Texas.
Auszug aus dem Berichte des Dr. von Herff, Führers einer Darm-
städter Auswanderungs = Gesellschaft, über die Verhältnisse
der sogenannten „Adels = Kolonie.“
Jch komme nun zum letzten und schwierigsten Punkt meines
Berichts. Er betrifft das großartige Unternehmen des Mainzer
Vereins, welches für Texas westliche Provinzen der Lebensquell,
für Deutschland aber in vier Jahren ein bindenderes Band an die
neue Welt geworden ist, als alle die Millionen einzeln und auf
eigene Faust Emigrirter es in zwei Jahrhunderten werden konnten.
Jch vermeide hier geflissentlich Dinge zu berühren, die so oft und
so albern von verschiedenen deutschen Journalen in die Welt hin-
ausgeschrieen worden, welche letztern die Grundabsichten des Ver-
eins mit kannegießernder Furcht besprechen, oder in starrköpfiger
Opposition durch jedes ihnen zustehende Mittel jenes Vorhaben
zu bespötteln, zu tadeln, oder zu vernichten suchen. Jch für meine
Person sehe in jenem Verein nur ein höchst ehrenwerthes, höchst
nützliches und uneigennütziges Bestreben der Begabten und Reichen
zum Wohle der Armen. Schon jetzt hat jene Gesellschaft, trotz
der Stürme ungünstiger Außenverhältnisse, trotz der schweren Lehr-
zeit in einem ganz fremden Land und Volk, trotz einer Masse
unfähiger oder schlechter Persönlichkeiten unter dem leitenden Per-
sonale und unter den Emigranten, Größeres geleistet, als irgend
ein ähnliches Unternehmen. Oder ist es ein Geringes, 3 Städte
von 500, 2500 und 3000 Einwohnern aus dem Sumpf, dem
Urwald und der Prairie hervorgehen zu heißen, Wildnisse von
der Ausdehnung mancher deutscher Fürstenthümer urbar zu machen,
eine bisher selbst dem kühnen Backwoodmann unzugängliche Pro-
vinz, nur von den unbändigen Söhnen der Wildniß durchstreift,
zu betreten, zu vermessen und, bevor diese Zeilen in Deutschland
sind, gleichfalls zu bevölkern. Jst es ferner Nichts, die genannten
Urfeinde der Cultur zur freiwilligen Abtretung ihres Lieblings-
jagdgebietes zu vermögen und den Einwohnern der Städte Per-
dinales und Comal das seltene Schauspiel zu gewähren, daß
die gefürchteten Häuptlinge, welche sonst blos brennend und mor-
dend sich einer Niederlassung nahten, nun friedlich ihr Wigwam
neben dem Blockhause aufschlugen. Die Amerikaner wenigstens,
sonst gerade keine Lobpreiser nichtamerikanischer Thaten, haben
jenen Leistungen, welche sie vor der Ausführung für unmöglich
hielten, nun, wo sie fertig dastehen, allgemein die größte An-
erkennung zu Theil werden lassen. Dieß Lob verdienen die
Gründer und Theilhaber des Vereins, wegen der Jdee und
dem Festhalten am Werk, trotz pecuniärer Opfer, trotz häufiger
Angriffe und vieler anderer Unglücksfälle. Mehr noch aber ver-
dienen es diejenigen, welche bei Geldmangel, Creditlosigkeit, Zwie-
spalt unter Beamten, vielfachen Jntriguen, Verleumdungen, Krank-
heitsfällen, fehlenden Nahrungs= und Transportmitteln, bösem
Willen einzelner Emigranten selbst bei Tumult mit persönlichen
Angriffen in ihrem eigenen Kopfe die Mittel fanden, das aus-
zuführen, was bis jetzt geschehen ist und durch eine oft verzweifelte
Sachlage sich nicht abschrecken ließen, das Ziel zu erreichen. Hier
ist nun der Ort, von Persönlichkeiten zu sprechen, und ich fühle
mich namentlich dazu verpflichtet, die Handlungsweise eines Mannes,
dessen Name heimlich und öffentlich, mündlich und schriftlich mit
jedem erdenklichen Vorwurf gebrandmarkt worden ist, näher zu
beleuchten, umsomehr, da ich selbst von ihm, bevor ich sein Wirken
in der Nähe mit ansah, eine andere Jdee hatte und keine Mühe
gespart habe, über die Wahrheit ins Klare zu kommen.
Schon in Europa war es mir klar, daß Hr. v. Mensebach
-- denn von ihm spreche ich -- kein gewöhnlicher Charakter sein
könne, sondern in ihm entweder das gute, oder das böse Princip
der Unternehmung gesucht werden müsse. Mit dem Mißtrauen,
womit Jeder leichter Schlimmes, als Gutes denkt, neigte auch ich
mich zum Verdammungs = Urtheil und wurde darin während meiner
Reise durch alle Wirthshaus = und storkeeper - Unterhaltungen
bestärkt. Da war keine Betrügerei, keine Hartherzigkeit, kein
Unterschleif, der nicht seiner Firma untergeschoben wurde; man
sprach von Fälschungen, von Flucht mit dem geraubten Gut, man
munkelte von Selbstmord u. dergl. Leider hat nun freilich jene
Art von Nachreden bei den Deutschen in Amerika nicht gar viel
zu bedeuten, da sie gewöhnlich aus der kleinstädtischen vaterländi-
schen Klatscherei, gepfropft auf die große Redefreiheit in Amerika,
hervorgehen. Denn der Deutsch = Amerikaner trägt gern die un-
würdige Kampfart, welche die hiesigen politischen Parteien in
Journalen führen, auf Privatfehden über. Er schneidet, was der
Amerikaner nie thut, Gegnern aller Art, Concurrenten ec. alle
Ehre ab. Dieß war mir nun zwar bekannt, aber die große Ein-
förmigkeit der Klagen und die scheinbare Einstimmigkeit derselben
frappirten mich dennoch, und ich machte mich auf das Schlimmste
gefaßt. Bald indeß kam die Aufklärung, als ich schon in Gal-
veston einzelne Vertheidiger des Verleumdeten auftreten sah und
bemerkte, wie die lautesten Redner kein einziges Factum, sondern
nur ein „man sagt“, „es soll“ den entschiedenen Entgegnungen
und schlagenden Einwendungen opponirten und sich endlich in Aus-
flüchten und Entschuldigungen verloren. Noch mehr aber und
entschiedener zu Gunsten des Angegriffenen wurde ich gestimmt,
bevor ich ihn noch selbst gesehen und gehört hatte, durch eine
Vergleichung seiner Vertheidiger mit seinen Feinden. Unter den
erstern gewahrte ich lauter als rechtschaffen bekannte Männer,
einige darunter sind öffentliche Charaktere in der Geschichte von
Teras, andere Männer der Wissenschaft. Ebenso urtheilten durch-
aus alle Amerikaner, welchen gewiß bei ihrem republikanischen
Sinn und der Neigung, Alles, was einer Unterdrückung durch
Reichere ähnlich sieht, zu bekämpfen, in jener Sache mehr Partei-
losigkeit zuzuschreiben ist, als der Menge des teranisch = deutschen
Pöbels. Unter den Freunden Meusebach's gewahrte ich einen
Langenheim, einen Colonel Hags, Dr. Römer, Lindheimer,
den wegen seiner hohen Liberalität und Charakters in ganz Texas
geschätzten Grafen Coretti, den Chief justice, den Pfarrer von
Braunfels, kurz was ich noch in jenem Lande an ausgezeichneten
Köpfen und Herzen gefunden hatte. Dagegen war die Mehr-
zahl seiner Gegner theils alberner, theils schlechter Pöbel; ich sah
unter ihren sich öffentlich genannt habenden Koryphäen einen wegen
Unbrauchbarkeit aus dem Dienste des Vereins entlassenen guten,
aber bethörten Junker, einen anerkannten Trunkenbold, zwei endlich
von noch schlimmerem Rufe. Ebenso bemerkte ich, daß die Seele
der Feindschaft ein listiger Kaufmann war, dem jedes Mittel unter
der Geschäfts=Firma gut, der aber höheren Jdeen eben so unzu-
gänglich als geneigt ist, sich Vortheile zu sichern, und welchem
der Sturz des General=Commissairs ein willkommenes Ereigniß,
ein Signal zum Fischen im Trüben war. Jch höre endlich den
traurigen Mißbrauch, welchen ein sonst vielleicht brauchbarer Sub-
alterner von seiner Mission machte, und wie er gestachelt von
grundlos selbst herauf beschworenem Ehrgeiz und überredet von
jenem klügeren und schlechteren Manne Jntriguen leitete und nährte,
welche zu unterdrücken Ehre sowohl als Klugheit geboten hätten.
Das Volk, welches für manche Mißgriffe, viele individuelle Be-
einträchtigungen und sehr viele Unglücksfälle, einen greiflichen
Gegenstand seines Hasses suchte, warf ihn auf Hrn. v. Meuse-
bach 's Haupt. Jn blinder Leidenschaftlichkeit wurde der bequeme
Ausweg des Thoren, eine Person für selbstverschuldetes, oder zu-
fälliges Unglück verantwortlich zu machen, ergriffen und die durch
Geldmangel, nasse Jahreszeit und große Entfernung von dem
Verein in Europa und mangelnde Transportmittel bedingten Nach-
theile auf Hrn. von Meusebach's Rechnung gesetzt. Wahr ist
es, daß es demselben vielleicht nicht schwer gefallen haben würde,
durch einige ganz einfache Erklärungen, oder ein auf Popularität
berechnetes Verfahren jene beleidigenden Angriffe, und namentlich
den gesetzlosen Vorfall am 31. December zu verhindern. Der
erstere Weg bestand in der Auseinandersetzung der finanziellen
und naturellen Hindernisse, welche dieß und das unmöglich machten
auszuführen, was mit Bankerotterklärung des Vereins identisch
gewesen wäre; der zweite bestand in dem beliebten Surrogat für
wirkliche Leistungen, als da sind: Händedrücke, affectirte Bieder-
keit, Schmeichelei der Schreier ec. Daß Hr. v. Meusebach beide
Mittel so gut gekannt hat, wie die weisen Rathgeber, welche eins
oder das andere an seiner Stelle gethan haben würden, ist gewiß
anzunehmen, da hierzu nur ein mittelmäßiger Verstand gehört,
und ihm von seinen heftigsten Gegnern sogar ein außerordentlicher
vindicirt wird. Allein gerade, daß er es wußte, wie er sein Haupt
vor den tausend Unannehmlichkeiten bergen könnte, und doch nicht
so handelte, gereicht ihm meiner Meinung nach zur Ehre. Seine
offene Erklärung der Sachlage hätte eine welthistorische Unter-
nehmung und mit ihr das Glück von zehn Tausenden gestürzt,
während vielleicht ein Paar Jndividuen vor Unglück bewahrt worden
wären, und die Verachtung der oben bezeichneten Sorte von Po-
pularität zeigt mindestens von nobler Gesinnung, vielleicht auch
von einer weiter sehenden Klugheit, welche bedachte, daß bei ge-
wissen Stellungen es besser sei, der Menge fremd, als zu bekannt
zu sein.
Als Factum steht es da, daß Hr. v. M. mit den gegebenen,
oder vielmehr Anfangs sogar mit den nicht einmal gegebenen
Mitteln mehr geleistet hat, als mancher Andere dieß mit vielem
Geld und unter günstigsten Außenverhältnissen gethan haben
würde. Er begann seine Verwaltung mit ca. 20,000 Thalern
Schulden, von welcher Hinterlassenschaft der vorigen Direction
man bei seinem Abgang von Europa noch gar nichts wußte; der
Grant war noch nie betreten, Friedrichsburg war noch Büffel-
region, Jndianpoint ein Blockhaus, das nicht einmal dem Ver-
ein gehörte, Braunfels ein Haufen Zelte und Bivouakhütten.
Dagegen landeten im Herbst 1845, über 3000 Emigranten, welche
über 24,000 fl. mit der Bedingung sofortiger Rückzahlung in
Texas eingeschossen hatten, ohne daß weder hierzu, noch selbst zu
ihrer Unterhaltung, Beförderung und Ansiedelung Geld vorhanden
gewesen, oder gesendet worden wäre. Die Gesammtsumme der
gegen Ende 1846 hier eingetroffenen Geldmittel betrug kaum die
Summe der Deposita, welche die Emigranten sogleich nach ihrer
Ankunft hätten in Empfang nehmen können. Die Geldentblößung
war nicht etwa eine vorübergehende, sondern sie besteht mit einigen
Variationen noch immer fort, da die Sendungen aus Europa nie
ganz reichten, die dringendsten Schulden zu befriedigen, und alles
neu Angeschaffte auf Credit in unbestimmten Terminen unter-
nommen werden mußte. Hierzu kam noch der im Herbst 1845
erfolgte Ausbruch des Krieges, verbunden mit dem Steigen der
Transport= und Lebensmittel = Preise, und die unerhörten Ein-
wirkungen des Klima's durch anhaltende Nässe des vorigen Jahres.
Und mitten unter jenen traurigen Verhältnissen, bedrängt von
stürmischen Gläubigern, die seine eigene Person für die Schulden
des Vereins verantwortlich zu machen drohten, in einem Lande,
das seinen Speck von Cincinnati, seine Ackergeräthe bis auf
den armseligsten Nagel von Neworleans bezieht, wurde aus
Jndianpoint ein Flecken, aus Braunfels eine schöne blühende
Stadt. Friedrichsburg erhob sich aus dem Jndianergebiete und
hat jetzt schon viele steinerne Häuser, der Grant ist vermessen,
hunderte von Farmen mit reicher Ernte haben sich gebildet, Wagen,
Vieh, alle Geräthschaften sind im Ueberfluß da, Postwagen und
eine Menge Güterkarren machen die Heerstraßen von Guade-
loupe zum Llano befahrener, als viele Chausseen in Deutschland.
Jch wiederhole noch einmal, daß die gesendeten Mittel niemals
dem auszuführenden Zweck entsprachen. Von 30,000, 100,000
Gulden, überhaupt von Gulden handelte es sich gar nicht bei einer
Unternehmung wie diese, sondern ein Capital von 500,000 Thlr.
zur rechten Zeit auf einmal disponibel war die unerläßliche Be-
dingung des Gedeihens. Jch weiß wohl, daß der Verein, durch
die höchst unrichtige, entweder ganz widersinnige, oder absichtlich
zu niedrig angeschlagene Berechnung des Hrn. Fischer getäuscht,
glaubte, ein geringes Capital von 200,000 fl. genüge hier. Dem
Verein ist deßhalb auch kein Vorwurf zu machen, umsomehr aber
sind die Verdienste desjenigen anzuerkennen, der trotzdem das Ziel
erreichte. Jch brauche die Leistungen des Hrn. v. M. nicht aus-
einanderzusetzen. Jch erinnere nur an seine erste Expedition an
den Perdinales mit nur 14 Begleitern, an seine Exploration
des Grants, wobei er sich mit nur 7 Begleitern mitten unter die
zahllosen Stämme der Comanches begab und durch geschickte Unter-
handlungen die Abtretung des Gebiets und den Frieden so be-
festigt erlangte, daß St. Anna, der gefürchtetste Chef jenes Volkes
vor Kurzem mit 6 andern Häuptlingen ihm in Braunfels seinen
Höflichkeitsbesuch machte.
Wenn ich nun ein Bild der Gegner jenes Mannes entwerfe,
so geschieht dieß nicht, um durch Klugheit, Muth und Einfluß
bedeutende, obgleich der Sache des Vereins und somit Deutsch-
lands gefährliche Männer zu schildern. Es würde im Gegentheil
eine Widerlegung derselben sich kaum der Mühe verlohnen, und
selbst jetzt, wo es anderer Gründe halber doch geschehen muß, ist
es eine ziemlich undankbare Arbeit, da Gewöhnlichkeit selbst im
Gewande der List, oder in den Lumpen der Rohheit niemals ein
interessantes sujet darbietet. Da aber ein bedauernswerther Vor-
fall in Neu=Braunfels und eine Reihe ebenso sinnloser, als lügen-
hafter Schmähartikel, welche in verschiedenen amerikanischen und
deutschen Blättern erschienen, die Namensunterschrift einiger sich
Comitée der Neubraunfelser Bürgerschaft nennenden Jndividuen
trägt, so sehe ich mich genöthigt zur Aufklärung Unwissender und
zum Schutze jener Bürgerschaft selbst mehr darüber zu sprechen,
als sonst geschehen würde.
Was nun zunächst die Jndividualität der Unterzeichner der
in der Newyorker Schnellpost befindlichen „Adresse der Bewohner
von Neubraunfels“ betrifft, so zeigt dieselbe deutlich genug, mit
welchem Recht sie sich Comitée der dortigen Bürgerschaft nennen.
Hr. v. S., ein sonst braver junger Mann, unglücklicher Vater
eines Büchleins über Teras, dessen trauriger Ruf ihm übers Meer
vorangegangen war, wurde von Hrn. v. M. wegen Untauglichkeit
und thörichten Betragens aus seinem freiwillig übernommenen Ver-
einsamte entlassen. Hr. Dr. R.., dem Hr. v. M. 300 Thlr. Unter-
stützung gab, um ein Hospital zu gründen, opfert dem Bachus
mehr, als dem Aeskulap und ist Nachmittags selten nüchtern. Ueber
zween anderen Namen schwebt ein geheimnißvolles Dunkel, viel-
leicht veranlaßt durch unglückliche Namensähnlichkeit, vielleicht
aber auch auf Thatsachen beruhend. Man schreibt nämlich aus
G., daß ein gewisser v. J. dort im Preußischen Jnfanteriedienst
wegen falschen Spiels abgegangen sei. Jch will gern die Mög-
lichkeit einer Namensverwandtschaft hier gelten lassen, gewiß ist
es aber, daß der hier lebende J. als Schiffsführer eines Emigran-
tenschiffes Gelder von einem Emigranten zur Aufbewahrung an-
genommen, dieselben in Braunfels verspielt und weder dem Depo-
nenten, noch dessen Erben zurückgegeben hat.
Ebenso wurde in Frankfurt a. M., wenn ich nicht irre, um
1839 eine wohlorganisirte Bande von Handlungsdienern entdeckt,
welche ihre Principale bestahlen und die geraubten Sachen ver-
steckten. Ein Theil der Schuldigen wurde ergriffen, andere ent-
flohen. Unter letztern befand sich, steckbrieflich verfolgt, ein Name,
der sich gleichfalls unter den Comitée = Mitgliedern vorfindet. Auch
hier gebe ich obige Möglichkeit zu, nur erwähne ich, daß der hier
Genannte öfters erzählt hat, er sei als politischer Flüchtling hier-
her gekommen. Freilich ist auch der politisch, welcher sich zur
rechten Zeit aus dem Staube macht.
Die Berechtigung jener Leute, sich Comitée der Bewohner
von Braunfels zu nennen, wird sich im Verlaufe der Erzählung
vom Vorfall am 31. Dec. ergeben; vorerst nur so viel: Weder
der Pfarrer, noch der Maire, noch der Friedensrichter, noch irgend
ein geachteter Name befand sich unter den Aufruhrstiftern oder
den Unterzeichnern des später, als die That, von der es sich den
Urheber nannte, durch 80 Unterschriften von crethi und plethi
( zwei derselben saßen schon im Zuchthause ) entstandenen Comitée-
Bildungsvereins. Der Chief justice von Braunfels war Vorsitzer
eines das Geschehene öffentlich mißbilligenden Meeting. Mit Aus-
nahme jener 80 verhält sich die Masse von 2500 Bewohnern
theils neutral, theils das Geschehene laut und offen mißbilligend.
Der wahre Hergang der Sache aber, wie er mir hier von vielen
rechtlichen und ganz unparteiischen Zeugen wiederholt erzählt wurde,
war folgender:
Jn der Nacht vom 30. Decbr. waren in dem Schnapsladen
des Grafen..... Hr. Fischer, Hr. Th., Baron v. J., Baron
v. S. und mehrere Andere versammelt und verabredeten, was ge-
schehen solle. Es wurde den größten Theil der Nacht hindurch
getrunken und noch v. J. II. aus dem Bette geholt. Wie letzterer
der am andern Morgen durch die Sturmglocke versammelten
Menge sagte, gab Fischer ihnen Nachts zuvor das Versprechen,
die Direction der Vereinsgeschäfte übernehmen zu wollen. Es
wurden Anschläge an die Straßenecken gemacht, welche außer be-
leidigenden Schmähreden die lächerliche Aufforderung an die Bürger
von Braunfels enthielten, sich von der Sclaverei des Hrn. v. M.
loszumachen. Durch freie Vertheilung von Schnaps brachten
diese Leute einen Haufen von etwa 50 -- 60 Jndividuen ( Weiber
und Kinder eingerechnet ) zusammen, recrutirten daraus und con-
stituirten sich selbst als Comitée, unter ihnen zwei ehemalige Sträf-
linge aus Nassau, und zogen alsdann unter Anführung des v. J.
zur Wohnung des General = Commissairs. Jn dessen Zimmern
angelangt, hielt v. J. eine Rede, worin er den Haufen aufforderte,
Hrn. v. M. zu hängen; zum Glück für ihn und seine Schaar brach
sich indeß ihre Mordlust an einigen Kisten Cigarren, welche sämmt-
lich in ihren Taschen verschwanden, und die Menge entfernte sich
siegesfroh, nachdem Hr. v. M. ein Protokoll unterschrieben hatte,
welches als durch Gewalt erzwungen an und für sich rechtsun-
kräftig war. Die Mißbilligung dieser Gewaltthat äußerte sich
in einer andern Tages gehaltenen Versammlung, worin das Ge-
schehene als eine widerrechtliche Zusammenrottung eines tumul-
tuous mob, namentlich von den Amerikanern gebrandmarkt wurde.
Hierunter verstanden also die Verfasser des Artikels in der Schnell-
post die Bevölkerung von Neubraunfels. Ebensowenig waren die
Verfasser genannten Artikels von derselben Bevölkerung gewählt,
sondern gleichfalls das Product einer beliebigen, aus etwa 80
Jndividuen zusammengesetzten Versammlung, die nur langsam und
durch mit allerlei Mitteln gewonnene Subscription sich bilden konnte.
Dagegen erschien kurze Zeit nachher eine von der gesammten Fried-
richsburger Bürgerschaft unterschriebene Erklärung, welche durch
die Bitte an Hrn. v. M., fortwährend die Sache des Vereins zu
leiten, das in New=Braunfels Geschehene gänzlich desavouirte.
Aus diesen Gesinnungen und von solchen Jndividuen entstand
also jener Artikel der Schnellpost, und so wird die Art und Weise
klar, wie auf die gehässigste und perfideste Weise Thatsachen darin
entstellt und aus der Luft gegriffene Behauptungen darin ver-
theidigt sind. Es genüge, hier nur einiges zu widerlegen.
Es ist Lüge, daß die Verwaltung complicirt wurde, sie ist
vielmehr noch jetzt eher zu einfach; Lüge, daß großartige Ver-
schwendung und schmutziger Geiz ( an und für sich ein seltsamer
Widerspruch ) dieselbe charakterisirten. Ebenso unwahr ist es, daß
Hr. v. M. den Kolonialrath aufhob, da dieser bereits unter dem
Prinz Solms, durch die Entfernung des Hrn. Fischer, welcher
verfassungsmäßig drei Stimmen hatte, factisch nicht mehr eristirte.
Mährchen ist die Erzählung von Hofleuten und Vorzimmern,
wenn die Verfasser nicht etwa diejenigen Beamten, welche wegen
anfänglichen Obdachmangels im Hofe schlasen mußten, Hofleute
und die Prairie ein Vorzimmer nennen. Ebenso unwahr ist die
Erzählung von dem abstoßenden Benehmen gegen die Emigranten,
da gerade durch das Gegentheil Hr. v. M. manche Ungestüme,
die ihm mit Persönlichkeiten zu Leibe rückten, besänftigte und seine
Höflichkeit gegen Jedermann allgemein bekannt ist. Ebensowenig
sind die Preise der Lebensmittel durch etwas Anderes, als die
allgemeine Theuerung erhöht worden, noch haben die teranischen
Kaufleute hundert Procent Profit an ihren Artikeln gemacht. Es
gilt dieß nur von Spirituosis wie überall, freilich ein Artikel, der
von dem Comitée zu den gesuchtesten gerechnet wurde. Der An-
legung von Mühlen widersetzte sich der Geldmangel, da Fleisch
und Brod angeschafft werden mußten, und selbst hierzu die Fonds
kaum reichten. Ebensowenig verkaufte Hr. v. M. den Wald, da
derselbe sich noch größtentheils im Besitze des Vereins befindet,
und das einzige Stück von Hrn. v. Coll in Abwesenheit des Ge-
neral = Commissairs verkauft worden ist. Lüge, und zwar eine
handgreifliche ist es, was von Friedrichsburg gesagt wird. Denn
ein Jahr vorher haben sämmtliche Bewohner dieser Stadt gerade
das Gegentheil davon in deutschen Zeitungen, z. B. in der Beilage
der O. P. A. Zeitung bekannt gemacht. Ebenso unwahr ist es,
was über die Erpedition unter Ben é gesagt wurde. Hr. Ben é,
jetzt in Deutschland, kann den wahren Hergang bezeugen. Eben
so wenig war Hr. v. M. 6 Monate in Nassau, das beiläufig
eins der wichtigsten Besitzthümer des Vereins ist, denn er verweilte
nur 2 Monate daselbst, während er in der übrigen Zeit in Gal-
veston, Houston ec. in Sachen des Vereins negocirte. Ebensowenig
wurde Hr. Coll erst kurz vor der Rückkehr des Hrn. v. M. zu
dessen Stellvertreter proclamirt, sondern 10 Tage nach dessen Ab-
reise von Braunfels durch öffentlichen Anschlag publicirt. Lächer-
lich ist ferner die Erzählung, daß Hr. Müller in Jndianpoint
durch seinen persönlichen Credit die Sache des Vereins gehalten
habe. Hr. Müller, sonst ein ehrenwerther und tüchtiger Beamter,
besitzt kein eigenes Vermögen, und nicht seine Bürgschaft, sondern
der Credit des Vereins, und namentlich die Dispositionen des
General=Commissairs, welcher Geld und Provisionen dahin ab-
sandte, brachten dieß zu Wege. Ebensowenig hat Hr. v. M. je
den Geldbedarf für die Kolonie in seinen Berichten zu niedrig
angeschlagen, sondern, wie sich aus seiner Correspondenz leicht
erweisen läßt, stets das Unzulängliche der Geldmittel hervorgehoben.
Ebensowenig hat derselbe das nöthige Geld in der Zeit, wo es
am dringendsten war, empfangen, sondern die deponirte Summe
von 211,000 fl. erhielt er erst gegen Ende 1846, während die
meisten Emigranten schon 1845 gelandet waren. Auch wurden
keine Vereinswagen gegen cash an Amerikaner verkauft, sondern
nur 3 Wagen und 2 Karren einigen alten dringenden Gläubigern
anstatt Zahlung für gelieferte Provisionen überlassen. Dasselbe
gilt von dem Contracte mit Torrey, welcher mir gerade das
Gegentheil sagte. Auch für Arzt und Apotheke war nicht nur
gesorgt, sondern einer der Schreiber des Artikels hat sogar selbst
eine ziemlich namhafte Summe zu jenem Behufe empfangen. Das
von Hrn. Cappes Gesagte ist sowohl unwahr, als auch ein für
dessen Ruf sehr verdächtigendes Lob, da sich ein Zusammenhang
daraus deduciren läßt, der den Verdacht, als habe jener Mann
sich näher mit dem Tumulte befaßt, als es seine einfache Stellung
als Secretär und seine Pflicht gegen den Verein erlaubt, auf-
kommen lassen könnte. Hr. Dr. Shubbert, nunmehr aus Fried-
richsburg entfernt, hat seither durch unerhörte Gewaltthaten und
eine Reihe ganz fataler Geschichten, gezeigt, daß er seiner Freunde
würdig ist. Hr. Cappes, der gewiß sich nicht in jene schmutzigen
Umtriebe eingelassen haben kann, dürfte mit dem Philosophen
sagen: „Gott bewahre mich vor Freunden, vor Feinden will ich
mich selbst schützen.“
Leider geht aus manchen Stellen des Artikels hervor, daß
einzelne Mittheilungen von Leuten gemacht worden sind, welche
dem Verein näher standen, indeß wiederhole ich abermals, daß
ich nicht Hrn. Cappes beschuldige, obgleich dieser öfters feindlich
sich gegen seinen Vorgesetzten geäußert und auch eine Abschrift
des von Römer verfaßten Artikels mit nach Deutschland genommen
haben soll. Sollte er vielleicht durch Hrn. Fischer falsche Meinun-
gen über den Generalcommissair eingesogen haben, sollte vielleicht
gar das Gerücht, als habe er schon auf der Reise nach Teras
an verschiedenen Orten sich für den designirten Nachfolger v. M's.
ausgegeben, während er doch nur zur Ueberbringung von Crediten
geschickt worden war, wahr sein? Jch zweifle daran und wieder-
hole den Spruch des Philosophen. Entstellt ist die Geschichte
von dem saueren Mehl. Hr. v. M. kaufte allerdings Proviant,
der aus den Armeevorräthen ausgesondert worden war, aber nur
für sich, und überließ das ( nur in einer zweizölligen Lage ver-
derbte ) , sonst vortreffliche Mehl ungern und theilweise den ihn
darum Bestürmenden. Er selbst und seine Tischgesellschaft lebten
davon, so lange es reichte, und keiner unter ihnen ist krank geworden.
Auch erlischt die Grant=Concession nicht im August 1847, sondern
im Februar 1848. Soweit von dem Artikel und seinen Verfassern.
Jch schließe hiermit meinen Bericht und werde erst einige Wochen
nach unserer in 10 Tagen erfolgenden Ankunft in dem Land unserer
Wünsche, von den Ufern des silbernen Llano aus neue Nachricht geben.
Wir haben daselbst eine unsern Zwecken entsprechende, durch Lage,
Klima, Naturschönheit und Fruchtbarkeit ausgezeichnete Landstrecke
für den künftigen Wohnplatz ausgewählt, und erwarten durch unsere
bisher ungetrübte Einigkeit und die vielen in Texas zum Gedeihen
einer solchen Unternehmung förderlichen, günstigen Außenverhält-
nisse ein glücklicheres Resultat, als viele Vorgänger. Es wird uns
diese Aussicht und das Bewußtsein, für eine Jdee zu kämpfen, mit
allen Mühsalen und Gefahren aussöhnen, welche eine so kleine
Schaar mitten in der Wildniß und durch lange Tagereisen von
der Cultur abgeschnitten nothwendig erwarten, und ich bin über-
zeugt, daß uns derselbe Stern in den Gebirgen der San Saba
leiten wird, dessen Schein uns über die Wüsten des Oceans und
über die heißen Prairien des östlichen Teras führte. Diese Hoff-
nung wird zur Gewißheit, wenn ich unsere Schaar betrachte und
die Kräfte der Jntelligenz, die Kräfte der Arbeit vereinigt nach
dem idealen Ziele streben sehe, das schon halb erreicht ist, wenn
körperlich gesunde und geistig freie Männer ( und das sind sie
insgesammt ) es sehen und erreichen wollen, für mein Vaterland
aber hoffe ich durch die wahrheitsgetreue Schilderung der hiesigen
Verhältnisse auch einen Nutzen erwachsen zu sehen, da Böswillig-
keit und zufälliges Unglück gegen das herrlichste Land der Welt
einen Theil der öffentlichen Meinung mit Unrecht eingenommen
haben. Es ist hier nicht von der einfachen Widerlegung unrichtiger
Urtheile, oder lügenhafter Berichte über Teras die Rede, sondern
es gilt hier die Aufmerksamkeit von Deutschland auf ein herrliches,
gesundes und glückliches Land von Neuem zu lenken, das schon
jetzt zur Hälfte und in seinen schönsten Provinzen deutsch ist, das
unter allen Landen des Westens sich am besten dazu eignet, ganz
deutsch zu werden und dann ein Vaterland für die besten und
tüchtigsten Bürger des leider gebrochenen Herzens von Europa
sein wird.
Neu=Braunfels, denn 17. Septbr. 1847.
( gez. ) Dr. von Herff. Die deutsche Auswanderungsfrage.
( Weser = Zeitung. )
Vom Rhein. Die „Deutsche Zeitung“ brachte vor einigen
Tagen eine Nachricht, welche, wie sie denn das Gepräge der Wahr-
heit an sich trägt, jeder Deutsche, der Gefühl auch für deutsche Nati-
onalität im Auslande und für Sicherstellung derselben daselbst hat,
mit Freude begrüßt haben wird.
Jn jenem Artikel hieß es, Preußen gedenke sich von Neuem im
Jnteresse deutscher Auswanderung kräftigst beim Bunde zu verwenden,
habe von seinen Gesandten in Washington und Mexiko bereits um-
fassende Berichte über diesen Gegenstand betreffende Einzelheiten ein-
gefordert, und gedenke ferner noch zwei Agenten zu genauerer Kennt-
nißnahme der Verhältnisse nach den Vereinigten Staaten zu senden.
Möge es uns erlaubt sein, nochmals einige Worte über jenen
für Deutschland gewiß höchst wichtigen Gegenstand zu sagen, jenem
Plane Gedeihen und baldige Ausführung zu wünschen.
Der Pläne zu umfassender Auswanderung und Kolonisation in
überseeischen Ländern vermittelst Deutscher sind namentlich in neuerer
Zeit von verschiedenen Seiten mannichfaltige und viele gemacht worden.
Man darf wohl sagen, daß sie zu einer Zeitfrage geworden sind. Bald
hatten sie in Deutschland, bald im Auslande, wo man das Bedürfniß
einer vermehrten kräftigen Bevölkerung fühlte, ihren Ursprung. Leider
aber war man sich bei allen derartigen Unternehmungen entweder zu
wenig vernünftiger, leitender Principien, die nothwendigen Bedingungen
des Gedeihens betreffend, bewußt, hatte zu wenig reife, gründliche
Sachkenntniß, oder die Ausführung fiel in die Hände gewissenloser
Speculanten, die nur nach eigenem Geldgewinn trachteten, und um
das Schicksal der Unternehmung und der dabei Betheiligten unbekümmert
waren. So haben wir denn in den bei weitem meisten Fällen, von
den verschiedenen Punkten der Erde, wo Kolonisations = Versuche ge-
macht worden, nur die traurigsten Nachrichten, Schilderungen von Elend,
Unglück und bitter getäuschten Hoffnungen zu vernehmen gehadt. Klagen
eits der Auswanderer über Uebervortheilungen und Hintergehungen
aller Art, über nicht erfüllte Versprechungen, Mangel alles Schutzes
und aller Rechtshülfe sind zu uns gedrungen Wo aber haben uns
die öffentlichen Blätter unter der Unzahl solcher und ähnlicher Mit-
theilungen einmal die wohlverbürgte, glaubwürdige Kunde des Ge-
deihens solcher Unternehmungen gebracht? Jn den meisten Fällen waren
sie, trotz alles Pompes in ihrer ersten Ankündigung, trotz alles ver-
heißenen Glücks, schon im ersten Beginnen gescheitert, diejenigen, welche
ihre Zukunft vertrauensvoll darauf gegründet hatten, versplittert und
fast spurlos verschwunden. Wer will das Schicksal dieser Schaaren
unglücklicher Auswanderer verfolgen? wer kann ihrer ohne tiefes Mit-
leiden und Bedauern gedenken?
Jst da nicht ein Schritt, welcher diesen Uebelständen Abhülfe,
dem germanischen Elemente im Auslande einen Schirm, unter welchem
die noch zarte Pflanze gedeihen kann, verspricht, mit wahrer Freude
zu begrüßen?
Gedächten wir in unsern anzustellenden kurzen Betrachtungen weiter
zu gehen, als die gegenwärtige Gelegenheit es erlaubt, so wäre eine
der zunächst aufzuwerfenden Fragen: ist Deutschland in der Lage,
wo es sich einen Abzugscanal eröffnen muß, um eine zu dichte Be-
völkerung, für die es nicht Raum genug hat, zu decimiren? Hat es
ein wohlbegründetes Jnteresse, die Auswanderung zu befördern?
Die Erörterung dieser Frage in ihrer ganzen Ausdehnung würde uns
hier zu weit führen. Jedenfalls sind bedeutende Zweifel gegen der-
artige Behauptungen zu erheben. Wir unseres Theils wollen uns hier
begnügen, unsere persönliche Meinung bescheidentlich dahin auszusprechen,
daß wir nicht dieser Ansicht sind. Deutschland besitzt wohl Raum und
innere Ressourcen genug -- besonders wenn sich seine einzelnen Theile
einander mehr nähern, was sich doch immer mehr vorbereitet -- um
seine Bevölkerung zu ernähren. Ja, wir glauben, daß es deren keine
größere, als sein innerer Wohlstand erheischt, besitzt. Jn einzelnen
Theilen allerdings mag sich nicht ohne Grund das unbehagliche Gefühl
einer zu dichten, nahrungslosen Bevölkerung erzeugt haben; das Ganze
leidet wohl schwerlich daran.
Eine zweite hinzukommende Frage -- die positive Nothwendig-
keit einer Decimirung bei Seite setzend -- möchte dann ferner viel-
leicht noch sein, ob sich die Kosten großartiger Auswanderungs - Unter-
nehmungen materiell bezahlt machen würden ( wenn uns der Ausdruck
erlaubt ist ) ; ob die Zunahme an Handel und Jndustrie im Jnlande,
geweckt durch den Verkehr mit den überseeischen Landsleuten, diese ver-
güten würde. Abgesehen von der sichern Unmöglichkeit des Gelingens
von Kolonisations=Projecten -- obschon sie mitunter wohl in Anregung
gebracht worden sind -- denen ein solcher Gedanke als Hauptsache
zu Grunde liegt, und abgesehen von der Unwürdigkeit der Jdee, wenn
als leitendes Princip betrachtet, wagen wir die Richtigkeit auch dieses
Schlusses zu bezweifeln.
Wir müssen demnach unsere Meinung dahin äußern, daß -- wie
es auch wohl auf keine Weise in dem Plane Preußens liegt -- es
nicht als anzurathen, wünschenswerth oder erforderlich erscheinen kann,
daß die deutschen Regierungen durch künstliche Mittel, etwa Bewilligung
freier Ueberfahrt nach transatlantischen Ländern, Ankauf von Ländereien
und deren unentgeltliche Vertheilung an Kolonisten, die Auswan-
derung von Deutschland vermehren und begünstigen sollten.
Doch es bedarf solcher Anregungen auch nicht, um sich ein Element
zu verschaffen, welches dem Vaterlande in der Ferne Nutzen und Er-
weiterung seiner Jnteressen erwirke. Der Strom deutscher Auswan-
derung ist einmal in Fluß; und so wenig man Ursache hat, ihn noch
durch künstliche Mittel anschwellen zu wollen, ebensowenig kann man
die Absicht haben, ihm einen Damm entgegen zu setzen, der ihn ent-
schieden hemme, noch wird man dieses vermögen. Unaufhörlich strömt
er weiter, zum welthistorischen Ereigniß geworden. Vornehmlich dem
fernen transatlantischen Westen eilen unaufhaltsam Hunderttausende zu,
um dort deutsche Sitte, deutsche Gebräuche, die deutsche Zunge, mit
einem Worte, einen neuen Sprößling des alten germanischen Namens
hinzuverpflanzen, dem deutschen Elemente neuen Boden, eine neue
Heimat zu erringen. Es bedarf nicht noch künstlicher Mittel, um
den Zug zu vergrößern, dort den großartigen Keim zur Entwickelung
des neuen, rein deutschen Elementes zu pflanzen Schon die Zahl
derer, welche freier Wille oder Noth in der Heimat und die Hoffnung
einer glücklicheren Zukunft hinüberziehen, ist so ungemein bedeutend,Seit 1836 wanderten über eine halbe Million Deutsche in trans-
atlantische Länder aus. Der bei weitem größte Theil derselben nach den
Berein. Staaten. Von 1836 -- 1846 418,252. Die Angaben vom Jahre
1847 fehlen noch; doch können sie wohl nicht weniger als 100,000 betragen,
da sie sich 1846 schon auf 93.428 beliefen. Jn den Verein. Staaten leben
gegenwärtig wohl nicht weniger, als zwei und eine halbe Million Deutsche.
Doch ein bedentender Kern.
daß man sie als einen wesentlichen Theil des Mutterlandes bezeichnen
muß, als ein Element, welches dieses nicht aus den Augen verlieren
darf, ein Element, welches seiner Nationalität ganz neues, unbekanntes
Leben verleihen kann, in welchem der Samen einer reichen, großartigen
Zukunft liegt. Jn dieser Menge allein liegt schon ein Jnteresse,
welches der Beachtung wohl werth ist, welches wir durch die Bande
ununterbrochenen Verkehrs, durch Erhaltung und Erwärmung der na-
tionalen Verwandschafts = Erinnerungen eng mit uns verbunden halten
sollten.
Wir Deutschen müssen uns leider gestehen, daß, so lange wie auch schon
Deutsche von uns in alle Gegenden der Erde auswandern, umfassendere
Jdeen, von welchem hohen, lebendigen, nationalen Nutzen dieser Zug
der Auswandernden für uns werden könnte, noch nicht lange in Deutsch-
land um sich zu greifen begonnen haben. An manchen Orten suchte
man wohl denen, die ihre Heimat zu verlassen gedachten, Hindernisse
in den Weg zu legen; weniger weil man für ihre Zukunft in der
Fremde Sorge fühlte, als weil man eine Abgaben zu zahlende Menschen-
menge nicht verlieren wollte. Den Nutzen, welchen sie dem Vater-
lande auch noch in der Ferne bringen konnten, brachte man nie in
Anschlag, viel weniger suchte man sich seiner zu vergewissern. Hatte
der Auswanderer einmal seinen entschiedenen Willen kund gegeben,
seine Heimath zu verlassen, so daß man ihn nicht zurückzuhalten ver-
mochte, hatte er den Consens der Behörden erhalten, hatte er die
Landesgrenze überschritten, so wurde er als ein vollkommen Aus = und
Abgeschiedener betrachtet, der weder an sein Heimatland, noch dessen
Heimatland an ihn irgend welchen Anspruch machen konnte. Sein
Vaterland sprach ihm seine Nationalität durchaus ab, nahm keinerlei
Theil an seinem ferneren Schicksal, noch glaubte es irgend ein Jnteresse
dabei zu haben. Ohne Hülfe, Schutz und Rath wurde er den Be-
trügereien gieriger, gewissenloser Schiffsmäkler und Contrahenten und
der oft gleißnerischen, oder doch kärglichen Gnade fremder Regierungen
überlassen. Daher denn die vielen erschütternden Schilderungen von
erduldetem Ungemach und Elend! Daher denn das spurlose Ver-
schwinden solcher Ausgestoßenen, die sich in weiter Ferne verloren und
zersplitterten, deren Nationalität rasch von den fremden Einflüssen ab-
sorbirt wurde! Hat sich in einem einzelnen Falle ein günstigeres
Resultat herausgestellt, trotz aller Mißachtung und Vernachlässigung,
so dürfen wir dieses in der That nicht einheimischer Einsicht und Sorg-
falt zuschreiben, sondern ist es einzig der eigenen Energie der Aus-
wanderer und dem freisinnigen Entgegenkommen und dem wohlver-
standenen Selbstinteresse der Bewohner jenes Landes zu danken.
Jn unsern Tagen aber noch den Werth und die Wichtigkeit der
Auswanderung erörtern zu wollen, oder sie wenigstens als etwas nicht
allgemein anerkanntes vorauszusetzen, ist doch nicht mehr angebracht.
Sind auch noch nicht viele Jahre darüber verflossen, so gibt sich doch
überall ein richtiger anerkanntes Jnteresse kund. Die Ansicht ist all-
gemein durchgedrungen, von welchem hohen moralischen Werthe die
Ausbreitung und das feste Einwurzeln der deutschen Nationalität im
Auslande für Deutschland ist, des materiellen Nutzens nicht zu gedenken,
der uns daraus erwachsen muß, wenn eine wohlhabende, consumtions-
fähige Volksmenge entsteht, die für einen großen Theil ihrer Bedürf-
nisse auf unsere Production angewiesen sein wird. Der lebhafte Wunsch,
diesen jüngern Bruder Deutschlands anerkannt und geschirmt zu sehen,
spricht sich überall aus.
Dafür ist denn auch der von Preußen in Aussicht gestellte Schritt
ein vollkommener Bürge; ein erfreuliches Zeichen, daß wir das, was
ein Theil unserer selbst ist, zum Frommen des gemeinsamen Vaterlandes
besser erkannt und behütet sehen werden. ( Schluß folgt ) .