Vorausſetzungen.
Erſte. Das Wort, Schoͤnheit, bezeichnet eine
Eigenſchaft, das Schoͤne, hingegen Dinge, denen
jene Eigenſchaft anhaͤngt.
Anm. 1. Es erhellet aus der allgemeinen Grammatik,
daß durch das Neutrum des Adjectivs, wo es fuͤr
ſich und in ſubſtantivem Sinne ſtehet, eine unbe-
ſtimmte Mehrheit von Dingen bezeichnet werde,
welchen die, in dem Beyworte ausgeſprochene Ei-
genſchaft anhaͤngt; hingegen durch das abgeleitete
Hauptwort der abſtracte Begriff der Eigenſchaft
ſelbſt.
Das Schwanken des Gebrauches in unſerer, wie
in anderen alten und neueren Sprachen (welches
uͤberhaupt nur bey einzelnen Woͤrtern und beſon-
ders eben bey ſolchen eingetreten iſt, welche
Eigenſchaften ausſprechen, deren abſtracter Auf-
faſſung man auszuweichen liebte) hebet die Regel
nicht auf, zu welcher wir zuruͤckkehren muͤſſen, ſo-
bald es auf Schaͤrfe des Ausdruckes ankommt.
Anm. 2. Da offenbar in den ſchoͤnen Dingen viele Ei-
genſchaften vorhanden ſind, welche deren Schoͤnheit
nicht erhoͤhen, noch uͤberall damit zu ſchaffen haben:
(in einer ſchoͤnen Statue ſind außer der Schoͤn-
heit noch relative Schwere und Groͤße, und
allerley phyſiſche Eigenſchaften des Geſteines
oder Erzes vorhanden; in einem ſchoͤnen Men-
ſchen, eine Unendlichkeit von phyſiſchen, ſitt-
lichen und geiſtigen Eigenſchaften, welche zu
ſeiner Schoͤnheit theils nur in einer bedingten,
theils aber auch in gar keiner Beziehung ſtehen)
ſo iſt die Schoͤnheit nicht eins und daſſelbe mit den
Dingen, denen ſie anhaͤngt, (dem Schoͤnen), ſon-
dern nur irgend eine Eigenſchaft derſelben. Alle
Eigenſchaften koͤnnen abſtract aufgefaßt werden, alſo
auch dieſe.
Zweyte. Der abſtracte Eigenſchaftsbegriff, Schoͤn-
heit, in ſeiner hoͤchſten Allgemeinheit aufgefaßt, kann
umſchrieben werden durch die Worte: Erfreulichkeit
der Apparenz ſichtbarer Dinge.
Anm. 1. Dieſe Umſchreibung will, weder die Frage:
was alles ſchoͤn ſey, noch die andere: weß-
halb, aus welchem Grunde, etwas ſchoͤn ſey,
erledigen; vielmehr begnuͤgt ſie ſich, auszuſprechen:
was unter allen Umſtaͤnden, in allen Faͤllen, das
Schoͤne ſowohl vom Unſchoͤnen, als auch vom
Nichtſchoͤnen unterſcheidet, alſo ein allgemeines
und durchwaltendes Merkmal der Schoͤnheit iſt.
In der Volksſprache, dem nie ſo geradehin zu be-
ſeitigenden Ausdrucke des gemeinſchaftlichen Be-
wußtſeyns, bezeichnet ſchoͤn, nicht, was unerfreu-
lich, noch auch, was gleichguͤltig iſt, ſondern immer
nur ein Erfreuliches; worin ſogar die vorkom-
menden, einander ſonſt ausſchließenden, oder doch
gegenſeitig beſchraͤnkenden Erklaͤrungen der Schoͤn-
heit und des Schoͤnen, ſowohl unter ſich, als auch
mit dem Volks- und Sprachbegriffe uͤbereinſtimmen.
Erwaͤgen wir indeß, daß vieles an ſich Gute,
etwa Geſundheit, Staͤrke, Tugend und anderes, zwar
ſeinem Begriffe nach erfreulich iſt, doch nur in
ſo fern die Schoͤnheit irgend eines Dinges ausmacht,
oder ſolche mehret und erhoͤht, als es an deſſen
ſichtbarer Oberflaͤche ſich ausdruͤckt; hingegen, in ſo
fern es nicht (ſinnlich wahrnehmbar) ſich ausdruͤckt,
auch nicht in dem Begriffe der Schoͤnheit enthalten
iſt, ſondern nur dasjenige iſt, was es an ſich ſelbſt
iſt, nemlich Geſundheit, Staͤrke und ſo ferner; ſo
iſt das allgemeine Merkmal der Schoͤnheit offenbar:
Erfreulichkeit, nicht des Seyns, ſondern des
Scheines der ſichtbaren Dinge.
Anm. 2. Das bekannte: ſchoͤn iſt, was, ohne zu
nuͤtzen, gefaͤllt, (was indeß, nicht, was wir
ſuchen, die Schoͤnheit, ſondern eben nur, das
Schoͤne, auf ſeine Weiſe ausſpricht) iſt obiger
Umſchreibung in ſo fern verwandt, als es offenbar
gleichfalls von dem Vorſatze ausgehet, den Volks-
begriff in der ihm zukommenden Allgemeinheit aus-
zuſprechen. Andere hingegen haben den Grund der
Schoͤnheit irgend eines einzelnen Schoͤnen zu er-
mitteln geſucht und dieſen, wie immer beſchaffenen,
Grund der Schoͤnheit jenes einzelnen Schoͤnen als
einen allgemeinen, die Schoͤnheit eines jeglichen
Schoͤnen erklaͤrenden geltend machen wollen.
Solche, wie man ſie nennt, objective Erklaͤrun-
gen der Schoͤnheit ſind eigentlich nur Emanationen
eines ganz ſubjectiven Entzuͤckens an einzelnem Schoͤ-
nen, fuͤhren daher unausbleiblich zu unwillkuͤhrlichen
Verwechſelungen des Allgemeinen mit dem Beſonde-
ren desjenigen Objectes, von welchem man jedesmal
ausgegangen iſt. Ueberhaupt kann man nicht wohl
den Grund, deßhalb etwas iſt, fruͤher aufſuchen, als
nachdem man ausgemacht hat, was dieſes etwas iſt.
Wer aber auch von irgend einem einzelnen Dinge
ermittelt haͤtte, einmal, daß es ſchoͤn ſey, dann auch,
weßhalb es ſchoͤn ſey, hat damit noch nicht gefunden,
was die Schoͤnheit uͤberhaupt iſt. — Wie nun immer
in ſolchen Erklaͤrungen (obwohl dieſelben, weil ſie vom
Einzelnen ausgehn, mißliche Verneinungen und Aus-
ſonderungen einzuſchließen pflegen; weil ſie einen
Grund zu ermitteln ſuchen, welcher nicht durchhin zu
Tage liegt, nicht ſelten ſich in Hypotheſen und Dun-
kelheiten verlieren) doch bald ein lebendiges Ge-
fuͤhl fuͤr das Schoͤne, bald wiederum viel Tiefes
und Erhebendes uͤber deſſen letzten Grund hervor-
tritt: ſo haben ſie dennoch, da ſie die Schoͤnheit
uͤberall nur in ihrer innigen Vereinigung mit den
Dingen, alſo concret auffaſſen, mir bey obiger Be-
ſtimmung nicht wohl vorleuchten koͤnnen.
Dritte. Nach menſchlicher Vorſtellungsart iſt die
Empfaͤnglichkeit fuͤr Schoͤnheit in dem oben feſtgeſtell-
ten Sinne: zunaͤchſt, eine rein ſinnliche (der Geſichts-
werkzeuge); ferner, ein zwar noch unerklaͤrter, doch
vorhandener Sinn fuͤr Maß und Verhaͤltniß; endlich
Erregbarkeit des Gemuͤthes, bald durch allgemeine
Anklaͤnge, bald durch beſtimmtere, durch ſinnlich Wahr-
nehmbares, im Geiſte erweckte Vorſtellungen. Dieſe
Unterſcheidungen innerhalb des Schoͤnheitsſinnes,
welche jedes deutliche Selbſtbewußtſeyn billigen wird,
erheiſchen aber — da, was auf ſo verſchiedene Seiten
des Daſeyns einwirkt, nicht ſo durchaus daſſelbe ſeyn
kann — dieſen entſprechende Unterſcheidungen inner-
halb des allgemeinen Begriffes, die Schoͤnheit. In
dieſem unterſcheide ich demzufolge:
ſinnliche Annehmlichkeit;
harmoniſche Wirkung des in den Geſtalten und
uͤberhaupt in den ſichtbaren Erſcheinungen dem
Maße Unterliegenden.
Erfreulichkeit von (vermoͤge der einwohnenden
Sinnbildlichkeit der Formen, beſonders der or-
ganiſchen) durch Sichtbares im Geiſte angereg-
ten Vorſtellungen.
Anm. 1. Dieſe Unterſcheidungen habe ich in der Ab-
ſicht geſucht und herbeygezogen, die Schoͤnheit dem
bildenden Kuͤnſtler zugaͤnglicher zu machen, und hie-
durch die kuͤnſtleriſche Hervorbringung des Schoͤnen
nach Kraͤften zu befoͤrdern. Der praktiſche Werth
derſelben, welcher hinſichtlich der bildenden Kuͤnſte
ſich noch erproben ſoll, hat ſchon ſeit den aͤlteſten
Zeiten in der Muſik ſich bewaͤhrt, deren Schoͤnheit
jenen obigen genau entſprechende Unterſcheidungen
zulaͤßt, welche man jederzeit angeſtellt und in An-
wendung gebracht hat.
In dieſer Kunſt nemlich iſt es die Reinheit des
einzelnen Lautes, welche den aͤußeren Sinn (hier
das Gehoͤr) angenehm erregt; Tact und Harmo-
nie, was den uns eingeborenen Sinn fuͤr Maß
und Verhaͤltniß ausfuͤllt; Melodie (cantabile, das
Mittelbare und Sinnbildliche in der Muſik), was
das Gemuͤth durch die mannichfaltigſten Anklaͤnge
beruͤhret und ſtimmt. Wie nun immer dieſe ſo
ganz verſchiedenen Schoͤnheiten in gelungenen mu-
ſikaliſchen Ausfuͤhrungen zu einem gemeinſamen Ein-
drucke ſich vereinigen und verſchmelzen, ſo hat man
demungeachtet doch niemals beſtritten: daß der
ausuͤbende Kuͤnſtler die Reinheit, den Tact, den
Ausdruck, oder der Componiſt die Harmonie und
die Melodie, jedes fuͤr ſich betrachten, erſtreben,
uͤben koͤnne, wie es mit Vortheil geſchiehet und
von jeher geſchehen iſt.
Indeß duͤrften jene Unterſcheidungen, als ein An-
knuͤpfungspunct betrachtet, auch fuͤr die wiſſenſchaft-
liche Unterſuchung der Schoͤnheit und des Schoͤnen
von ungleich mehr Belang ſeyn, als man, in An-
ſehung der vieltauſendjaͤhrigen Gewoͤhnung, den
Begriff der Schoͤnheit mit Vorſtellungen von ein-
zelnem Schoͤnen, das Allgemeine mit dem Beſon-
deren, bald zu miſchen, bald zu verwechſeln, ſchwer-
lich vor der Hand anzuerkennen geneigt ſeyn wird.
— Vornehmlich befuͤrchte ich die Mißbilligung de-
rer, welche bey allem Unbeſtimmten und Raͤthſel-
haften ihre Rechnung finden.
Anm. 2. Wer nun einmal auf keine Weiſe ſich dar-
auf einlaſſen will, die Schoͤnheit abgeſondert von
den Dingen, denen ſie anhaͤngt, aufzufaſſen, duͤrfte
hier eine Abtheilung innerhalb des Schoͤnen wahr-
zunehmen glauben, gleich jener laͤngſt verſuchten
und beliebten in ein ſinnlich und geiſtig (aͤu-
ßerlich und innerlich) Schoͤnes; daher den be-
kannten Einwurf gegen mich in Anwendung bringen
wollen: »Das aͤußerlich Schoͤne ſey nur we-
gen ſeiner einwohnenden inneren Schoͤn-
heit und das innerlich Schoͤne nur wegen
ſeiner Erſcheinung in ſinnlich wahrnehm-
barer Form aͤſthetiſch ſchoͤn.« Dieſer Satz
aber, iſt eine Abwehrung des Verſuches, das ein-
zelne Schoͤne in ſeine Theile aufzuloͤſen, deſſen
Wahres, oder Falſches mithin an dieſer Stelle
durchaus nicht in Frage kommt. Denn ich beſchaͤf-
tige mich hier, nicht mit dem einzelnen Schoͤnen,
welches allerdings, wie Niemand beſtreitet, zunaͤchſt
ein ſinnlich Wahrnehmbares iſt, ſondern mit dem
abſtracten Begriffe der Schoͤnheit, deſſen im Geiſte
aufgefaßte Unterſcheidungen durch den Umſtand,
daß ſolche in den meiſten concreten Faͤllen in ein-
ander aufgehen und ſich gegenſeitig aufheben, noch
keinesweges als irrig und unanwendbar erwieſen
werden.
Auch duͤrften Einige annehmen wollen, daß, in obi-
ger Abtheilung, die ſinnliche Annehmlichkeit
nur etwa ſo viel ſagen wolle, als, das ſinnlich
Angenehme, oder Wohlgefaͤllige einiger veral-
teten Schulen. Indeß iſt das ſinnlich Angenehme,
eben wie, das Anmuthige, das Erhabene und ſo viel
Anderes, eben nur eine von den unzaͤhligen, ſchon
herbeygezogenen oder noch moͤglichen Unterabthei-
lungen innerhalb des einzelnen Schoͤnen, welche ich
bey dieſer Unterſuchung keinesweges im Sinne ha-
ben konnte, ſomit jene Deutung von mir ablehnen
muß. — Uebrigens verſtehe ich nicht, wie man
ein ſinnlich Angenehmes (wenn auch in will-
kuͤhrlichſtem Gegenſatze gegen das eigentlich Schoͤne)
annehmen koͤnne, ohne zugleich eine ſinnliche
Annehmlichkeit zuzugeben; noch wie man an-
nehmen koͤnne, daß jegliches Schoͤne ſinnlich
wahrnehmbar ſey, ohne zugleich die ſinnliche
Annehmlichkeit gehoͤrig in Anſchlag zu bringen?
Freylich duͤrfte es nicht ſelten eintreten, daß
eben diejenigen, welche der ſinnlichen Annehmlich-
keit in ihrem Schoͤnheitsbegriffe ſelbſt eine unter-
geordnete Stelle verſagen, doch in der Anwendung
ſie eifrigſt begehren, durch dieſelbe auch fuͤr das
Schaale und Geiſtloſe ſich beſtechen laſſen, oder von
ſich abweiſen, was immer Gutes von dieſer Schoͤn-
heit entbloͤßt iſt.
Der Vorderſatz des Schluſſes, den ich auf obige Vor-
ausſetzungen begruͤnde, lautet (was der Leſer beachten wolle)
wie folgt:
Jedes Ding, welches die Eigenſchaft Schoͤn-
heit (dieſer, oder jener anderen, oder auch aller Ar-
ten; im niedrigſten, hoͤheren oder hoͤchſten Maße)
darlegt, iſt ein Schoͤnes.
Anm. 1. Ein ſchoͤnes Ding iſt (ſ. die Vorausſetzun-
gen) nur in ſo fern ein Schoͤnes, als ihm die
Eigenſchaft Schoͤnheit beywohnt. Iſt es nun alſo
die Eigenſchaft Schoͤnheit, welche die Dinge zu
ſchoͤnen Dingen erhebt: ſo ſind nothwendig alle
Dinge ſchoͤn, an welchen jene Eigenſchaft ſich
darlegt.
Anm. 2. Um einem Dinge das hoͤchſt allgemeine
Praͤdicat: ſchoͤn, beyzulegen, fragt man, weder
nach dem Maße, in welchem das Ding ſchoͤn iſt,
noch nach der Art, in welcher es ſchoͤn iſt. Wo
man dieſe genauer bezeichnen will, bedient man
ſich: hinſichtlich des Grades, der Comparation;
hinſichtlich der Art, eigener, Niemand nicht gelaͤu-
figer Benennungen, z. B. erhaben, anmuthig
und ſo ferner.
Freylich iſt Einigen das Beywort, ſchoͤn, die
Bezeichnung bald eines hoͤheren Grades, bald auch
einer hoͤheren Art des Schoͤnen; weßhalb ſie ihr
Schoͤnes, als ein hoͤheres, den niederen Stufen und
Arten des Schoͤnen (etwa dem Huͤbſchen, Gefaͤlli-
gen und ſo fort) entgegen ſetzen; (ungefaͤhr als
wenn man das Gute, als ein hoͤheres Gute, dem
minder Guten entgegen ſetzen wollte). Da indeß
das Schoͤne auch in dieſem engeren Sinne den
Charakter der Allgemeinheit feſthaͤlt, welchen die
Sprache ihm nun einmal aufgedruͤckt hat, alſo nichts
Beſonderes und Unterſcheidendes, nur etwa einen
hoͤheren Grad der Erfreulichkeit bezeichnet: ſo iſt
dieſer willkuͤhrliche Wortgebrauch, (welcher ſo viele
ihm in der Sprache dargebotene Mittel des Aus-
drucks willkuͤhrlich verſchmaͤhet) hoͤchſtens als eine ei-
gene Comparationsform zu betrachten, welche aller-
dings ganz merkwuͤrdig, doch fuͤr mich nicht bindend iſt.
Der Kuͤnſtler kann, unabhaͤngig von der Schoͤnheit,
oder Unſchoͤnheit des Gegenſtandes ſeiner Darſtel-
lung, in ſeinem Kunſtwerke Schoͤnheiten hervorbrin-
gen (alſo darlegen); nemlich:
Zuerſt, rein ſinnliche Annehmlichkeit, durch
angemeſſene Handhabung ſeiner Werkzeuge, durch
gehoͤrige Behandlung des Stoffes, aus welchem
er ſeine Geſtaltungen formt, oder in welchem er
dieſelben erſcheinen macht.
Zweytens, Schoͤnheit des Maßes, durch die
Wahl der Anſicht und Lage, durch die Stellung
und Anordnung des in ſeiner Aufgabe enthal-
tenen, oder doch von derſelben nicht ausgeſchloſ-
ſenen Einzelnen.
Drittens, Erfreulichkeit der im Geiſte angereg-
ten Vorſtellungen, durch den Ausdruck ſeiner
ſelbſt, nemlich, der Liebenswuͤrdigkeit, Klarheit,
Erhebung und anderer Vorzuͤge ſeiner Seele.
Denn in jedem Kunſtwerke von einigem Belang
zeigt ſich neben dem Gegenſtande auch die Seele
des Kuͤnſtlers, und zwar mit ſolcher Gewalt und
Eindringlichkeit, daß die Bildwerke und Ge-
maͤlde großer Meiſter wenigſtens in eben dem
Maße Abdruͤcke ihrer eigenthuͤmlichen Geiſtesart
ſind, als Darſtellungen ihres Gegenſtandes.
Alſo koͤnnen Kunſtwerke ſchoͤn ſeyn, deren Gegen-
ſtand an ſich ſelbſt unſchoͤn iſt.
Kann nun der Kuͤnſtler (nemlich der gehoͤrig
begabte und ausgebildete), wie gezeigt worden, in
ſeinem Werke Schoͤnheiten hervorbringen, welche,
ſelbſt wann der Gegenſtand ſeiner Darſtellung (die
Aufgabe) an ſich ſelbſt unſchoͤn iſt, doch ſein Kunſt-
werk, als ſolches, zu einem Schoͤnen erheben; hin-
gegen diejenige Schoͤnheit, welche der jedesmaligen
Kunſtaufgabe angehoͤrt, nur in ſo fern und in dem
Maße auf deren kuͤnſtleriſche Darſtellung uͤbergehn,
als der Kuͤnſtler jedesmal faͤhig iſt, einestheils fuͤr
dieſelbe ſich zu begeiſtern, anderentheils ſie techniſch
auszudruͤcken: ſo iſt, nicht die Schoͤnheit der Auf-
gabe, ſondern die geiſtige Faͤhigkeit, die ſittliche und
techniſche Entwickelung des Kuͤnſtlers die wahrhaft
allgemeine, unter allen Umſtaͤnden unerlaͤßliche Be-
dingung der Schoͤnheit von Kunſtwerken.
Dieſes Alles verſtehet ſich freylich auch ohne ſo weit
auszuholen, oder, wie man ſagt, von ſelbſt; es koͤnnte mit-
hin den Unbefangenen recht wohl ſcheinen, das Gegentheil
ſey nie ernſtlich behauptet, noch verfochten worden. Um ſo
mehr bin ich einem Recenſenten (in der allgemeinen Lit.
Zeitung 1827. Julius, Col. 482. 511.) fuͤr deſſen Anſtren-
gung verpflichtet, ſeinen Leſern zu zeigen, daß es in der
Kunſtlehre noch immer allerley angenommene und uͤberein-
koͤmmliche Vorſtellungsarten giebt, gegen welche die Wahr-
heit geltend zu machen kein ſo durchaus muͤſſiges Bemuͤhen iſt.
Wie fuͤr dieſe Gunſt, ſo bringe ich gedachtem Recenſen-
ten auch fuͤr die billigſte Anerkennung manches von mir an-
geregten Saͤchlichen meinen beſten Dank. Indeß kann ich
nicht wohl umhin, viele von Demſelben mir beygemeſſene
Anſichten, Gedanken, Verwechſelungen, ſelbſt (man vergleiche
die Nachweiſungen) manche Worte, welche ich nie gefaßt,
noch geaͤußert habe, nicht als die meinigen anzuerkennen.
Insbeſondere verwahre ich mich gegen eine (Col. 491.) mir
zugeſchobene, angeblich von mir verhehlte Praͤmiſſe, welche
in den Worten des Rec. lautet: »Es wird Alles durch
die Darſtellung ſchoͤn.«
Dieſes Alles (des Rec. nemlich; denn mir ſelbſt iſt es
nie eingefallen, zu behaupten, noch ſelbſt insgeheim zu den-
ken, daß Alles durch die Darſtellung ſchoͤn werde) wird
denn nur ſo viel ſagen ſollen, als: Alles, was uͤber-
haupt kuͤnſtleriſch aufgefaßt und dargeſtellt wer-
den kann. Allein auch von einem ſolchen gehoͤrig beding-
ten Alles habe ich nie behauptet, noch insgeheim angenom-
men, daß Solches an ſich ſelbſt durch die Darſtel-
lung ſchoͤn werde, oder, wie Rec. vielleicht ſagen wol-
len, unter Umſtaͤnden durch die Darſtellung ſchoͤn
werden koͤnne; auch wuͤßte ich nicht, zu welchem Zwecke,
da ich uͤberhaupt nur zeigen wollen, wie noͤthigenfalls
auch unabhaͤngig von der Schoͤnheit, oder Unſchoͤnheit der
Aufgabe im Kunſtwerke Schoͤnheiten entwickelt werden koͤn-
nen, welche das Kunſtwerk ſelbſt, und nicht, wie
Rec. (Col. 492.) zu deuten ſcheint, deſſen Gegenſtand,
zu einem ſchoͤnen Dinge machen.
Ich wuͤrde glauben, daß Rec. dieſe Beſtimmung, welche
ich keinesweges anzudeuten verſaͤumt hatte, eben nur habe
uͤberſehen wollen, wenn es ſich nicht zeigte, daß eine gaͤnz-
liche Verſchiedenheit des Standpunctes, wie ſelbſt der Ter-
minologie und des Gebrauches uns beyden uͤbrigens gemein-
ſchaftlicher Woͤrter, hier, wie an anderen Stellen das Ver-
ſtaͤndniß und die gegenſeitige Annaͤherung ſo gut als unmoͤg-
lich machen. Waͤhrend ich ſelbſt eben nur darauf ausging,
zu finden, was die Kunſt, welche ich eigenſinnig liebe, nur
irgend in ihrer Entwickelung hemmen, oder foͤrdern kann,
begnuͤgte ſich der Recenſent mit Allgemeinheiten, welche zwar
an ſich ſelbſt ihren Werth haben, doch nicht ſo geradehin in
Anwendung zu bringen ſind. Auf einer ſolchen Allgemein-
heit gruͤndet derſ. ſeinen letzten, wie es ihm ſcheint, unwider-
leglichen Einwurf gegen oben in der Kuͤrze wiederholte, doch
von ihm, wie wir eben geſehn, durchaus mißdeutete Darle-
gung. Dieſer Einwurf lautet, in den Worten des Recen-
ſenten (ſ. Col. 492. unten): »Das nun, wovon die
Darſtellung ein Ebenbild iſt (das Darſtellen,
ſagt Rec. um einige Zeilen fruͤher, iſt ja nichts ande-
res, als das Hervorbringen eines Ebenbildes),
muß ſchoͤn ſeyn, wenn der Darſtellung ſelbſt das
Praͤdicat ſchoͤn beigelegt werden ſoll: denn das
Object und deſſen Darſtellung ſind nothwendig
identiſch, und die Merkmale des einen ſind auch
die Merkmale des andern.
Indeß kann ich dem Recenſenten weder zugeben, daß
jener ſo bekannt klingende Identificationsproceß auf den vor-
liegenden Fall anwendbar ſey, noch ihm ſeine ſo ganz me-
chaniſche Vorſtellung vom kuͤnſtleriſchen Darſtellen irgend ein-
raͤumen. Denn es iſt die Seele des Kuͤnſtlers keinesweges,
wie Rec. anzunehmen ſcheint, gleichſam ein Gypsmodel, aus
welchem genau, was man jedesmal hineingethan, wiederum
hervorgezogen wird; daher das Kunſtwerk (die Darſtellung)
nicht etwa (gleich der Copie, welche Rec. zu den Darſtellun-
gen zaͤhlt) der todte, mechaniſch gewonnene Abdruck ſeines
Gegenſtandes, ſondern das lebendige Product zweyer Facto-
ren, des Gegenſtandes und des denſelben in ſich aufnehmen-
den und verarbeitenden Kuͤnſtlers. Kein Product aber iſt
dem einen oder dem anderen ſeiner Factoren identiſch, ſon-
dern ein fuͤr ſich beſtehendes Drittes. — Mit jener irrigen
Vorſtellung vom kuͤnſtleriſchen Darſtellen faͤllt denn auch der
Einwurf, welchen der Rec. darauf begruͤnden will.
Uebrigens habe ich nirgend beſtritten: daß uͤberall, wo
Gegenſtaͤnde, welche an ſich ſelbſt ſchoͤn ſind, durch die Mit-
tel der jedesmal in Anſpruch genommenen Kunſtart ausge-
druͤckt werden koͤnnen, was bekanntlich nicht immer ein-
tritt; daß uͤberall, wo dieſe Gegenſtaͤnde den Kuͤnſtler wirk-
lich begeiſtern, wo deren Darſtellung innerhalb der techni-
ſchen Entwickelung und ſpeciellen Formenkenntniß des Kuͤnſt-
lers wirklich moͤglich iſt: auch jene dem Gegenſtande ei-
genthuͤmliche Schoͤnheit auf das Kunſtwerk uͤbergehen und
die Schoͤnheit dieſes letzten weſentlich erhoͤhen werde. Ich
habe demnach der Schoͤnheit des Gegenſtandes nirgend, wenn
auch nur das Mindeſte von demjenigen Gebiete entzogen,
2
welches ſie wirklich (nicht bloß in der Einbildung) beſitzet
und inne hat; erwartete deßhalb nicht, deſſen Vorwachen zu
beunruhigen. Um ſo weniger, da ich, mit vollem Bewußt-
ſeyn der Aufrichtigkeit, unſerem, wie jedem kommenden Ge-
ſchlechte anwuͤnſche: daß es aus einem tiefgefuͤhlten
Beduͤrfniſſe ſtets vom Kuͤnſtler, auch hinſichtlich der Aufgabe,
nichts ſeiner Unwuͤrdiges begehren moͤge; hingegen dem
Kuͤnſtler unſerer und kuͤnftiger Zeiten: daß er aus ſeinem
Inneren hervor ſtets die edelſte Richtung einſchlagen,
ihm dargebotene Aufgaben ſtets im beſten Sinne ergreifen,
und zur Darſtellung auch des Beſten und Hoͤchſten jederzeit
hinlaͤnglich geruͤſtet ſeyn moͤge. Ueberhaupt war ja mein
Zweck, nicht etwa dem Schoͤnen des Gegenſtandes, welches
mir wohl ſo viel gilt, als Anderen, ſeinen eigenthuͤmlichen
Werth zu entziehen; nicht etwa den Kuͤnſtler, oder den Goͤn-
ner vom Schoͤnen zum Unſchoͤnen zu verlocken (was in um-
gekehrter Richtung derſelbe Mißgriff ſeyn wuͤrde, den ich
beſtritten habe und beſtreite); vielmehr nur dieſer: die Her-
vorbringung des Schoͤnen in den bildenden Kuͤnſten vor
Hemmungen ſicher zu ſtellen, welche aus einer falſch angeleg-
ten Theorie hervorgehn.
— Haͤtte der Kuͤnſtler wohl jemals mit Bewußtſeyn
das Unſchoͤne dem Schoͤnen vorgezogen? waͤre er wohl je-
mals, wo die Wahl ihm freygeſtanden, abſichtlich darauf aus-
gegangen, das Unſchoͤne darzuſtellen? Ich bezweifle, daß
irgend ein Kuͤnſtler, gleichſam der Abtoͤdtung willen, jemals
auf eine ſolche Grille verfallen ſey; vielmehr bin ich aus
inneren, wie auch aus hiſtoriſchen Gruͤnden davon uͤberzeugt:
daß der Kuͤnſtler uͤberall, wo er das Unſchoͤne dargeſtellt,
entweder einem aͤußern Zwange (den Foderungen ſeiner Goͤn-
ner, der Beſchraͤnktheit ſeiner Umgebungen), oder auch, ohne
ſich deſſen deutlich bewußt zu ſeyn, der Gemeinheit und Nie-
drigkeit ſeiner Neigungen nachgegeben habe. Dieſemnach
waͤre jene Lehre, welche, weder in den aͤußeren Verhaͤltniſ-
ſen des Kuͤnſtlers eine merkliche Beguͤnſtigung herbeyfuͤhrt,
noch den Kuͤnſtler ſittlich beſſert und geiſtig erhoͤht, ſondern
bloß ein Zauberwort ausſpricht, deſſen Sinn nur derjenige
zu loͤſen vermag, welcher eben hierin keiner Anmahnung be-
darf, auch im beſten Falle ganz muͤſſig und, wie es ſich
factiſch erwieſen hat, ohne allen Vortheil fuͤr die Hervor-
bringung des Schoͤnen in der Kunſt. Indeß giebt es im
Gebiete des Geiſtes nichts ganz Neutrales; jegliches ſich
Beruhigen bey irgend einem Scheinwahren und Taͤuſchenden
iſt zugleich eine Hemmung im Denken und in dem davon
abhaͤngenden zweckmaͤßigen Handeln. Zudem iſt es nachzu-
weiſen, daß die Schoͤnheits-Lehre auch active der kuͤnſtleri-
ſchen Hervorbringung des Schoͤnen entgegenwuͤrkt.
Zunaͤchſt hindert jene nackte Hinweiſung anfauf das Schoͤne
des Gegenſtandes die Entwickelung der Aufaͤnger, indem ſie
(wie es aufmerkenden Beobachtern nicht entgangen ſeyn
wird) dieſelben veranlaßt, zu waͤhlen, wo ſie, eben weil ſie
noch gar nichts wiſſen, noch koͤnnen, nur zugreifen ſollten.
Ferner ſtoͤret ſie auf den mittleren Stufen der Entwickelung,
durch Ablenkung der Aufmerkſamkeit, die unumgaͤnglich noͤ-
thige Ausbildung der Technik und des Styles. Endlich ver-
ruͤcket ſie ſelbſt dem ſchon ausgebildeten Meiſter ſeinen prak-
tiſchen Standpunkt, indem ſie ihn veranlaßt, ſeine Aufgaben,
ſtatt ihnen jedesmal ihre beſte Seite abzugewinnen und ruͤ-
ſtig, wie es noͤthig iſt, ans Werk zu ſchreiten, vielmehr,
wenn ſolche etwa ſeinen Vorſtellungen vom Schoͤnen nicht
entſprechen, ſie mit Verdroſſenheit aufzufaſſen, daher, weder
(durch Ueberwindung von Schwierigkeiten) fuͤr ſeinen Fort-
ſchritt in der Kunſt, noch (durch Befriedigung ſeiner Goͤn-
ner) fuͤr ſein Fortkommen in der Welt daraus den jedes-
mal moͤglichen Vortheil zu ziehen. Wenn nun dieſe Bemer-
kungen freylich nur dem Kuͤnſtler ganz einleuchten moͤchten,
ſo wird hingegen beſonders bey dem Kunſtfreunde die Be-
merkung Eingang finden, daß der unbefangene, ſich hinge-
bende Genuß ſchoͤner Kunſtwerke durch unzeitige Reflection
uͤber die Schoͤnheit oder Unſchoͤnheit ihres Gegenſtandes ge-
ſtoͤrt und nicht ſelten ganz aufgehoben wird; daß, wer
dem ſogenannten Schoͤnheitsprincip recht eifrig anhaͤngt,
meiſt geneigt iſt, das kuͤnſtleriſch Werthloſe des ſchoͤnen Ge-
genſtandes willen zu ſchaͤtzen, und, umgekehrt, das kuͤnſt-
leriſch Vortreffliche des unſchoͤnen Gegenſtandes willen zu
verwerfen, uͤberhaupt aber jener ſuͤßlichen Flachheit des Ge-
ſchmacks ſich hinzugeben, welche den hoͤheren Kunſtgenuß
(das ſich Bewußtwerden der Sinnes- und Geiſtesart vortreff-
licher Kuͤnſtler) eine laͤngere Zeit hindurch beynahe verdraͤngt
hatte.
Waͤre es nun, wie ich vermuthe, auch denen, welche die
Sache von einer andern Seite anſehn, mehr um die Her-
vorbringung des Schoͤnen zu thun, als um die Behauptung
einer bedeutungsloſen Formel: ſo werden ſie ſich endlich
wohl ebenfalls mit der Vorſtellung ausſoͤhnen: daß die Er-
fuͤllung ihrer beſten Wuͤnſche eben nur durch kraͤftige Auf-
regung des Geiſtes, guͤnſtigen Anſtoß der Richtung, ent-
ſchloſſene Foͤrderung der techniſchen Entwickelung des Kuͤnſt-
lers koͤnne angenaͤhert und beſchleunigt werden. Was in
Erfuͤllung gehen moͤge.
Im October 1827.