundlagen, die ihm mit seinen Vorgängern
gemeinsam sind, auf’s Neue, und gründlicher als bisher,
untersucht werden.
Dass nämlich die bisherigen Versuche, das Hegel’¬
sche System zu verbessern, oder durch ein neues zu
ersetzen, zwar manchen werthvollen Fingerzeig, manche
neue und richtige Wahrnehmung an die Hand geben,
aber von einer wirklichen Lösung der Aufgabe noch
weit entfernt sind, diess kann ich hier allerdings nur als
meine Ueberzeugung aussprechen, nicht durch eine ein¬
gehendere Prüfung derselben begründen; ich kann auch
die entscheidenden Bedenken hier nicht darlegen, welche
mich von Herbart’s Lehre zurückhalten, so gerne ich
auch den Scharfsinn anerkenne, mit dem dieser Philosoph
noch gleichzeitig mit Hegel nicht blos gegen ihn, son¬
dern gegen die ganze Richtung der neueren deutschen
Philosophie Einsprache erhoben hat. Indessen bedarf
es dieser, an sich selbst freilich unerlässlichen, Kritik
kaum, um die vorläufige Ueberzeugung von dem Be¬
dürfniss einer neuen Untersuchung der Voraussetzungen
zu begründen, von denen die deutsche Philosophie seit
Kant ausgieng. Der gegenwärtige Zustand dieser Wissen¬
schaft in Deutschland beweist an und für sich, dass sie
an einem von den Wendepunkten angekommen ist, welche
im günstigen Fall zu einer Umbildung auf neuen Grund¬
lagen, im ungünstigen zu Verfall und Auflösung hinführen.
Statt der grossartigen und einheitlichen Systeme, welche
2*
ein halbes Jahrhundert lang in rascher Folge die deutsche
Philosophie beherrschten, bietet sie uns im gegenwärtigen
Augenblick das Schauspiel einer unverkennbaren Zer¬
fahrenheit und Stockung, durch welche auch die ver¬
dienstvollsten Bestrebungen gehemmt, die scharfsinnigsten
Untersuchungen in ihrer Wirkung für’s Ganze gelähmt
werden; und ebenso ist das Verhältniss der Philosophie
zu den besonderen Wissenschaften, wenn wir von ein¬
zelnen Ausnahmen absehen, so aus dem natürlichen
Geleise gekommen, dass die Philosophie zwar im All¬
gemeinen von jenen zu lernen mehr, als vor einigen
Jahrzehenten, bereit ist, in ihnen dagegen sich mehr und
mehr das Vorurtheil festsetzt, als ob sie der Philosophie
für ihre Zwecke nicht bedürften, und wohl gar in ihrer
Arbeit durch dieselbe gestört würden. Dass diess kein
gesunder Zustand ist, bedarf keines Nachweises. Fragen
wir aber, wie er zu heilen sei, so mögen wir uns an
das Wort jenes geistvollen italienischen Staatsmannes
erinnern, der verlangt, dass die Staaten von Zeit zu Zeit
auf ihr Princip zurückgeführt werden. Was von den
Staaten gilt, gilt von jedem geschichtlichen Ganzen.
Ueberall, wo eine zusammenhängende Entwicklung ist,
tritt zeitenweise das Bedürfniss ein, zu dem Punkte zu¬
rückzukehren, von dem sie ausgieng, sich der ursprüng¬
lichen Aufgaben wieder zu erinnern, und ihre Lösung
in dem ursprünglichen Geiste, wenn auch vielleicht mit
anderen Mitteln, auf’s Neue zu versuchen. Ein solcher
Zeitpunkt scheint eben jetzt für die deutsche Philosophie
gekommen zu sein. Der Anfang der Entwicklungsreihe
aber, in der unsere heutige Philosophie liegt, ist Kant,
und die wissenschaftliche Leistung, mit der Kant der
Philosophie eine neue Bahn brach, ist seine Theorie des
Erkennens. Auf diese Untersuchung wird Jeder, der
die Grundlagen unserer Philosophie verbessern will, vor
Allem zurückgehen, und die Fragen, welche sich Kant
vorlegte, im Geist seiner Kritik neu untersuchen müssen,
um durch die wissenschaftlichen Erfahrungen unseres
Jahrhunderts bereichert, die Fehler, welche Kant machte,
zu vermeiden.
Es wird eine von den wichtigsten Aufgaben der
gegenwärtigen Vorlesung sein, die Ergebnisse zu be¬
stimmen, welche sich auf diesem Wege gewinnen lassen;
in dieser einleitenden Erörterung können sie nur mit
leichten Strichen, und ohne eine genauere wissenschaft¬
liche Begründung, bezeichnet werden.
Die erste Frage ist die nach den Quellen, aus denen
unsere Vorstellungen entspringen. Die Bestimmungen,
welche Kant in dieser Beziehung aufgestellt hat, muss
ich in der Hauptsache als richtig anerkennen. Ich kann
nicht zugeben, dass in dem Inhalt unserer Vorstellungen
über das Wirkliche irgend etwas vorkommt, das nicht
mittelbar oder unmittelbar aus der Erfahrung, der in¬
neren oder der äusseren, herstammte; denn wie sollte
die Seele zu diesem Inhalt gelangen, und wie lässt sich
mit jener Annahme die Thatsache vereinigen, dass allen
unseren Vorstellungen ohne Ausnahme, wenn wir genauer
zusehen, die Spuren der Erfahrungen, aus denen sie
herstammen, eingedrückt sind, dass umgekehrt von den
Dingen, worüber wir gar keine Erfahrung haben, uns
auch jeder Begriff fehlt? Wie sollen wir uns endlich
von der Wirklichkeit dessen überzeugen, dessen Vor¬
stellung, wie man annimmt, rein von uns selbst gebildet,
nicht durch eine Einwirkung des Objekts auf uns her¬
vorgerufen ist? Andererseits aber ist Kant ganz in
seinem Rechte, wenn er läugnet, dass irgend eine Vor¬
stellung anders, als durch Vermittlung unserer Selbst¬
thätigkeit und in den uns durch die Natur unseres Er¬
kennens vorgeschriebenen Formen, zu Stande komme.
Was uns unmittelbar in der Erfahrung gegeben ist, das
sind immer nur die einzelnen Eindrücke, diese bestimmten
Empfindungen, als Vorgänge in unserem Bewusstsein.
Schon die Art, wie wir die Einwirkung der Dinge auf¬
nehmen, die Qualität und die Stärke der Empfindung,
die sie in uns hervorbringt, ist durch die Beschaffenheit
unserer Sinneswerkzeuge und die Gesetze unseres Em¬
pfindungsvermögens bedingt; noch viel augenscheinlicher
ist unsere eigene Thätigkeit mit im Spiele, wenn wir
die Einzelempfindungen zu Gesammtbildern verbinden,
wenn wir das, was zunächst nur in unserem Bewusstsein
gegeben ist, in der Anschauung des Objekts aus uns
heraussetzen, wenn wir aus den Wahrnehmungen allge¬
meine Begriffe abstrahiren, wenn wir von den Thatsachen
der Erfahrung auf die Ursachen schliessen, die ihnen zu
Grunde liegen. Das allerdings ist nicht richtig, dass uns
in der Empfindung, wie Kant sagt, nur ein ungeordneter
Stoff gegeben sei, und alle Form ausschliesslich aus uns
selbst stamme; denn die äusseren Eindrücke müssen uns
als diese bestimmten nothwendig auch in einer bestimm¬
ten Form und Ordnung gegeben sein. Aber da die Auf¬
fassung und Verknüpfung dieses Gegebenen doch immer
durch die Natur unseres Vorstellens bedingt ist, so wird
die Wahrheit der kantischen Bestimmungen durch diesen
Verstoss nicht erheblich beeinträchtigt. Das Wesentliche
bleibt immer der Satz, dass alle unsere Vorstellungen
ohne Ausnahme und auf allen Stufen ihrer Entwicklung
das zusammengesetzte Erzeugniss aus zwei Quellen, dem
objektiven Eindruck und der subjektiven Vorstellungs¬
thätigkeit, sind. In welcher Weise aber diese zwei Ele¬
mente zu ihrer Erzeugung zusammenwirken und welches
die apriorischen Gesetze unseres Vorstellens sind, diess
kann erst im weiteren Verlauf unserer Untersuchung
erörtert werden.
Je unumwundener wir aber anerkennen müssen, dass
in allen unseren Vorstellungen ein subjektives Element
ist, dass sich uns die Dinge in denselben immer nur so
darstellen, wie diess die uns angeborenen Anschauungs-
und Denkformen mit sich bringen, um so unabweisbarer
drängt sich uns auch die Frage nach der Wahrheit der
Vorstellungen auf, welche wir auf diesem Wege gewinnen.
Mag auch unseren Vorstellungen noch so sehr etwas
Objektives zu Grunde liegen, wie ist es möglich, dieses
Objektive in seiner reinen Gestalt, das Ansich der Dinge,
zu erkennen, wenn uns die Dinge doch immer nur in
den subjektiven Vorstellungsformen gegeben sind? Kant
antwortet, es sei unmöglich, und diese Unmöglichkeit
scheint ihm so einleuchtend, dass er gar keinen weiteren
Beweis dafür nöthig findet. Eben hier liegt aber der
Grundfehler des kantischen Kriticismus, der verhäng¬
nissvolle Schritt zu jenem Idealismus, der sich sofort bei
Fichte in so schroffer Einseitigkeit entwickeln sollte.
Wir fassen die Dinge nur unter den subjektiven Vor¬
stellungsformen auf, aber folgt daraus, dass wir sie nicht
so auffassen, wie sie an sich sind? Ist nicht auch der
andere Fall denkbar, dass unsere Vorstellungsformen
von Natur darauf angelegt sind, uns eine richtige An¬
sicht der Dinge möglich zu machen? Ja, muss uns diess
nicht zum Voraus ungleich wahrscheinlicher sein, wenn
wir erwägen, dass es Ein Naturganzes ist, dem die Dinge
und wir selbst angehören, Eine Naturordnung, aus der
die objektiven Vorgänge und unsere Vorstellungen von
diesen Vorgängen entspringen? Oder wenn wir der Sache
selbst näher treten wollen: es sind uns in der Erfahrung
zunächst allerdings immer nur Erscheinungen gegeben.
Vorgänge in unserem Bewusstsein, in denen die Wir¬
kungen der äusseren Eindrücke und die Wirkungen un¬
serer eigenen Vorstellungsthätigkeit ungeschieden ver¬
schmolzen sind. Beide Elemente mit Sicherheit zu unter¬
scheiden, ist unmöglich, so lange wir irgend eine einzelne
Erscheinung für sich nehmen, weil sie uns eben nur als
diese Einheit beider gegeben ist, und an keinem Punkte
derselben die Wirkung des Objekts anders, als in der
subjektiven Vorstellungsform, die letztere anders, als an
diesem bestimmten Inhalt, in’s Bewusstsein tritt. Aber
was sich durch die Betrachtung der Einzelerscheinung
als solcher nicht erreichen lässt, das kann durch die
Vergleichung vieler Erscheinungen erreicht werden.
Wenn wir sehen, wie die verschiedensten Objekte in die
gleichen Vorstellungsformen gefasst werden, wie umge¬
kehrt dasselbe Objekt sich in verschiedener Weise und
aus verschiedenen Gesichtspunkten vorstellen lässt; wenn
wir finden, dass nicht blos die verschiedenen Sinne,
sondern auch die Wahrnehmung und das Denken, über
den gleichen Gegenstand in gewissen Beziehungen das
Gleiche aussagen, dass andererseits demselben Sinn eine
Menge der verschiedensten Wahrnehmungen sich auf¬
drängt, und wenn wir auf die Bedingungen achten, unter
denen der eine oder der andere von diesen Fällen ein¬
tritt, so werden wir in den Stand gesetzt werden, zu
bestimmen, was in unsern Erfahrungen von den Objek¬
ten, was von uns selbst herrührt, und wie sich dieses
zu jenem verhält; die objektiven Vorgänge und Eigen¬
schaften der Dinge, und weiterhin auch die Ursachen,
von denen sie abhängen, auszumitteln. Sofern aber die
einfache Beobachtung hiefür nicht ausreicht oder nicht
die nöthige Sicherheit gewährt, steht uns zur Prüfung
und Ergänzung ihrer Ergebnisse noch ein zweiter Weg
offen, derselbe, welchen die Naturwissenschaft schon
längst und mit dem bedeutendsten Erfolge eingeschlagen
hat. Wie wir von den Erscheinungen durch Schluss¬
folgerung zu den Ursachen aufsteigen, welche ihnen zu
Grunde liegen, so prüfen wir umgekehrt die Richtigkeit
unserer Vermuthungen über die Ursachen an den Er¬
scheinungen. Wir bestimmen durch Schlussfolgerung,
und wo es sein kann, durch Rechnung, was für Er¬
scheinungen sich unter Voraussetzung einer gewissen
Ansicht über das Wesen der Dinge und die wirkenden
Ursachen ergeben müssen; zeigt es sich dann, dass diese
Erscheinungen auch wirklich, nicht blos in vereinzelten
Fällen, sondern regelmässig, eintreten, so ist ebendamit
die Richtigkeit unserer Annahmen, zeigt sich das Gegen¬
theil, so ist die Notwendigkeit ihrer Berichtigung dar¬
gethan. Seine häufigste und fruchtbarste Anwendung
findet dieses Verfahren da, wo wir die Erscheinungen
unseren Voraussetzungen gemäss selbst hervorbringen,
wo wir, mit anderen Worten, die Hypothesen durch
Versuche controliren können; welche sicheren und durch¬
greifenden Ergebnisse sich aber auch da, wo diess nicht
der Fall ist, auf diesem Wege erreichen lassen, zeigt
das glänzende Beispiel der Astronomie, welche nur durch
dieses Verfahren zu ihrer jetzigen Vollendung gelangt
ist. Eröffnet sich daher auch von unserer Erkennitniss¬
theorie aus allerdings keine Aussicht auf jenes absolute
Wissen, welches mehrere von den nachkantischen Sy¬
stemen für sich in Anspruch nahmen, so lässt sie uns
doch hoffen, dass es einer ausdauernden und besonnenen
Forschung gelingen könne, uns in allmähligem Fortschritt
diesem Ideal näher zu bringen, unsere Kenntniss der
Welt und ihrer Gesetze mit der Erweiterung ihres Um¬
fangs zugleich auch zu immer höherer Sicherheit zu er¬
heben.
Welche Folgerungen sich nun von hier aus zunächst
für die Form und Methode der Philosophie ergeben, will
ich zum Schlusse noch kurz andeuten. Wer annimmt,
dass das Wissen unserem Geiste von Hause aus inwohne,
und höchstens vermittelst der Erfahrung sich in ihm
entwickle, nicht durch die Erfahrung sich erzeuge, der
wird folgerichtig darauf ausgehen müssen, alle Wahrheit
aus den uns inwohnenden Ideen abzuleiten, welche sich
ihrerseits nur durch das reine Denken und die abgezogene
Selbstbetrachtung finden lassen; für ihn wird daher die
allein wahre philosophische Methode jene apriorische
Construction sein, deren sich Fichte, und mit der
vollendetsten Meisterschaft Hegel bedient hat. Wer
umgekehrt alle unsere Vorstellungen lediglich für ein
Erzeugniss der Wahrnehmung, der von den Dingen her¬
vorgebrachten Eindrücke hält, der dürfte sich nur auf die
Beobachtung verlassen, den Schlüssen dagegen, welche
wir aus den Beobachtungen ziehen, den Begriffen, die
wir aus ihnen ableiten, müsste er um so mehr misstrauen,
je weiter sie sich von dem unmittelbar Gegebenen ent¬
fernen. Haben wir uns dagegen überzeugt, dass alle
unsere Vorstellungen das gemeinschaftliche Produkt aus
den objektiven Eindrücken und der subjektiven Thätig¬
keit sind, mit der wir diese Eindrücke verarbeiten, so
wird es sich für uns nicht darum handeln können, irgend
ein Gegebenes, sei es nun innerlich oder äusserlich ge¬
geben, als ein Letztes und unbedingt Sicheres zu Grunde
zu legen, und das Uebrige daraus abzuleiten; sondern
alles Gegebene gilt uns zunächst nur für eine Erschei¬
nung unseres Bewusstseins, deren objektive Gründe erst
zu untersuchen, aus der allgemeine Sätze und Begriffe
nur durch ein zusammengesetztes Verfahren zu gewinnen
sind. Unser Standpunkt ist mit Einem Wort nicht der
des Dogmatismus, weder des empiristischen noch des
spekulativen, sondern der des Kriticismus. Wir können
nicht erwarten, eine Erkenntniss des Wirklichen anders,
als von der Erfahrung aus, zu gewinnen; wir werden
aber ebensowenig vergessen, dass in der Erfahrung selbst
schon apriorische Bestandtheile enthalten sind, durch
deren Ausscheidung wir erst das objektiv Gegebene rein
erhalten, und dass die allgemeinen Gesetze und die ver¬
borgenen Gründe der Dinge überhaupt nicht durch die
Erfahrung als solche, sondern durch’s Denken erkannt
werden. Ist daher auch eine möglichst genaue und voll¬
ständige Beobachtung der erste Schritt zum Wissen, so
müssen sich doch hieran zwei weitere anschliessen, wenn
wir wirklich zu einem sicheren Wissen gelangen wollen.
Der erste derselben besteht in der Unterscheidung der
Elemente unserer Erfahrung, und umfasst alle die
Operationen, welche den Zweck haben, den objektiven
Thatbestand als solchen, von allen subjektiven Zuthaten
befreit, zur Anschauung zu bringen. Sind hiemit die
wirklichen Vorgänge festgestellt, so ist dann das Nächste,
dass die Ursachen derselben aufgesucht werden, um sie
aus ihren Gründen erklären zu können, und so auf ge¬
netischem Wege zum Begriff ihres Wesens zu gelangen.
Die Methoden aber, deren wir uns hiebei zu bedienen
haben, die Bedeutung, welche einerseits der Induktion,
andererseits der Deduktion zukommt, die näheren Mo¬
difikationen, welche beide in der Anwendung erfahren,
die Notwendigkeit und die Art ihrer Verbindung, hat
die Logik in ihrem methodologischen Theile zu unter¬
suchen.