Die bayerische Armee.
Die norddeutsche Presse hat sich seit längerer
Zeit daran gewöhnt, Bayern zum allgemeinen
whipping-boy ( Prügeljungen ) zu machen. Wenn
im einzelnen partikularen Lande die Zustände un-
erfreulich sind, so muß Bayern meistens herhalten,
um als Sack zu dienen -- experientia fit in
vili corpore. Jst doch blos schon seine Existenz
eine seiner Hauptsünden! „Napoleonisches König-
reich “.... „Nieder=Vertrag“, das sind jetzt
die Worte, die täglich in gewissen Blättern wie-
derkehren, ohne daß der Norden irgend zu der
Einsicht gekommen wäre, was er an diesen Rei-
chen Deutschlands besitzt, oder sich die Frage be-
antwortet hätte, wer denn eigentlich Herr sein soll,
wenn der Berliner Arm positiv nicht so weit reicht,
und Oesterreich nicht mehr zu Deutschland zu zäh-
len ist? So lange nicht etwa die Main=Linie
oder das gothaische Vaterland ( „nicht so weit als
die deutsche Zunge klingt“ ) zur Verwirklichung
kommt, so lange wird im Südwesten ein staat-
liches Drittes liegen -- mag dasselbe nun in
Baden, Würtemberg und Bayern zerfallen, oder
in Eins zusammengeschmolzen werden. Wer sich
einbildet, daß diese drei Staaten wirklich Nichts
als französische Schöpfungen sind, der pflegt sich
eine Politik zurecht, welche Alles, nur nicht ge-
fährlich ist. Ohne irgend wie den Vertheidiger
Bayerns oder seiner Politik abgeben zu wollen,
glaube ich Sie doch versichern zu dürfen, daß
das aus Hormayers „Fragmente“ bekannte Wort
Friedrich Wilhelm des Dritten über seine Schwä-
gerin, die spätere Friederike von Hannover: „Nicht
schlechter sein, als alle Andern, die Andern um
Nichts besser sein,“ hier vollständig Platz greift.
Namentlich aber ist es ein großer Jrrthum, so-
bald man sich einbildet, das bayerische Heer mit
wohlfeilen Witzen vernichten zu können. Es mag
immerhin wahr sein, daß beim Losbruch der März-
Revolution das Kriegsmaterial in Baiern sich
nicht in dem Zustand befand, wie ihn ein augen-
blickliches nachdrückliches Auftreten erforderte; die-
sem Uebelstand ist binnen der zwei letzten Jahre
abgeholfen; man mag gleichfalls darin Recht ha-
ben, daß das bayerische Parade=Execitium dem
preußischen nachsteht, allein der bayerische Soldat
hat sich auf dem Schlachtfelde noch stets mit dem
größten Muthe geschlagen, und auf den Märschen
eine Ausdauer gezeigt, die sich mit jeder Truppe
zu messen im Stande ist. „Die „Neue preuß.
Zeitung“ meinte vor einigen Tagen in Bezug
auf die bayerischen Rüstungen: „man solle Bier-
fässer nicht für Pulverfässer ansehen,“ wenn
Sie jedoch einen Vergleich ziehen zwischen dem
hiesigen kräftigen Menschenschlage vom Ge-
birge an bis nach Franken hinein, und dem
Rheinlander, dem Schlesier, dem Pommer, der
nur die Ebene kennt, so werden Sie, abgesehen
von aller geschichtlichen Erfahrung, schon von
vornherein dem Bayer als Soldaten den Vorzug
geben. Zu dieser körperlichen Kraft gesellt sich
dann ferner einmal eine echt deutsche bekannte
Lust, zu raufen, und eine durchgehende Sicherheit
im Gebrauche der Schießwaffe, wie Sie dieselbe
nur in Tirol und der Schweiz antreffen. Das
Scheibenschießen bildet eine der ersten Vergnü-
gungsarten der Süddeutschen; Privatmann oder
Soldat, ein Jeder versteht vortrefflich, mit der
Büchse umzugehen, und Sie finden hier in jedem
Stande, Alt und Jung, sehr viele Leute, welche
für persönliche Ausgleichungen sehr unangenehm
geübte Pistolenschützen sind. Diese durchgehende
Lust an der Waffe kennt der Norden nicht. Je
weiter Sie nach der Küste hinaus sehen, um so
seltener werden Sie im Volke den Einzelnen mit
dem Gewehre vertraut finden. Der norddeutsche
Soldat muß meistens als Rekrut das Schießen
erst lernen; der Süddeutsche tritt mit dem sicheren
Auge und der geübten Hand in der Regel ein.
Wollen Sie außerdem die ihm oft vom Norden
aus zum Vorwurf gemachte größere Bedürfniß-
losigkeit und Unempfindlichkeit gegen den feineren
Comfort bei dem Bayer in Anschlag bringen,
welche doch im Felde jedenfalls eine Tugend nur
mehr, so kommen Sie gewiß zu dem Resultate,
daß der Kern der bayerischen Armee so vortreff-
lich ist, als er nur sein kann. „Allein die höhere
Bildung der Preußen, der Kinder aus dem Staate
der Jntelligenz“.... Ja freilich, wenn die
Schulkenntnisse der gemeinen Soldaten im Kriege
auch ein Gewicht in die Schale werfen, so dür-
fen die Russen gar keinen Anspruch darauf ma-
chen, ein brauchbares Heer zu haben. Wir wol-
len es zwar anerkennen, daß das preußische Of-
fizierkorps theoretisch vielleicht das bestgebildete ist,
welches Europa aufzuweisen hat, und in ihm ein
Corps=Geist herrscht, der kein persönliches Schwan-
ken des Einzelnen im Augenblicke der Gefahr
aufkommen läßt. Allein es fehlt ihm an Erfah-
rungen, ohne welche alle Theorie sehr leicht zu
einem äußerst gefährlichen Doktrinarismus umzu-
schlagen droht. Die preußische Armee befindet
sich in vieler Hinsicht in derselben Lage, wie am
Anfange unseres Jahrhunderts -- lange Unthä-
tigkeit, Garnison=Dienst, auf die Spitze getriebe-
nes Theoretisiren. Wie aber im Beamtenthum
kein eigentlich schöpferischer Staatsmann, so wächst
auch unter solchen Verhältnissen kein eigentlich ge-
nialer Feldherr auf. Der Umstand, daß eine
unbedeutende Anzahl bayerischer Offiziere seiner
Zeit in Griechenland war, darf dagegen freilich
in strategischer Beziehung nicht hoch angeschlagen
werden; aber rücksichtlich des „Sich anerkennen,“
wie man hier sagt, auf dem Marsche und über-
haupt im Kriegsleben, mag diese Excursion denn
doch immer ihre guten Früchte getragen haben,
und was an mathematischer Präcision vielleicht
abgeht, ersetzt individuelle Tüchtigkeit. Ob Preußen ge-
genwärtig noch Haudegen wie Blücher besitzt, ist
die Frage; die bayerische Natur ist zu solchen
Persönlichkeiten recht eigentlich angelegt, und ich
sollte denken, auch heut zu Tag liefere man mit
Maschinen noch keine Schlachten.
( Ll. ) Die Ereignisse in Kurhessen.
Kassel, 5. Nov. Die Preußen behaupten sich
hier mit großer Gemächlichkeit. Sie halten auf
dem Friedrichsplatze täglich Parade mit Musik,
beziehen die gewöhnlichen Wachen und stellen so-
gar vor die kurfürstl. Gebäude, vor das Museum,
Ministerium ec. Posten hin. Hier und in einigen
Dörfern bei Kassel mogen wohl 7000 Mann ein-
quartiert sein. Es gibt Hausbesitzer, welche 20
Mann im Quartier haben. Für die Meisten ist
es eine drückende Last, da Viele, namentlich in
jetzigen Zeiten, kaum für sich Nahrung zu beschaf-
fen vermögen. Von einem Abmarsche der Trup-
pen verlautet nichts, wohl aber von einer Verstär-
kung derselben, sodaß man ernstlich beabsichtigt,
auch den Miethern Einquartierung zu geben. Man
ist hier über die nächste Gestaltung der Verhält-
nisse in gänzlicher Ungewißheit. Daß es die Neu-
hessen am Aussprengen lügenhafter Gerüchte nicht
fehlen lassen, kann sich Jeder denken, der diese
Sorte kennt. Widerwärtig ist es, mit anzusehen,
wie sie darauf ausgehen, die Preußen für sich ein-
zunehmen, ihnen wohlreden und dabei im Herzens-
grunde doch nicht trauen. -- Seit gestern sind
die Namen von achtzehn Offizieren, die den Ab-
schied erhalten haben sollen, in Vieler Munde.
( K. Z. )
Kassel, 6. Nov. Die Verfügung des Kurfür-
sten, den Einmarsch der Bundestruppen betreffend,
steht seit heute früh an den Straßenecken ange-
schlagen. Gegen 7 Uhr Uhr Morgens wurde
Generalmarsch geschlagen. Von der preußischen
Jnfanterie, welche sich sehr schnell auf dem Fried-
richsplatze versammelt hatte, rückten sofort 2 Ba-
taillone Füßeliere zur Eisenbahn, um auf dersel-
ben bis Bebra zu fahren und dann sofort den
Marsch nach Hünfeld fortzusetzen. Die Nachrich-
ten. daß die Bayern vorschreiten, daß Radowitz
abgetreten ist, daß 10 Offiziere entlassen sind,
haben die Gesichter der Neuhessen zu einer fabel-
haften Länge ausgedehnt.
( K. Z. )
Hanau, 6. Nov. Die beiden hiesigen Ju-
stizämter 1 und 2 verwenden bereits wieder den
bisher notirten Stempel, das hiesige Obergericht
dagegen fährt in seiner Renitenz gegen die An-
ordnungen der Bundesbehörde fort. Der Redak-
teur der „Hanauer Zeitung“, F. A. Kittsteiner,
ist dem Hauptquartier der bayerischen Truppen
ins Fuldaische nachgereist, um von dem Bundes-
commissär die Entsiegelung seiner Pressen und
die Erlaubniß zum Wiederscheinen seine Zeitung
zu erwirken. Kommandant in hiesiger Stadt ist
der bayerische Oberst von Pfetten vom Regiment
König.
Nachschrift. Nach glaubwürdigen, wie-
wohl noch nicht verbürgten Nachrichten, welche
soeben von Fulda eintreffen, sind die Bayern ge-
stern, nachdem die Preußen sich zurückgezogen,
daselbst eingerückt und haben namentlich die Vor-
stadt Löherstraße besetzt. Gewiß ist jedenfalls,
daß die beiden Bundesdivisionen von Neuhof wie
von Motten her sich gestern früh um 8 Uhr ge-
gen Fulda in Bewegung gesetzt haben und den
Befehl hatten, den Eintritt in die Stadt nöthi-
genfalls mit Gewalt zu erzwingen. Den Tag
vorher schien es bei den Vorposten fast zum
Kampfe kommen zu wollen; auf preußischer Seite
fiel ein Schuß, ob absichtlich oder aus Versehen,
worauf die bayerschen Reiter, welche diesseits die
Vorhut bildeten, auf die preußische Linie ein-
sprengten; es kam indeß zu keinem Zusammen-
stoß, da die Preußen sogleich rückwärts gingen.
Bei Fulda hatten die Letztern Verschanzungen
aufgeworfen und sich in dem Kapuzinerkloster,
dem Spitale, auf dem Petersberge, an den Brü-
cken über die Fulda und in der Gretzmühle fest-
gesetzt.
( K. Z. )
Fulda, 6. Nov. Nach einer regnerisch stür-
mischen Nacht, welche die Einwohner jedoch ruhig
und unbeirrt vom Kriegstrubel hingebracht haben,
wird soeben, halb 12 Uhr Vormittags, allarmirt.
Dem Vernehmen nach sollen die Bayern einen
Salzwagen, der den auswärtigen Cantonnementen
zugeführt worden wäre ( wo, weiß man nicht ) ,
weggenommen haben. Wir bemerken, daß die k.
preuß. Truppen ihre volle Verpflegung aus den
hier errichteten Magazinen empfangen. Nach ei-
nem andern Gerüchte hätte der diesseitige Vorpo-
stenkommandeur in den Cantonnementen der Bay-
ern Generalmarsch schlagen hören und hätte darü-
ber hierher Meldung gemacht. -- Allem Anscheine
nach wird man den hiesigen Ort mit allen zu
Gebote stehenden Kräften vertheidigen, indem die
ernstesten Vorkehrungen zu diesem Zwecke getroffen
werden. -- Außer den früher genannten Genera-
len sind jetzt noch v. Bonin, v. Wenzel und v.
Katte bei den Truppen. Heute Nachmittag sollen
die sich gegenüberstehenden Commandeure v. Thurn
u. Taxis und von der Gröben eine Unterredung
pflegen; man ist gespannt, welches Resultat diese
Besprechung herbeiführen wird. Der Prinz von
Preußen ist schon gestern Abend angemeldet und
man sieht stündlich der Ankunft desselben entgegen.
-- 4 Uhr Nachmittags. Die ausgerückten Trup-
pen kehren von ihren Aufstellungen eben wieder
zurück und beziehen ihre bisherigen Quartiere oder
Bivonaks. -- Der Prinz von Preußen ist zur
Zeit noch nicht eingetroffen. Alle Gerüchte über
einen blutigen Conflict, der zwischen den sich
gegenüberstehenden Heeresmassen erfolgt sein soll,
sind erdichtet und scheinen nur ersonnen zu sein,
um ängstliche Gemüther zu beunruhigen. --
Nachmittags 4 Uhr. Die Preußen stehen
bei Löschenrodt,4 1 / 2 Stunde von hier an der
Frankfurter Straße, bayerischen und österreichi-
schen Truppen gegenuber; die Bayern sind jedoch
schon über die Löschenrodter Brücke herzu: --5 1 / 2
Uhr. Die Sachen stehen auf der Spitze; unsere
Stadt gleicht einem Lager. Soeben sind wieder
große Truppenmassen als im Anmarsch angesagt.
Von der Rhein=Weser=Wasserscheite, zwischen
Schlüchtern und Neuhof, 6. Nov. Der gestrige
Rasttag war den Bundestruppen auf ihre an-
strengenden Märsche bei dem nassen Wetter, das
alle Wege grundlos gemacht hatte, nöthig. Lei-
der ist das Wetter heute noch übeler. Es regnet
nun auch am Tage, während bisher nur Nachts.
Und gerade der heutige Tag ist zum weitern Vor-
rücken der Truppen auf der Straße nach Fulda
bestimmt. Der commandirende General und der
Bundescommissär werden um 9 Uhr Vormittags
aus dem Hauptquartier Flieden aufbrechen. Jhr
Vormarsch ist unterstützt und gedeckt in der rech-
ten Flanke von der über Brückenau vorrückenden
Divission Mar. ist äußerst gespannnt, was von
Seiten der Preußen geschehen wird. Ohne ihr
Eindringen würde die Sache ohne Zweifel sich
rasch und zur Zufriedenheit aller wahren Freunde
Deutschlands und der gesetzmäßigen Freiheit er-
ledigt haben.
Deutschland.
Frankfurt, 3. Nov. Es ist allerdings wahr,
daß Lord Cowley nicht accreditirter Gesandter
Englands bei der deutschen Bundesversammlung
ist, und daß er daher auch als solcher das Pro-
tokoll bei Auswechselung der Friedensratifikationen
zwischen Dänemark und dem deutschen Bund nicht
unterzeichnet hat. Die Bundesversammlung hat
nemlich die Reaktivirung den Großmächten noch
nicht offiziell angezeigt, und darin liegt die Ur-
sache, daß diese bis jetzt auch noch keine Gesand-
ten bei ihr accreditiren konnten. Der Grund,
weshalb die Bundesversammlung diesen Schritt
noch nicht gethan, ist einzig und allein in der
Schonung zu suchen, die man gegen Preußen be-
obachten zu müssen glaubte. Sobald die Bundes-
versammlung bei den Großmächten offizielle An-
zeige von ihrer Reaktivirung gemacht, und diese
durch Accreditirung von Gesandten ihre erneuerte
Anerkennung ausgesprochen hatten, blieb für Preu-
ßen keine andere Wahl, die Bundesversammlung
unbedingt anzuerkennen, oder einen Krieg mit ganz
Europa zu beginnen. Um Preußen nicht in diese
schlimme Alternative zu versetzen, hat man die
provisorische Centralcommission als Vertreterin des
deutschen Bundes, dem Auslande gegenüber noch
fortbestehen lassen. So gewiß man auch seiner
Sache war, daß die Großmächte nach einmal er-
folgter offizieller Anzeige von der Reaktivirung der
Bundesversammlung nicht anstehen würden und
nicht anstehen könnten, ihre Gesandten von der
alsdann erloschenen Bundescentralgewalt abzuru-
fen und sie statt dessen bei der Bundesversamm-
lung zu accreditiren, so hat man es doch bis
jetzt, in der Hoffnung einer Verständigung mit
Preußen, unterlassen, des Verhältniß auf diese
letzte, entscheidende Spitze zu treiben. Jetzt wird
man genöthigt sein, auch diese letzte Schonung ge-
gen Preußen fallen zu lassen. Der beste Beweis,
daß England die Bundesversammlung anerkennen
wird, sobald es nur in die Lage versetzt ist, einen
solchen offiziellen Schritt thun zu können, liegt
eben in der „offiziösen“ Betheiligung Lord Cow-
ley 's bei dem Ratifikationsprotokolle, in welchem
Graf Thun nicht im Namen Oesterreichs und
nicht im Namen einzelner deutscher Staaten, son-
dern ausdrücklich im Namen des deutschen Bun-
des auftritt. Dieses eben auseinandergesetzte Ver-
hältniß ist auch die einzige Ursache, weshalb der
hier verweilende russische Gesandte, Fürst Gort-
schakoff, seine Accreditirung bei der Bundesver-
sammlung noch nicht hat überreichen können. Eben-
so ist es keinem Zweifel unterworfen, daß die
französische Regierung keinen Augenblick anstehen
wird, ihren Gesandten bei der Bundesversamm-
lung zu accreditiren, sobald sie offiziell die Ver-
tretung Deutschlands wieder übernommen hat.
Den preußischen Blättern kann dieser Stand der
Sache nicht unbekannt sein; dennoch fahren sie
fort, dem Publikum vorzuspiegeln, daß die Nicht-
accreditirung der fremden Gesandten in einer Ab-
neigung der Kabinette gegen die Bundesversamm-
lung läge, während die Ursache doch einzig und
allein in dem Wunsche der Bundesversammlung
zu suchen war, Preußen so wenig wie möglich zu
compromittiren, und ihm die Lage so lange wie
möglich offen zu erhalten, mit allen Dehors des
freien Entschlusses sich der Bundesverfassung zu
unterwerfen. Die falsche Maxime der preußischen
Blätter, die Unkunde des Publikums auszubeuten,
um es in falschen Erwartungen und Spannungen
ein paar Tage länger zu erhalten, ist noch jedes-
mal zum Nachtheile Preußens ausgefallen. Nicht
nur wird die Enttäuschung später um desto grö-
ßer, sondern die Bundesversammlung wird auf
diese Weise gewissermaßen moralisch gezwungen,
den Schleier früher zu lüften, den sie aus milden
Anstandsrücksichten gegen eine in diesem Augen-
blicke diplomatisch sehr ungünstig gestellte Macht
zu deren Gunsten noch gern einige Zeit über diese
Verhältnisse gebreitet hätte. Es kann der Bun-
desversammlung nichts daran liegen, Preußen vor
der öffentlichen Meinung Demüthigung zu berei-
ten. Die hiesigen Staatsmänner sind zu weise,
um der preußischen Regierung ihre ohnehin so
schwierige Lage auch für die Zukunft noch mehr
zu erschweren. So weit es unbeschadet des Rech-
tes möglich ist, das Ansehen der preußischen Re-
gierung zu stärken, wird man von keiner Seite
aus freudiger die Hand bieten, wie von hier aus.
Aber die preußischen Blätter scheinen es so recht
con amore darauf anzulegen, alle Rücksichten
unmöglich zu machen, welche die Bundesversamm-
lung zu gewähren gedachte. Nie war eine Regie-
rung mehr in der Lage, auszurufen: Gott be-
wahre mich vor meinen Freunden!, als eben die
preußische. Ohne die geschäftige Dazwischenkunft
der preußischen Zeitungen, wovon man leider die
ministerielle „Deutsche Reform“ selbst nicht aus-
nehmen darf, würde Preußen gewiß noch immer
in einer relativ günstigeren Lage sich befinden,
wie jetzt. Es ist nichts gefährlicher, als sich durch
nur halbunterrichtete und nur halbgebildete Fe-
dern vor der Oeffentlichkeit vertreten zu lassen.
( Möchte dieser Uebelstand doch bald eine gründ-
liche Abhilfe finden! )
( D. Vksh. )
Karlsruhe, 6. Nov. Jn der gestrigen Sitzung
der ersten Kammer erschien der neue Minister des
Auswärtigen, Freiherr v. Rüdt, zum erstenmal
in seiner jetzigen Eigenschaft. Er richtete folgende
Worte an die Kammer: D. H. H.! Durch die
Gnade und das besondere Vertrauen Se. königl.
Hoh. des Großherzogs berufen, habe ich heute
zum erstenmale die Ehre, an dieser Stelle in
diesem Saale zu erscheinen, in welchem ich vor
Jahren schon, aus Jhrer Mitte, gemeinschaftlich
mit Jhnen nach demselben Ziele gestrebt, welches
die Regierung des Großherzogs unverrückt mit
Festigkeit verfolgen wird: das Heil unseres Für-
sten, unseres Landes. Sie werden, D. H. H.,
nicht erwarten, daß ich im gegenwärtigen Augen-
blick irgend eine spezielle Frage der Politik auch
nur entfernt berühre. Nur das Eine lassen Sie
mich hervorheben, daß unser Volk, ein integriren-
der Theil eines großen Ganzen, durch die man-
nigfachsten festbegründeten Jnteressen, tiefwurzelnde
Sympathien verschiedener Art mit unserm Ge-
sammtvaterlande nach den verschiedensten Seiten
hin enge verknüpft ist; auch darum fordert das
wohlverstandene Jnteresse Badens zunächst eine
Einigung aller deutschen Staaten. Jn einer ern-
sten, bedeutungsvollen Zeit, wie die gegenwärtige,
ist mehr als je ein offenes, vertrauensvolles Zu-
sammenwirken derer nöthig, die berufen sind, durch
Rath und That die wahren Jnteressen des Lan-
des zu fördern. Auf Jhre Unterstützung, D. H.
H., dürfen wir zählen; Sie haben sie, selbst
mit Opfern, nie versagt, wo es sich um das
Wohl des Landes handelte.
Stuttgart, 6. Nov. Nachdem in der heutigen
Sitzung der Landesversammlung, in Betreff der
von der Regierung zum Zweck der Rüstungen
geforderten 300,000 fl., der dieselbe verweigernde
Commissionsantrag in allen Punkten angenommen
war, wurde die Versammlung durch den Minister
des Jnnern im Namen des Königs für aufgelöst
erklärt. Das Auflösungsdekret setzte hinzu, daß
nicht mehr nach dem Wahlgesetz vom 1. Juli ge-
wählt werden könne, und deshalb für die Funk-
tionen des Ausschusses der Ausschuß der am 10.
August v. Jrs. aufgelösten Kammer zurückgerufen
werde. Ueber die Arbeiten der Verfassungsrevi-
sion behalte sich Se. Maj. der König weitere
Beschlüsse vor. -- Präsident Schoder schloß nach
Verlesung der Auflösungsverordnung die Sitzung
nicht, sondern sagte: „Jch, als Präfident dieser
Versammlung, weise das Verfassungswidrige des
Verbots, einen Ausschuß zu wählen, zurück und
fordere die Mitglieder zur Wahl eines Ausschus-
ses in Gemäßheit des §. 192 auf.“ Frhr. von
Linden warnte vor einer Uebertretung der k. Ver-
ordnung und forderte die Versammlung auf, sich
zu fügen, worauf sich die Mitglieder der äußer-
sten Rechten, unmittelbar nach dem Abtreten des
Ministeriums entfernten. 48 Mitglieder blieben
und wählten den Ausschuß in Eile, nämlich: a )
engeren: Stockmayer, Rödinger, Schnitzer, Mohl,
Seeger; b ) den weiteren: Reyscher, Mack, Tafel,
Fetzer, Schweickhardt, Phäler. Beim Namens-
aufruf fehlten nur: Geigle, Kuhn, v. Linden,
Roth, Scheffold, v. Steffelin, Walther und Wul-
len ( letzterer von der Linken ) . Schließlich ver-
sicherte Schoder, der Auschuß werde die verletzte
Verfassung nach Kräften vertheidigen und stellte
e unter den Schutz des Höchsten. Schnitzer aber
hatte noch in Anwesenheit der Minister gerufen:
„Die Verfassung ist gebrochen!“ -- Der Aus-
schuß versammelte sich sogleich, das Publikum aber
entfernte sich still und ruhig.
Hamburg, 4. Nov. Es ist factisch, daß der
hier stehenden preußischen Truppenabtheilung, von
circa 3500 Mann, seit gestern Ordre ertheilt
wurde, sich marschbereit zu halten. Uebrigens ist
in Betreff der Richtung, wohin die preußischen
Truppen abmarschiren sollen, bis jetzt nicht ein-
mal den Offizieren Näheres bekannt geworden.
Man vermuthet natürlich, nach der hessischen Grenze,
in Bezug auf die dortigen Conflicte, wobei an-
derweitig die Muthmaßung laut wird, Preußen
wolle seine Truppen nicht ferner znm Schutze
Holsteins ( da die Statthalterschaft die Waffen-
stillstandsvorschläge abgelehnt ) an der Grenze
stehen lassen.
( Wes.=Ztg. )
Hannover, 5. Nov. Die heute durch die
Gesetzsammlung veröffentlichte Bekanntmachung
des königl. Gesammt=Ministeriums, die Unter-
stützung des schleswig=holsteinschen Krieges betref-
fend, lautet: Nachdem der zwischen den deutschen
Staaten und dem Königreich Dänemark abge-
schlossene Frieden auch von der hiesigen königl.
Regierung genehmigt und somit nach der am 26.
v. M. erfolgten Auswechselung der Ratificationen
auch für das hiesige Königreich verbindlich ge-
worden ist, finden Wir Uns veranlaßt, solches
zur öffentlichen Kunde zu bringen, und hierdurch
warnend darauf aufmerksam zu machen:
daß gegenwärtig alle Schritte diesseitiger Un-
terthanen zur Unterstützung des Krieges der
Schleswig=Holsteiner wider das Königreich Dä-
nemark als mit den Grundsätzen des Völker-
rechts unvereinbar zu betrachten sind, und den
Umständen nach den Bestimmungen des Cri-
minalgesetzbuches unterworfen sein werden, welche
derartige die Staatssicherheit gefährdende Hand-
lungen mit Strafe bedrohen.
Wir weisen namentlich darauf hin, daß nach
dem Art. 130. 2 und 3 des ebengedachten Ge-
setzes mit Arbeitshaus Derjenige bestraft werden
soll, welcher „die mit anderen Mächten errichte-
ten, die Aufrechthaltung des äußeren Friedens
unmittelbar bezielenden Staatsverträge oder die
bestehenden Neutralitäts=Verhältnisse absichtlich
verletzt“, so wie Derjenige, welcher „als Wer-
ber hiesige Unterthanen zum auswärtigen Kriegs-
dienst verleitet.“ Zuwiderhandlungen, -- zu wel-
chen Unterstützungen der Verwundeten und Noth-
leidenden in Schleswig=Holstein und nur dazu
bestimmte Sammlungen nicht zu zählen sein wer-
den, -- würden die Obrigkeiten und Gerichte in
die Nothwendigkeit versetzen, den erwähnten Ge-
setzen Geltung zu verschaffen. Wir vertrauen
aber gern zu dem bewährten Rechtssinn der hie-
sigen Unterthanen, daß sie alle Schritte vermei-
den werden, durch welche unter Nichtachtung der
bestehenden Gesetze Unserem ernsten Bestreben,
in Gemeinschaft mit den verbündeten Regierungen
dem Fortgange des Krieges in einer die Rechte
und Jnteressen des gemeinsamen Vaterlandes wah-
renden Weise Einhalt zu thun, nur größere
Schwierigkeiten würden bereitet werden.
Hannover,
den 3. Nov. 1850.
Berlin, 5. Nov. Jn der „Spenerschen Ztg.“
findet sich folgende Berichtigung: Zu der durch-
aus leeren Erfindung gehört, wie wir aus zuver-
lässiger Quelle wissen, auch die Nachricht eines
gestrigen Abendblatts, daß die von dem Minister
v. Manteuffel abgesandte Note erkläre, Preußen
habe die Union und ihre Verfassung aufgegeben,
und werde das gewaltsame Einschreiten der oster.
Coalition in Hessen und den Herzogthümern vor
sich gehen lassen. Die Note erklärt, daß Preußen
gegen die Union nichts ausführen werde, und spricht
die Hoffnung aus, daß man sich in Bezug auf
Hessen und die schleswig=holsteinische Angelegen-
heit verständigen werde. Die Note verlangt fer-
ner kathegorisch die Einstellung der Rüstungen von
Seiten Oesterreichs und Sachsens, und erklärt sich
bereit zur sofortigen Beschickung der „freien Con-
ferenz.“
Berlin, 5. Nov. Jn einigen Kreisen der hie-
sigen Bevölkerung herrscht Mißstimmung über die
jüngsten politischen Entscheidungen der Regierung,
und in dem Schooße mehrerer conservativen Ver-
eine werden Demonstrationen vorbereitet, um so-
wohl Sr. Maj. dem Könige als dem Ministerium
Kenntniß von dieser Mißstimmung zu geben. Bei
dem Herrn Minister v. Manteuffel ist sogar schon
eine Deputation erschienen, welche Klagen und
Bedenken über die „Nachgiebigkeit Preußens“,
über die „Opferung seiner Machtstellung“ ausge-
sprochen und auf die Nothwendigkeit eines ener-
gischen Auftretens, sollte auch der Krieg darüber
ausbrechen, hingewiesen hat. Der ganze Schritt
der Deputation scheint durch eine entschiedene Ver-
kennung der wahren Sachlage hervorgerufen. Es
handelte sich bei den Differenzen des Ministerraths
in den letzten Tagen gar nicht um die Frage:
Krieg oder nicht Krieg, sondern um die Frage:
Demonstration oder nicht Demonstration. -- Nicht
dem Kriege, wohl aber der nutzlosen, kostspieligen
und bedenklichen Demonstration einer unentschlosse-
nen, thatlosen Politik ist die Mehrheit des Mini-
sterraths entgegengetreten. Dieselbe Seite des
Cabinets, welche die umfassenden Mobilmachungen
verlangte, hatte es nicht sowohl auf den durch
solche Maßregel sicherlich in nächste Aussicht ge-
brachten Kampf, als auf die „moralische Wir-
kung “ des Auftretens selbst abgesehen. Das
mußte bedenklich erscheinen, nicht blos Angesichts
des enormen Kostenpunktes, sondern hauptsächlich
um des Eindrucks auf das Heer willen, wenn
etwa 200,000 Mann Landwehren zu einer De-
monstration aufgeboten werden sollten, um vielleicht
in 8 Tagen wieder entlassen zu werden. Dem Kriege
selbst, wo er durch Preußens Recht, seine Ehre und
sein Jnteresse geboten ist, waren Herr von
Manteufel und die ihm gleichgesinnten Colegen
niemals abgeneigt, wie sie denn überhaupt den
phantastischen Plänen gegenüber der Politik das
Wort redeten, welche das ganz ist, was sie sein
will, und auch durch die That bewährt, was sie
zu thun entschlossen ist. Das ist auch noch heute,
wie wir überzeugt sind, die Gesinnung des Mini-
steriums, und gewiß wird weniger als je der Krieg
gefürchtet, und wird weniger wie je Anstand ge-
nommen werden, ihn zu beginnen: wenn Unter-
drückungsgelüsten und fremden Anmaßungen ge-
genüber die Wahrung der Rechte und der Macht
Preußens es fordert. Was aber die Demonstra-
tionen der conservativen Vereine betrifft, so kön-
nen wir hier nur wiederholen, was wir so vielen
Erscheinungen des Deputationswesens gegenüber
schon mehrmals aussprechen mußten; daß solche
Einmischungen in allgemeine politische Angelegen-
heiten nur Verwirrung erzeugen und nicht zum
Segen der vaterländischen Politik gereichen können.
( N. Pr. Z. )
Berlin, 5. Nov. Die Demissionsgesuche der
HH. Minister v. Ladenberg und v. d. Heydt sind
von des Königs Majestät nicht angenommen wor-
den. Hr. v. Ladenberg hat sich in dem gestrigen
ersten Ministerrathe überzeugen lassen, daß er,
wenn auch seiner in der bekannten Sonnabendsitz-
ung dargelegten Ansicht getreu, dennoch im No-
vember=Ministerium verbleiben könne. Daß Hr.
v. d. Heydt weiter auf seine Entlassung dringen
werde, steht nicht zu erwarten.
-- Auch der Kriegsminister, Hr. v. Stockhau-
sen, Excellenz, hat ein Entlassungsgesuch einge-
reicht, natürlich nicht in Folge der Beschlüsse vom
Sonnabend, sondern aus besondern persönlichen
Gründen.
-- Wenngleich heute aus Fulda berichtet wird,
daß die preußischen und bayerischen Truppen in
dortiger Gegend sich ganz nahe gegenüberstehen,
so fürchtet man hier noch nicht, daß Hessen eine
Veranlassung zum Kriege geben wird. Krieg oder
Frieden hängt allein von der Antwort aus Wien
auf die letzte Note der diesseitigen Regierung ab.
Die „Politik des Vertrauens“ hat keine langere
Dauer, als bis diese Antwort eingetroffen sein
wird. Würdigt Oesterreich die preußischen Bemüh-
ungen, den Frieden zu bewahren, nicht nach ihrem
wahren Werthe, so wird das gegenwärtige Mini-
sterium eine Mobilmachung der gesammten Armee
in dem Sinne beantragen, in welchem sich die
Majorität des Ministeriums in der Sonnabend-
sitzung ausgesprochen hat, d. h. nicht des Demon-
strirens willen.
( N. Pr. Z. )